Urteil des BGH vom 15.02.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
X ZR 87/04
Verkündet am:
15. Februar 2005
Weschenfelder
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB a.F. §§ 284 Abs. 2, 315
Die kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit nach § 284 Abs. 2 BGB
kann auch einseitig gemäß § 315 BGB erfolgen. Dazu bedarf es keiner Verein-
barung der Vertragsparteien, wenn privatrechtliche Entgelte für im öffentlichen
Interesse erbrachte Entsorgungsleistungen aufgrund eines Anschluß- und Be-
nutzungszwangs geschuldet werden.
(Fortführung von BGH, Urt. v. 03.11.1983 - III ZR 227/82, MDR 1984, 558)
BGB § 271 a.F.
Werden Entsorgungsentgelte aufgrund eines Anschluß- und Benutzungs-
zwangs einseitig bestimmt, so muß sich die Entgelterhebung an öffentlich-
rechtlichen Maßstäben messen lassen. Dies kann dazu führen, daß auch bei
kalendermäßig festgelegten Leistungszeitpunkten die Übersendung einer
Rechnung an den Entgeltschuldner Voraussetzung der Fälligkeit ist.
BGH, Urt. v. 15. Februar 2005 - X ZR 87/04 - Kammergericht
LG Berlin
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 15. Februar 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Ambrosius und die Richter Asendorf
und Dr. Kirchhoff
für Recht erkannt:
I. Auf die Revision der Klägerin wird das am 17. Mai 2004 ver-
kündete Urteil des 22. Zivilsenats des Kammergerichts unter
Zurückweisung der Revision im übrigen im Kostenausspruch
sowie insoweit abgeändert, wie es die Berufung der Klägerin
auch wegen weiterer Zinsen aus 11.415,10 € in Höhe von 3 %
über dem jeweiligen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank
für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember 2001 zu-
rückgewiesen hat.
II. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der
9. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 12. August 2003
abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weite-
re Zinsen aus 11.415,10 € in Höhe von 3 % über dem jeweili-
gen Diskontsatz der Deutschen Bundesbank für die Zeit vom
1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember 2001 zu zahlen. Die weiter-
gehende Berufung der Klägerin bleibt zurückgewiesen.
III. Die Klägerin trägt die durch die Anrufung des Amtsgerichts
Charlottenburg entstandenen Mehrkosten sowie 12 % der übri-
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gen Kosten in erster Instanz, 4 % der Kosten in zweiter Instanz
und 27 % der Kosten der Revision. Die übrigen Kosten des
Rechtsstreits fallen dem Beklagten zur Last.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte war vom 4. März 1998 bis zum 22. Juni 1999 Eigentümer
eines Grundstücks in Berlin, für das die Klägerin Straßenreinigungs-, Abfal-
lentsorgungs- und Biomüllentsorgungsleistungen erbracht hat. Die Parteien
streiten im Revisionsverfahren nur noch um restliche Zinsansprüche wegen
des von dem Beklagten der Klägerin für 1998 geschuldeten Leistungsentgelts.
In den maßgeblichen Leistungsbedingungen der Klägerin vom 1. Januar
1994 heißt es u.a.:
"1.5 Zahlung der Entgelte
1.5.1
Die BSR stellen über die zu zahlenden Ent-
gelte Rechnungen aus. Die Rechnungen gelten so
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lange, bis sie durch eine neue Rechnung berichtigt
oder ersetzt werden.
1.5.2
Das Entgelt ist in vier gleichen Teilbeträgen am
15. Februar, 15. Mai, 15. August und 15. November
eines jeden Jahres fällig.
1.5.3
Die BSR behalten sich vor, ... bei Überschreitung des
Fälligkeitstages den Verzugsschaden in Höhe von
3 % über dem jeweils geltenden Diskontsatz der Deut-
schen Bundesbank ohne Nachweis geltend zu ma-
chen, es sei denn ..."
Die Klägerin stellte dem Beklagten die für das Jahr 1998 erbrachten Lei-
stungen erstmals am 17. Juni 1999 in Rechnung. In der Rechnung heißt es
u.a.:
"Der Betrag in EUR ist wie folgt fällig:
Fällig am
netto
(EUR)
30.06.1999
13.157,82 ..."
