Urteil des BGH vom 27.05.2010

BGH (antragsteller, zwangsvollstreckung, zulassung, rechtsanwaltschaft, vermögensverfall, erlass, widerruf, gewinn, forderung, druck)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 95/08
vom
27. Mai 2010
in dem Verfahren
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, den Richter Dr. Schmidt-Räntsch,
die Richterin Roggenbuck und die Rechtsanwälte Dr. Wüllrich und Dr. Braeuer
nach mündlicher Verhandlung
am 27. Mai 2010
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss
des 2. Senats des Hessischen Anwaltsgerichtshofs vom 3. März
2008 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu
tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren
entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstat-
ten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist seit dem 15. Januar 1996 im Bezirk der Antragsgeg-
nerin als Rechtsanwalt zugelassen. Mit Bescheid vom 30. Januar 2007 hat die
Antragsgegnerin seine Zulassung wegen Vermögensverfalls widerrufen. Seinen
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Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen diesen Bescheid hat der Anwalts-
gerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Antragsteller mit der
sofortigen Beschwerde.
II.
Das nach § 215 Abs. 3 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.
zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwalt-
schaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist,
es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet
sind. Ein Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordne-
ten, schlechten finanziellen Verhältnissen lebt, die er in absehbarer Zeit nicht
ordnen kann, und außer Stande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen.
Beweisanzeichen hierfür sind insbesondere die Erwirkung von Schuldtiteln und
Vollstreckungsmaßnahmen gegen ihn (st. Rspr.; vgl. Senat, Beschl. v. 25. März
1991, AnwZ (B) 73/90, BRAK-Mitt. 1991, 102; Beschl. v. 21. November 1994,
AnwZ (B) 40/94, BRAK-Mitt. 1995, 126; Beschl. v. 26. November 2002,
AnwZ (B) 18/01, NJW 2003, 577).
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2. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.
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a) Zu diesem Zeitpunkt wurden gegen den Antragsteller folgende Klage-
und Vollstreckungsverfahren betrieben:
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1. Zwangsvollstreckung durch Herrn T. wegen
2.481,25 €
2. Zwangsvollstreckung durch G. wegen
6.658,40 €
3. Zwangsvollstreckung durch die J. wegen
2.055,00 €
4. Zwangsvollstreckung durch Do. wegen
714,56 €
5. Verurteilung in Sachen T. ./. P. wegen
0,09 €
6. Anerkenntnisurteil in Sachen N. ./. P. wegen
200,00 €
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7. Beschwerdesachen K. und S. wegen zurückgehalte-
ner Mandantengelder - später Verweis und Geldbuße über 4.000,00 €
8. Beschwerdesache L. wegen zurückgehaltener
Mandantengelder von
126,00 €
9. Klageverfahren Kö. ./. P. wegen
3.228,90 €
10. Zwangsvollstreckung durch Rechtsanwalt H. aus
Gebührenteilungsvereinbarung wegen
3.407,94 €
11. Zwangsvollstreckung durch Kl. wegen Rückzahlung von
Vorschüssen über
719,48 €
12. Zwangsvollstreckung der A. GmbH wegen
5.600,00 €
13. Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzung in Sachen
H. ./. P. wegen
1.073,99 €
14. Klageverfahren der Rechtsschutzversicherung wegen
nicht zurückgezahlter Vorschüsse über
221,71 €
15. Forderung der Gerichtskasse Ka. wegen nicht
gezahlter Aktenversendungspauschalen über
1.009,87 €.
Außerdem stand noch eine Forderung der D. von 20.000 € offen,
die aber nicht vollstreckt wurde. Diese Verfahren zeigen, dass dem Antragstel-
ler ein geordnetes Wirtschaften nicht möglich war. Seine Vermögensverhältnis-
se waren so beengt, dass er selbst geringe Forderungen nicht begleichen konn-
te.
