Urteil des BGH vom 15.07.2004

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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
III ZR 103/03
Verkündet am:
15. Juli 2004
F r e i t a g
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter
Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats
des Kammergerichts in Berlin vom 25. Februar 2003 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Kammer für
Handelssachen 95 des Landgerichts Berlin (Charlottenburg) vom
11. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Aus-
nahme der durch die Anrufung des unzuständigen Landgerichts
Bonn verursachten Mehrkosten, die dem Kläger auferlegt werden.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger liquidierte in den Jahren 1991 bis 1995 im Auftrag der be-
klagten Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben, der früheren
Treuhandanstalt, eine Vielzahl von Beteiligungsunternehmen (oder Treuhand-
unternehmen). Mit Schreiben vom 16. September 1999 erklärte die Beklagte
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auf Bitten des Klägers, daß über dessen noch offene Honoraransprüche
schiedsgutachterlich durch den Insolvenzrechtler Prof. Dr. U. ent-
schieden werden sollte. Der in Aussicht genommene Gutachter machte die Er-
stellung des Gutachtens davon abhängig, daß jede Partei die Hälfte der auf
150.000 DM geschätzten Kosten vorschußweise zahle oder die Zahlung durch
eine Bürgschaft sicherstelle. Der Kläger hatte Schwierigkeiten, eine Bürgschaft
über 75.000,00 DM beizubringen. Mit Schreiben vom 11. April 2000 teilte die
Beklagte dem Kläger mit, sie betrachte die beiderseitigen Bemühungen, die
Honorarfragen schiedsgutachterlich entscheiden zu lassen, als endgültig ge-
scheitert.
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, daß
die zwischen den Parteien mit Schreiben der Beklagten vom 16. September
1999 bestätigte Leistungsbestimmungabrede weiterhin wirksam sei und nicht
durch das Schreiben der Beklagten vom 11. April 2000 beendet worden sei. Er
hat vorgetragen, seine Versuche, eine taugliche Bürgschaft für den auf ihn ent-
fallenden Teil des Vorschusses aufzubringen, seien bis zum 11. April 2000
nicht endgültig fehlgeschlagen, sondern hätten nachträglich zum Erfolg geführt.
Das Landgericht hat die begehrte Feststellung antragsgemäß getroffen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, der
sein Feststellungsbegehren weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
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Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Wiederherstellung des landgericht-
lichen Urteils.
1.
Beide Vorinstanzen haben mit Recht angenommen, daß die Feststel-
lungsklage mit dem gestellten Antrag zulässig ist. Die gegen die Zulässigkeit
erhobenen Einwände der Beklagten, die deren Revisionserwiderung weiterver-
folgt, greifen, wie der Senat geprüft hat, nicht durch; von einer näheren Be-
gründung wird abgesehen (§ 564 Satz 1 ZPO).
2.
Die Ausgangsthese des Berufungsgerichts, die Erklärung der Beklagten
vom 16. September 1999 sei eine bloße "Gefälligkeitserklärung ohne endgülti-
gen Rechtsbindungswillen" gewesen, entbehrt einer hinreichenden tatsächli-
chen Grundlage.
a) Es trifft zwar zu, daß jene Erklärung der Beklagten deren Antwort auf
das vorangegangene Schreiben des Klägers vom 1. September 1999 gewesen
ist und daß der Kläger dort erklärt hatte, er benötige diese Bestätigung, um in
zwei damals von ihm vor dem Bundesgerichtshof geführten Revisionsverfahren
eine Verlängerung der Revisionsbegründungsfristen (nach dem damaligen Ver-
fahrensrecht) zu erreichen. Dies gelinge ihm jedoch nur, wenn er das Führen
ernsthafter Vergleichsverhandlungen glaubhaft machen könne. Diese Vorge-
schichte der Erklärung der Beklagten vom 16. September 1999 rechtfertigt in-
dessen nicht die daraus vom Berufungsgericht gezogene Schlußfolgerung.
Denn wenn es in der Anfrage des Klägers vom 1. September 1999 weiter heißt,
das geplante Schiedsgutachten könne innerhalb eines halben Jahres wenig-
stens so weit gediehen sein, daß eine außergerichtliche Klärung der strittigen
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Fragen als wahrscheinlich erscheine, so kann dies nur bedeuten, daß die Ein-
holung des Schiedsgutachtens ernsthaft gewollt war.
b) Dazu paßt der von der Revision zutreffend herangezogene eigene
Sachvortrag der Beklagten aus deren erstinstanzlicher Klageerwiderung. Dort
wird im einzelnen ausgeführt, es sei das dringende Interesse des Klägers ge-
wesen, anstatt aufwendiger und langdauernder Rechtsstreitigkeiten ein
Schiedsgutachterverfahren herbeizuführen. Die Beklagte habe sich bereitge-
funden, in die Durchführung eines solchen Verfahrens einzuwilligen.
c) Konsequenterweise ist in der Folgezeit auch die Beauftragung des
Gutachters Prof. Dr. U. tatsächlich in die Wege geleitet worden. Das
diesbezügliche Verhalten beider Parteien fügt sich nahtlos in das Bild der
ernstlich gewollten Einholung eines Schiedsgutachtens ein.