Das Landgericht hat den Beklagten nach teilweiser Klagerücknahme an-
tragsgemäß zur Zahlung von 11.415,10 € verurteilt, jedoch die Klage wegen
der ferner geltend gemachten Verzugszinsen für die Zeit vom 1. Juli 1999 bis
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zum 14. Dezember 2001 (Zustellung des Mahnbescheids) abgewiesen, weil
ohne Mahnung kein Verzug eingetreten sei.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klä-
gerin hat ihren Zinsanspruch weiterverfolgt und die Klage diesbezüglich erwei-
tert. Sie hat Zinsen aus 11.415,10 € für die Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum
31. Mai 2000 in Höhe von 3 und ab dem 1. Juni 2000 bis zum 14. Dezember
2001 in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz
begehrt.
Das Berufungsgericht hat die Berufungen der Klägerin und des Beklag-
ten zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen, soweit es über die Beru-
fung der Klägerin entschieden hat.
Die Klägerin verfolgt mit der Revision ihre Zinsansprüche aus der Beru-
fungsinstanz weiter. Der Beklagte hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten,
sich in der Revisionsinstanz aber nicht geäußert. Der ordnungsgemäß gelade-
ne Beklagte war im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten.
Entscheidungsgründe:
Über die Revision der Klägerin ist durch Versäumnisurteil zu entschei-
den, das aber inhaltlich nicht auf der Säumnis beruht (BGHZ 37, 79, 81). Die
Revision hat nur teilweise Erfolg. Für den Zeitraum bis zum 30. Juni 1999 ste-
hen der Klägerin keine Zinsen zu. Vom 1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember
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2001 können ihr Zinsen nur in geringerem Umfang als begehrt zugesprochen
werden.
I. Für die Zeit vor dem 30. Juni 1999 hat das Berufungsgericht zutreffend
einen Zinsanspruch der Klägerin verneint, weil es zu den in den Leistungsbe-
dingungen vereinbarten vierteljährlichen Zahlungsterminen an einer von der
Klägerin ausgestellten Rechnung fehlte.
1. Zwar ist, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, mit der Festle-
gung der vierteljährlichen Zahlungstermine in Nr. 1.5.2 der Leistungsbedingun-
gen eine Leistungszeit wirksam im Sinne des § 284 Abs. 2 BGB a.F. kalender-
mäßig bestimmt. Die kalendermäßige Bestimmung der Leistungszeit kann nicht
nur, wie im Regelfall, durch Vereinbarung der Vertragsparteien erfolgen. Viel-
mehr kommt grundsätzlich auch eine einseitige Bestimmung durch eine der
Vertragsparteien, also auch den Gläubiger, nach § 315 BGB in Betracht. Eben-
so wie einer Vertragspartei gemäß § 315 BGB die Bestimmung der Leistung
nach billigem Ermessen übertragen werden kann, ist dies bei einer Festset-
zung der kalendermäßigen Leistungszeit möglich.
§ 315 BGB kommt zwar grundsätzlich nur aufgrund einer entsprechen-
den Vereinbarung zur Anwendung. Einer solchen Vereinbarung bedarf es hier
aber wegen der für den Beklagten verbindlichen Anordnung des Anschluß- und
Benutzungszwangs für Straßenreinigungs- und Entsorgungsleistungen nicht.
Der Bundesgerichtshof hat bereits festgestellt, daß wegen des Anschluß- und
Benutzungszwangs die privatrechtlichen Leistungsentgelte der Klägerin nach
§ 315 BGB einseitig festgesetzt werden können (BGH, Urt. v. 03.11.1982
- III ZR 227/82, MDR 1984, 558). Dementsprechend kann auch in den Lei-
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stungsbedingungen der Klägerin die Leistungszeit wirksam kalendermäßig be-
stimmt werden. Dafür kommt es nicht auf die vom Landgericht behandelte Fra-
ge an, ob die Höhe der zu zahlenden Forderung ohne weiteres und für den
Schuldner erkennbar feststeht. § 284 Abs. 2 BGB a.F. betrifft nur die Bestim-
mung der Leistungszeit, nicht etwaige weitere Fälligkeitsvoraussetzungen, oh-
ne die ein Verzug nicht eintreten kann.
