Urteil des BGH vom 22.05.2013

BGH: widerruf, kontrolle vor ort, präsidium, gefährdung, anstellungsvertrag, übertragung, gesellschaft, ausschluss, vermögensverfall, steuerberater

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (Brfg) 73/12
vom
22. Mai 2013
in der verwaltungsrechtlichen Anwaltssache
wegen Widerrufs der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf, die Richterin Roggenbuck, den
Richter Seiters sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Quaas und Dr. Braeuer
am 22. Mai 2013
beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das
seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 20. Novem-
ber 2012 zugestellte Urteil des 2. Senats des Niedersächsischen
Anwaltsgerichtshofs wird abgelehnt.
Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 50.000
€ fest-
gesetzt.
Gründe:
I.
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Rechtsanwaltszulas-
sung wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO). Der Anwaltsge-
richtshof hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klä-
gers auf Zulassung der Berufung.
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II.
Der zulässige Antrag, mit dem der Kläger das Bestehen ernstlicher Zwei-
fel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend macht (§ 112e Satz 2
BRAO, § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), hat keinen Erfolg.
1. Entgegen der Meinung des Klägers bestehen keine ernstlichen Zweifel
an der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs, dass eine Gefährdung der Interes-
sen der Rechtsuchenden durch den zutreffend festgestellten Vermögensverfall
nicht ausgeschlossen ist.
a) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck kommenden Wer-
tung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts
grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden.
Der pauschale Einwand des Klägers, dass Beweise für eine verstärkte Krimina-
lität von Rechtsanwälten mit Vermögensverfall nicht erbracht werden könnten
und diese in der Regel alles daran setzen würden, ihre Zulassung nicht noch
zusätzlich durch kriminelle Handlungen zu gefährden, ist ungeeignet, diese ge-
setzgeberische Wertung ernsthaft in Frage zu stellen; im Übrigen kann eine
Gefährdung völlig unabhängig von einem kriminellen Verhalten des Betroffenen
eintreten. Auch wenn die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO
nicht im Sinne eines Automatismus zu verstehen ist, die Gefährdung daher
nicht zwangsläufig und ausnahmslos schon aus dem Vorliegen eines Vermö-
gensverfalls folgt, wird diese im nach der gesetzlichen Wertung vorrangigen
Interesse der Rechtsuchenden nur in seltenen Ausnahmefällen verneint werden
können (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. nur Beschlüsse vom 22. Juni
2011 - AnwZ (Brfg) 12/11, juris Rn. 3; vom 11. Juni 2012 - AnwZ (Brfg) 20/12,
juris Rn. 4 und vom 21. Februar 2013 - AnwZ (Brfg) 68/12, juris Rn. 10). Hierfür
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trägt der Rechtsanwalt die Feststellungslast (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom
8. Februar 2010 - AnwZ (B) 67/08, BRAK-Mitt. 2010, 129 Rn. 11; vom 11. Juni
2012, aaO und vom 5. September 2012 - AnwZ (Brfg) 26/12, NJW-RR 2013,
175 Rn. 5).
b) Zwar kann eine solche Sondersituation vorliegen, wenn der Rechts-
anwalt seinen Beruf bisher ohne jede Beanstandung ausgeübt und den Insol-
venzantrag selbst gestellt hat, im Insolvenzverfahren keine Anmeldungen von
Gläubigern vorliegen, die aus Mandaten des Rechtsanwalts stammen und vor
allem dieser seine selbständige anwaltliche Tätigkeit vollständig und nachhaltig
aufgibt, diese nur noch für eine Rechtsanwaltssozietät ausübt und mit dieser
rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet hat, die eine Gefährdung der
Mandanten effektiv verhindern (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober
2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; vom 22. Juni 2011, aaO und vom
24. Oktober 2012 - AnwZ (Brfg) 43/12, juris Rn. 9). Was diese Maßnahmen an-
belangt, hat der Senat besonderen Wert auf die Überprüfung der Einhaltung der
Beschränkungen durch die Sozietätsmitglieder gelegt (vgl. nur Beschluss vom
22. Juni 2011, aaO Rn. 3); die Kontrolle des angestellten Anwalts kann nicht
durch andere Angestellte der Kanzlei übernommen werden (vgl. nur Beschluss
vom 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, BRAK-Mitt. 2006, 81, 82). Wesentlich
ist, dass - auch in Vertretungsfällen (Urlaub, Krankheit, sonstige Abwesenheit) -
