Urteil des BGH vom 14.01.2009

BGH (ersatz, gas, grundversorgung, beginn, elektronische datenverarbeitung, konstitutive wirkung, meldung, beschwerde, falle, wechsel)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
EnVR 14/09
Verkündet am:
29. September 2009
Bürk
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der energiewirtschaftsrechtlichen Verwaltungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
Verwaiste Lieferstellen
GasNVZ § 42 Abs. 7 Nr. 4
Die Bundesnetzagentur ist befugt, bei der Festlegung einheitlicher, beim Wechsel
des Gaslieferanten anzuwendenden Geschäftsprozesse und Datenformate einen
Prozessschritt vorzuschreiben, nach dem eine Entnahmestelle, die keinem ande-
ren Lieferanten zugeordnet werden kann, vom Netzbetreiber unabhängig davon
dem Grundversorger zugeordnet wird, ob an der Entnahmestelle Gas entnommen
wird und ob dem Grundversorger ein Anschlussnehmer oder -nutzer bekannt ist.
BGH, Beschluss vom 29. September 2009 – EnVR 14/09 – OLG Düsseldorf
- 2 -
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und
die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Grüneberg und Dr. Bacher
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Kartellsenats des
Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Januar 2009 wird auf Kosten
der Beschwerdeführerin zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
25.000 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
I. Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Gasversorgungsgebiet Grundversor-
gerin im Sinne des § 36 Abs. 2 Satz 1 EnWG. Sie wendet sich gegen die von der
Bundesnetzagentur mit Beschluss vom 20. August 2007 getroffene Festlegung
einheitlicher Geschäftsprozesse und Datenformate beim Wechsel des Lieferanten
bei der Belieferung mit Gas. Nach Nummer 1 der Festlegung sind seit dem 1. Au-
gust 2008 zur Abwicklung des Wechsels von Lieferanten bei der leitungsgebunde-
nen Versorgung von Letztverbrauchern mit Gas die in der Anlage „Geschäfts-
prozesse Lieferantenwechsel Gas (GeLi Gas)“ zur Festlegung näher beschriebe-
nen Geschäftsprozesse anzuwenden. Die Bundesnetzagentur hat diese Festle-
gung den Gasnetzbetreibern – beispielsweise der Energieversorgung Halle Netz
GmbH am 27. August 2007 – zugestellt, sie aber auch am 29. August 2007 in ih-
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rem Amtsblatt unter Beifügung einer Rechtsmittelbelehrung „zustellungshalber“
veröffentlicht.
Die Beschwerdeführerin wendet sich mit ihrer am 19. Oktober 2007 bei der
Bundesnetzagentur eingegangenen Beschwerde gegen Unterabschnitt C.1 der
GeLi Gas. Abschnitt C der GeLi Gas beschreibt die Geschäftsprozesse beim
Wechsel des Lieferanten aufgrund gesetzlicher Lieferbeziehungen („Ersatz-/
Grundversorgung“), Unterabschnitt C.1 den Prozess „Beginn der Ersatz-/Grund-
versorgung“, der zusammenfassend wie folgt definiert wird:
2
3
Kurzbeschreibung
„Ersatz-/Grundversor-
gung“
Ersatzversorgung liegt bei einem Gasbezug vor, der weder einer Lieferung noch ei-
nem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann (z.B. Gasbezug nach Neu-
anschluss einer Entnahmestelle ohne abgeschlossenen Liefervertrag). Grundver-
sorgung entsteht durch einen Vertragsschluss, der auch konkludent erfolgen kann.
Kurzbeschreibung „Be-
ginn der Ersatz-/Grund-
versorgung“
Der Prozess beschreibt die mögliche Zuordnung der Entnahmestelle beim Übergang
in die Ersatz-/Grundversorgung.
Mögliche Folgen „Be-
ginn der Ersatz-/Grund-
versorgung“
1. Die Entnahmestelle wird dem Ersatz-/Grundversorger zugeordnet.
2. Die Entnahmestelle wird nicht dem Ersatz-/Grundversorger zugeordnet.
In der „detaillierten Beschreibung“ (C.1.3) werden in Nummer 1 als Beispiele
für Entnahmestellen, die keinem Lieferanten zugeordnet sind, genannt:
4
-
Neuanschluss einer Entnahmestelle ohne Anmeldung eines Lieferanten,
-
Abmeldung der Entnahmestelle aufgrund Kündigung des Liefervertrages ohne Folgebe-
lieferung (Lieferende),
-
Abmeldung der Entnahmestelle aufgrund Kündigung des Ausspeiserahmenvertrags,
-
Schließung des Bilanzkreises des bisherigen Lieferanten.
