Urteil des BGH vom 19.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
II ZR 56/12
Verkündet am:
19. Februar 2013
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BGHR:
ja
AktG § 246, § 250 Abs. 1, § 251 Abs. 3
a) Wird die Wahl eines Aufsichtsratsmitglieds durch die Hauptversammlung wegen Verletzung des
Gesetzes oder der Satzung durch Klage angefochten, so führt die Beendigung des Amtes durch
Rücktritt des gewählten Aufsichtsratsmitglieds zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses für die
Wahlanfechtungsklage, wenn die Nichtigerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der
Gesellschaft, der Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben
kann.
b) Die Nichtigerklärung oder Nichtigkeitsfeststellung eines Wahlbeschlusses hat grundsätzlich solche
Auswirkungen, wenn die Beschlussfähigkeit oder das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbe-
schlusses von der Stimme eines Aufsichtsratsmitglieds abhängt, dessen Wahl nichtig ist oder für
nichtig erklärt wird. Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird,
ist für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied zu behandeln.
BGH, Urteil vom 19. Februar 2013 - II ZR 56/12 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bergmann und
den Richter Dr. Strohn, die Richterin Dr. Reichart sowie die Richter
Dr. Drescher und Born
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 20. Januar 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Aktionär der Beklagten und hat die Beschlüsse der Haupt-
versammlung der Beklagten vom 28. August 2008 über die Wahl zum Auf-
sichtsrat von Dr. B. , L. , O. , Dr. V. , die wiederge-
wählt wurden, sowie M. und Dr. P. , die neu gewählt wurden, angefoch-
ten. Zwischen dem 1. Oktober 2008 und 5. Februar 2009 legten diese Mitglie-
der des Aufsichtsrats der Beklagten ihre Ämter nieder, L. mit Schrei-
ben vom 1. Oktober 2008, eingegangen beim Vorstand der Beklagten am
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6. Oktober 2008, M. mit Schreiben vom 14. November 2008, Dr. B. mit
Schreiben vom 28. November 2008 mit Wirkung zum 30. November 2008,
O. mit Schreiben vom 19. November 2008 mit Wirkung zum 30. November
2008, Dr. V. mit Schreiben vom 21. Januar 2009 mit Wirkung zum Ab-
lauf der nächstfolgenden Hauptversammlung, die am 25. März 2009 stattfand,
und Dr. P. mit Schreiben vom 2. Februar 2009 mit Wirkung zum
1. Februar 2009. Die am 29. September 2008 eingereichte Anfechtungsklage
wurde am 17. Oktober 2008 zugestellt.
Die Anfechtungsklage bzw. hilfsweise erhobene Nichtigkeitsfeststel-
lungsklage hat der Kläger unter anderem damit begründet, dass der Aufsichts-
rat keinen Wahlvorschlag für die Nachwahl des ausscheidenden Aufsichtsrats-
mitglieds A. gemacht habe, das auf Vorschlag der Bundesregierung
gewählt werden sollte. Die Wiederwahl von Aufsichtsratsmitgliedern sei treuwid-
rig gewesen, weil die von der Hauptversammlung beschlossene Sonderprüfung
nicht abgeschlossen gewesen sei und auch der im Auftrag des Vorstands er-
stellte Sonderprüfungsbericht nicht vorgelegt worden sei, so dass die Verant-
wortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder nicht habe geprüft werden können. L.
sei als Aufsichtsrat ungeeignet, wie sich daran zeige, dass er kurz nach
der Hauptversammlung als Vorstand der Kreditanstalt für Wiederaufbau abbe-
rufen worden sei. Zahlreiche Auskunftsverlangen seien nicht oder nicht voll-
ständig oder wahrheitswidrig beantwortet worden. Hilfsweise hat der Kläger die
Feststellung begehrt, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt ha-
be.