effektive Kontrollmöglichkeiten bestehen; es bedarf immer einer ausreichend
engen tatsächlichen Überwachung, die gewährleistet, dass der Rechtsanwalt
nicht bzw. nicht unkontrolliert mit Mandantengeldern in Berührung kommt. Die
Einhaltung vertraglich vereinbarter Sicherungsmaßnahmen ist dabei nach der
ständigen Senatsrechtsprechung nur in einer Sozietät, nicht aber in einer Ein-
zelkanzlei sichergestellt (vgl. nur Beschlüsse vom 5. Dezember 2005, aaO; vom
8. Februar 2010, aaO Rn. 12 und vom 24. Oktober 2012, aaO Rn. 9 m.w.N.).
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Darüber hinaus hat der Senat auch betont, dass besonderes Augenmerk der
Frage gelten müsse, ob die arbeitsvertraglichen Beschränkungen vom ange-
stellten Rechtsanwalt und seinen Arbeitgebern eingehalten würden, und hieraus
abgeleitet, dass es nicht ausreiche, wenn ein solcher Vertrag vorgelegt werde;
vielmehr müsse der Vertrag schon über einen längeren Zeitraum beanstan-
dungsfrei "gelebt" worden sein (vgl. nur Senatsbeschlüsse vom 8. Februar
2010, aaO Rn. 12; vom 6. September 2011 - AnwZ (Brfg) 5/11, juris Rn. 5 und
vom 4. April 2012 - AnwZ (Brfg) 62/11, juris Rn. 7).
c) Diese Voraussetzungen waren zu dem nach der Senatsrechtspre-
chung maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des behördlichen Widerrufs-
verfahrens (vgl. nur Beschlüsse vom 29. Juni 2011 - AnwZ (Brfg) 11/10, BGHZ
190, 187 Rn. 9 ff.; vom 24. Oktober 2012 - AnwZ (Brfg) 47/12, juris Rn. 6 und
vom 4. Februar 2013 - AnwZ (Brfg) 31/12, juris Rn. 7) - hier Widerrufsbescheid
der Beklagten vom 21. September 2011 - nicht gegeben; sie liegen im Übrigen
bis heute nicht vor.
aa) Zwar hatte der Kläger gegenüber der Beklagten mit Schriftsatz vom
29. März 2011 angekündigt, dass er zum 1. April 2011 Insolvenzantrag stellen
und seine bisherige Partnerschaft mit seinem Sohn beenden werde; ab diesem
Datum bestehe die Möglichkeit, dass ihn eine größere Partnerschaft einstelle,
wobei der Vertrag, den er umgehend nachreichen werde, sämtlichen Anforde-
rungen der Senatsrechtsprechung genüge. Eine entsprechende Angestelltentä-
tigkeit für eine Sozietät hat der Kläger dann aber nicht aufgenommen. Soweit er
später mit Schriftsatz vom 19. Juli 2011 einen Vertrag vom 11. Juli 2011 mit der
neu gegründeten, aber noch nicht im Partnerschaftsregister eingetragenen und
von der Steuerberaterkammer Niedersachsen auch noch nicht anerkannten
"B.
Steuerberatungsgesellschaft
Partnerschaft
B.
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Steuerberater und Rechtsanwalt" vorgelegt hat - nach Ziffer 24 sollte der Ver-
trag mit dem Kläger beginnen, sobald die Partnerschaft im Partnerschaftsregis-
ter eingetragen ist - und vorgetragen hat, er werde ab der Eintragung seine Tä-
tigkeit als Einzelanwalt vollständig und nachhaltig aufgeben, ist es bis zum Be-
scheid der Beklagten vom 21. September 2011 nicht zu einer solchen Eintra-
gung gekommen. Die B. Steuerberatungsgesellschaft ist vielmehr erst am
19. Oktober 2011 in das Partnerschaftsregister eingetragen worden. Am
10. November 2011 erfolgte die Anerkennung durch die Steuerberaterkammer
N. , sodass die Gesellschaft erst ab diesem Zeitpunkt ihre Ge-
schäftstätigkeit hätte aufnehmen können (§ 4 Abs. 4 des Partnerschaftsver-
trags).