Daran schließen sich folgende Prozessschritte an (NB = Netzbetreiber; E/G =
Ersatz-/Grundversorger):
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- 4 -
6
Nr. Sender Emp-
fänger
Beschreibung des Pro-
zessschrittes
Frist Nachrich-
tentyp
Anmerkungen
2
NB
E/G
Meldung der Entnah-
mestelle durch den
Netzbetreiber an den
Ersatz-/Grundversorger,
wenn sich Entnahme-
stelle im Niederdruck
befindet.
Unverzüglich
oder gemäß
den speziellen
Fristen der an-
deren Prozes-
se.
UTILMD Der Netzbetreiber teilt auch den
Beginn des Zuordnungswech-
sels mit. Er teilt u.a. weiterhin
mit, ob der an der Entnahmestel-
le versorgte Letztverbraucher ein
„Haushaltskunde“ ist, sofern ihm
dies bekannt ist, und welchem
Marktgebiet die Entnahmestelle
bislang zugeordnet ist. Der
Netzbetreiber übermittelt ihm zu-
dem Namen und Adressen des
Anschlussnehmers und des An-
schlussnutzers, sofern diese be-
kannt sind.
3
E/G
E/G
Prüfung des Ersatz-/
Grundversorgers
Unverzüglich
nach Eingang
der Meldung
des Netzbetrei-
bers
-
Der Ersatz-/Grundversorger prüft
u.a., ob es sich bei den Entnah-
mestellen um Grund- oder Er-
satzversorgung handelt.
Mögliche Ergebnisse der Prü-
fung, jeweils bezogen auf einen
bestimmten Zeitraum:
a) Die Entnahmestelle ist ihm als
Ersatz- oder Grundversorger zu-
zuordnen.
b) Die Entnahmestelle ist ihm
nicht als Ersatz- oder Grundver-
sorger zuzuordnen (z.B. weil er
in dem betroffenen Netzgebiet
nicht Ersatz-/Grundversorger ist).
4
E/G
NB
Meldung des Ersatz-/
Grundversorgers, ob
und ggf. für welchen
Zeitraum die Entnah-
mestelle
a) der Ersatzversorgung
oder Grundversorgung
b) ihm nicht zuzuordnen
ist
Unverzüglich,
jedoch spätes-
tens bis zum
Ablauf des 5.
Werktags nach
Eingang der
Meldung des
Netzbetreibers
UTILMD Mitteilung gemäß dem Ergebnis
der Prüfung durch den Ersatz-/
Grundversorger.
Der Ersatz-/Grundversorger in-
formiert gemäß GasGVV auch
den Letztverbraucher über Be-
ginn und voraussichtliches Ende
der Ersatzversorgung bzw. über
die Vertragsbedingungen der
Grundversorgung.
5
NB
NB
Zuordnung der Ent-
nahmestelle durch
Netzbetreiber gemäß
Meldung des Ersatz-/
Grundversorgers.
Unverzüglich
-
Die Zuordnung hat ggf. rückwir-
kend auf den vom Ersatz-/
Grundversorger mitgeteilten
Termin zu erfolgen. Meldet sich
der Ersatz- / Grundversorger
nicht fristgerecht, ordnet der
Netzbetreiber die Entnahmestel-
le zu dem von ihm gemeldeten
Termin dem Ersatz-/ Grundver-
sorger zu.
6 …
- 5 -
Die Beschwerdeführerin meint, Entnahmestellen, für die kein Anschlussneh-
mer festgestellt werden könne, weil die betreffenden Wohnungen leerstünden und
kein Gasbezug stattfinde oder ein neuer Anschlussnutzer die Gasentnahme nicht
offenbare, dürften nicht dem Grundversorger zugeordnet werden. Nicht der
Grundversorger, sondern der Netzbetreiber habe die Kostenlast für solche An-
schlüsse zu tragen. Sie hat beantragt, die Festlegung aufzuheben, soweit in den
GeLi Gas dem Grundversorger nichtbelegte Lieferstellen zugeordnet werden soll-
ten, der Grundversorger verpflichtet werde, Anschlussnehmer und Anschlussnut-
zer zu ermitteln sowie an den Netzbetreiber zu melden, und soweit dem Grund-
versorger die faktische Verpflichtung auferlegt werde, im Falle der Nichtnutzung
des Anschlusses die Sperrung zu beantragen.
7
8
Das Beschwerdegericht hat die Beschwerde zurückgewiesen. Hiergegen
richtet sich die – vom Beschwerdegericht zugelassene – Rechtsbeschwerde, mit
der die Beschwerdeführerin ihre Anträge weiterverfolgt.
II. Das Beschwerdegericht ist zu Recht von der Zulässigkeit der Beschwer-
de ausgegangen.
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Zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde war für die Beschwerdeführe-
rin die Monatsfrist nach § 78 Abs. 1 Satz 1 EnWG noch nicht abgelaufen. Die
Festlegung ist ihr nicht förmlich zugestellt worden. Sie ist zwar im Amtsblatt der
Bundesnetzagentur veröffentlicht worden (§ 42 Abs. 9 GasNZV). Eine Veröffentli-
chung im Amtsblatt setzt jedoch die Rechtsmittelfrist nach § 78 Abs. 1 Satz 2
EnWG nicht in Lauf, da es sich bei einer Festlegung um einen Verwaltungsakt in
der Form einer Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Satz 2 VwVfG handelt (vgl.
BGH, Beschl. v. 29.4.2008 – KVR 28/07, WuW/E DE-R 2369 Tz. 9 ff. – EDIFACT).
Enthält der Verwaltungsakt – wie hier im Hinblick auf die nach der Festlegung vom
Grundversorger anzuwendenden Geschäftsprozesse – verbindliche Regelungen
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- 6 -
gegenüber einem bestimmten Personenkreis, so ist er diesen Betroffenen gemäß
§ 73 Abs. 1 Satz 1 EnWG zuzustellen. Dagegen bewirkt die auf § 42 Abs. 9
GasNZV gestützte Bekanntmachung der Festlegungsentscheidung im Amtsblatt
der Bundesnetzagentur oder ihre Veröffentlichung im Internet nur die Bekanntga-
be, ersetzt aber nicht die für Entscheidungen der Regulierungsbehörden nach
§ 73 Abs. 1 Satz 1 EnWG vorgeschriebene förmliche Zustellung. Die gesetzlichen
Zustellungserfordernisse bleiben gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG durch solche Rege-
lungen über die Bekanntgabe unberührt (vgl. BGHZ 172, 368 Tz. 32 – Auskunfts-
verlangen). Nur eine – nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes
zu bewirkende – förmliche Zustellung setzt daher die Rechtsmittelfrist nach § 78
Abs. 1 Satz 2 EnWG in Gang. Der Beschwerdeführerin ist die Festlegungsent-
scheidung nicht förmlich zugestellt worden. Der Zustellungsmangel kann aller-
dings nach § 8 VwZG durch Kenntnisnahme geheilt werden (BGHZ 172, 368
Tz. 34 – Auskunftsverlangen). Nach den vom Beschwerdegericht getroffenen
Feststellungen hat die Beschwerdeführerin von der Festlegungsentscheidung
nicht vor dem 25. September 2007 Kenntnis erlangt, so dass die Beschwerde
noch während der laufenden Frist eingelegt worden ist.
Die Beschwerdeführerin ist auch beschwerdebefugt, weil sie nach der Fest-
legung die in den GeLi Gas beschriebenen Geschäftsprozesse anzuwenden hat
und ihr durch die angefochtene Entscheidung somit Handlungspflichten auferlegt
werden.