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b) Anhaltspunkte dafür, dass ungeachtet des damit eingetretenen Ver-
mögensverfalls die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet waren, la-
gen bei Erlass der Widerrufsverfügung nicht vor. Der Vermögensverfall führt
regelmäßig zu einer derartigen Gefährdung, insbesondere im Hinblick auf den
Umgang des Rechtsanwalts mit Mandantengeldern und den darauf möglichen
Zugriff seiner Gläubiger (Senat, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03,
NJW 2005, 511). Diese Gefahr hatte sich hier auch verwirklicht. Der Antragstel-
ler hat Vorschüsse von Mandanten und Versicherungen mehrfach erst unter
dem Druck von Klage-, Zwangsvollstreckungs- und Beschwerdeverfahren vor
der Antragsgegnerin zurückgezahlt.
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3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht
nachträglich entfallen.
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a) Im gerichtlichen Verfahren gegen Entscheidungen über den Widerruf
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ist nach ständiger Rechtsprechung des
Senats zu berücksichtigen, ob der Grund für den Widerruf nachträglich entfallen
ist (Senat, BGHZ 75, 356, 357; 84, 149, 150). Dem liegt die Überlegung
zugrunde, dass der Rechtsanwalt andernfalls nach Bestätigung des Widerrufs
sogleich wieder zur Rechtsanwaltschaft zugelassen werden müsste. Erfolgt der
Widerruf wegen Vermögensverfalls, besteht ein Anspruch auf Wiederzulassung
aber nur, wenn geordnete Verhältnisse zweifelsfrei wiederhergestellt sind. Die
Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm gelungen ist, den Vermögens-
verfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (Senat, Beschl. v. 10. Dezember
2007, AnwZ (B) 1/07, BRAK-Mitt. 2008, 73 = juris Tz. 8; Feuerich/Weyland,
BRAO, 7. Aufl., § 14 Rdn. 60). Deshalb kann ein nachträglicher Wegfall des
Vermögensverfalls auch bei der gerichtlichen Überprüfung des Widerrufs der
Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nur berücksichtigt werden, wenn er zweifels-
frei nachgewiesen wird. Hierfür ist erforderlich, dass der betroffene Rechtsan-
walt seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend darlegt. Ins-
besondere muss er eine Aufstellung sämtlicher gegen ihn erhobener Forderun-
gen vorlegen und im Einzelnen darlegen, ob diese Forderungen inzwischen er-
füllt sind oder in welcher Weise er sie zu erfüllen gedenkt (Senat, Beschl. v.
25. März 1991, AnwZ (B) 80/90, NJW 1991, 2083). Der Rechtsanwalt ist nach
dem hier noch anzuwendenden § 36a Abs. 2 BRAO a.F. (entspricht § 32 BRAO
i.V.m. § 26 Abs. 2 VwVfG) zu einer entsprechenden Mitwirkung im Verfahren
verpflichtet.
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b) Nach diesen Maßstäben hat der Antragsteller einen nachträglichen
Wegfall des Vermögensverfalls nicht zweifelsfrei nachgewiesen.
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aa) Der Antragsteller hat zwar im Verlaufe des gerichtlichen Verfahrens
den überwiegenden Teil seiner bei Erlass des Widerrufsbescheids bekannten
und der während des Verfahrens neu bekannt gewordenen Verbindlichkeiten
erfüllen können. Die Steuerbehörde ist auch bereit, von einer Vollstreckung der
nach Erlass des Widerrufsbescheids bekannt gewordenen, im Verlauf des ge-
richtlichen Verfahrens auf 50.000 € gestiegenen Steuerschulden abzusehen,
wenn der Antragsteller sie mit monatlichen Raten von 2.000 € abbezahlt. Das
führt aber nicht dazu, dass die Vermögensverhältnisse des Antragstellers wie-
der geordnet wären. Eine Konsolidierung der Vermögensverhältnisse setzt
vielmehr voraus, dass der Rechtsanwalt über die Begleichung der aufgelaufe-
nen Schulden oder ihre geordnete Rückführung hinaus erreicht, dass dauerhaft
keine neuen Schulden auflaufen oder allenfalls solche, deren ordnungsgemäße
Begleichung - jedenfalls unter Einhaltung von Vereinbarungen mit dem Gläubi-
ger - sichergestellt ist. Das muss ihm auch von sich aus und nachhaltig gelin-
gen. Es genügt nicht, wenn der Rechtsanwalt eine Ordnung seiner Vermögens-
verhältnisse nur unter dem Druck immer wieder neuer Widerrufe seiner Zulas-
sung (Senat, Beschl. v. 31. März 2008, AnwZ (B) 27/07, juris Tz. 15; Beschl. v.
