Urteil des BGH vom 05.02.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 6/06
Verkündet
am:
5. Februar 2009
Preuß
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR:
ja
BGB § 675; ZPO § 287
Zur Anwendung des Anscheinsbeweises in der Steuerberaterhaftung.
BGH, Urteil vom 5. Februar 2009 - IX ZR 6/06 - OLG Köln
LG Köln
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. Februar 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den Richter
Vill, die Richterin Lohmann und die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Dezember 2005 im Kosten-
punkt sowie insoweit aufgehoben, als zum Nachteil des Beklagten
erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den beklagten Steuerberater wegen eines Beratungs-
fehlers auf Schadensersatz in Anspruch. Der Beklagte hatte die Klägerin über
die steuerlichen Folgen des Verkaufs eines bebauten Grundstücks beraten.
Danach veräußerte die Klägerin das Grundstück zu einem Preis von 3,7 Mio.
DM. Sie erzielte einen Buchgewinn von 1.452.229,07 DM, auf den Körper-
schaftssteuer in Höhe von 502.366,74 DM (256.856,16 €) anfiel. Ihre auf Scha-
densersatz in dieser Höhe nebst Zinsen gerichtete Klage hat das Landgericht
abgewiesen. Die Berufung, mit der die Klägerin klageerweiternd die Zahlung
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von insgesamt 294.235,70 € nebst Zinsen geltend gemacht sowie die Feststel-
lung beantragt hat, dass der Beklagte verpflichtet sei, ihr den Folgeschaden zu
ersetzen, der daraus entstehe, dass der zu leistende Schadensersatzbetrag für
sie steuerpflichtig sei, hatte bis auf einen Teil der Zinsforderung Erfolg. Mit sei-
ner vom Senat zugelassenen Revision möchte der Beklagte die vollständige
Abweisung der Klage erreichen. Mit ihrer Anschlussrevision verfolgt die Klägerin
den abgewiesenen Zinsanspruch teilweise weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision des Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Ur-
teils, soweit der Beklagte verurteilt worden ist, sowie zur Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Beklagten falle eine Pflicht-
verletzung zur Last, weil er übersehen habe, dass die Steuerbegünstigung ge-
mäß § 6b EStG nur anwendbar sei, wenn das veräußerte Grundstück sechs
Jahre zum Anlagevermögen gehört habe (§ 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG). Auch
die haftungsausfüllende Kausalität sei gegeben. Veräußere der Auftraggeber
ein Grundstück, nachdem der Steuerberater die Veräußerung zum beabsichtig-
ten Zeitpunkt - fehlerhaft - als steuerlich unschädlich bezeichnet habe, griffen
zugunsten des Auftraggebers die Grundsätze des Anscheinsbeweises, wenn er
unter wirtschaftlichen oder sonstigen Gesichtspunkten nicht zu einer Veräuße-
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rung gezwungen gewesen sei und bei einer späteren Veräußerung einen der
angefallenen Steuerlast entsprechenden höheren, steuerfreien Gewinn erzielt
hätte. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Klägerin habe bewiesen, dass
keine Notwendigkeit bestanden habe, das Grundstück zu verkaufen. Aus den
vom Beklagten dargelegten Verlusten der Klägerin folge demgegenüber nicht,
dass das Grundstück auch bei zutreffender Beratung vor Ablauf der Frist des
§ 6b Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG verkauft worden wäre. Auch darauf, ob die Klä-
gerin den Entschluss, das Grundstück zu verkaufen, vor der Beratung gefasst
habe und mit dem Käufer bereits vor der Beratung "handelseinig" geworden sei,
komme es nicht an; denn der Geschäftsführer der Klägerin habe bestätigt, den
Verkauf vom Ergebnis der Beratung abhängig gemacht zu haben. Dass das
Geschäft an sich für die Klägerin vorteilhaft gewesen sei, habe schließlich e-
benfalls keine Bedeutung.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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1. Der Beklagte hat die Klägerin falsch beraten. Er hat auf entsprechende
Fragen des Geschäftsführers der Klägerin erklärt, die durch die Veräußerung
des Grundstücks aufgedeckten stillen Reserven könnten auf ein anderes
Grundstück übertragen oder in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt wer-
den. Diese Möglichkeit bestand jedoch nicht, weil die Frist des § 6b Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 EStG - wie der Beklagte hätte erkennen können - noch nicht abge-
laufen war. Dass darin eine Schlechterfüllung des zwischen den Parteien be-
stehenden Beratungsvertrages lag, zieht auch die Revision nicht in Zweifel.
