Urteil des BGH vom 27.02.2003

BGH (gegenstand des verfahrens, freiwilligkeit, ehefrau, stpo, rücktritt, annahme, versuch, zeuge, umstand, nachteil)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 59/03
vom
27. Februar 2003
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 27. Februar 2003 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Münster vom 10. Oktober 2002
a)
im Schuldspruch dahin geändert, daß der Ange-
klagte der gefährlichen Körperverletzung schuldig
ist,
b)
im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgeho-
ben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere - allgemeine - Strafkam-
mer des Landgerichts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier
Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision,
mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechts-
mittel hat mit der Sachrüge den aus der Beschlußformel ersichtlichen Teiler-
folg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Die Verfahrensbeschwerde ist nicht ausgeführt und deshalb unzuläs-
sig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
2. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat keinen
Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit ihn das Landge-
richt der zum Nachteil seiner Ehefrau begangenen gefährlichen Körperverlet-
zung für schuldig befunden hat. Entgegen den Einwendungen der Revision
begegnet auch die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei der Tat
mit bedingtem Tötungsvorsatz auf seine Ehefrau eingestochen, keinen durch-
greifenden rechtlichen Bedenken.
Gleichwohl hat die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Tot-
schlags keinen Bestand, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt
des Angeklagten vom Versuch des Totschlags gemäß § 24 Abs. 1 StGB mit
rechtlich nicht zutreffender Begründung abgelehnt hat.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde als erster der Zeu-
ge G. auf das Tatgeschehen aufmerksam. Er lief auf den Angeklagten zu
und rief ihm zu aufzuhören. Der Angeklagte reagierte darauf jedoch nicht, son-
dern stach weiter auf seine Frau ein. Sodann wurde durch die Schreie der
Ehefrau des Angeklagten die Zeugin W. aus etwa 30 bis 40 m Entfernung
auf das Tatgeschehen aufmerksam. Die Zeugin fuhr mit dem Fahrrad direkt auf
den Angeklagten zu und schrie ihn dabei an. Der Angeklagte "zuckte zusam-
men und ließ von seiner Frau ab. Er blickte erst auf seine Hand, in der er das
Messer hielt, dann zur Zeugin und schließlich auf seine vor ihm liegende Frau.
Nach einiger Zeit legte er sein Messer zur Seite" (UA 9).
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b) Das Landgericht hat zu Recht einen unbeendeten Versuch ange-
nommen, einen strafbefreienden Rücktritt jedoch verneint, weil der Angeklagte
die Tatausführung nicht freiwillig aufgegeben habe. Es meint, für den Ange-
klagten habe sich, als er auf die Schreie der Zeugin W. hin von seiner
Frau abgelassen habe, "das Risiko einer Entdeckung wesentlich erhöht, denn
er realisierte, daß bereits Zeugen, nämlich auch der Zeuge G. , anwesend
waren und er einer Entdeckung nicht entgehen konnte" (UA 18).
Der Senat vermag dieser Wertung nicht zu folgen. Für die Frage der
Freiwilligkeit des Rücktritts ist entscheidend, ob aus der Sicht des Täters ein
für ihn zwingendes Hindernis vorlag oder ob er Herr seiner Entschlüsse geblie-
ben ist; sie ist deshalb zu bejahen, wenn der Täter weder durch eine äußere
Zwangslage noch durch seelischen Druck unfähig gewesen ist, die Tat zu
vollenden (st. Rspr.; BGHSt 35, 184, 186; BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1
Freiwilligkeit 5, 8). Dabei sind Zweifel an der Freiwilligkeit des Rücktritts grund-
sätzlich zu Gunsten des Täters zu lösen (BGHR aaO Freiwilligkeit 26). Daß
äußere Umstände den Angeklagten unfähig gemacht haben, weiter auf seine
Ehefrau einzustechen, hat auch das Landgericht nicht angenommen, zumal es
der Aussage der Geschädigten gefolgt ist, "man habe ihn nicht wegziehen
müssen" (UA 12). Ebensowenig ergeben die Feststellungen, daß der Ange-
klagte sich aus zwingenden inneren Beweggründen an der Fortsetzung der Tat
gehindert sah. Entgegen der Annahme des Landgerichts steht der Umstand,
daß die Tat in Gegenwart von Zeugen begangen wurde, also bereits entdeckt
war, der Annahme freiwilligen Rücktritts nicht entgegen (vgl. BGHR aaO Frei-
willigkeit 15). Dafür, daß der Angeklagte von seiner Ehefrau etwa deshalb ab-
gelassen haben könnte, weil er mit einem alsbaldigen Einschreiten der Polizei
und seiner Bestrafung rechnete (BGHR aaO Freiwilligkeit 16, 18), geben die
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Feststellungen nichts her. Schließlich kann ein freiwilliger Rücktritt entgegen
der Auffassung des Landgerichts auch nicht mit der Begründung verneint wer-
den, es handele sich hier nicht um einen Fall "nach einer Affektentladung, bei
dem der Täter nach einem 'Aufwachen' aus der Tat seine Steuerungsfähigkeit
wiedererlangt und die Tat dann aus autonomen Motiven, wenn auch mögli-
cherweise angestoßen von außen, aufgibt" (UA 18). Der Umstand, daß der
Täter die weitere Tatausführung aufgibt, nachdem seine affektive Erregung
abgeklungen ist, steht der Annahme der Freiwilligkeit gerade nicht entgegen
(vgl. BGHR aaO Freiwilligkeit 3 und 6). Dabei kommt es nicht darauf an, wie
das Landgericht meint, ob der Affekt von der Stärke eines "übermächtigen
Zwanges" war.
3. Im Hinblick auf die bisher getroffenen Feststellungen und die beste-
hende Beweislage ist nicht zu erwarten, daß in einer neuen Hauptverhandlung
Feststellungen getroffen werden könnten, die einen strafbefreienden Rücktritt
vom Tötungsversuch entfallen lassen. Der Senat ändert deshalb entsprechend
§ 354 Abs. 1 StPO den Schuldspruch dahin, daß der Angeklagte lediglich der
gefährlichen Körperverletzung schuldig ist. Die Schuldspruchänderung hat die
Aufhebung des Strafausspruchs zur Folge.
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Der Senat verweist die Sache an eine allgemeine Strafkammer des
Landgerichts zurück, nachdem Gegenstand des Verfahrens nicht mehr eine die
Zuständigkeit des Schwurgerichts begründende Tat ist.
Tepperwien Maatz Kuckein
Athing Ernemann