Urteil des BGH vom 17.02.2009

BGH (wiedereinsetzung in den vorigen stand, frist, wiedereinsetzung, stand, umfang, begründung, dauer, zpo, akten, zoll)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 33/07
vom
17. Februar 2009
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Februar 2009 durch
die Vizepräsidentin Dr. Müller, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin
Diederichsen und den Richter Stöhr
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 19. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 4. Juni 2007 wird auf Kos-
ten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
22.065,91 €.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat den Beklagten mit Urteil vom 23. Februar 2007 un-
ter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an die Klägerin 22.065,91 € nebst
Zinsen zu zahlen. Gegen das am 6. März 2007 zugestellte Urteil hat der Be-
klagte am 4. April 2007 Berufung eingelegt. Mit einem am 8. Mai 2007 einge-
gangenen Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten hat der Beklagte eine
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung ist
ausgeführt, aufgrund des längerfristigen Ausfalls eines Kollegen und der da-
durch hervorgerufenen Mehrbelastung für den Sachbearbeiter des hiesigen
Verfahrens sowie mehrerer vorrangiger Fristen und unaufschiebbarer Termine
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werde die erstmalige Fristverlängerung dringend benötigt, zumal die bisher ge-
wechselten Schriftsätze einen außergewöhnlich großen Umfang hätten und in-
soweit eine komplette Durcharbeitung erfolgen müsse. Die Vorsitzende des Be-
rufungsgerichts hat die beantragte Verlängerung mit Verfügung vom 8. Mai
2007 abgelehnt, weil die Berufungsbegründungsfrist bei Eingang des Fristver-
längerungsantrages bereits abgelaufen gewesen sei. Daraufhin hat der Beklag-
te Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beru-
fungsbegründungsfrist beantragt und zugleich die Berufung begründet.
Mit Beschluss vom 4. Juni 2007 hat das Berufungsgericht den Antrag
des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäu-
mung der Berufungsbegründungsfrist zurückgewiesen und die Berufung des
Klägers als unzulässig verworfen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es
im Wesentlichen ausgeführt, den Prozessbevollmächtigten des Beklagten treffe
ein - dem Beklagten zurechenbares - Organisationsverschulden, da die Eintra-
gung einer Vorfrist unterblieben sei. Der Beklagte mache nicht geltend, dass
dies etwa versehentlich - entgegen anders lautender Anordnung - unterblieben
sei. Die unterbliebene Notierung der Vorfrist sei auch für die Fristversäumung
jedenfalls mitursächlich geworden.
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Gegen diesen, seinem Prozessbevollmächtigten am 6. Juni 2007 zuge-
stellten Beschluss hat der Beklagte am 14. Juni 2007 Rechtsbeschwerde einge-
legt und diese innerhalb verlängerter Frist am 31. August 2007 begründet.
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II.
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier
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maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs
geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach im Ergebnis zutreffend ent-
schieden hat.
2. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklag-
ten mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der
Beklagte hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das
Versäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten,
das er sich nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
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a) Zur ordnungsgemäßen Organisation einer Anwaltskanzlei gehört die
allgemeine Anordnung, bei Prozesshandlungen, deren Vornahme ihrer Art nach
mehr als nur einen geringen Aufwand an Zeit und Mühe erfordert, wie dies re-
gelmäßig bei Rechtsmittelbegründungen der Fall ist, außer dem Datum des
Fristablaufs noch eine Vorfrist zu notieren. Dies ist in der Rechtsprechung seit
langem geklärt (vgl. etwa Senatsbeschluss vom 10. Juni 2008 - VI ZB 2/08 -
NJW 2008, 3439, 3440; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94 - NJW
1994, 2551 und vom 25. September 2003 - V ZB 17/03 - FamRZ 2004, 100,
jeweils m.w.N.). Die Vorfrist dient dazu, sicherzustellen, dass auch für den Fall
von Unregelmäßigkeiten und Zwischenfällen noch eine ausreichende Überprü-
fungs- und Bearbeitungszeit bis zum Ablauf der zu wahrenden Frist verbleibt.
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b) Ebenso ist in der Rechtsprechung geklärt, dass bei Verletzung der
Verpflichtung zur Notierung einer Vorfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gegen die Versäumung der zu wahrenden Frist auch dann nicht in Be-
tracht kommt, wenn der Rechtsanwalt die vermeintlich zu wahrende Frist ein-
gehalten hat, er bei pflichtgemäßer Notierung einer Vorfrist die Fehlerhaftigkeit
der notierten Frist jedoch hätte erkennen können (vgl. Senatsbeschluss vom
30. Oktober 2001 - VI ZB 43/01 - NJW 2002, 443, 444; BGH, Beschluss vom
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6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94 - aaO und vom 25. September 2003 - V ZB 17/03 -
aaO).