Das Landgericht hat auf diesen Hilfsantrag des Klägers festgestellt, dass
der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt sei, soweit er den Beschluss in der
Hauptversammlung betreffend die Wahl des Aufsichtsratsmitglieds M. be-
treffe, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Unter Zurückweisung der Beru-
fung des Klägers hat das Berufungsgericht auf die Anschlussberufung der Be-
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klagten die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Beru-
fungsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, 6 U 168/10, juris) hat ausge-
führt, ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage
gegen den Beschluss der Hauptversammlung vom 28. August 2008 über die
Wahl des Aufsichtsratsmitgliedes L. habe bereits bei Zustellung der
Klage nicht mehr bestanden und sei hinsichtlich der anderen Aufsichtsratsmit-
glieder durch ihren Rücktritt entfallen. Eine Beschlussmängelklage komme im
Falle der Amtsniederlegung eines anfechtbar gewählten Aufsichtsratsmitgliedes
ausnahmsweise nur noch dann in Betracht, wenn das Vorhandensein des an-
fechtbar gewählten Aufsichtsrates in der Zeit bis zu dessen Amtsniederlegung
zu weiteren, rechtlich relevanten Folgen geführt habe, an deren Verhinderung
für den Anfechtungskläger ein besonderes rechtliches Interesse bestehe. Es
könne nur noch in solchen Ausnahmefällen bejaht werden, in denen die in an-
fechtbarer Weise gewählten Aufsichtsratsmitglieder in der Zeit bis zu ihrer
Amtsniederlegung weitere, ihrerseits rechtlich relevante Beschlüsse (mit)-
gefasst hätten, zu denen es ohne ihre Mitwirkung nicht oder jedenfalls nicht mit
dem gleichen Inhalt gekommen wäre.
Nach der „Lehre vom fehlerhaft bestellten
Organ“ sei ein Aufsichtsratsmitglied, das sein Amt angenommen und ausgeübt
hat, ungeachtet einer etwaigen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit seiner Bestel-
lung zumindest partiell und bis zum Widerruf seiner Bestellung oder bis zur
Niederlegung seines Amtes wie ein wirksam bestelltes Mitglied des Aufsichtsra-
tes zu behandeln.
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Selbst bei einem restriktiven Verständnis der „Lehre vom fehlerhaft be-
stellten Organ“ könnten sich rechtliche Konsequenzen aus der Tätigkeit eines
anfechtbar gewählten Aufsichtsrates in der Zeit bis zu der Niederlegung seines
Amtes allenfalls aus dessen Mitwirkung an der weiteren Beschlussfassung im
Aufsichtsrat selbst oder in dessen Gremien ergeben; aber selbst solche weite-
ren, unter Mitwirkung eines fehlerhaft bestellten Aufsichtsrates gefassten Be-
schlüsse ihrerseits kämen dabei wirksam zustande, wenn feststehe, dass sie
nicht auf der Stimme des fehlerhaft bestellten Mitgliedes beruhten, sie mithin
also nicht auch ohne die Mitwirkung des fehlerhaft bestellten Mitgliedes in glei-
cher Weise zustande gekommen wären.
Der Kläger habe die erforderlichen Tatsachen für ein solches aus-
nahmsweise fortbestehendes Rechtsschutzbedürfnis nicht vorgetragen und
bewiesen. Die Beibringungs- und Beweislast liege für eine Prozessvorausset-
zung - wie hier das Rechtsschutzbedürfnis - bereits nach allgemeinen pro-
zessualen Regeln grundsätzlich beim Kläger. Auch durch das mögliche Eingrei-
fen einer sekundären Behauptungslast der Beklagten zumindest im Hinblick auf
das interne Abstimmungsverhalten der von der Klage betroffenen Aufsichts-
ratsmitglieder sei der Kläger nicht seiner Verpflichtung enthoben, zunächst auf
der Ebene seiner primären Darlegungslast in dem ihm nach seiner Kenntnis der
Umstände möglichen Umfang zumindest pauschal zu dem Bestehen seines
Rechtsschutzbedürfnisses vorzutragen. Auch wenn ihm das etwaige Abstim-
mungsverhalten der betroffenen Aufsichtsratsmitglieder und deren Teilnahme
oder Nichtteilnahme an den verschiedenen Sitzungen im Einzelnen nicht be-
kannt sein möge, hätte der Kläger dennoch zumindest allgemein dazu vortra-
gen müssen, welche Beschlüsse in welchen Sitzungen des Aufsichtsrates in
dem in Betracht kommenden Zeitraum vom 28. August 2008 bis zum 5. Februar
2009 überhaupt gefasst worden seien, aus deren wegen der möglichen Mitwir-
kung der anfechtbar gewählten Aufsichtsräte unter Umständen fehlerhaftem
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Zustandekommen sich trotz der zwischenzeitlichen Amtsniederlegung dersel-
ben ein etwa fortdauerndes Rechtsschutzbedürfnis für seine Beschlussmängel-
klage ergeben könnte. Ein zumindest pauschaler Vortrag dazu wäre dem Klä-
ger auch unter dem bloßen Rückgriff auf öffentlich zugängliche Informations-
quellen wie z.B. den Geschäftsbericht der Beklagten für das Jahr 2008/09 oder
auf sonstige, ihm in seiner Eigenschaft als Aktionär bekannt gewordene oder
zumindest zugängliche Tatsachen jedenfalls möglich gewesen.
