Urteil des BGH vom 12.11.2009

Auswärtiger Rechtsanwalt VIII Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
I ZB 101/08
vom
12. November 2009
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Auswärtiger Rechtsanwalt VIII
ZPO § 91 Abs. 2
Die für die Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts
erforderlichen besonderen Umstände setzen, wenn sie nicht aus der Natur des
Streitfalls folgen, jedenfalls voraus, dass die außergerichtliche Bearbeitung der
Sache aufgrund einer allgemeinen Maßnahme der Betriebsorganisation und
nicht nur im Einzelfall für die Partei an dem Ort erfolgt, an dem der auswärtige
Rechtsanwalt seine Kanzlei hat.
BGH, Beschluss vom 12. November 2009 - I ZB 101/08 - OLG Frankfurt in Darmstadt
LG
Darmstadt
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm und die Richter Prof.
Dr. Büscher, Dr. Schaffert, Dr. Kirchhoff und Dr. Koch
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats in
Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 10. No-
vember 2008 wird auf Kosten der Verfügungsbeklagten zurückge-
wiesen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 307,38 €
festgesetzt.
Gründe:
I. Der Verfügungskläger, ein Rechtsanwalt, hat gegen die Verfügungsbe-
klagten, eine in B. geschäftsansässige Gesellschaft bürgerlichen Rechts
und deren Gesellschafter, vor dem Landgericht Darmstadt den Erlass einer
einstweiligen Verfügung wegen wettbewerbswidriger Verbreitung rechtlicher
Informationen beantragt. Die Verfügungsbeklagten ließen sich in diesem Ver-
fahren von Rechtsanwalt S. aus München vertreten, der auch die mündliche
Verhandlung vor dem Landgericht Darmstadt wahrnahm. Das Landgericht wies
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück und gab dem Ver-
fügungskläger die Kosten des Verfahrens auf. Im Kostenfestsetzungsverfahren
haben die Verfügungsbeklagten unter anderem Reisekosten ihres Verfahrens-
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bevollmächtigten von München nach Darmstadt sowie ein Abwesenheitsgeld
von mehr als acht Stunden in Höhe von 60 € zur Kostenausgleichung angemel-
det. Sie haben dazu ausgeführt, zwischen ihnen und ihrem Verfahrensbevoll-
mächtigten bestehe ein besonderes Vertrauensverhältnis, weil er seit bald fünf
Jahren ihr anwaltlicher Berater sei und sämtliche technischen und juristischen
Hintergründe sowie die Personalstruktur der beklagten Gesellschaft kenne. Ins-
besondere halte er Kontakt zu deren Inkassoanwalt und wichtigen Mitarbeitern.
Das Landgericht hat lediglich Reisekosten auf der Grundlage der Entfer-
nung zwischen B. und Darmstadt anerkannt und das Abwesenheitsgeld
auf 20 € festgesetzt.
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Die von den Verfügungsbeklagten hiergegen erhobene, auf Berücksichti-
gung des Unterschiedsbetrags gerichtete sofortige Beschwerde ist erfolglos
geblieben.
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Mit ihrer zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgen die Verfügungsbe-
klagten ihr in den Vorinstanzen erfolgloses Kostenfestsetzungsbegehren weiter.
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Der Verfügungskläger hat sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht ge-
äußert.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist aufgrund ihrer Zulassung statthaft (§ 574
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig. In der Sache hat sie
keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet:
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Die Einschaltung eines auswärtigen Rechtsanwalts sei zwar als zweck-
entsprechende Rechtsverteidigung dann gerechtfertigt, wenn die unterneh-
mensinterne Bearbeitung an dem Ort stattfinde, an dem der beauftragte
Rechtsanwalt ansässig sei. Dies gelte auch dann, wenn das Unternehmen an
diesem Ort weder seinen Hauptsitz noch eine Zweigniederlassung unterhalte.
Die unternehmensinterne Bearbeitung am auswärtigen Ort könne auch durch
einen Rechtsanwalt erfolgen. Die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Rechts-
verfolgung bei Beauftragung eines Rechtsanwalts, der weder am Sitz der Partei
noch am Sitz des Prozessgerichts ansässig sei, könne aber nur ausnahmswei-
se dann bejaht werden, wenn die Partei dem Anwalt als "ausgelagertem Haus-
anwalt" alle ihre Verfahren zur weiteren selbständigen Bearbeitung ohne weite-
re Instruktionen überlasse. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn ein Un-
ternehmen nebeneinander einen Inkassoanwalt zum außergerichtlichen Forde-
rungseinzug und einen anderen Rechtsanwalt zur gerichtlichen Vertretung in
sonstigen streitigen Fällen beauftrage.
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2. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat
die Reisekosten des Verfahrensbevollmächtigten der Verfügungsbeklagten von
München nach Darmstadt und ein entsprechend berechnetes Abwesenheits-
geld im Ergebnis mit Recht als nicht erstattungsfähig erachtet.
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a) Das Beschwerdegericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass für
eine Partei, die an ihrem eigenen Gerichtsstand verklagt wird, die Beauftragung
eines auswärtigen Rechtsanwalts grundsätzlich nur dann als zur zweckentspre-
chenden Rechtsverteidigung notwendig angesehen werden kann, wenn beson-
dere Umstände die Einschaltung des auswärtigen Rechtsanwalts geboten er-
scheinen lassen (BGH, Beschl. v. 12.12.2002 - I ZB 29/02 = NJW 2003, 901,
902 f. = WRP 2003, 391 - Auswärtiger Rechtsanwalt I; Beschl. v. 22.2.2007
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- VII ZB 93/06, NJW-RR 2007, 1071 Tz.