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c) Diese Grundsätze werden von der Rechtsbeschwerde zwar nicht in
Zweifel gezogen, sie meint jedoch, die "angeblich" unterbliebene Notierung ei-
ner Vorfrist sei nicht ursächlich für die Fristversäumung gewesen, weil die Akte
dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten "mindestens" drei Tage vor Ablauf
der von seiner Kanzleiangestellten fehlerhaft auf den 10. Mai 2007 notierten
Berufungsbegründungsfrist vorgelegen habe. Da nach Lage des Einzelfalles
auch eine Vorfrist von vier Tagen ausreichen und der Rechtsanwalt die von sei-
nem Büropersonal notierte Hauptfrist auch noch am Folgetag überprüfen könne
- hier am 8. Mai 2007 - wäre die Berufungsbegründungsfrist auch bei Bestehen
einer entsprechenden Vorfristanordnung bereits abgelaufen gewesen, bevor es
zu einer Überprüfung der Hauptfrist gekommen wäre.
d) Dieser Auffassung kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Die
Dauer der Vorfrist hat nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich eine Wo-
che zu betragen und darf nur bei Vorliegen besonderer Umstände anders be-
messen werden (vgl. Senatsbeschluss vom 12. April 1988 - VI ZB 5/88 - VersR
1988, 941; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1994 - VIII ZB 26/94 - aaO und vom
25. September 2003 - V ZB 17/03 - aaO). Besondere Umstände für eine kürze-
re Vorfrist sind vorliegend aber nicht dargetan. Der erkennende Senat hat zwar
- worauf sich die Rechtsbeschwerde beruft - in seinem Beschluss vom
5. Oktober 1999 - VI ZB 22/99 - (NJW 2000, 365) ausnahmsweise eine Vorfrist
von vier Tagen vor Ablauf der Hauptfrist als ausreichend erachtet und hierzu
ausgeführt, die Dauer der Vorfrist hänge von den Umständen des Einzelfalles
ab, insbesondere dem Umfang und Schwierigkeitsgrad der Sache, daneben
auch von der Arbeitsbelastung im Anwaltsbüro und von dem persönlichen Ar-
beitsstil des Rechtsanwalts. Der dortige Fall unterscheidet sich jedoch von dem
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vorliegenden dadurch, dass die sachbearbeitende Rechtsanwältin aufgrund der
in ihrem Anwaltsbüro bestehenden Übung, eine Vorfrist von vier Tagen einzu-
tragen, mit einer solchen Fristdauer rechnen konnte. Im vorliegenden Fall
macht der Beklagte eine entsprechende Übung in dem Büro seines damaligen
Prozessbevollmächtigten aber gerade nicht geltend, sondern lässt sowohl offen,
ob überhaupt eine und ggf. welche Vorfristanordnung bestand als auch, ab
wann seinem Prozessbevollmächtigten die Akten tatsächlich vorgelegen haben.
Im Übrigen spricht die Begründung des (verspäteten) Fristverlängerungsantra-
ges, die auf eine Arbeitsüberlastung des Prozessbevollmächtigten durch den
Ausfall eines Kollegen und den Umfang und den Schwierigkeitsgrad der Sache
verweist, gegen die Annahme, dass unter den Umständen des Streitfalles eine
kürzere Dauer der Vorfrist als eine Woche hätte ausreichen können. Bei Einhal-
tung der üblichen Vorfrist von einer Woche hätte dem Prozessbevollmächtigten
des Beklagten bei Vorlage der Akten zur Bearbeitung spätestens am Folgetag
die Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung oblegen, ob das Fristende von
seiner Fachangestellten richtig ermittelt worden ist. Bei ordnungsgemäßer Prü-
fung wäre ihm dann vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 7. Mai 2007
rechtzeitig aufgefallen, dass die Hauptfrist unrichtig auf den 10. Mai 2007 einge-
tragen war. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die unterbliebene No-
tierung der (üblichen) Vorfrist für die Fristversäumung jedenfalls mitursächlich
geworden sei, ist deshalb nicht zu beanstanden.
Im Übrigen muss der Prozessbevollmächtigte bereits bei der Vorlage der
(Hand-)Akten zur Einlegung der Berufung die Berechnung der Berufungsbe-
gründungsfrist kontrollieren (vgl. BGH, Beschluss vom 21. April 2004 - XII ZB
243/03 - FamRZ 2004, 1183, 1184; vom 15. August 2007 - XII ZB 57/07 - Tz.
10 und vom 20. Januar 2009 - Xa ZB 34/08 - Umdr. S. 5).
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3. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das
Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Beru-
fungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller Zoll Wellner
Diederichsen Stöhr
Vorinstanzen:
LG Rottweil, Entscheidung vom 23.02.2007 - 4 O 35/05 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 04.06.2007 - 19 U 45/07 -