Eine entscheidungserhebliche Mitwirkung der Aufsichtsratsmitglieder in
Aufsichtsratsausschüssen könne aufgrund des vom Kläger nicht bestrittenen
konkreten Vortrags der Beklagten nicht festgestellt werden.
II. Das Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass die
Beendigung des Amtes eines Aufsichtsratsmitglieds etwa durch Rücktritt zum
Wegfall des Rechtsschutzinteresses für eine Wahlanfechtungsklage führen
kann (Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1119; Hüffer,
AktG, 10. Aufl., § 246 Rn. 11). Voraussetzung dafür ist aber, dass eine Nichti-
gerklärung keinen Einfluss auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der
Aktionäre sowie der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr ha-
ben kann.
a) Bisher ist in der Rechtsprechung ein Entfallen eines Rechtsschutzbe-
dürfnisses bei der Klage gegen einen aufgehobenen Beschluss (BGH, Be-
schluss vom 27. September 2011 - II ZR 225/08, ZIP 2011, 2195), gegen den
Ausgangsbeschluss nach einer Neuvornahme (BGH, Urteil vom 15. Dezember
2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210) sowie beim Ausscheiden des An-
fechtungsklägers aus dem Kreis der Aktionäre (BGH, Urteil vom 9. Oktober
2006 - II ZR 46/05, BGHZ 169, 221 Rn. 14) angenommen worden. Der Bestäti-
gungsbeschluss (§ 244 Satz 2 AktG) führt dagegen nicht zum Wegfall des
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Rechtsschutzbedürfnisses, sondern hat materielle Wirkung auf den Ausgangs-
beschluss (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157,
206, 210).
b) Der Rücktritt von Aufsichtsratsmitgliedern vom Aufsichtsratsamt führt
nicht in jedem Fall zum Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der gegen ei-
nen Wahlbeschluss gerichteten Anfechtungsklage.
aa) Das Rechtsschutzinteresse folgt bei statthaften Gestaltungsklagen
aus der Gestaltungswirkung, weil die Gestaltung nur durch Urteil erfolgen kann
(MünchKommZPO/Becker-Eberhard, 4. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rn. 31). Dem ent-
sprechend verlangt der Senat für die Anfechtungsklage kein besonderes eige-
nes Rechtsschutzinteresse des Aktionärs (BGH, Urteil vom 27. April 2009
- II ZR 167/07, ZIP 2009, 1158 Rn. 13 mwN). Wenn die Gestaltungswirkung wie
nach der Aufhebung eines Beschlusses nicht mehr eintreten kann, ist das
Rechtsschutzinteresse an der Vernichtung des Beschlusses entfallen. Trotz der
Beendigung des Amtes als Aufsichtsrat kann bei der Wahlanfechtungsklage die
Gestaltungswirkung eines Urteils aber noch eintreten. Die Nichtigerklärung des
Wahlbeschlusses wirkt, wie sich aus § 250 Abs. 1 AktG i.V.m. § 241 Nr. 5 AktG
ergibt, auf den Beschlusszeitpunkt zurück (Stilz in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl.,
§ 252 Rn. 6).