d) Der in dem Schreiben der Beklagten vom 16. September 1999 weiter
enthaltene Hinweis: "Die Einzelheiten des schiedsgutachterlichen Vertrages
werden wir noch gesondert vereinbaren", spricht ebenfalls nicht gegen das Zu-
standekommen einer Abrede der Parteien, betreffend die Einholung des
Schiedsgutachtens. Dieser Hinweis läßt, wie die Revision zutreffend hervor-
hebt, zwanglos die Deutung zu, daß damit nicht die Einigung der Parteien in
Frage gestellt werden sollte, sondern der von den Parteien mit dem Schieds-
gutachter abzuschließende Vertrag gemeint war. Aber selbst wenn sich die
Beklagte mit jenem Hinweis die Regelung näherer Einzelheiten der Leistungs-
bestimmungsabrede mit dem Kläger selbst vorbehalten wollte, ändert dies
nichts daran, daß mit dem Schriftwechsel vom 1./16. September 1999 bereits
eine verbindliche Einigung über alle Essentialia des Schiedsgutachtenvertra-
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ges zustande gekommen war. Die Revision weist - ohne daß die Revisionser-
widerung dem Durchgreifendes entgegensetzen könnte - zutreffend darauf hin,
daß der Gegenstand des Schiedsgutachtens ("die Honorarfragen in allen Ver-
fahren, in denen Sie [sc. der Kläger] als Liquidator eingesetzt waren") und die
Person des Schiedsgutachters (Prof. Dr. U. ) festgelegt worden wa-
ren. Maßstab der Entscheidung sollten die §§ 316 ff BGB sein. Deswegen lag
hier kein Fall eines offenen Dissenses nach § 154 Abs. 1 Satz 1 BGB vor;
vielmehr war die Einigung über die wesentlichen Punkte wirksam zustande ge-
kommen.
e) In zusammenfassender Würdigung muß daher festgestellt werden,
daß die Parteien sich verbindlich auf die Einholung des Schiedsgutachtens
durch Prof. Dr. U. verständigt hatten. Die abweichende Auffassung
des Berufungsgerichts entfernt sich so weit von dem feststehenden Sachver-
halt, daß sie die Grenzen zulässiger tatrichterlicher Würdigung überschreitet
und vom Revisionsgericht nicht hingenommen werden kann.
3.
Ebensowenig kann dem Berufungsgericht darin zugestimmt werden, daß
die Beklagte den solchermaßen zustande gekommenen Vertrag mit Schreiben
vom 11. April 2000 wirksam gekündigt habe.
a) Das Berufungsgericht meint, der Kläger sei nicht in der Lage gewe-
sen, die auf ihn entfallenden Kosten aus eigenen Mitteln aufzubringen, und sei
nach seinen eigenen Äußerungen der Beklagten gegenüber auch nach einer
mehr als hinreichenden Zeit nicht imstande gewesen, die vom Gutachter gefor-
derte Bürgschaft beizubringen. Unter diesen Umständen habe sich die Beklag-
te von den gemeinsamen Bemühungen um eine schiedsgutachterliche Schlich-
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tung lossagen dürfen. Demgegenüber hatte das Landgericht die Aussage des
von ihm vernommenen Zeugen F. , des Verhandlungsführers der Beklagten,
dahin gewürdigt, aus dieser Aussage gehe nicht hervor, daß der Kläger mitge-
teilt habe, er sei generell und endgültig nicht in der Lage, eine selbstschuldne-
rische Bürgschaft zu erbringen. Der Kläger habe in einem weiteren Gespräch
mit dem Zeugen erklärt, er werde die A. -Bürgschaft beibringen. Daraus
hat das Landgericht die Folgerung gezogen, da die Beklagte keinerlei Fristen
zur Vorlage der Bürgschaft gesetzt habe und im übrigen diese ihr auch gar
nicht vorgelegt werden sollte, habe sie auch nicht aufgrund des Gespräches
vom 30. März 2000 davon ausgehen dürfen, der Kläger könne endgültig keine
selbstschuldnerische Bürgschaft beibringen und verweigere daher seine Ver-
tragsförderungspflicht. Die Revision weist mit Recht darauf hin, daß die Auffas-
sung des Berufungsgerichts, der Kläger sei endgültig nicht in der Lage gewe-
sen, seinen finanziellen Verpflichtungen, betreffend die Beauftragung des Gut-
achters, nachzukommen, mit diesen tatsächlichen Feststellungen unvereinbar
ist. Es geht nicht etwa nur - wie die Revisionserwiderung darzulegen versucht -
darum, daß die als solche unverändert bleibenden erstinstanzlichen Feststel-
lungen vom Berufungsgericht lediglich in einem anderen Sinne interpretiert
werden; vielmehr verkehrt das Berufungsgericht das erstinstanzliche Beweis-
ergebnis in sein genaues Gegenteil.
b) Daher kommt hier - wie schon das Landgericht mit Recht hervorgeho-
ben hat - der seit jeher anerkannte Grundsatz zum Tragen, daß ein Vertragsteil
sich von einem Vertrag nur dann einseitig lösen kann, wenn dem anderen Teil
eine angemessene Abhilfefrist zur Erfüllung des Vertrages gesetzt worden ist
(vgl. § 326 BGB a.F., § 323 BGB n.F. sowie - für Dauerschuldverhältnisse -
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§ 314 Abs. 2 BGB n.F.). Dies gilt auch für den hier in Rede stehenden
Schiedsgutachtenvertrag.
4.
Dementsprechend ist der Vertrag durch das Schreiben der Beklagten
vom 11. April 2000 nicht beendet worden. Die vom Kläger beantragte diesbe-
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zügliche Feststellung kann auf der Grundlage des festgestellten, insoweit hin-
reichend geklärten Sachverhalts getroffen werden, ohne daß es einer Zurück-
verweisung der Sache bedarf.
Schlick Wurm Kapsa
Dörr Galke