11
III. Die Rechtsbeschwerde bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass der Regulierungsbehörde
bei Festlegungen gemäß § 42 Abs. 7 Nr. 4 GasNZV ein weiter Ermessensspiel-
raum zukomme. Die angegriffene Festlegung halte sich im Rahmen dieses Er-
messensspielraums. Ein Ermessensfehler sei nicht darin zu sehen, dass die Bun-
13
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desnetzagentur in den GeLi Gas unbelegte Gasentnahmestellen dem Bilanzkreis
des jeweiligen Grundversorgers zuordne. Eine solche Zuordnung lege das gesetz-
liche Wertungsmodell der §§ 36, 38 EnWG nahe. Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG
gelte die Energie als vom Grundversorger geliefert, wenn nicht ausdrücklich eine
andere Lieferbeziehung bestimmt werde. Werde deshalb aus dem Netz Gas ent-
nommen, komme mit dem Grundversorger ein Gaslieferungsvertrag zustande, der
ihn berechtige, das entnommene Gas mit dem Entnehmer abzurechnen. Damit sei
der Grundversorger aber auch mit dem Vergütungsrisiko im Falle des anonymen
Gasbezugs belastet. Dieser Risikoverteilung entspreche es, ihm die aktiven Ent-
nahmestellen zuzuordnen, für die kein anderes Lieferverhältnis bestehe. Belaste
man dagegen den Netzbetreiber mit diesem Risiko, müsse letztlich die Gesamtheit
der Netznutzer diese Kosten tragen. Da der Grundversorger für eine etwaige un-
berechtigte Gasentnahme einzustehen habe, obliege ihm die Prüfung, wer aus der
Entnahmestelle Gas entnehmen könne und welche vertraglichen Verhältnisse ge-
gebenenfalls bestünden. Für die von der Bundesnetzagentur getroffene Regelung
spreche auch, dass der Grundversorger den Anschluss im Falle des Zahlungsver-
zugs nur unter den engen Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 GasGVV sperren
dürfe. Der Grundversorger könne nämlich erst nach Identifizierung des anonymen
Nutzers diesen in Verzug setzen und so über eine Sperrung das ihm durch §§ 36,
38 EnWG zugewiesene Risiko begrenzen.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
14
a) Die Bundesnetzagentur kann nach § 42 Abs. 7 Nr. 4 GasNZV Festlegun-
gen zur Abwicklung des Lieferantenwechsels nach § 37 GasNZV und den dabei
zu übermittelnden Daten treffen. Durch die angefochtene Festlegung, nach der bei
einem solchen Wechsel die in den GeLi Gas näher beschriebenen standardisier-
ten Geschäftsprozesse anzuwenden sind, hat sie von dieser Befugnis Gebrauch
gemacht.
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- 8 -
§ 42 Abs. 7 Nr. 4 GasNZV erlaubt es der Bundesnetzagentur, für die Abwick-
lung des Lieferantenwechsels einheitliche von Netzbetreibern und Lieferanten an-
zuwendende Geschäftsprozesse festzulegen. Damit sollen – wie die Bundesnetz-
agentur in der Begründung der angefochtenen Festlegung zutreffend näher aus-
führt – massengeschäftstaugliche Regeln für die Zuordnung von Entnahmestellen
zur Gewährleistung eines effektiven Netzzugangs geschaffen werden. Derartige
Festlegungen dienen der Konkretisierung der Bestimmung des § 37 Abs. 1
GasNZV, der die Netzbetreiber verpflichtet, zur Vereinfachung des Lieferanten-
wechsels einheitliche Verfahren zu entwickeln und den elektronischen Datenaus-
tausch in einem einheitlichen Format zu ermöglichen (vgl. BGH WuW/E DE-R
2369 Tz. 13 – EDIFACT). Die Festlegungen der Bundesnetzagentur sollen Netz-
betreibern und Versorgern den organisatorischen und prozesstechnischen Rah-
men vorgeben, innerhalb dessen sich ein Wechsel in der Person des Lieferanten
möglichst effektiv und problemlos vollziehen lässt.
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Dass die Bundesnetzagentur von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und mit
der angefochtenen Festlegung die anzuwendenden Geschäftsprozesse beschrie-
ben und die hierbei zu verwendenden Datenformate vorgegeben hat, lässt keinen
Ermessensfehler erkennen und wird auch von der Rechtsbeschwerde als solches
nicht beanstandet.