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2. Rechtsfehlerhaft sind indes die Ausführungen des Berufungsgerichts
dazu, dass die Klägerin vom Abschluss des Grundstückskaufvertrages abgese-
hen hätte, wenn sie richtig beraten worden wäre.
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a) Wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung verhalten hätte,
zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu
beweisen hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH, Urt. v. 18. Mai 2006 - IX ZR 53/05,
WM 2006, 1736, 1737 Rn. 9).
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b) Auf einen Beweis des ersten Anscheins kann sich die Klägerin nicht
berufen. Ob ein Anscheinsbeweis eingreift, unterliegt der Prüfung durch das
Revisionsgericht (vgl. etwa BGH, Urt. v. 4. Oktober 1983 - VI ZR 98/82, NJW
1984, 432; v. 2. Dezember 1986 - VI ZR 252, WM 1987, 407, 408).
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aa) Im Rahmen von Verträgen mit rechtlichen oder steuerlichen Beratern
gilt die Vermutung, dass der Mandant beratungsgemäß gehandelt hätte, nur,
wenn im Hinblick auf die Interessenlage oder andere objektive Umstände eine
bestimmte Entschließung des zutreffend unterrichteten Mandanten mit Wahr-
scheinlichkeit zu erwarten gewesen wäre. Voraussetzung sind danach tatsäch-
liche Feststellungen, die im Falle sachgerechter Aufklärung durch den Berater
aus der Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte
tatsächliche Reaktion nahe gelegt hätten (BGHZ 123, 311, 314; BGH, Urt. v.
7. Februar 2008 - IX ZR 149/04, WM 2008, 946, 947 Rn. 20 mit weiteren Nach-
weisen). Die Beweiserleichterung für den Mandanten gilt also nicht generell. Sie
setzt einen Tatbestand voraus, bei dem der Ursachenzusammenhang zwischen
der Pflichtverletzung des Beraters und einem bestimmten Verhalten seines
Mandanten typischerweise gegeben ist, beruht also auf Umständen, die nach
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der Lebenserfahrung eine bestimmte tatsächliche Vermutung rechtfertigen
(BGHZ 123, 311, 314 f; BGH, Urt. v. 18. Mai 2006, aaO Rn. 11).
Dass im Mai 1999, als das Grundstück verkauft wurde, nur eine be-
stimmte Entscheidung möglich und wirtschaftlich vernünftig gewesen wäre, hat
das Berufungsgericht nicht festgestellt. Um beurteilen zu können, wie ein Man-
dant sich nach pflichtgemäßer anwaltlicher oder steuerlicher Beratung verhalten
hätte, müssen die Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten;
deren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den Hand-
lungszielen des Mandanten verglichen werden (BGH, Urt. v. 18. Mai 2006, aaO
Rn. 9 mit weiteren Nachweisen). Dies ist im vorliegenden Fall unterblieben.
Dem Berufungsurteil lässt sich nicht einmal entnehmen, welches Ziel die Kläge-
rin verfolgte. Festgestellt ist nur, dass die Klägerin das Grundstück nicht zu ver-
äußern brauchte, um ihre Liquidität aufrecht zu erhalten. Die Frage ist jedoch,
warum es überhaupt verkauft werden sollte. Bleibt diese Frage offen, lässt sich
auch die weitere Frage nach den Alternativen nicht beantworten, die sich der
Klägerin stellten.
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bb) Das Berufungsgericht hat einen anderen Erfahrungssatz herangezo-
gen. Seiner Ansicht nach spricht ein Beweis des ersten Anscheins dafür, dass
der Mandant ein Grundstück nicht verkauft hätte, wenn drei Voraussetzungen
erfüllt sind: der Steuerberater hat den Verkauf fehlerhaft als steuerlich unschäd-
lich bezeichnet; der Mandant war unter wirtschaftlichen oder sonstigen Ge-
sichtspunkten nicht zu einer Veräußerung gezwungen, und der Mandant hätte
bei einer späteren Veräußerung einen der angefallenen Steuerlast entspre-
chenden höheren steuerfreien Gewinn erzielt. Zur Begründung hat das Beru-
fungsgericht auf ein eigenes Urteil vom 21. November 2002 verwiesen (8 U
44/02, OLG Köln OLG-Report 2003, 69 ff = VersR 2003, 1137, 1139). Einen
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solchen Erfahrungssatz, der nach dem angefochtenen Urteil gerade dann ein-
greifen soll, wenn sich dem Mandanten mehr als eine wirtschaftlich vernünftige
Handlungsmöglichkeit bietet, gibt es jedoch nicht.