bb) Das Rechtsschutzinteresse an der Nichtigerklärung eines Beschlus-
ses kann darüber hinaus entfallen, wenn sie keinerlei Auswirkungen auf die
Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vor-
stands und des Aufsichtsrats mehr haben kann. Wenn ein Beschluss keinerlei
Wirkungen für Vergangenheit und Zukunft mehr hat, besteht auch an seiner
Vernichtung oder der Klärung seiner Rechtmäßigkeit kein anerkennenswertes
Rechtsschutzinteresse mehr. Das ist etwa bei der Neuvornahme der Fall (vgl.
BGH, Urteil vom 15. Dezember 2003 - II ZR 194/01, BGHZ 157, 206, 210). Da-
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nach kann auch der Rücktritt eines Aufsichtsrats das Rechtsschutzinteresse an
der Wahlanfechtung entfallen lassen, wenn die Nichtigerklärung keinerlei Aus-
wirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mit-
glieder des Vorstands und des Aufsichtsrats mehr haben kann.
2. Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber vom Kläger näheren
Vortrag zu den Aufsichtsratssitzungen verlangt.
Ein Rechtsschutzinteresse an der Anfechtungsklage besteht nur noch,
wenn die Nichtigerklärung der Wahlbeschlüsse Auswirkungen auf die Rechts-
beziehungen der Gesellschaft, der Aktionäre, der Mitglieder des Vorstands oder
des Aufsichtsrats haben kann. Solche Auswirkungen auf die Rechtsbeziehun-
gen der Gesellschaft kann die Nichtigerklärung haben, wenn die Mitwirkung der
ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder für das Zustandekommen eines Auf-
sichtsratsbeschlusses, die Ablehnung eines Beschlussantrags oder die Be-
schlussfähigkeit des Aufsichtsrats ursächlich war. Die Darlegungslast dafür
trägt nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungslast die Beklagte, so
dass der Kläger keine weiteren Einzelheiten zu den Aufsichtsratssitzungen vor-
tragen musste.
a) Die Nichtigerklärung oder Nichtigkeitsfeststellung eines Wahlbe-
schlusses hat grundsätzlich Auswirkungen auf die Rechtsbeziehungen der Ge-
sellschaft und der Mitglieder des Aufsichtsrats, wenn die Beschlussfähigkeit
oder das Zustandekommen eines Aufsichtsratsbeschlusses von der Stimme
eines Aufsichtsrats abhängt, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig erklärt wird.
Ein Aufsichtsratsbeschluss ist nicht mit der erforderlichen Mehrheit gefasst,
wenn Nichtmitglieder mitgestimmt haben und ihre Stimmen für die Beschluss-
fassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ursächlich geworden sind
(vgl. BGH, Urteil vom 17. April 1967 - II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346). Nicht
Mitglied des Aufsichtsrats ist nicht nur das nichtig gewählte Aufsichtsratsmit-
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glied, sondern auch das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl erfolgreich ange-
fochten wird.
