Urteil des BGH vom 30.12.1997

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 298/98
Verkündet am:
26. September 2001
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
BGB § 2084
Zur Auslegung eines auf den Tod des zuletzt versterbenden Ehegatten ausgesetz-
ten Vermächtnisses im Hinblick auf eine Anrechnung des nach dem Tod des zuerst
verstorbenen Ehegatten vom Bedachten empfangenen Pflichtteils.
BGH, Urteil vom 26. September 2001 - IV ZR 298/98 - OLG Karlsruhe
LG Waldshut-Tiengen
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin
Ambrosius und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Ver-
handlung vom 26. September 2001
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil
des 4. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts
Karlsruhe vom 17. September 1998 im Kostenpunkt und
in seinem Feststellungsausspruch aufgehoben und das
Urteil des Landgerichts Waldshut-Tiengen vom 30. De-
zember 1997 im Kostenpunkt sowie in seiner Entschei-
dung unter Ziffer 1 (betr. Freistellung) geändert.
Die Klage auf Feststellung einer Freistellungspflicht der
Beklagten wird als unzulässig abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tra-
gen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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Die Klägerin wirft den Beklagten anwaltliche Fehlberatung bei der
Gestaltung eines gemeinschaftlichen Testaments vor, das sie am 3. Fe-
bruar 1994 zusammen mit ihrem Ehemann eigenhändig errichtete. Das
Testament lautet auszugsweise:
"Wir ... setzen uns auf das Ableben des Erstversterbenden von
uns gegenseitig als Alleinerben ein.
Der überlebende Ehegatte von uns soll frei über den Nachlaß nach
Ableben des Erstversterbenden von uns verfügen können.
Ich, Arnold G. ..., habe aus erster Ehe ... eine Tochter und zwar
Cornelia ... Diese Tochter soll aus dem Erbvermögen des
Letztversterbenden einen Betrag in Höhe von 150.000 DM ... er-
halten, wobei Wertmaßstab für den Geldwert dieses Betrages der
Monat Februar 1994 sein soll ...
Unsere Tochter Belinda ... soll im übrigen Erbin des Nachlasses
nach dem Ableben des Letztversterbenden werden. Sie soll ver-
pflichtet sein ..., ... den vorerwähnten Betrag von 150.000 DM
nach Anfall der Erbschaft unverzüglich auszubezahlen ... "
Nach dem Tod des Ehemannes der Klägerin am 24. April 1994
verlangte dessen Tochter aus erster Ehe den Pflichtteil. Sie erhielt
100.000 DM. Die Klägerin meint, ihre Tochter müsse bei Annahme der
Erbschaft als Schlußerbin das Vermächtnis zugunsten ihrer Stieftochter
ohne Anrechnung dieser Pflichtteilszahlung in voller Höhe erfüllen. In-
folge eines anwaltlichen Beratungsfehlers sei versäumt worden, für den
eingetretenen Fall des Vorversterbens des Ehemannes und einer
Pflichtteilsforderung der Tochter aus dessen erster Ehe zugunsten der
mit dem Vermächtnis beschwerten Schlußerbin eine Verfall- oder An-
rechnungsklausel in das Testament aufzunehmen. Die Klägerin hat
- soweit in der Revisionsinstanz noch von Bedeutung - auf Feststellung
geklagt, daß die Beklagten als Gesamtschuldner die Schlußerbin von
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Ansprüchen aus dem Vermächtnis freizustellen haben, soweit die Zah-
lung auf den Pflichtteil der Bedachten nicht auf das zu ihren Gunsten
ausgesetzte Vermächtnis angerechnet werde.
Der Antrag hatte in den Vorinstanzen Erfolg. Mit ihrer Revision er-
streben die Beklagten insoweit die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Abweisung des Feststel-
lungsantrags.
1. Das Berufungsgericht hält die Feststellungsklage für zulässig.
Ein rechtliches Interesse an alsbaldiger Feststellung (§ 256 Abs.1 ZPO)
könne im Hinblick auf eine Ersatzpflicht wegen anwaltlicher Fehlbera-
tung angenommen werden, wenn nach der Lebenserfahrung und dem
gewöhnlichen Verlauf der Dinge der Schadenseintritt hinreichend wahr-
scheinlich sei (BGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - IX ZR 242/94 -
NJW 1996, 1062 unter A II 2). Im vorliegenden Fall sei anzunehmen,
daß die Schlußerbin die Klägerin überleben werde. Nachdem sich die
Stieftochter bei Erhalt des väterlichen Pflichtteils geweigert habe, auf
das ihr zugedachte Vermächtnis zu verzichten, sei auch hinreichend
wahrscheinlich, daß sie das Vermächtnis beim Tod der Klägerin geltend
machen werde.
