Urteil des BGH vom 21.10.2010

BGH (eintritt des schadens, verhältnis zu, beschwerde, rechtssatz, verjährungsfrist, gemeinschaftsrecht, rechtsanwendung, rechtsbehelf, vereinbarkeit, frist)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZR 195/09
vom
21. Oktober 2010
in dem Rechtsstreit
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Ganter und die Richter Prof. Dr. Kayser, Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Fischer und
Grupp
am 21. Oktober 2010
beschlossen:
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil
des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main
vom 28. September 2009 wird auf Kosten des Beklagten zurück-
gewiesen.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 58.413,12 €
festgesetzt.
Gründe:
Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf.
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1. Soweit das Berufungsgericht dem Kläger die Einziehungsbefugnis zur
Geltendmachung der Klageforderung zuerkannt hat, greift ein Zulassungsgrund
nicht durch.
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a) Ohne Erfolg beruft sich der Beklagte insoweit auf eine Verletzung des
Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG).
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Für die Annahme von Willkür reicht eine nur fragwürdige oder sogar feh-
lerhafte Rechtsanwendung nicht aus, selbst ein offensichtlicher Rechtsfehler
genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung
unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist und sich daher
der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht; die
Rechtslage muss mithin in krasser Weise verkannt sein (BVerfGE 89, 1, 14; 96,
189, 203; BVerfG WM 2008, 721; BGHZ 154, 288, 299 f; BGH, Beschl. v.
21. Januar 2010 - IX ZB 59/09, juris Rn. 2). Davon kann jedoch nicht gespro-
chen werden, wenn sich das Gericht - wie hier - mit der Rechtslage auseinan-
dersetzt und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt
(BVerfGE 87, 273, 278 f; 89, 1, 13 f; 96, 189, 203; BGH, Beschl. v. 6. Mai 2010
- IX ZB 234/07, juris Rn. 4).
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b) Eine Divergenz (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 Altern. 2 ZPO) ist ebenfalls nicht
gegeben.
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Um eine Divergenz ordnungsgemäß darzulegen, ist es erforderlich, die
Vorentscheidung, zu der die Divergenz geltend gemacht wird, konkret zu be-
nennen und zu zitieren, die angeblich divergierenden entscheidungserheblichen
abstrakten Rechtssätze aus dieser Vorentscheidung und aus der angefochte-
nen Entscheidung herauszustellen sowie vorzutragen, inwiefern diese nicht ü-
bereinstimmen (BGHZ 152, 182, 186). Im Streitfall fehlt es an der gebotenen
Gegenüberstellung vermeintlich divergierender Rechtssätze sowie der Darle-
gung, in welchen Bewertungen der Entscheidungen die Divergenz zum Aus-
druck kommt.
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bb) Überdies kann eine Divergenz nur angenommen werden, wenn der
angefochtenen Entscheidung ein Rechtssatz zugrunde liegt, der von einem die
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Entscheidung tragenden Rechtssatz eines höherrangigen Gerichts, eines ande-
ren Spruchkörpers desselben Gerichts oder eines anderen gleichgeordneten
Gerichts abweicht (BGHZ 154, 288, 292; BGH, Beschl. v. 5. November 2002
- VI ZB 40/02, NJW 2003, 437). Vor diesem Hintergrund vermag eine Abwei-
chung des Oberlandesgerichts im Verhältnis zu der von der Nichtzulassungs-
beschwerde angeführten Entscheidung des im Instanzenzug nachgeordneten
Landgerichts Wiesbaden eine Divergenz nicht zu begründen.
2. Soweit die Beschwerde im Blick auf die Würdigung des Berufungsge-
richts, dass der geltend gemachte Ersatzanspruch noch nicht verjährt ist, Zu-
lassungsgründe geltend macht, sind diese jedenfalls nicht entscheidungserheb-
lich. Denn die angefochtene Entscheidung ist in diesem Punkt im Ergebnis
rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BGH, Urt. v. 23. September 2010 - IX ZR
26/09 z.V.b.). Verjährung ist hier gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB frühestens am
31. Dezember 2008 eingetreten. Der verfahrenseinleitende Mahnbescheid des
Klägers ist dem Beklagten jedoch bereits am 14. Februar 2008 zugestellt wor-
den.
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a) Für Beginn und Dauer der Verjährung sind im Streitfall gemäß Art. 229
§ 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 13, Satz 2, § 6 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 EGBGB anstelle der
mit Wirkung vom 15. Dezember 2004 durch Art. 16 Nr. 2 des Gesetzes zur An-
passung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des
Schuldrechts vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I, S. 3214) aufgehobenen Vor-
schrift des § 68 StBerG nunmehr die Vorschriften der §§ 195 ff BGB anwend-
bar. Denn der geltend gemachte Anspruch ist mit Ablauf des 31. Dezember
2004 und damit nach dem 15. Dezember 2004 entstanden (vgl. BGH, Urt. v.
