Urteil des BGH vom 08.07.2003

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 178/03
Verkündet am:
11. März 2004
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 675 Abs. 1, 667
Ob der Auftraggeber nach dem Ende des Mandats vom Steuerberater verlangen
kann, daß dieser der Übertragung der von ihm bei der DATEV gespeicherten Daten
auf einen anderen Steuerberater zustimmt, hängt davon ab, ob die Daten das ver-
traglich geschuldete Arbeitsergebnis enthalten oder ob es sich um dieses vorberei-
tende Arbeitsleistungen handelt (im Anschluß an BGH, Urt. v. 17. Februar 1988 - IVa
ZR 262/86, ZIP 1988, 442 f; Urt. v. 25. Oktober 1988 - XI ZR 3/88, NJW 1989,
1216 f).
BGH, Urteil vom 11. März 2004 - IX ZR 178/03 - LG Stade
AG Bremervörde
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. März 2004 durch die Richter Dr. Fischer, Dr. Ganter, Raebel, Kayser
und Cierniak
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der 3. Zivilkammer
des Landgerichts Stade vom 8. Juli 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens werden nicht erho-
ben.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen
der B. GmbH (fortan: Schuldnerin). Er
verlangt von der Beklagten, der früheren Steuerberaterin der Schuldnerin, ge-
genüber der DATEV zu erklären, daß sämtliche, die Schuldnerin betreffenden
DATEV-Konten und DATEV-Auswertungen auf einen anderen, von ihm be-
nannten Steuerberater übertragen werden. Das Amtsgericht hat der Klage
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stattgegeben, das Landgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewie-
sen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Landgericht zugelasse-
nen Revision.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel der Beklagten hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Amtsgericht habe "mit zutref-
fender Begründung dem Kläger den Anspruch auf einen Zugriff der von der
Beklagten bei der DATEV gespeicherten Dateien des Insolvenzschuldners zu-
gesprochen." Die Datenübermittlung an die DATEV sei auch im Interesse der
Schuldnerin erfolgt. Damit sei die Speicherung dieser Daten aus der Ge-
schäftsbesorgung entstanden. Der Einwand der Beklagten, der Vorgang diene
lediglich der doppelten Absicherung des Steuerberaters, überzeuge nicht.
II.
Das Berufungsurteil ist aufzuheben, weil ihm die für die revisionsrechtli-
che Nachprüfung nach §§ 545, 559 ZPO erforderliche tatsächliche Beurtei-
lungsgrundlage fehlt. Der Senat kann nicht überprüfen, ob das Berufungsge-
richt mit Recht einen Anspruch des Klägers nach § 675 Abs. 1, § 667 BGB be-
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jaht hat. Er vermag dem Berufungsurteil nicht zu entnehmen, ob der Kläger
sich auf dem Umweg über die bei der DATEV gespeicherten Daten der
Schuldnerin den Zugriff auf das vertraglich geschuldete Arbeitsergebnis ver-
schaffen will oder ob dort lediglich Arbeitsleistungen der Beklagten auf dem
Weg zu einem solchen Arbeitsergebnis abgespeichert sind. Hierauf aber
kommt es entscheidend an:
1. Gemäß § 675 Abs. 1, § 667 BGB hat der Steuerberater seinem Man-
danten alles herauszugeben, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und
was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt. Denn er wird aufgrund eines Ge-
schäftsbesorgungsvertrages tätig (vgl. BGH, Urt. v. 17. Februar 1988 - IVa ZR
262/86, ZIP 1988, 442 f; Urt. v. 25. Oktober 1988 - XI ZR 3/88, NJW 1989,
1216 f). Rechtlich bestehen keine Bedenken dagegen, die Zustimmung zur Da-
tenübertragung als Inhalt der Verpflichtung zur Herausgabe der vom Steuerbe-
rater bei einem Dritten abgespeicherten Daten anzusehen (vgl. KG RDV 1996,
252, OLG Köln NJW-RR 1998, 273, Geisendorfer DSWR 1993, 253 m.w.N.).