2. Nach den Leistungsbedingungen waren die Leistungsentgelte aber
nicht vor Rechnungsstellung zu zahlen.
a) Das ergibt sich aus Nr. 1.5.1 der Leistungsbedingungen, wonach
"über die zu zahlenden Entgelte Rechnungen" ausgestellt werden. Daraus
folgt, daß die Rechnung vor Zahlung vorliegen muß und damit im hier vorlie-
genden Fall Voraussetzung für die Fälligkeit der Entgelte ist. Nach den Lei-
stungsbedingungen kann der Grundstückseigentümer erwarten, daß ihm vor
den jeweiligen vierteljährlichen Zahlungsterminen eine Rechnung zugeht, aus
der er seine jeweiligen Zahlungspflichten ablesen kann. Das Berufungsgericht
weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, daß erst die von der
Klägerin auszustellende Rechnung dem Schuldner Klarheit über die Höhe der
nach den Tarifen nicht für jedermann ohne weiteres überschaubaren und zu
errechnenden Entgeltforderung verschaffen und zugleich die Klägerin vor dem
Verwaltungsaufwand bewahren soll, der damit verbunden wäre, wenn die
Schuldner aufgrund eigener ungenauer Berechnung, etwa auch nach nicht
mehr gültigen Tarifen, unzutreffende Beträge zahlten.
b) Auch Satz 2 der Nr. 1.5.1 der Leistungsbedingungen belegt, daß die
Rechnung grundsätzlich vor den Fälligkeitsterminen als Grundlage für künftige
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Leistungen erwartet werden kann. Wären in den Rechnungen bereits zu ver-
strichenen Fälligkeitsterminen für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen
zu zahlende Entgelte dokumentiert, wäre die ausdrückliche Regelung über zu
berichtigende oder zu ersetzende neue Rechnungen unverständlich.
c) In diesem Zusammenhang ist unerheblich, daß das geschuldete Ent-
gelt mit Veröffentlichung der Tarife im Amtsblatt feststeht und daß der Klägerin
insoweit ein einseitiges Bestimmungsrecht zusteht (s.o. I. 1.). Dies ist zwar für
die Bestimmbarkeit der geschuldeten Entgelte relevant, reicht aber für ihre Fäl-
ligkeit nicht aus. Vielmehr bedarf es für die Fälligkeit der Entgeltforderung ihrer
Konkretisierung durch Rechnung. Das ergibt sich auch aus der hier gegebenen
öffentlich-rechtlichen Prägung des Leistungsverhältnisses (BGH, aaO). Das
Entsorgungsentgelt ist zwar privatrechtlicher Natur. Die Klägerin erbringt ihre
Leistungen aber aufgrund öffentlichen Auftrags als leistende Verwaltung im
Rahmen der Daseinsvorsorge. Ihre Tarife werden im Amtsblatt von Berlin ver-
öffentlicht. Die Grundstückseigentümer müssen aufgrund öffentlich-rechtlichen
Anschluß- und Benutzungszwangs mit der Klägerin in Leistungsbeziehungen
treten und ihr gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Berliner Straßenreinigungsgesetz Ent-
gelte auf der Grundlage ihrer Tarife entrichten. Die der öffentlichen Hand frei-
stehende Wahl der privatrechtlichen Handlungsform darf ihren privaten Ver-
tragspartner nicht benachteiligen. Nimmt das Land Berlin öffentliche Gewalt in
Anspruch, um den Grundstückseigentümern einen Anschluß- und Benutzungs-
zwang aufzuerlegen, und bestimmt es die Entsorgungsentgelte einseitig, so
muß sich die Entgelterhebung auch an öffentlich-rechtlichen Maßstäben mes-
sen lassen.
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Es liegt deshalb nahe, die in vergleichbaren Konstellationen im Abga-
benrecht geltenden Grundsätze für die Auslegung heranzuziehen. Nach § 38
AO entsteht die Steuerpflicht, wenn der Tatbestand der Leistungspflicht ver-
wirklicht wird. Im Zweifel, also bei Fehlen einer abweichenden gesetzlichen
Regelung, tritt die Fälligkeit von Steueransprüchen aber erst mit der Bekannt-
gabe ihrer Festsetzung ein, § 220 Abs. 2 Satz 2 AO. Aus diesen Regelungen
folgt, daß Voraussetzung für die Zahlungspflicht stets die individuelle Bekannt-
gabe zumindest einer ersten Abrechnung ist, in der dann Vorauszahlungen für
künftige Fälligkeitstermine festgesetzt werden können. Für das auf der Grund-
lage von Anschluß- und Benutzungszwang mit den Leistungsbedingungen der
Klägerin geschaffene Entgeltregime gilt im Ergebnis nichts anderes. Vor Über-
mittlung der Rechnung konnte der Beklagte daher nicht in Verzug geraten.
d) Im übrigen folgt auch aus der Rechnung der Klägerin vom 17. Juni
1999, daß die Leistungsentgelte nicht bereits zuvor fällig waren, sondern erst
zum 30. Juni 1999 fällig gestellt werden sollten.
II. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht der Klägerin Zinsen aber auch
für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum 14. Dezember 2001 versagt. Die
Klägerin hat mit der Rechnung vom 17. Juni 1999 die für 1998 geschuldeten
Entgelte wirksam in kalendermäßig bestimmter Weise zum 30. Juni 1999 fällig-
gestellt.
Zum Zeitpunkt der Rechnungsstellung waren die vierteljährlichen Zah-
lungstermine für das Jahr 1998 zwar bereits verstrichen. Die Klägerin hat je-
doch in ihrer Rechnung den 30. Juni 1999 als neuen Zahlungstermin wirksam
einseitig bestimmt.
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1. Anders als das Berufungsgericht meint, kann die Klägerin gemäß
§ 315 BGB einseitig und individuell einen neuen Leistungstermin nach billigem
Ermessen festsetzen, wenn frühere Leistungstermine mangels einer von der
Klägerin rechtzeitig ausgestellten Rechnung verstrichen sind. Wenn die Kläge-
rin die ursprüngliche Leistungszeit einseitig bestimmen kann, so kann sie dies
auch für eine neue Zahlungsfrist tun, nachdem ein ursprünglicher Termin ge-
genstandslos geworden ist. Die Klägerin muß dabei zwar nach einheitlichen
Grundsätzen verfahren und darf Grundstückseigentümer nicht ohne sachlichen
Grund unterschiedlich behandeln. Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß die Klä-
gerin eine solche Festlegung nur allgemein und in Form eines Tarifs vorneh-
men könnte. Das aus dem Anschluß- und Benutzungszwang folgende Bestim-
mungsrecht gilt vielmehr nicht nur hinsichtlich der Festlegung der Tarife (vgl.
BGH, aaO), sondern auch für den dort nicht vorgesehenen Einzelfall, in dem
wegen verspäteter Rechnungsstellung eine Fälligkeit individuell festzulegen ist.
Eine bestimmte Form für die einseitige Festlegung der Leistungszeit ist nicht
vorgesehen und wurde deshalb vom Bundesgerichtshof in der zitierten Ent-
scheidung auch nicht verlangt.
2. Gegen die Dauer der bei Bestimmung der neuen Leistungszeit ge-
setzten Zahlungsfrist hat der Beklagte keine Einwendungen erhoben. Sie ist
daher als wirksam festgesetzt zugrundezulegen.
3. Der Klägerin stehen Zinsen für den Zeitraum vom 1. Juli 1999 bis zum
14. Dezember 2001 allerdings lediglich in der in ihren Leistungsbedingungen,
Nr. 1.5.3, vorgesehenen Höhe von 3 % über dem jeweils geltenden Diskontsatz
der Deutschen Bundesbank zu. Die Forderung der Klägerin war vor dem 1. Mai
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2000 fällig. Nach Art. 229 § 1 EGBGB ist daher § 288 BGB in der ab 1. Mai
2000 geltenden Fassung, der Verzugszinsen von 5 % über dem Basiszinssatz
vorsieht, vorliegend nicht anwendbar. Gegen die Regelung der Verzugszinsen
in den Leistungsbedingungen der Klägerin bestehen auch nach dem AGB-
Gesetz keine Bedenken. Die Angemessenheit dieser Regelung folgt bereits
daraus, daß der Gesetzgeber nur kurz nach dem hier maßgeblichen Ver-
zugseintritt, dem 1. Juli 1999, den gesetzlichen Verzugszinssatz auf einen
deutlich höheren Wert, nämlich 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz nach
§ 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 9. Juni 1998 (BGBl. I
S. 1242), festgelegt hat.
III. Der Kostenausspruch folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO.
Melullis
Keukenschrijver
Ambrosius
Asendorf
Kirchhoff