17. Dezember 2009 - IX ZR 4/08, WM 2010, 629 Rn. 6).
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aa) Regelmäßig entsteht der Anspruch gegen einen Steuerberater, der
steuerliche Nachteile seines Mandanten verschuldet hat, nicht erst mit der Be-
standskraft, sondern bereits mit Bekanntgabe des belastenden Steuerbe-
scheids (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB). Das kann aber nicht gelten, wenn das
pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters erst nach Erlass des Steuerbe-
scheids einsetzt. Besteht die Pflichtwidrigkeit darin, dass der gebotene Rechts-
behelf gegen den Bescheid nicht eingelegt wird, so entsteht der Anspruch in
dem Augenblick, in dem der Steuerpflichtige von sich aus nicht mehr durch ei-
nen Rechtsbehelf die Abänderung des Steuerbescheids erwirken kann; die eng
begrenzten Abänderungsmöglichkeiten nach § 173 AO reichen nicht aus, den
Eintritt des Schadens erst für den Zeitpunkt anzunehmen, von dem an auch sie
nicht mehr bestehen (BGH, Urt. v. 20. Juni 1996 - IX ZR 100/95, WM 1996,
2066, 2067; v. 12. Februar 1998 - IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787; v.
23. September 2010 - IX ZR 26/09 z.V.b.).
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bb) In der Abgabe der Umsatzsteueranmeldung durch den Beklagten am
20. Juli 2000 kann ein Beratungsfehler nicht erkannt werden, weil Rechtspre-
chung, die Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem Ge-
meinschaftsrecht zum Ausdruck brachte, erst danach ergangen ist. Der Beklag-
te hat indessen versäumt, bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist am 31. Dezem-
ber 2004 (§§ 164 Abs. 4, § 169 Abs. 2 Satz 1 AO) eine Neufestsetzung der
Umsatzsteuer zu beantragen. Insoweit liegt ein Beratungsfehler vor, weil der
Bundesfinanzhof durch den für die amtliche Sammlung bestimmten Beschluss
vom 6. November 2002 (V R 7/02, BFHE 200, 149) vor Ablauf der Festset-
zungsfrist Bedenken gegen die Vereinbarkeit der Besteuerung mit dem Ge-
meinschaftsrecht zum Ausdruck gebracht hat. Auf diesen Beschluss hätte der
Beklagte bis zum 31. Dezember 2004 durch einen Antrag auf Neufestsetzung
reagieren müssen.
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b) Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB war bis zu der am
14. Februar 2008 an den Beklagten bewirkten Zustellung des Mahnbescheids
noch nicht abgelaufen.
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Wird ein bestimmter Tag als Endtermin genannt, endet eine Frist erst mit
dem Ablauf dieses Tages (RGZ 105, 417, 419 f). Da der Beklagte den 31. De-
zember 2004 zur Vermeidung einer Schadensersatzpflicht durch die Stellung
eines Änderungsantrags noch voll ausnutzen durfte, wurde der gegen ihn ge-
richtete Ersatzanspruch erst am 1. Januar 2005 begründet (§ 199 Abs. 1 Nr. 1
BGB). Bei dieser Sachlage kommt es nicht darauf an, wann der Kläger als zwei-
te Voraussetzung für den Verjährungsbeginn von den den Anspruch begrün-
denden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt bzw. in-
folge grober Fahrlässigkeit nicht erlangt hat (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Die drei-
jährige Frist des § 195 BGB ist, weil der Anspruch im Jahr 2005 begründet wur-
de, gemäß § 199 Abs. 1 BGB erst mit dem Schluss dieses Jahres in Lauf ge-
setzt worden (sog. "Ultimo-Verjährung", vgl. MünchKomm-BGB/Grothe, 5. Aufl.
§ 199 Rn. 41). Folglich ist die Verjährungsfrist frühestens mit Ablauf des
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31. Dezember 2008 verstrichen (juris-PK-BGB/Lakkis, 5. Aufl. § 199 Rn. 72).
Der Mahnbescheid wurde dem Beklagten jedoch bereits am 14. Februar 2008
zugestellt.
Ganter Kayser
Gehrlein
Fischer
Grupp
Vorinstanzen:
LG Gießen, Entscheidung vom 12.02.2009 - 4 O 330/08 -
OLG Frankfurt/Main, Entscheidung vom 28.09.2009 - 17 U 81/09 -