Zur Ausführung des Auftrags erhalten ist alles, was dem Beauftragten zum
Zwecke der Geschäftsbesorgung zur Verfügung gestellt worden ist (Bamber-
ger/Roth/Czub, BGB § 667 Rn. 7; Soergel/Beuthien, BGB 12. Aufl. § 667 Rn. 4;
Jauernig/Mansel, BGB 10. Aufl. § 667 Rn. 3). Aus der Geschäftsbesorgung
erlangt ist jeder Vorteil, den der Beauftragte aufgrund eines inneren Zusam-
menhangs mit dem geführten Geschäft erhalten hat (BGH, Urt. v. 17. Oktober
1991 - III ZR 352/89, NJW-RR 1992, 560; MünchKomm/Seiler, BGB 3. Aufl.
§ 667 Rn. 9; Staudinger/Wittmann, BGB 13. Bearb. § 667 Rn. 1). Nach dieser
Alternative sind auch die vom Beauftragten über die Geschäftsbesorgung
selbst angelegten Akten, sonstigen Unterlagen und Dateien - mit Ausnahme
von privaten Aufzeichnungen - herauszugeben (RGZ 105, 392, 395; BGHZ
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109, 260, 264 f; KG NJW 1971, 566, 567; 1989, 532 f; OLG Hamm NJW-RR
1988, 268, 269).
Anders verhält es sich jedoch mit dem (vertraglichen) Arbeitsergebnis
der Beklagten, das die Schuldnerin zur Erfüllung ihrer steuerlichen Pflichten
benötigte und das die Beklagte ihr aus dem Steuerberatervertrag schuldete
(vgl. BGH, Urt. v. 17. Februar 1988, aaO S. 442; v. 25. Oktober 1988, aaO
S. 1217). Denn das vertraglich geschuldete Arbeitsergebnis steht im Aus-
tauschverhältnis des gegenseitigen Vertrages; es ist nicht im Sinne der §§ 675
Abs. 1, 667 2. Alt. BGB erlangt, sondern Gegenstand des vertraglichen Erfül-
lungsanspruchs (vgl. MünchKomm/Seiler, aaO § 667 Rn. 2; Bamber-
ger/Roth/Czub, aaO Rn. 8; Gehre, StBerG 4. Aufl. § 66 Rn. 15). Bei den der
DATEV übermittelten Datenbeständen kann es sich um körperlich erfaßbare
Arbeitsergebnisse handeln (KG, aaO; ebenso Gehre und Geisendorfer, jew.
aaO, Späth Stbg 1997, 557, 558 und die Anm. der Schriftleitung zu OLG Celle
GI 1989, 39, 41). Für die rechtliche Beurteilung ist es ohne Belang, ob die Be-
klagte die Schuldnerin allgemein steuerlich beraten hat (vgl. BGH, Urt. v.
25. Oktober 1988, aaO).
2. Nach dem im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils wiedergege-
benen unstreitigen Parteivortrag führte die Beklagte für die Schuldnerin die
gesamte Buchführung und die Jahresabschlußarbeiten durch. Wenn daher die
bei der DATEV abgespeicherten Daten unmittelbar Bestandteil der Buchfüh-
rung oder der "Jahresabschlußarbeiten" sind, hat der Kläger keinen Anspruch
aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB auf deren Herausgabe. Das gilt auch dann, wenn
es sich um zur Sicherung der Daten angelegte Doppel der bei der Beklagten
vorhandenen Datenbestände handeln sollte. Denn das vertraglich geschuldete
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Arbeitsergebnis kann auch der Insolvenzverwalter nicht honorarfrei zur Masse
ziehen (vgl. BGH, Urt. v. 25. Oktober 1988, aaO; Gehre, aaO § 66 Rn. 16).
Soweit es sich hingegen um von der Beklagten eingegebene Daten handelt,
die ihr von der Schuldnerin zum Zwecke der Geschäftsbesorgung zur Verfü-
gung gestellt worden waren, ist der Anspruch auf Zustimmung zur Datenüber-
tragung aus § 675 Abs. 1, § 667 1. Alt. BGB begründet. Sofern die Beklagte die
von der Schuldnerin gelieferten Daten und Unterlagen ausgewertet und für die
noch zu leistende eigentliche Buchführung geordnet und rechnerisch aufberei-
tet hat, handelt es sich noch nicht um das vertraglich geschuldete Arbeitser-
gebnis selbst. Vielmehr wird dieses durch Systematisierung und Weiterverar-
beitung der gelieferten "Rohdaten" erst vorbereitet. Dieser Fall ist mit demjeni-
gen vergleichbar, in dem der Beauftragte über die Geschäftsbesorgung selbst
Akten anlegt. Diese sind, wie ausgeführt, gemäß § 675 Abs. 1, § 667 2. Alt.