4. März 2009, AnwZ (B) 78/08, BRAK-Mitt. 2009, 129 [Ls.] = juris Tz. 9) auf-
rechterhalten oder erreichen oder wenn er nur wirtschaften kann, indem er neue
Schulden auflaufen lässt (Senat, Beschl. v. 14. November 2005, AnwZ (B)
93/04, juris Tz. 6; Beschl. v. 10. August 2009, AnwZ (B) 40/08, juris Tz. 10). So
liegt es hier.
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bb) Der Antragsteller hat zwar vorgetragen, er habe im Jahre 2009 einen
Gewinn von 53.000 € erzielt. Belastbare Nachweise dafür fehlen aber. Sein
Gewinn erlaubt ihm dessen ungeachtet jedenfalls nach eigenen Angaben kein
ordnungsgemäßes Wirtschaften. Er kann die ihm angebotene Vereinbarung mit
der Steuerbehörde nicht einhalten. Die Gerichtskasse rechnet deshalb auf Er-
suchen der Finanzbehörde mit den Steuerforderungen gegen die fällig werden-
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den Vergütungsansprüche des Antragstellers auf. Das wiederum hat den An-
tragsteller dazu veranlasst, bei der Steuerbehörde um eine Absenkung der Ra-
ten auf monatlich 1.500 € zu bitten, weil er sonst nicht wirtschaften könne. Die-
ser Umstand begründet Zweifel daran, dass der behauptete Gewinn zur Auf-
rechterhaltung eines geordneten Kanzleibetriebs auf Dauer ausreicht. Einen
Nachweis, dass er die niedrigeren Raten auf Dauer wird aufbringen können, ist
der Antragsteller schuldig geblieben. Es ist auch nicht erkennbar, mit welchen
Mitteln er etwaige Ausfälle von Honorarzahlungen verkraften oder unvorherge-
sehene Ausgaben bestreiten will oder dass er Rücklagen hierfür hat aufbauen
können. Offen ist nach wie vor auch, wie der Lebensunterhalt für den An-
tragsteller und seine neue Familie aufgebracht werden soll und mit welchen Mit-
teln sich seine Lebensgefährtin daran beteiligen kann. Es bleiben deshalb ins-
gesamt erhebliche Zweifel an einer dauerhaften Konsolidierung, insbesondere
daran, dass der Antragsteller seine Steuerschulden vereinbarungsgemäß ab-
tragen und das Entstehen neuer ungeregelter Verbindlichkeiten dauerhaft ver-
meiden kann. Das geht zu Lasten des Antragstellers, der das zweifelsfrei
nachweisen muss.
cc) Anzeichen dafür, dass ungeachtet dessen die Gefährdung der
Rechtsuchenden entfallen sein könnte, bestehen nicht. Der Antragsteller ist
weiterhin als Rechtsanwalt tätig und unterhält nach eigenen Angaben ein
Rechtsanwaltsanderkonto, auf das auch Mandantengelder eingezahlt werden.
Angesichts seiner immer noch sehr angespannten finanziellen Lage lässt sich
nicht ausschließen, dass der Antragsteller wie in der Vergangenheit mehrfach
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geschehen, Mandatengelder zurückhält und die Interessen seiner Mandanten
gefährdet.
Tolksdorf
Schmidt-Räntsch
Roggenbuck
Wüllrich
Braeuer
Vorinstanz:
AGH Frankfurt, Entscheidung vom 03.03.2008 - 2 AGH 5/07 -