Ein typischer Geschehensablauf, der Voraussetzung eines Anscheins-
beweises ist, erfordert zunächst die Feststellung eines allgemeinen Erfahrungs-
satzes als einer aus allgemeinen Umständen gezogenen tatsächlichen Schluss-
folgerung, die dann auf den konkreten Sachverhalt angewendet werden kann.
Geht es um den Zusammenhang von Pflichtverletzung des Beraters und da-
durch verursachtem Schaden, muss die Entschließung des Mandanten folglich
nach allgemeiner Lebenserfahrung eine typische Folge der Pflichtverletzung
des Beraters darstellen.
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Die Entscheidung darüber, ob und wann ein Grundstück verkauft werden
soll, kann von so vielen unterschiedlichen Faktoren abhängen, dass sich jede
abstrakte Festlegung (nur) eines typischen Geschehensablaufs verbietet. Ob
und in welchem Umfang der Kaufpreis zu versteuern ist, ist nicht der einzige
entscheidungsbildende Umstand bei der Entscheidung für oder gegen einen
bestimmten Vertragsschluss, auch dann nicht, wenn kein zwingender Grund
besteht, der einen Verkauf ge- oder verbietet. So kann der bei dem avisierten
Verkauf zu erzielende Erlös über dem Verkehrswert zuzüglich der zu erwarten-
den Steuerbelastung liegen. Es kann sich um eine günstige Verkaufsgelegen-
heit für ein wenig marktgängiges Objekt handeln, von dem der Veräußerer sich
trennen möchte (wenn auch nicht muss). Die Steuerrechtslage, an der sich die
Beratung hätte orientieren müssen, kann Änderungen unterworfen sein, so
dass ein Zuwarten unter diesem Gesichtspunkt Risiken birgt. Es kann eine Viel-
zahl von Gründen in der Person des Verkäufers geben, die für oder gegen den
Abschluss des Vertrages sprechen (Aufgabe eines Geschäftszweigs, Verkleine-
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rung des Betriebs, Erwerb einer neuen, kostengünstigeren, geeigneteren oder
repräsentativeren Immobilie). Schließlich können rein persönliche Gründe
(Wohnortwechsel, Scheidung, Alter) den Verkauf einer Immobilie nahelegen.
Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens stellt eine Ausnahme zu dem
allgemeinen Grundsatz dar, dass es keinen Anscheinsbeweis für individuelle
Verhaltensweisen von Menschen in bestimmten Lebenslagen gibt (BGHZ 123,
311, 316 f; BGH, Urt. v. 18. Mai 2006, aaO S. 1738 Rn. 15). Der Senat wendet
sie mit gutem Grund nur mit Vorsicht an, nämlich nur in klar und eindeutig lie-
genden Ausgangslagen. Die Veräußerung eines Grundstücks gehört nicht da-
zu. Aus welchem Grund gerade die steuerrechtlichen Folgen der Veräußerung
von so überragender Wichtigkeit sein sollen, dass sie - von Zwangslagen abge-
sehen - jedes andere Motiv verdrängen, begründet das angefochtene Urteil
denn auch nicht. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf verwiesen, dass die
"Leitentscheidung" des Berufungsgerichts vom 21. November 2002 einen ande-
ren Fall betraf. Seinerzeit hatte das Berufungsgericht noch geprüft, ob ange-
sichts der steuerlichen Folgen der geplanten Veräußerung unter Berücksichti-
gung der sonstigen Umstände des zu entscheidenden Falles nur eine Entschei-
dung wirtschaftlich vernünftig war. Ist diese Voraussetzung jedoch erfüllt, bedarf
es des neuen Erfahrungssatzes nicht.
c) Ob die Klägerin den ihr obliegenden Beweis (§ 287 ZPO) dafür geführt
hat, dass sie nach einem Hinweis auf die Sechs-Jahres-Frist des § 6b Abs. 4
Satz 1 Nr. 2 EStG im Jahre 1999 von einer Veräußerung des Grundstücks ab-
gesehen hätte, hat das Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei geprüft. Der Tat-
richter ist im Rahmen des hier anwendbaren § 287 ZPO freier als bei Anwen-
dung des § 286 ZPO. Auch im Rahmen des § 287 ZPO, ist jedoch eine deutlich
überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit eines
Schadenseintritts zu verlangen (BGH, Urt. v. 23. Oktober 2003 - IX ZR 249/02,
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NJW 2004, 444, 445). Das Vorbringen der Parteien ist vollständig zur Kenntnis
zu nehmen und bei der Ermittlung des Beweisergebnisses zu würdigen; glei-
ches gilt für das Ergebnis einer etwa durchgeführten Beweisaufnahme.
Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Aussage des Ge-
schäftsführers der Klägerin für "plausibel und überzeugend" gehalten, es sei bei
dem Verkauf des Grundstücks nicht um Liquidität gegangen. Die mehr als nahe
liegende Frage, warum das Grundstück eigentlich verkauft werden sollte, hat es
jedoch nicht gestellt. Die Aussage des Geschäftsführers der Klägerin ging da-
hin, er habe den Inhaber eines von ihm besuchten italienischen Lokals gebeten,
Personen, die sich für den Kauf eines Hauses interessierten, an ihn zu verwei-
sen. Die Initiative für den Verkauf wäre danach von der Klägerin ausgegangen.
Dafür muss es einen Grund gegeben haben. Die vom Geschäftsführer der Klä-
gerin angegebenen Rahmenbedingungen des Verkaufs im Jahre 1999 lassen
eher den Schluss darauf zu, dass der Verkauf zu einem für die Klägerin und
ihren Geschäftsführer ungünstigen Zeitpunkt erfolgte. Das Haus, in welches der
Geschäftsführer der Klägerin umziehen wollte, war noch nicht fertig; die Fertig-
stellung war nicht einmal absehbar. Der Geschäftsführer der Klägerin musste in
eine Mietwohnung umziehen, für die Umzugskosten aufkommen und mehrere
Jahre lang Mietkosten von monatlich 6.000 DM zahlen. Dass er diese Nachteile
auf sich nahm, statt die Fertigstellung des neuen Hauses abzuwarten, muss
ebenfalls einen Grund gehabt haben.
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Wenn es nicht um die Behebung von Liquiditätsschwierigkeiten ging,
könnte die Klägerin den erzielten Kaufpreis, wie der Beklagte behauptet, für
besonders günstig gehalten haben. Das Berufungsgericht hat diesen - nahe-
liegenden - Einwand des Beklagten mit der Begründung abgetan, nach dem
eingeholten Wertgutachten könne nicht ausgeschlossen werden, dass im Jahre
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2002, also nach Ablauf der Sechs-Jahres-Frist, ebenfalls ein Kaufpreis von
3,7 Mio. DM zu erzielen gewesen wäre. Darum geht es jedoch nicht. Es kommt
auf die verobjektivierte Sicht der für die Klägerin handelnden natürlichen Perso-
nen im Zeitpunkt der Verkaufsentscheidung an. Der Kaufpreis von 3,7 Mio. DM
stand fest. Die zu erwartende Steuerlast wäre abzusetzen gewesen. Auf der
anderen Seite standen der nach Ablauf der Frist des § 6b Abs. 4 EStG erzielba-
re Kaufpreis sowie die Meidung der mit einem sofortigen Verkauf verbundenen
sonstigen Nachteile. Da das Berufungsgericht nur "nicht ausschließen" konnte,
dass in unbestimmter Zukunft ein ähnlich guter Kaufpreis zu erzielen gewesen
wäre, hat es hier nicht die für § 287 ZPO erforderliche überwiegende Wahr-
scheinlichkeit gesehen, sondern nur eine ungewisse Aussicht. Eine Abwägung
aller Umstände hat es jedoch nicht vorgenommen.