aa) Die Auswirkung der Nichtigkeit oder der Nichtigerklärung der Wahl
eines Aufsichtsratsmitglieds auf die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats und
die rechtliche Wirksamkeit der Stimmabgabe ist streitig. Teilweise wird aufgrund
der Lehre vom faktischen Organ das nichtig oder anfechtbar bestellte Aufsichts-
ratsmitglied auch für die Stimmabgabe wie ein wirksam bestelltes Organmitglied
behandelt (Bayer/Lieder, NZG 2012, 1, 6; Schürnbrand, NZG 2008, 609, 610;
Schürnbrand, Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 288 f.;
Happ, Festschrift Hüffer, 2010, S. 293,
305;  MünchKommAktG/Habersack,
3. Aufl., § 101 Rn. 70; Drygala in K. Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., § 101 Rn. 36
f.; Spindler in Spindler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 101 Rn. 112; Hüffer, AktG,
10. Aufl., § 101 Rn. 18; vgl. auch OLG Frankfurt, ZIP 2011, 24, 27). Andere be-
handeln dagegen das nichtig oder anfechtbar gewählte Aufsichtsratsmitglied
wie einen Dritten (OLG Köln, ZIP 2008, 1767, 1768; E. Vetter ZIP 2012, 701,
707 f.; K. Schmidt in Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 252 Rn. 12; Stilz in Spind-
ler/Stilz, AktG, 2. Aufl., § 252 Rn. 6; MünchKommAktG/Hüffer, 3. Aufl., § 250
Rn. 21; Mertens/Cahn in KK-AktG, 3. Aufl., § 101 Rn. 111 und § 108 Rn. 93;
Hölters/Simons, AktG, § 101 Rn. 51; Bürgers/Israel, AktG, 2. Aufl., § 101 Rn. 3;
Heidel/Breuer/Frame, AktG, 3. Aufl., § 101 Rn. 24; differenzierend zu den Aus-
wirkungen Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1123 ff.) oder
unterscheiden zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit der Wahl (Hopt/Roth in
Großkomm. AktG, 4. Aufl., § 101 Rn. 217 und Rn. 228).
bb) Der Senat hat die Beschlüsse eines Aufsichtsrats, dessen Mitglieder
alle nichtig gewählt worden waren, für nichtig erachtet (BGH, Urteil vom 16. De-
zember 1953 - II ZR 167/52, BGHZ 11, 231, 246; vgl. auch Urteil vom 4. Juli
1994 - II ZR 114/93, ZIP 1994, 1171, 1172). Andere Entscheidungen betreffen
die Mitwirkung von Aufsichtsratsmitgliedern, deren Amtszeit abgelaufen war
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(BGH, Urteil vom 24. Februar 1954 - II ZR 63/53, BGHZ 11, 327, 331; Urteil
vom 17. April 1967 - II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 346). Für Pflichten, Haftung
und Vergütung ist anerkannt, dass die Grundsätze der fehlerhaften Bestellung
auf den Aufsichtsrat anwendbar sind (BGH, Urteil vom 3. Juli 2006
- II ZR 151/04, BGHZ 168, 188 Rn. 14).
cc) Das Aufsichtsratsmitglied, dessen Wahl nichtig ist oder für nichtig er-
klärt wird, ist für die Stimmabgabe und Beschlussfassung wie ein Nichtmitglied
zu behandeln. Würde der nichtig oder anfechtbar gewählte Aufsichtsrat in allen
Fällen wie ein wirksam bestelltes Organ behandelt, wirkte eine erfolgreiche
Wahlanfechtung insgesamt nur ex nunc; auch die Nichtigkeit eines Wahlbe-
schlusses würde erst ab gerichtlicher Feststellung Wirkungen entfalten. Das
lässt sich mit § 250 Abs. 1 AktG, wonach Wahlbeschlüsse von Anfang an nich-
tig sein können, und mit der Verweisung in § 250 Abs. 1 AktG auf § 241 Nr. 5
AktG, wonach der Wahlbeschluss ex tunc nichtig ist, wenn er für nichtig erklärt
wird, nicht in Einklang bringen.
Sofern die Stimmen der als Nichtmitglieder zu behandelnden Aufsichts-
räte für die Beschlussfassung oder die Ablehnung eines Beschlussantrags ur-
sächlich geworden sind, ist ein entsprechender Beschluss nicht gefasst oder
kommt sogar eine Umkehrung des Beschlussergebnisses in Frage. Der Be-
schluss muss nicht so behandelt werden, als sei er ordnungsgemäß gefasst
worden. Der Zweck der Gleichbehandlung der fehlerhaften mit der ordnungs-
gemäßen Bestellung eines Organs, das Vertrauen unbeteiligter Dritter zu
schützen und den Schwierigkeiten bei einer Rückabwicklung von Dauerschuld-
verhältnissen zu begegnen, betrifft Aufsichtsratsbeschlüsse nicht in jedem Fall.