Im Übrigen war in den Partnerschaftsverträgen vom 20./23. Juni sowie
8./9. August 2011 (wie im Anstellungsvertrag vom 11. Juli 2011) als Sitz der
B. Steuerberatungsgesellschaft G. - mit Niederlassungen in Ha. , H.
und I. - angegeben, wobei der Kläger nach seinem Anstel-
lungsvertrag weiter in H. in seinen bisherigen Kanzleiräumen in der
T. straße arbeiten sollte. Bei Ortsverschiedenheit ist aber regelmäßig
eine effektive Kontrolle durch die Sozietät nicht möglich (vgl. Senatsbeschlüsse
vom 22. Juni 2011, aaO Rn. 4 und vom 5. September 2012, aaO Rn. 6). Zwar
war in H. in der T. straße der Sohn des Klägers (Mitglied der
Partnerschaft) tätig. Abgesehen davon, dass Zweifel an dessen Eignung als
Kontrollperson bestehen - der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführun-
gen des Anwaltsgerichtshofs -, hätte zum Ausschluss einer Gefährdung der
Interessen der Rechtsuchenden sichergestellt werden müssen, dass auch in
Vertretungsfällen (Urlaub, Krankheit, sonstige Abwesenheit) effektive Kontroll-
möglichkeiten durch die Sozietät bestehen. Insoweit ist jedoch weder vom Klä-
ger hinreichend dargelegt worden noch anderweitig ersichtlich, dass und wie
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durch die anderen Partner eine ausreichende Überwachung in H. ge-
währleistet worden wäre, wobei dahinstehen kann, ob Kontrollen eines insol-
venten Rechtsanwalts durch fachfremde Steuerberater in diesem Zusammen-
hang überhaupt genügen können. Dass in Ziffer 9b des Arbeitsvertrags des
Klägers bestimmt war, dass - zudem nur für die Urlaubszeit und eine längere
Abwesenheit seines Sohnes - für diesen als "Vertreter" ein sozietätsfremder
Rechtsanwalt bestellt werden sollte, reicht jedenfalls nicht aus. Soweit der Klä-
ger mit Schriftsätzen vom 1. und 12. September 2011 gegenüber der Beklagten
angekündigt hat, der zukünftige Hauptsitz der Partnerschaft werde nunmehr in
H. in der T. straße sein, hat er weder einen entsprechend ge-
änderten Vertrag vor- noch in diesem Zusammenhang ausreichend dargelegt,
dass durch diese beabsichtigte Änderung eine effektive Kontrolle vor Ort durch
die Sozietätsmitglieder gewährleistet ist. Hinzu kommt, dass zum maßgeblichen
Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Anstel-
lungsvertrag weder in Kraft gesetzt noch gar "gelebt" worden ist.
bb) Soweit der Kläger in seiner Zulassungsbegründung darauf verweist,
dass er im Rahmen seiner Tätigkeit in den Kanzleiräumen in H. mit sei-
nem Sohn mündlich Sicherungsmaßnahmen vereinbart habe sowie auf einer
Personalversammlung vom 4. April 2011 den Mitarbeitern entsprechende An-
weisungen erteilt und diese in der Folgezeit "gelebt" worden seien, übersieht er,
dass nach der ständigen Senatsrechtsprechung (s.o.) nur eine Tätigkeit für eine
Sozietät ausreichende Gewähr für einen Ausschluss der Gefährdung bieten
kann. Deshalb kommt es auf die in diesem Zusammenhang erhobenen Rügen
gegen das - im Übrigen nach Auffassung des Senats sachgerechte - Postulat
des Anwaltsgerichtshofs, wonach die Sicherungsmaßnahmen grundsätzlich
schriftlich festzuhalten sind, nicht an. Im Übrigen bestand in der Zeit ab Frühjahr
2011 bezüglich des Kanzleiorts in H. , wie der Anwaltsgerichtshof, auf
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dessen Feststellungen Bezug genommen wird, ausgeführt hat, nach außen ei-
ne Scheinsozietät zwischen dem Kläger und seinem Sohn, intern - da der Klä-
ger erklärtermaßen nicht bei seinem Sohn angestellt war und es auch kein ein-
deutig vereinbartes freies Mitarbeiterverhältnis gab - eine "nicht näher zu fas-
sende Rechtsbeziehung". Ein insolventer Anwalt darf aber nach außen nicht
den Eindruck einer Scheinsozietät erwecken, wenn er den Nachweis des Aus-
schlusses der Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden führen will.
cc) Letztlich liegen bis heute die Voraussetzungen für einen Ausschluss
der Gefährdung nicht vor. Der Kläger hat - wie der Anwaltsgerichtshof festge-
stellt hat - seine Anstellung bei der B. Steuerberatungsgesellschaft nicht wei-
ter verfolgt. Hintergrund dürfte gewesen sein, dass sein Sohn aus der Gesell-
schaft ausgeschieden ist. Dieser hat stattdessen mit den Steuerberatern und
vormaligen Partnern in der B. Steuerberatungsgesellschaft B.
eine neue, keine Steuerberatungsgesellschaft bildende Partnerschaft
("B. S. & Partner Rechtsanwalt, Steuerberater") gegründet, mit der der
Kläger unter dem 28. Dezember 2011 einen Anstellungsvertrag, der inhaltlich
der früheren Vereinbarung vom 11. Juli 2011 entspricht, abgeschlossen und für
die er nach seiner Darstellung ab Eintragung der neuen Partnerschaft am
4. Juni 2012 gearbeitet hat. Der Hinweis des Klägers, dass nunmehr neben sei-
nem Sohn zusätzliche potentiell aufsichtsführende Personen - die beiden Part-
ner der neuen Gesellschaft - hinzugetreten seien, ist schon deshalb nicht er-
heblich, weil der Kläger in diesem Zusammenhang nicht näher darlegt, dass
und wie vor Ort in der T. straße in H. in Fällen der Abwesenheit
seines Sohnes eine effektive Kontrolle durch die anderen Partner gewährleistet
ist. Dass die Partner unter dieser Anschrift in H. arbeiten, ist nicht er-
sichtlich; auf den vom Kläger im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof mit
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Schriftsatz vom 20. August 2012 vorgelegten Fotos der Praxisschilder der B.
S. & Partner sind lediglich der Kläger und sein Sohn aufgeführt.
dd) Dass die Beklagte davon abgesehen hat, den Sofortvollzug der Wi-
derrufsverfügung anzuordnen, und nach Meinung des Klägers dafür die Vo-
raussetzungen auch gefehlt haben, ist ohne Bedeutung. Daraus lässt sich we-
der ableiten, dass tatsächlich eine Gefährdung ausgeschlossen oder der Wider-
ruf unverhältnismäßig ist. Der mit der Zulassungsbegründung betonte Umstand,
dass der Kläger aus Altersgründen weder in der Lage noch willens sei, in grö-
ßerem Umfang beruflich tätig zu werden, es ihm nur darum gehe, eine Neben-
tätigkeit in der Kanzlei seines Sohnes auszuüben, stellt den Zulassungswiderruf
ebenfalls nicht in Frage.
2. Ernstliche Zweifel bestehen auch nicht, soweit der Anwaltsgerichtshof
die formellen - auf das dem angefochtenen Bescheid vorangegangene interne
Beschlussverfahren der Beklagten gestützte - Einwendungen des Klägers ge-
gen die Rechtmäßigkeit des Widerrufs zurückgewiesen hat.
a) Durch die Geschäftsordnung (GO) des Vorstands der Beklagten wer-
den dem Präsidium gemäß § 79 Abs. 1 BRAO verschiedenen Aufgaben, so u.a.
die Entscheidungen "in Personalangelegenheiten der Kammermitglieder" (§ 9
Nr. 1 GO) übertragen, soweit diese nicht dem Präsidenten gemäß § 10 GO ob-
liegen. Nach § 10 GO sind dem Präsidenten gemäß § 80 Abs. 4 BRAO "dieje-
nigen Personalangelegenheiten der Kammermitglieder, bei denen eine Anwen-
dung gesetzlicher Versagungsgründe nicht in Betracht kommt", übertragen
worden.
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b) Die Annahme des Klägers, er sei nicht "Personal der Beklagten" ge-
wesen, so dass der Vorstand (§ 33 Abs. 1, § 73 Abs. 1 Satz 2 BRAO) über den
Widerruf hätte entscheiden müssen, ist unzutreffend. Es geht um die Personal-
angelegenheiten der Kammermitglieder, zu denen der Kläger gehört. Dass zu
diesen Personalangelegenheiten auch die Entscheidung über den Widerruf der
Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu zählen ist, liegt auf der Hand. Die
Auffassung des Klägers, aus Art. 12 Abs. 1 GG sei abzuleiten, dass die Über-
tragung der Zuständigkeit für den Widerruf nur ausdrücklich und nicht unter
dem Oberbegriff "Personalangelegenheiten der Kammermitglieder" erfolgen
dürfe, vermag der Senat ebenso wenig nachzuvollziehen wie seine Rüge, der
Umstand, dass hier das Präsidium der Beklagten - und nicht der Vorstand - den
Widerruf beschlossen habe, verstoße gegen Art. 12 Abs. 1 GG und das Demo-
kratieprinzip. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Übertragung von Befug-
nissen vom Vorstand auf das Präsidium nicht beschränkt (§ 79 Abs. 1 BRAO).
Die Übertragung von Befugnissen auf das Präsidium dient - nicht anders als die
Übertragung von Befugnissen auf einzelne Abteilungen des Vorstands nach
§ 77 Abs. 1 BRAO - der Erleichterung der Führung der Vorstandsgeschäfte und
damit letztlich deren schnellerer Erledigung (vgl. auch BT-Drucks. 3/120 S. 88 f.
zu §§ 90, 92 BRAO-E). Weshalb für den Widerruf einer Anwaltszulassung nach
§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO von Verfassungs wegen nur der gesamte - bei der Be-
klagten aus 25 Mitgliedern bestehende - Vorstand und nicht das sich aus ge-
wählten Vorstandsmitgliedern zusammengesetzte Präsidium (§ 78 Abs. 1
BRAO) zuständig sein darf, erschließt sich dem Senat nicht.
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c) Auch der weitere Einwand des Klägers, entgegen der Auffassung der
Beklagten sei letztlich nicht das Präsidium, sondern nur der Präsident für den
Widerruf zuständig gewesen, ist im Ergebnis nicht geeignet, ernsthafte Zweifel
an der Entscheidung des Anwaltsgerichtshofs zu begründen. Zwar ist - wie der
Anwaltsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat - die Regelung über die Abgren-
zung der Zuständigkeiten zwischen Präsidium und Präsident nicht ganz eindeu-
tig und könnte die Formulierung "Versagungsgründe" in § 10 GO dafür spre-
chen, dass nur Zulassungs-, nicht aber Widerrufsfälle gemeint sind. Der An-
waltsgerichtshof, auf dessen diesbezügliche Feststellungen die Zulassungsbe-
gründung nicht eingeht, hat insoweit darauf hingewiesen, dass es langjähriger
Praxis der Beklagten entspreche, dass Widerrufsvorgänge vom Präsidium be-
handelt werden und sämtliche Organe der Beklagten - Präsidium, Präsident und
auch Vorstand - die Regelungen der Geschäftsordnung in diesem Sinn ver-
stünden. Abgesehen davon hat die Beklagte, worauf der Anwaltsgerichtshof
zutreffend hingewiesen hat, mit Schriftsatz vom 12. September 2012 vorgetra-
gen, dass die Entscheidung im Präsidium einstimmig getroffen worden ist.
Demnach hat der Präsident, der im Übrigen sowohl den Widerrufsbescheid wie
den vorerwähnten Schriftsatz unterzeichnet hat, für den Widerruf gestimmt.
Dem tritt der Kläger in seiner Zulassungsbegründung konkret nicht entgegen. Er
behauptet auch nicht, der Präsident habe sich gegen den Widerruf der Zulas-
sung ausgesprochen und sei bei der Beschlussfassung im Präsidium über-
stimmt worden. Mithin ist im Rahmen der internen Willensbildung der Beklagten
der angefochtene Widerruf sowohl vom Willen des Präsidiums wie des Präsi-
denten getragen.
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d) Der Kläger rügt mit näheren Ausführungen zuletzt eine nicht den An-
forderungen des § 72 Abs. 3 BRAO genügende und deshalb fehlerhafte Proto-
kollführung. Dieser Einwand ist ungeeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit
des angefochtenen Urteils zu begründen. § 72 Abs. 3 BRAO betrifft Beschlüsse
des Vorstands, nicht des Präsidiums. Grundsätzlich müssen Einzelheiten der
Beschlussfassung über den Widerruf dem betroffenen Anwalt auch nicht mitge-
teilt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Oktober 2012 - AnwZ (Brfg) 45/12,
NJW-RR 2013, 303 Rn. 9). Die Gültigkeit von Präsidiumsbeschlüssen hängt
auch nicht von der Vollständigkeit eines etwaigen Protokolls ab.
Soweit der Kläger bestreitet, dass eine ordnungsgemäße Sitzung des
Präsidiums stattgefunden hat, ist nicht ersichtlich, dass die Abwesenheit eines
Mitglieds des fünfköpfigen Präsidiums der Beklagten, auf die der Kläger in die-
sem Zusammenhang hinweist, dieses beschlussunfähig gemacht haben könn-
te.
Im Übrigen handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Widerruf um
keine Ermessensentscheidung der Beklagten. Da die Voraussetzungen des
§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO vorlagen, musste die Beklagte die Zulassung des Klä-
gers widerrufen. Etwaige Verfahrens- oder Formfehler sind aber im Rahmen der
§ 32 Abs. 1 Satz 1 BRAO, § 46 VwVfG regelmäßig unbeachtlich, wenn offen-
sichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beein-
flusst hat.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO i.V.m.
§ 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 194 Abs. 2 Satz 1 BRAO.
Tolksdorf
Roggenbuck
Seiters
Quaas
Braeuer
Vorinstanz:
AGH Celle, Entscheidung vom 20.11.2012 - AGH 34/11 -
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