BGB herauszugeben.
Anhaltspunkte dafür, daß auch nur ein Teil der Daten dem internen Ge-
brauch der beklagten Steuerberaterin zu dienen bestimmt ist (vgl. § 66 Abs. 2
Satz 2 StBerG und BGH, Urt. v. 17. Februar 1988, aaO), sind dem Berufungs-
urteil nicht zu entnehmen.
3. Da das Berufungsurteil wegen des vorstehend aufgezeigten Rechts-
fehlers aufgehoben werden muß, kann letztlich dahinstehen, ob es den Min-
destanforderungen, die § 540 ZPO an den Inhalt des Berufungsurteils stellt,
noch genügt.
a) Auf das Berufungsverfahren vor dem Landgericht ist die Zivilprozeß-
ordnung in der am 1. Januar 2002 geltenden Fassung anzuwenden (§ 26 Nr. 5
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EGZPO). Demgemäß reichte für die Darstellung des erstinstanzlichen Sach-
und Streitstandes eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen in
dem angefochtenen Urteil anstelle des Tatbestandes aus (§ 540 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 ZPO). Eine solche Verweisung kann sich jedoch naturgemäß nicht auf
den in der zweiten Instanz gestellten Berufungsantrag der Beklagten erstrek-
ken. Der Antrag des Berufungsklägers braucht zwar nicht unbedingt wörtlich
wiedergegeben zu werden. Das Berufungsurteil muß aber, wenn es auf die
wörtliche Wiedergabe des Antrags verzichtet, wenigstens erkennen lassen,
was der Berufungskläger mit seinem Rechtsmittel erstrebt hat. Daher sind die
Berufungsanträge entweder wörtlich oder zumindest sinngemäß in das Beru-
fungsurteil aufzunehmen (BGH, Urt. v. 26. Februar 2003 – VIII ZR 262/02,
BGH-Report 2003, 629, z.V.b. in BGHZ 154, 99; Urt. v. 6. Juni 2003 – V ZR
392/02, NJW-RR 2003, 1290, 1291; Urt. v. 13. August 2003 - XII ZR 303/02,
NJW 2003, 3352, 3353, z.V.b. in BGHZ; Urt. v. 30. September 2003 - VI ZR
438/02, NJW 2004, 293, 294). Es kann dahinstehen, ob die Angabe, das
Amtsgericht habe "dem Kläger den Anspruch … zugesprochen" in Verbindung
mit der Mitteilung, daß die Beklagte Berufung eingelegt habe, dem genügt.
b) Auch enthält das Berufungsurteil entgegen § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
ZPO weder eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im erstin-
stanzlichen Urteil noch eine Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzun-
gen. Denn es nimmt lediglich auf die Begründung Bezug, mit der das Amtsge-
richt einen Anspruch des Klägers bejaht hat. Die tatbestandlichen Darstellun-
gen in den Gründen des Berufungsurteils müssen aber ausreichen, um eine
revisionsrechtliche Nachprüfung zu ermöglichen. Das ist nicht der Fall, wenn
entsprechende Darstellungen in einem Berufungsurteil fehlen oder derart wi-
dersprüchlich, unklar oder lückenhaft sind, daß sich die tatsächlichen Grundla-
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gen der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht mehr zweifelsfrei erkennen
lassen (BGH, Urt. v. 13. August 2003 - XII ZR 303/02, aaO; Urt. v. 6. Juni 2003
- V ZR 392/02, aaO).
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III.
In der neuen Berufungsverhandlung wird das Landgericht auch Gele-
genheit haben, sich mit den Argumenten der Revisionsbegründung und der
Revisionserwiderung auseinanderzusetzen.
Für die Gerichtskosten des Revisionsverfahrens hat der Senat von der
Möglichkeit des § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch gemacht.
Fischer Ganter Raebel
Kayser Cierniak