Soweit eine Rückabwicklung den berechtigten Interessen der Beteiligten wider-
sprechen würde, ist dem im Einzelfall zu begegnen.
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(1) Soweit Aufsichtsratsbeschlüsse gegenüber außenstehenden Dritten
vollzogen werden, sind Dritte, die die Nichtigkeit eines Beschlusses nicht ken-
nen oder kennen müssen, bereits dadurch geschützt, dass sie auf die Hand-
lungsbefugnis desjenigen, der die Aufsichtsratsbeschlüsse vollzieht, vertrauen
dürfen (vgl. etwa E. Vetter, ZIP 2012, 701, 710).
(2) Organmitglieder, die die Nichtigkeit kennen oder kennen müssen,
sind dagegen nicht schutzwürdig, jedenfalls nicht über die Aufdeckung der
Nichtigkeit der Wahl hinaus. Mit der Gleichstellung von nichtig gewählten Auf-
sichtsräten mit ordnungsgemäß gewählten Organen würden andere Organe im
Gegenteil daran gehindert, sich auf die Unwirksamkeit von Beschlüssen des
Aufsichtsrats zu berufen, obwohl sie daran gerade ein Interesse haben können
oder sogar rechtlich dazu verpflichtet sind, die Unwirksamkeit der Aufsichtsrats-
beschlüsse geltend zu machen. Der Vorstand, zu dessen Aufgaben gehört, die
Tätigkeit eines nichtig gewählten Aufsichtsrats zu verhindern, könnte etwa da-
ran gehindert werden, wenn ihn der nichtig gewählte Aufsichtsrat abberufen
könnte, ohne dass er dem die Nichtigkeit der Wahl entgegenhalten kann. Auch
ein Aufsichtsratsmitglied kann ein Interesse an der Feststellung haben, dass ein
Beschluss - auch schon vor seiner Amtszeit - nicht wirksam gefasst ist (vgl.
BGH, Urteil vom 17. Juli 2012 - II ZR 55/11, ZIP 2012, 1750 Rn. 12). Es ist kein
Grund ersichtlich, warum er sich nicht darauf berufen können soll, dass ein
nichtig gewähltes Mitglied mitgewirkt hat. Wenn ein Beschlussantrag nur auf-
grund der Mitwirkung eines solchen Nichtmitglieds abgelehnt worden ist, kann
daran sogar ein berechtigtes Interesse bestehen, etwa um die Abberufung ei-
nes Vorstandsmitglieds aus wichtigem Grund durchsetzen zu können.
Auch bei der Bestellung eines Vorstands führt die Behandlung des Auf-
sichtsratsmitglieds, dessen Wahl nichtig ist oder erfolgreich angefochten wird,
als Nichtmitglied zu interessengerechten Ergebnissen. Der Vorstand ist hin-
sichtlich seiner Vergütung und seiner Befugnis zur Geschäftsführung durch die
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Grundsätze über die fehlerhafte Bestellung geschützt. Der nach der Aufde-
ckung der Nichtigkeit der Wahl rechtmäßig zusammengesetzte Aufsichtsrat
kann die fehlerhafte Bestellung bestätigen, kann sie aber auch - ebenso wie der
Vorstand - beenden (vgl. BGH, Urteil vom 6. April 1964 - II ZR 75/62, BGHZ 41,
282, 288). Nach der Lehre vom faktischen Organ wäre die Bestellung des Vor-
stands dagegen nicht fehlerhaft, sondern wirksam und könnte vom Aufsichtsrat
nur aus wichtigem Grund widerrufen werden (§ 84 Abs. 3 Satz 1 AktG). Es liegt
im Interesse der Gesellschaft, an einem Vorstand, der durch einen nicht recht-
mäßig, beispielsweise lediglich von einer Minderheit gewählten Aufsichtsrat be-
stimmt worden ist, nicht auch noch festhalten zu müssen.