10; Beschl. v. 20.5.2008
- VIII ZB 92/07, NJW-RR 2009, 283 Tz. 6 = WRP 2008, 1120).
Solche besonderen Umstände können insbesondere dann vorliegen,
wenn die dem Rechtsstreit vorangegangene unternehmensinterne Bearbeitung
der Sache an einem Ort stattgefunden hat, an dem das Unternehmen weder
seinen Hauptsitz noch eine Zweigniederlassung unterhält (BGH, Beschl. v.
23.1.2007 - I ZB 42/06, GRUR 2007, 726 Tz. 14 = WRP 2007, 957 - Auswärti-
ger Rechtsanwalt VI; BGH NJW-RR 2009, 283 Tz. 7). In diesem Fall sind die
Reisekosten, die dem Unternehmen durch die Beauftragung eines am Ort der
Bearbeitung ansässigen Rechtsanwalts entstanden sind, nach denselben
Grundsätzen zu erstatten wie sonst im Falle der Beauftragung eines am Sitz
des Unternehmens ansässigen Rechtsanwalts. Denn für die Kostenerstattung
kommt es auf die tatsächliche Organisation eines an einem Rechtsstreit betei-
ligten Unternehmens an und nicht darauf, welche Unternehmensorganisation
unter Erstattungsgesichtspunkten zweckmäßiger oder günstiger gewesen wäre
(BGH GRUR 2007, 726 Tz. 14 - Auswärtiger Rechtsanwalt VI).
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Im Hinblick auf die gewählte Betriebsorganisation hat es der Bundesge-
richtshof für die Erstattung der Kosten des auswärtigen Rechtsanwalts auch
ausreichen lassen, wenn ein Versicherer bei streitig werdenden Leistungsab-
lehnungen die Sache nicht mehr im eigenen Unternehmen weiterbearbeitet,
sondern sie zur selbständigen Bearbeitung an einen externen Rechtsanwalt
übergibt, der bei Fehlschlagen einer außergerichtlichen Klärung auch die Pro-
zessführung übernimmt (BGH, Beschl. v. 28.6.2006 - IV ZB 44/05, NJW 2006,
3008 Tz. 9 ff.). Dagegen ist es für sich allein noch nicht als ausreichender
Grund zur Beauftragung eines auswärtigen Prozessbevollmächtigten angese-
hen worden, wenn eine am Sitz des Prozessgerichts oder in dessen Nähe an-
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sässige Partei einen auswärtigen Rechtsanwalt nur deshalb wählt, weil sie mit
ihm durch eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit verbunden ist. An-
deres kann allenfalls dann gelten, wenn Besonderheiten in der Sache selbst
oder ihrer Bearbeitung die Annahme rechtfertigen, dass am Ort des Prozessge-
richts oder am Sitz der Partei keine zur sachangemessenen Prozessvertretung
geeigneten Rechtsanwälte niedergelassen sind (vgl. BGH NJW-RR 2007, 1071
Tz. 11, 13 f.; NJW-RR 2009, 283 Tz. 8).
b) Im Ergebnis zu Recht hat das Beschwerdegericht im Streitfall beson-
dere Umstände verneint, die es rechtfertigen könnten, die Beauftragung eines
auswärtigen Rechtsanwalts durch die an ihrem Geschäfts- oder Wohnsitz ver-
klagte Partei als notwendig erscheinen zu lassen. Dabei bedarf keiner Ent-
scheidung, ob der Ansicht des Beschwerdegerichts zu folgen ist, dass die er-
forderlichen besonderen Umstände stets bereits dann ausscheiden, wenn eine
Partei außer dem mit der Prozessführung betrauten Anwalt noch einen "Inkas-
soanwalt" beschäftigt. Das erscheint im Hinblick auf den anzuerkennenden
Gestaltungsspielraum bei der Betriebsorganisation nicht zweifelsfrei. Entschei-
dend gegen die Notwendigkeit der Beauftragung des auswärtigen Rechtsan-
walts spricht im Streitfall aber bereits der Umstand, dass nach den von der
Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts
die unternehmensinterne Organisation der Verfügungsbeklagten zu 1 keine re-
gelmäßige vorprozessuale Bearbeitung von Streitfällen, wie sie typischerweise
Aufgabe der Rechtsabteilung eines Unternehmens ist, am Kanzleisitz des aus-
wärtigen Rechtsanwalts vorsieht. Vielmehr haben die Verfügungsbeklagten vor-
getragen, ihrem Anwalt sämtliche eingehende "Gerichtspost" zuzuleiten und zur
weiteren alleinigen, weitgehend eigenverantwortlichen Sachbearbeitung zu ü-
berlassen. Da von "Gerichtspost" nur im Zusammenhang mit einem gerichtli-
chen Verfahren gesprochen werden kann, ergibt sich daraus keine außerge-
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richtliche Tätigkeit, die der Prozessbevollmächtigte der Verfügungsbeklagten
regelmäßig anstelle einer eigenen Rechtsabteilung wahrnimmt. Folgen die für
die Notwendigkeit der Beauftragung eines auswärtigen Rechtsanwalts erforder-
lichen besonderen Umstände - wie hier - nicht aus der Natur des Streitfalls, so
setzen sie aber jedenfalls voraus, dass die außergerichtliche Bearbeitung der
Sache aufgrund einer allgemeinen Maßnahme der Betriebsorganisation und
nicht nur im Einzelfall für die Partei an dem Ort erfolgt, an dem der auswärtige
Rechtsanwalt seine Kanzlei hat.
III. Danach ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen. Die Kostenent-
scheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Bornkamm Büscher
Schaffert
Kirchhoff
Koch
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 19.11.2007 - 22 O 438/07 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 10.11.2008 - 12 W 80/08 -