Urteil des BGH vom 24.04.2013

BGH: vergewaltigung, sicherungsverwahrung, unterbringung, diebstahl, ermessensausübung, wahrscheinlichkeit

5 StR 83/13
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 24. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. April 2013
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Potsdam vom 21. August 2012 im Maßregelaus-
spruch mit den zugehörigen Feststellungen nach § 349
Abs. 4 StPO aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tat-
einheit mit Körperverletzung und mit versuchtem sowie mit vollendetem
Diebstahl zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und seine Un-
terbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die auf den Rechts-
folgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrü-
ge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das
Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
1. Während der Strafausspruch keinen Rechtsfehler aufweist, hat der
Maßregelausspruch
– entsprechend dem Antrag des Generalbundesan-
walts
– keinen Bestand.
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Das Landgericht hat die Anordnung der Unterbringung des Angeklag-
ten in der Sicherungsverwahrung auf § 66 Abs. 1 StGB gestützt. Nach § 66
Abs. 1 Nr. 2 StGB setzt die Anordnung der Maßregel jedoch in formeller Hin-
sicht voraus, dass der Täter wegen vor der Anlasstat begangener vorsätzli-
cher Straftaten schon zweimal zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem
Jahr verurteilt worden ist. Die vom Landgericht hierzu herangezogene Verur-
teilung des Angeklagten durch das Amtsgericht Tiergarten in Berlin aus dem
Jahr 1996, wonach gegen den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei
Fällen sowie wegen Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion in Tateinheit
mit versuchtem Diebstahl eine Jugendstrafe von einem Jahr verhängt wor-
den ist, genügt hierfür nicht. Eine in einem früheren Verfahren ausgespro-
chene einheitliche Jugendstrafe nach § 31 JGG kann als Vorverurteilung im
Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB nur dann berücksichtigt werden, wenn zu
erkennen ist, dass der Angeklagte wenigstens bei einer der ihr zugrundelie-
genden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt
hätte, sofern sie als Einzeltat gesondert abgeurteilt worden wäre (vgl. BGH,
Beschluss vom 28. Februar 2007
– 2 StR 28/07, NStZ-RR 2007, 171 mwN).
Dies ist angesichts der Höhe der Jugendstrafe bei drei tatmehrheitlich abge-
urteilten Straftaten ausgeschlossen.
2. Der Senat verweist die Sache an das Landgericht zurück, weil er
nicht ausschließen kann, dass ausreichende Feststellungen für eine Maßre-
gelanordnung nach § 66 Abs. 3 StGB getroffen werden können. Das neue
Tatgericht wird im Rahmen der Ermessensentscheidung insbesondere den
nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2011
(BVerfGE 128, 326) geltenden erhöhten Gefährlichkeitsmaßstab (vgl. BGH,
Urteile vom 28. März 2012
– 5 StR 525/11, NStZ-RR 2012, 205, und vom
19. Oktober 2011
– 2 StR 305/11, StV 2012, 213, BGH, Beschlüsse vom
27. September 2011
– 4 StR 362/11, NStZ-RR 2012, 109, und vom 2. Au-
gust 2011
– 3 StR 208/11, BGHR StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1)
zu beachten haben; dieser ist aus Gründen des rechtsstaatlichen Vertrau-
ensschutzes im vorliegenden Fall weiterhin anzuwenden (BGH, Urteile vom
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23. April 2013
– 5 StR 610/12 und 5 StR 617/12). Angesichts einer vom
Landgericht ange
nommenen „mittleren Wahrscheinlichkeit“ weiterer Verge-
waltigungsstraftaten (UA S. 32) wird die Ermessensausübung einer sorgfälti-
gen Begründung bedürfen (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2011
– 4 StR 164/11), wobei die von der Sachverständigen dargestellten Ergeb-
nisse psychiatrischer Prognoseinstrumente lediglich Anhaltspunkte über die
Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, eine fundierte Einzelfall-
analyse jedoch nicht zu ersetzen vermögen (vgl. BGH, Beschluss vom
30. März 2010
– 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; BGH, Urteil vom 7. Ju-
li 2011
– 5 StR 192/11).
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