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b) Die Beschwerdeführerin wendet sich vielmehr gegen die Beschreibung
einzelner in Unterabschnitt C.1 der Geli Gas für den Prozess „Beginn der Ersatz-/
Grundversorgung“ aufgeführter Prozessschritte, nämlich die in den Nummern 2 bis
5 beschriebene Meldung der Entnahmestelle durch den Netzbetreiber an den Er-
satz- bzw. Grundversorger, dessen Prüfung und Meldung an den Netzbetreiber
und die hierauf folgende Zuordnung der Entnahmestelle (zum Grundversorger)
durch den Netzbetreiber. Es kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter wel-
chen Voraussetzungen eine Festlegung im Umfang einzelner durch diese vorge-
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- 9 -
gebener Prozessschritte angefochten werden kann. Es bedarf ferner keiner ab-
schließenden Klärung, in welchem Umfang der Bundesnetzagentur über die Wahl
geeigneter Datenformate hinaus auch bei der inhaltlichen Beschreibung der Ge-
schäftsprozesse, für die sie eine Festlegung trifft, und der Bestimmung der einzel-
nen Prozessschritte ein Ermessen zusteht. Denn die in den GeLi Gas für den Pro-
zess „Beginn der Ersatz-/Grundversorgung“ aufgeführten Prozessschritte sind je-
denfalls rechtlich nicht zu beanstanden, weil sie in einer für die elektronische Da-
tenverarbeitung geeigneten Weise die Rechtsbeziehungen abbilden, die sich zwi-
schen Netzbetreiber, Grundversorger und Anschlussnehmer bzw. –nutzer in den-
jenigen Fällen ergeben, in denen eine Entnahmestelle (§ 37 Abs. 4 GasNZV) kei-
nem (anderen) Lieferanten zugeordnet werden kann („verwaist“ ist).
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aa) Nach § 36 Abs. 1 EnWG ist das Energieversorgungsunternehmen, das in
einem Netzgebiet die meisten Haushaltskunden versorgt (§ 36 Abs. 2 Satz 1
EnWG), Grundversorger und als solcher verpflichtet, zu seinen öffentlich bekannt-
zugebenden Allgemeinen Bedingungen und Allgemeinen Preisen für die Versor-
gung in Niederspannung oder Niederdruck jeden Haushaltskunden zu versorgen.
Anschlussnehmer haben Anspruch auf diese Grundversorgung, wenn sie sich we-
der selbst versorgen noch sich von einem Dritten versorgen lassen (§ 37 Abs. 1
EnWG). Sofern Letztverbraucher Energie beziehen, ohne dass dieser Bezug einer
Lieferung oder einem bestimmten Unternehmen zugeordnet werden kann, gilt die
Energie nach § 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG als vom Grundversorger geliefert, der
damit auch Ersatzversorger ist. Selbst wenn Strom oder Gas bezogen wird, ohne
dass ein vertragliches Lieferverhältnis begründet worden ist, entsteht mit der fakti-
schen somit jedenfalls Entnahme ein gesetzliches Schuldverhältnis zum Grund-
versorger (vgl. Hellermann in Britz/Hellermann/Hermes, EnWG, § 38 Rdn. 1).
Handelt es sich bei dem Entnehmer um einen Haushaltskunden, kommt – wovon
auch der Verordnungsgeber ausgeht (§ 2 Abs. 2 GasGVV) – zwischen diesem
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und dem Grundversorger ein Grundversorgungsvertrag zustande. Nach dem
Energiewirtschaftsgesetz begründet mithin jeder Energiebezug eine Rechtsbezie-
hung zu einem Versorger. Sofern keine anderweitige vertragliche Vereinbarung
getroffen worden ist, entsteht diese Rechtsbeziehung stets zum Grundversorger.
Dies rechtfertigt es, eine Entnahmestelle durch den Netzbetreiber immer dann
dem Grundversorger zuzuordnen, wenn keine Zuordnung zu einem anderen Liefe-
ranten möglich ist.
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bb) Indem die angefochtene Festlegung in den GeLi Gas eine solche Zuord-
nung vorgibt, werden keine zusätzlichen zivilrechtlichen Pflichten des Grundver-
sorgers begründet. Hierzu ist die Bundesnetzagentur nach § 42 Abs. 7 Nr. 4
GasNZV auch nicht befugt. Vielmehr knüpft die Festlegung an die Bestimmungen
des Energiewirtschaftsgesetzes an und setzt diese um, indem sie massenge-
schäftstaugliche Prozessschritte vorgibt, die die Zuordnung einer jeden Entnah-
mestelle zu einem Lieferanten ermöglichen.
Die von der Rechtsbeschwerde beanstandeten Prozessschritte zielen – aus
der Ex-ante-Sicht – darauf ab, für den Netzbetreiber die Belieferungsverhältnisse
hinsichtlich der einzelnen Entnahmestellen für jeden Zeitpunkt eindeutig darzustel-
len. Sie folgen dabei der durch die Vorschriften der §§ 36 ff. EnWG vorgegebenen
Zuordnung der Gasabnahme zu den einzelnen Lieferanten und der sich aus dieser
Zuordnung ergebenden Verteilung des Risikos, dass der Zahlungspflichtige nicht
identifiziert werden kann oder die durch die Gasabnahme begründete Entgeltfor-
derung des Lieferanten aus anderen Gründen nicht realisiert werden kann.