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Die Feststellungsklage sei auch begründet. Der Klägerin stehe ein
Anspruch aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages zu. Sie
und ihr Ehemann hätten dem sie beratenden Beklagten zu 1) deutlich
gemacht, daß die Tochter des Ehemannes aus dessen erster Ehe erst
aus dem Vermögen des Letztversterbenden 150.000 DM wertgesichert
erhalten solle, nicht mehr und nicht weniger. Dieses Vermächtnis habe
entfallen sollen, falls die Bedachte ihren Pflichtteil nach dem Vater for-
dere. Der Wille der Klägerin und ihres Ehemannes sei dahin gegangen,
daß eine Zahlung, die die Bedachte auf den väterlichen Pflichtteil er-
halte, auf das beim Tod des Letztversterbenden zu erfüllende Vermächt-
nis jedenfalls angerechnet werden müsse. Der Beklagte zu 1) habe eine
Anrechnungsklausel im Testament nur deshalb nicht für erforderlich ge-
halten, weil er irrig davon ausgegangen sei, die Tochter des Ehemannes
aus dessen erster Ehe könne gemäß § 2307 Abs.1 BGB ohnehin nur
entweder den Pflichtteil oder das Vermächtnis fordern. Dabei habe er
den eingetretenen Fall nicht bedacht, in dem der Pflichtteilsanspruch
nach dem Tod des Vaters nicht mit dem erst auf den Tod der Klägerin
ausgesetzten Vermächtnis zusammentrifft. Die Klägerin könne das Ver-
mächtnis auch nicht durch ein zusätzliches Testament beschränken. Sie
könne zwar unter Lebenden frei über den Nachlaß verfügen. Sie sei aber
an das Vermächtnis zugunsten der Stieftochter gemäß § 2271 Abs. 2
BGB gebunden, weil es mit der Einsetzung der Klägerin als Alleinerbin
ihres Ehemannes wechselbezüglich sei.
2. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
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a) Das Berufungsgericht hat versäumt, das Testament im Hinblick
darauf auszulegen, ob sich die Anrechnung des ausgezahlten Pflichtteils
auf das Vermächtnis nicht bereits aus dem Sinn des Testaments ergibt.
Bei der Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments kommt es
auf den Willen beider Ehegatten an. Entscheidend ist jedoch nicht der
Empfängerhorizont; die Auslegung darf auch nicht am buchstäblichen
Sinn des Ausdrucks haften. Vielmehr ist zu fragen, was die Testierenden
mit ihren Worten haben sagen wollen (BGH, Urteil vom 7.Oktober 1992
- IV ZR 160/91 - NJW 1993, 256 unter 2). Das Berufungsgericht stellt
rechtsfehlerfrei fest, nach dem Willen der Klägerin und ihres Ehemannes
habe sich dessen Tochter aus erster Ehe auf das ihr beim Tod des
Letztversterbenden zugedachte Vermächtnis anrechnen lassen sollen,
was sie möglicherweise bei Vorversterben ihres Vaters als Pflichtteil
nach dem Vater erhalte. Dagegen wendet sich die Revisionserwiderung
der Klägerin nicht.
Sie macht vielmehr geltend, dieser Wille habe im Testament nicht
einmal andeutungsweise Ausdruck gefunden (BGHZ 86, 41, 47). Dem
hält die Revision mit Recht den Satz des Testaments entgegen, wonach
die Tochter des Ehemannes aus dessen erster Ehe "aus dem Erbvermö-
gen des Letztversterbenden" 150.000 DM wertgesichert erhalten solle.
Damit sei alles, was der Bedachten aus dem Vermögen beider Ehegatten
zukommen solle, abschließend beschrieben worden. Der Satz sei mithin
so zu verstehen, daß die Bedachte "nur" jene 150.000 DM aus dem
Nachlaß des zuletzt versterbenden Ehegatten habe bekommen sollen.
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Damit hat der festgestellte Wille der Testatoren auch nach Ansicht des
Senats eine hinreichende Stütze im Text des Testaments gefunden.
Die Auslegung des Testaments ist zwar Sache des Tatrichters. Ei-
ner Zurückverweisung bedurfte es hier aber nicht, weil der vom Tatrich-
ter festgestellte Wille der Testatoren außer Streit steht und neue Ge-
sichtspunkte zu der Frage, ob dieser Wille Ausdruck in der Testa-
mentsurkunde gefunden hat, nicht zu erwarten sind.
b) In Anbetracht dieser Testamentsauslegung, deren Grundlagen
im vorliegenden Verfahren von Anfang an gegeben waren und die auch
in Zukunft schwerlich in Frage gestellt werden können, ist jedenfalls die
Entstehung des von der Klägerin befürchteten Schadens unwahrschein-
lich. Vielmehr kann sich die Schlußerbin, wenn sie nach dem Tod der
Klägerin auf die Erfüllung des vollen Vermächtnisses in Anspruch ge-
nommen wird, mit Erfolg darauf berufen, daß nach dem Sinn des Testa-
ments die 100.000 DM auf das Vermächtnis anzurechnen sind, die die
Bedachte bereits als Pflichtteil nach ihrem Vater erhalten hat. Daher
fehlt es an dem von § 256 Abs. 1 ZPO geforderten rechtlichen Interesse
an der alsbaldigen Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten. Der
Feststellungsantrag der Klägerin ist unzulässig.
Terno Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch