Urteil des BGH vom 20.12.2007

BGH (zpo, treuhänder, teil, schuldner, vollstreckung, ausnahme, rente, zahlung, abtretung, betrag)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 280/04
vom
20. Dezember 2007
in dem Zwangsvollstreckungsverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer, die Richter Vill und Cierniak, die Richterin Lohmann und den
Richter Dr. Detlev Fischer
am 20. Dezember 2007
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer
des Landgerichts Gießen vom 27. September 2004 wird auf Kos-
ten der Gläubiger zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für die Rechtsbeschwerdeinstanz wird auf
5.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Durch Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 4. September 2003 wur-
de das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet. Wegen
rückständigen Unterhalts für den Zeitraum vom 27. Juli 2001 bis 31. Dezember
2003 sowie wegen laufenden Unterhalts erwirkten die Gläubiger am
12. Februar 2004 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsge-
richts Alsfeld, durch den der Anspruch des Schuldners auf Zahlung einer Rente
wegen Erwerbsminderung gepfändet wurde. Auf die Erinnerung des Treuhän-
ders hat das Amtsgericht Gießen - Insolvenzgericht - den Pfändungs- und Ü-
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berweisungsbeschluss aufgehoben, soweit wegen rückständigen Unterhalts bis
zum 23. September 2003 vollstreckt wird. Ferner hat das Amtsgericht den an-
geführten Beschluss bezüglich des laufenden Unterhalts ab 24. September
2003 aufgehoben, soweit in den die Grenzen des § 850c ZPO übersteigenden
Betrages vollstreckt wird.
Die dagegen von den Gläubigern eingelegte Beschwerde hat das Land-
gericht zurückgewiesen. Mit der von dem Beschwerdegericht zugelassenen
Rechtsbeschwerde verfolgen die Gläubiger ihr Pfändungsbegehren mit der
Maßgabe weiter, dass die Beschränkung in der die Grenze des § 850c ZPO
übersteigenden Betrages nicht weiter angegriffen wird.
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II.
Die statthafte (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) und auch im Übrigen zulässige
(§ 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO) Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
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Der Senat hat mit Beschluss vom 27. September 2007 - IX ZB 16/06
(ZInsO 2007, 1226, bestätigt durch Beschlüsse vom 15. November 2007
- IX ZB 226/05 sowie IX ZB 4/06) entschieden, dass die Vollstreckung in die
erweitert pfändbaren Bezüge des Schuldners nur Neugläubigern von Unter-
halts- und Deliktsansprüchen, nicht aber Unterhalts- und Deliktsgläubigern ges-
tattet ist, die an dem Insolvenzverfahren teilnehmen. Hieran ist festzuhalten.
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§ 89 Abs. 2 Satz 1 InsO erstreckt das für Insolvenzgläubiger geltende
Verbot der Vollstreckung in künftige Forderungen aus Dienstverhältnissen auf
alle nach Verfahrenseröffnung hinzukommende Neugläubiger des Schuldners
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und auf Gläubiger der Unterhaltsansprüche, die gemäß § 40 InsO im Verfahren
nicht geltend gemacht werden können. Mit Hilfe dieser Regelung soll der
Schuldner in den Stand gesetzt werden, nach Verfahrensbeendigung seine
pfändbaren Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis zum Zwecke
der Restschuldbefreiung an einen Treuhänder abzutreten (§ 287 Abs. 2 InsO;
BGH, Beschl. v. 27. September 2007, aaO; FK-InsO/App, 4. Aufl. § 89 Rn. 13;
MünchKomm-InsO/Breuer, 2. Aufl. § 89 Rn. 35).
Das danach grundsätzlich auf Neugläubiger erstreckte Vollstreckungs-
verbot des § 89 Abs. 2 Satz 1 InsO findet in § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO zu Guns-
ten solcher Neugläubiger eine Ausnahme, die aus Unterhalts- oder Deliktsan-
sprüche in einen Teil der Bezüge vollstrecken, der für sie erweitert pfändbar ist
(§§ 850d, 850f Abs. 2 ZPO). Dieser nicht zur Insolvenzmasse gehörende Teil
der Bezüge wird von der die Restschuldbefreiung bezweckenden Abtretung der
(pfändbaren) Bezüge an den Treuhänder nicht erfasst und unterliegt deshalb
dem Zugriff der privilegierten Neugläubiger (BT-Drucks. 12/2443 S. 137 f zu
§ 100 RegE zur Insolvenzordnung). Die Besserstellung durch § 89 Abs. 2
Satz 2 InsO gilt - wie die tatbestandliche Anknüpfung an § 89 Abs. 2 Satz 1
InsO unzweideutig zum Ausdruck bringt - nur für Neugläubiger von Unterhalts-
und Deliktsansprüchen, aber nicht auch für Unterhalts- und Deliktsgläubiger, die
an dem Insolvenzverfahren teilnehmen (BGH, Beschl. v. 28. Juni 2006 - VII ZB
161/05, ZInsO 2006, 1166; Beschl. v. 27. September 2007, aaO). Wegen ihrer
besonderen Schutzbedürftigkeit wird das Vollstreckungsverbot zu Gunsten der
Neugläubiger, die im Insolvenzverfahren nicht berücksichtigt werden und infolge
der Einbeziehung des Neuerwerbs in die Insolvenzmasse (§ 35 InsO) keinen
realistischen Vollstreckungszugriff auf das insolvenzfreie Vermögen haben, im
Umfang der erweiterten pfändbaren Beträge gelockert. Hingegen soll Unter-
halts- und Deliktsgläubigern, die ohnehin an der gemeinschaftlichen Befriedi-
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gung im Insolvenzverfahren beteiligt sind, nicht ein zusätzlicher Vollstreckungs-
zugriff gestattet werden. Da die Gläubiger zu den im Verfahren zu berücksichti-
genden Insolvenzgläubigern gehören, können sie sich nicht auf den Ausnahme-
tatbestand des § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO berufen (vgl. BGH, Beschl. v.
27. September 2007, aaO).
In Einklang hiermit steht die angefochtene Entscheidung. Den Be-
schwerdeführern ist als Neugläubiger für laufende Unterhaltsforderungen der
Zugriff auf den nach § 850d vollstreckbaren Teil der Bezüge nicht verwehrt. Für
die übrigen Unterhaltsansprüche, die Insolvenzforderungen sind, ist dagegen
eine Privilegierung nicht gegeben. Der Treuhänder war entgegen der Ansicht
der Rechtsbeschwerde auch befugt, die Beachtung des Vollstreckungsverbotes
hinsichtlich des Differenzbetrages zwischen dem unpfändbaren Betrag nach
§ 850c und dem den Schuldner nach § 850d ZPO zu belassenden Existenzmi-
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nimum geltend zu machen. Dies folgt aus seiner generellen Befugnis die Belan-
ge der Masse wahrzunehmen (§ 313 ff Abs. 1; § 80 InsO).
Dr. Gero Fischer
Vill
Cierniak
Lohmann
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
AG Gießen, Entscheidung vom 04.05.2004 - 6 IK 79/03 -
LG Gießen, Entscheidung vom 27.09.2004 - 7 T 209/04 -