21
(1) Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist die Entstehung des
Lieferverhältnisses nicht davon abhängig, dass die Person des Nutzenden dem
Grundversorger gegenüber bereits individualisiert ist. Auch der dem Gasversorger
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unbekannte Nutzer wird von dem Zeitpunkt an dessen Vertragspartner, von dem
an er Gas entnimmt (§ 2 Abs. 2 GasGVV).
Dass den Grundversorger das Risiko unvergüteter Entnahmen trifft, ent-
spricht – wie das Beschwerdegericht zutreffend ausführt – somit der durch die
§§ 36 ff. EnWG vorgegebenen Risikoverteilung. Andernfalls müsste die durch
nicht identifizierbare Entnehmer verbrauchte Gasmenge als Verlustmenge vom
Netzbetreiber beschafft werden (§ 22 EnWG); die hierdurch entstehenden Kosten
flössen dann in die regulierten Entgelte ein (§ 5 Abs. 1 GasNEV). Dieses Ergebnis
wäre system- und gesetzwidrig, weil hierdurch ein in der Lieferbeziehung zum
Grundversorger liegendes Risiko der Gesamtheit der Verbraucher aufgebürdet
würde.
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Ebenso wie sein Vergütungsanspruch schon mit dem faktischen Gasbezug
entsteht, wenn keine anderweitige Lieferverpflichtung besteht, muss vielmehr der
Grundversorger die mit der Entnahme verbundene Gefahr tragen, die Person des
Entnehmenden nicht feststellen und damit die gegen diesen bestehenden Ansprü-
che nicht durchsetzen zu können.
(2) Durch die Festlegung werden dem Grundversorger auch keine über sei-
ne gesetzlichen Verpflichtungen hinausgehenden Ermittlungs- und Meldepflichten
auferlegt.
25
Die beanstandeten Prozessschritte begründen derartige Pflichten nicht. Das
Beschwerdegericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es Sache des Grund-
versorgers ist, in welchem Umfang er ermittelt. Nach den Prozessschritten 3 und 4
prüft und meldet der Grundversorger nur, ob ihm die Entnahmestelle als Grund-
versorger zuzuordnen ist. Die Person des Anschlussnutzers ermittelt er in seinem
eigenen Interesse, um seinen Entgeltanspruch zu sichern, der sich daraus ergibt,
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dass über das Gasversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung in Niederdruck
bezogene Energie als von ihm geliefert gilt (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EnWG); er darf
hierzu gegebenenfalls den Energieverbrauch für die Ersatzversorgung auf Grund
einer rechnerischen Abgrenzung schätzen und den ermittelten anteiligen
Verbrauch in Rechnung stellen (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EnWG). Hinzu kommt, dass
sich der Ermittlungsaufwand dadurch reduziert, dass der Gaskunde im Falle des
Vertragsschlusses durch tatsächliche Entnahme verpflichtet ist, dem Grundver-
sorger die Entnahme unverzüglich in Textform mitzuteilen (§ 2 Abs. 2 GasGVV).
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(3) Schließlich wird dem Grundversorger entgegen der Rechtsbeschwerde
auch keine Verpflichtung auferlegt, verwaiste Entnahmestellen auf seine Kosten
sperren zu lassen. Wenn ihm der Anschluss zuzuordnen ist, liegt es allein in sei-
nem Interesse, eine Gasentnahme zu verhindern, für die er seinen Vergütungsan-
spruch nicht oder nur unter erschwerten Bedingungen beitreiben kann. Ihm steht
deshalb nach § 19 GasGVV das Recht zu, die Grundversorgung unter den in den
Absätzen 1 und 2 genannten Voraussetzungen unterbrechen zu lassen, und er
muss sie nur wieder aufnehmen, wenn der Kunde die Kosten der Unterbrechung
und Wiederherstellung der Belieferung ersetzt hat (§ 19 Abs. 4 GasGVV).
cc) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist es auch nicht zu
beanstanden, dass die für den für den Prozess „Beginn der Ersatz-/Grundversor-
gung“ vorgegebenen Prozessschritte die Zuordnung einer Entnahmestelle, die
nicht einem anderen Lieferanten zugeordnet werden kann, zum Grundversorger
unabhängig davon vorsehen, ob an der Entnahmestelle tatsächlich Gas entnom-
men wird.