(3) Dort, wo das Vorliegen eines Aufsichtsratsbeschlusses wie bei den
Vorschlägen zur Beschlussfassung der Hauptversammlung (§ 124 Abs. 3 Satz
1 AktG) Anknüpfungspunkt für eine Entscheidung der Hauptversammlung ist, ist
der fehlerhafte Aufsichtsratsbeschluss bei der ursächlichen Mitwirkung eines
Mitglieds, dessen Wahl zum Aufsichtsrat angefochten, aber noch nicht für nich-
tig erklärt ist, trotz einer späteren Nichtigerklärung des Wahlbeschlusses für die
Entscheidung der Hauptversammlung nicht relevant. Fehlt ein nach § 124
Abs. 3 Satz 1 AktG notwendiger Beschlussvorschlag, liegt ein Verfahrensfehler
für die Entscheidung der Hauptversammlung vor, der zur Anfechtung führen
kann, wenn er relevant ist. Relevant ist der Beschlussvorschlag eines nicht ord-
nungsgemäß besetzten Organs, weil damit ein Bekanntmachungsmangel vor-
liegt und Bekanntmachungsmängel nach der gesetzlichen Wertung für das
Teilhaberecht des Aktionärs grundsätzlich von Bedeutung sind (BGH, Urteil
vom 12. November 2001 - II ZR 225/99, BGHZ 149, 158, 164 f.). Im Zeitpunkt
der Beschlussfassung durch den Aufsichtsrat ist ein Aufsichtsrat mit einem an-
fechtbar gewählten Mitglied aber ordnungsgemäß besetzt, weil der Wahlbe-
schluss bis zur Nichtigerklärung wirksam ist und erst rückwirkend unwirksam
wird. Der Aufsichtsrat konnte zu diesem Zeitpunkt keinen Beschlussvorschlag in
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anderer
, „richtiger“ Besetzung machen. Eine Rückabwicklung nach der Nichti-
gerklärung ist nicht nur unmöglich, sondern steht auch im Gegensatz zu dem
Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre, eine Hauptversammlung einbe-
rufen und dort wirksam Beschlüsse fassen zu können (vgl. E. Vetter, ZIP 2012,
701, 708; Marsch-Barner, Festschrift K. Schmidt, 2009, S. 1109, 1127). Damit
scheidet ein Mangel, der für das Teilhaberecht eines Aktionärs von Bedeutung
ist, aus. Entsprechendes gilt dort, wo - wie bei der satzungsgemäßen Bestim-
mung des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Versammlungsleiter - an die jeweils
aktuelle Funktion als Aufsichtsratsmitglied angeknüpft wird.
(4) Für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses bei einer fehlerhaften Mit-
wirkung des Aufsichtsrats bei der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 256
Abs. 2 AktG) enthält § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG eigene Regeln zum Schutz der
Gesellschaft, die nicht einfach übergangen werden dürfen (E. Vetter, ZIP 2012,
701, 710), sofern die Mitwirkung eines lediglich anfechtbar gewählten Mitglieds,
dessen Wahl bis zur Nichtigerklärung als wirksam zu behandeln ist, überhaupt
als fehlerhafte Mitwirkung des Aufsichtsrats anzusehen ist (verneinend Rölike in
Spindler/Stilz, 2. Aufl., § 256 Rn. 51; MünchKommAktG/Hüffer, 3. Aufl., § 256
Rn. 44).
b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht eine konkrete Darlegung und
gegebenenfalls einen Beweis durch den Kläger vermisst, dass die Mitwirkung
der ausgeschiedenen Aufsichtsratsmitglieder für die Beschlussfähigkeit oder
das Zustandekommen eines Beschlusses ursächlich war. Die Darlegungslast
liegt insoweit bei der Beklagten.
aa) Die Beweis- und Darlegungslast für die Prozessvoraussetzungen
und damit auch für das (fortbestehende) Rechtsschutzinteresse liegt zwar
grundsätzlich beim Kläger; die Pflicht, das Vorliegen der Prozessvoraussetzun-
gen von Amts wegen zu prüfen, ändert daran nichts (vgl. MünchKomm-
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ZPO/Becker-Eberhard, 3. Aufl., Vor §§ 253 ff. Rn. 15; Zöller/Greger, ZPO,
29. Aufl., § 256 Rn. 7 und 18 zum Feststellungsinteresse). An dieser Darle-
gungs- und Beweislast ändert sich nicht allein deshalb etwas, weil ein Anfech-
tungskläger in der Regel ein Rechtsschutzinteresse für die Anfechtungsklage
hat und dieses hier durch die Rücktritte nur entfallen ist, wenn die Nichtigerklä-
rung oder die Nichtigkeitsfeststellung keine Auswirkungen auf Beschlüsse des
Aufsichtsrats hat. Dabei handelt es sich nicht um ein rechtshinderndes, rechts-
vernichtendes oder rechtshemmendes Merkmal, für das der Gegner die Be-
weislast trägt.
bb) Die Beklagte trifft aber eine sekundäre Darlegungs- und Beweislast
im Hinblick auf solche Umstände, die der Kläger nicht kennen kann. Diesen An-
forderungen an ihre sekundäre Beweislast ist die Beklagte bei den Ausschuss-
beschlüssen nachgekommen, nicht jedoch bei den Beschlüssen des gesamten
Aufsichtsrats. Der Kläger als Aktionär kann das Abstimmungsverhalten im Auf-
sichtsrat nicht kennen, weil er nicht dessen Mitglied ist und damit außerhalb des
Geschehensablaufs steht. Dass er - wie das Berufungsgericht ausgeführt hat -
unter Zugriff auf allgemein zugängliche Quellen zumindest pauschal zu dem
Bestehen eines Rechtsschutzbedürfnisses vortragen könne, welche Beschlüsse
in welchen Sitzungen überhaupt gefällt worden seien, genügt nicht, um das
maßgebliche Abstimmungsverhalten im Aufsichtsrat zu kennen. Abgesehen
davon lässt sich dem Berufungsurteil auch nicht entnehmen, aus welchen all-
gemein zugänglichen Quellen der Kläger die Sitzungen des Aufsichtsrats und
die dort zur Abstimmung gelangten Beschlüsse erfahren kann.
Der Beklagten ist die substantiierte Darlegung auch nicht deshalb un-
möglich, weil der Aufsichtsrat nach § 116 Satz 2 AktG zur Verschwiegenheit
verpflichtet ist. Davon kann sich der Aufsichtsrat befreien (vgl. BGH, Urteil vom
23. April 2012 - II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 Rn. 40). Die Offenbarung ist auch
nicht unzumutbar, wenn die Beklagte damit der Wahlanfechtung den Boden
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entziehen will. Die Beklagte hat sich auf die Verschwiegenheitspflicht hinsicht-
lich der Ausschüsse bisher überhaupt nicht, hinsichtlich des Gesamtaufsichts-
rats jedenfalls mit einem pauschalen Vortrag nur teilweise berufen.
III. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beru-
fungsgericht zurückzuverweisen, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist
(§ 563 Abs. 1 ZPO). Da bisher keine Feststellungen zu den vorgetragenen Be-
schlussmängeln getroffen sind, kann der Senat über die Begründetheit der An-
fechtungs- bzw. Nichtigkeitsklage nicht entscheiden. Im Übrigen muss die Be-
klagte auch Gelegenheit erhalten, Einzelheiten zur Teilnahme der Aufsichts-
ratsmitglieder an den Aufsichtsratssitzungen vorzutragen, nachdem dazu bisher
keine Veranlassung bestand, da das Berufungsgericht ihren Vortrag für ausrei-
chend erachtet hat.
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Für den Fall, dass das Berufungsgericht erneut zu dem Ergebnis ge-
langt, dass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen ist, weist der Senat darauf hin,
dass das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei eine hilfsweise Erledigungserklärung
nicht für zulässig erachtet hat (vgl. BGH, Urteil vom 8. Februar 2011
- II ZR 206/08, ZIP 2011, 637 Rn. 22).
Bergmann
Strohn
Reichart
Drescher
Born
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.05.2010 - 32 O 107/08 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 20.01.2012 - I- 6 U 168/10 -
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