Schließlich vermögen auch die Angaben des Geschäftsführers der Klä-
gerin dazu, wie es zum Verkauf gekommen sei, jedenfalls dann nicht zu über-
zeugen, wenn man sie mit den Annahmen des Berufungsgerichts zusammen-
führt. Nach der Aussage des Geschäftsführers der Klägerin hat es drei Interes-
senten gegeben. Die Einigung hat "bei drei Flaschen Wein auf Mallorca" statt-
gefunden. Das Berufungsgericht hat Einzelheiten des Ablaufs der Vertragsver-
handlungen für unerheblich gehalten. Es hat seiner Entscheidung die "unstreiti-
ge Beratung im Mai 1999" zugrunde gelegt, die nach dem folglich revisions-
rechtlich zugrunde zu legenden Vortrag des Beklagten am 11. Mai 1999, einem
Dienstag, stattfand. Am 13. Mai 1999 war Feiertag (Himmelfahrt); der Kaufver-
trag ist bereits am 19. Mai 1999 notariell beurkundet worden. Dass die Ver-
kaufsverhandlungen mit allen drei Interessenten sowie die beschriebene Eini-
gung "bei drei Flaschen Wein auf Mallorca" innerhalb von nur vier Werktagen
stattgefunden haben, ist reichlich unwahrscheinlich. Der Geschäftsführer der
Klägerin hat - nachdem er bei seiner ersten Anhörung erklärt hatte, erst nach
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der Vermittlung der Interessenten mit dem Beklagten gesprochen zu haben -
allerdings behauptet, die Verkaufsgespräche erst geführt zu haben, nachdem er
drei Monate zuvor eine Auskunft des Beklagten zu den steuerlichen Folgen der
Veräußerung eingeholt habe. Mit dem unter Beweis gestellten, aber doch recht
vagen Vortrag der Klägerin zu früheren Beratungsgesprächen hat das Beru-
fungsgericht sich jedoch ebenfalls nicht befasst. Die Frage, warum das Grund-
stück verkauft werden sollte, wenn es der Klägerin weder um Liquidität noch um
die Ausnutzung einer günstigen Verkaufsgelegenheit ging, stellt sich auch hier.
III.
Das angefochtene Urteil hat damit keinen Bestand. Es ist aufzuheben
(§ 562 Abs. 1 ZPO); die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Für die erneute tatrichterliche Verhandlung der Sa-
che weist der Senat auf folgendes hin:
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1. Das Berufungsgericht wird in Anwendung des § 287 ZPO erneut zu
prüfen haben, ob die Klägerin sich bei zutreffender Beratung durch den Beklag-
ten entschieden hätte, das Grundstück erst nach Ablauf der Sechs-Jahres-Frist
zu veräußern und wie sich gegebenenfalls ihre Vermögenslage in diesem Fall
dargestellt hätte.
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2. Falls das Berufungsgericht dem Grunde nach erneut einen Schadens-
ersatzanspruch der Klägerin bejahen sollte, wird es zu berücksichtigen haben,
dass die Klägerin die angefallenen Steuern tatsächlich nicht gezahlt, sondern
mit einem Verlustvortrag verrechnet hat. Der Verbrauch des Verlustvortrages
hat nicht zu einem gegenwärtigen Schaden der Klägerin geführt. Der Verlust-
vortrag kann nur in der Weise eingesetzt werden, wie hier geschehen, nämlich
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zur Verminderung der positiven Einkünfte, so dass er insoweit bestimmungs-
gemäß verbraucht worden ist. Er ist nach einhelliger Auffassung nicht übertrag-
bar (BFH GrS DB 2008, 675, 677; Blümich/Schlenker, EStG, KStG, GewStG
§ 10d EStG Rn. 51; Bordewin/Brandt/Schmieszek, EStG § 10c Rn. 66) und
nicht vererbbar (BFH aaO S. 679 unter Aufgabe der bisherigen Rechtspre-
chung). Der Schaden kann daher nicht in der Weise bemessen werden, dass
die Steuerbelastung zugrunde gelegt wird, die sich ohne den Einsatz des Ver-
lustvortrags ergeben hätte. Ein Schaden ist vielmehr erst dann entstanden,
wenn sich der Verbrauch des Verlustvortrags zum Zeitpunkt der letzten mündli-
chen Verhandlung in der Tatsacheninstanz konkret ausgewirkt hat oder die
Auswirkungen zumindest absehbar sind. Künftige Entwicklungen sind nur dann
zu berücksichtigen, wenn sie aufgrund der vorgetragenen Tatsachen mit einer
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für die Anwendung von § 287 ZPO ausreichenden Wahrscheinlichkeit beurteilt
werden können (BGH, Urt. v. 23. Oktober 2003 aaO S. 476 f).
Ganter Vill
Lohmann
Fischer
Pape
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 13.11.2001 - 2 O 672/00 -
OLG Köln, Entscheidung vom 22.12.2005 - 8 U 30/02 -