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Der Lieferantenwechsel soll nach § 37 Abs. 1 GasNZV nach einem einheitli-
chen Verfahren und soweit wie möglich im Wege des elektronischen Datenaus-
tauschs in einem einheitlichen Format erfolgen. Dies setzt voraus, dass eine Ent-
29
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nahmestelle zu jedem Zeitpunkt eindeutig zugeordnet wird. Da bei einem nicht
leistungsgemessenen Anschluss indessen erst nachträglich durch eine Zähler-
standskontrolle feststellbar ist, ob und in welchem Umfang seit der letzten Kontrol-
le Gas entnommen worden ist, kann bei einer Standardisierung und Automatisie-
rung der für die Abwicklung eines Lieferantenwechsels erforderlichen Prozess-
schritte die Zuordnung zum Grundversorger nicht von der unbekannten Größe
Gasentnahme abhängig gemacht werden. Dies rechtfertigt es, im Prozessablauf
die Zuordnung zum Grundversorger bereits dann vorzunehmen, wenn ein jeder-
zeit möglicher Gasbezug mangels einer anderweitigen Lieferbeziehung nach § 38
Abs. 1 Satz 1 EnWG dem Grundversorger zugewiesen wird.
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Nur auf diese Weise können – worauf die Begründung der Festlegungsent-
scheidung auch ausdrücklich Bezug nimmt – für jede Entnahmestelle alle denkba-
ren Fälle eines Wechsels des Lieferanten erfasst werden. Je vollständiger die
Entnahmestellen in ihrer jeweiligen Lieferbeziehung datentechnisch dokumentiert
sind, umso effektiver wirken die Regelungen über den nach § 37 GasNZV ange-
strebten automatisierten Datenaustausch im Falle des Lieferantenwechsels, der
die wettbewerblichen Strukturen auf dem Gasmarkt verbessern soll. Den Prozess-
schritten kommt im Blick auf die Rechtsverhältnisse zwischen Letztverbraucher,
Grundversorger und Netzbetreiber auch dann keine konstitutive Wirkung zu, wenn
der Grund- oder Ersatzversorgungsfall noch nicht eingetreten ist. Die durch die
Festlegung vorgeschriebenen Prozessschritte sind nach ihrer Zielrichtung Rege-
lungen über die Zuordnung der Entnahmestellen. Sie erfolgen aus der Ex-ante-
Perspektive und sind nicht darauf gerichtet, die Rechtsverhältnisse hinsichtlich
verwaister Lieferstellen zu gestalten und Streitfälle bezüglich möglicher Entnah-
men abstrakt zu entscheiden; vielmehr sollen sie die einzelnen Entnahmestellen
den jeweiligen Lieferanten zuordnen, um prozesstechnisch einen möglichen Liefe-
- 14 -
rantenwechsel ohne weiteres nachvollziehen zu können und einen nachfolgenden
Energiebezug stets dem richtigen Lieferanten zuzuweisen.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin sind für den Grundversor-
ger mit der Zuordnung verwaister Anschlüsse unabhängig von einer Gasentnahme
keine Belastungen verbunden, die dem Grundversorger nach der gesetzlichen
Regelung nicht auferlegt werden dürfen. Wird an der Entnahmestelle kein Gas
entnommen, ist dies – wie die Bundesnetzagentur zutreffend ausgeführt hat – für
den Grundversorger nicht mit Netzkosten verbunden; es fallen lediglich Messkos-
ten an. Ob der Grundversorger diese endgültig zu tragen hat oder ob er sie gege-
benenfalls auf den Netzbetreiber abwälzen kann, wenn sich nachträglich heraus-
stellt, dass der Grund- oder Ersatzversorgungsfall tatsächlich nicht eingetreten ist,
entscheidet sich nach den materiell-rechtlichen Regelungen des Energiewirt-
schaftsrechts und des bürgerlichen Rechts und wird durch die nach der angefoch-
tenen Festlegung anzuwendenden Geschäftsprozesse nicht präjudiziert.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 90 Satz 2 EnWG.
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Bornkamm Raum Meier-Beck
Grüneberg
Bacher
Vorinstanz:
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 14.01.2009 - VI-3 Kart 213/07 (V) -