Urteil des BGH vom 14.03.2017

BGH (faires verfahren, abgrenzung zu, herausgabe, zpo, rechtskraft, beschwer, sache, beseitigung, verurteilung, entfernung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 59/08
vom
25. September 2008
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 25. September 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger und die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke,
Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss der
15. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 31. März
2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
1.200 €.
Gründe:
I.
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Auf dem Grundstück der Kläger
befindet sich als Abgrenzung zu dem Grundstück der Beklagten ein in Sockel
einbetonierter Maschendrahtzaun. Die dadurch bis zur tatsächlichen Grund-
stücksgrenze entstehende Fläche von 24 qm nutzen die Beklagten.
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Die Kläger haben die Verurteilung der Beklagten zur Entfernung des
Zaunes beantragt. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die Kläger
keinen Herausgabe- und Beseitigungsanspruch aus §§ 985, 1004 BGB hätten.
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Die Berufung der Kläger hat das Landgericht - nach Erteilung eines Hinweises -
durch Beschluss als unzulässig verworfen.
Mit ihrer Rechtsbeschwerde wollen die Kläger unter Aufhebung des an-
gefochtenen Beschlusses die Durchsetzung ihres - mit dem erstinstanzlichen
Antrag übereinstimmenden - Berufungsantrags, hilfsweise die Zurückverwei-
sung der Sache an das Berufungsgericht erreichen.
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II.
Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Berufung unzulässig, weil die
Beschwer der Kläger nicht mehr als 600 €, sondern lediglich 100 € betrage.
Denn sie verlangten nur die Beseitigung des Zaunes, nicht aber die Einräumung
des Besitzes an dem dahinter liegenden Grundstücksteil. Aus einer Verurteilung
der Beklagten zur Entfernung des Zaunes ergäbe sich nicht, dass diese die
Teilfläche von 24 qm nicht weiter nutzen dürften. Die Rechtskraft eines Urteils
werde nämlich durch die Anträge der Parteien und den Tenor begrenzt. Dass
die Kläger und die Beklagten ebenso wie das Amtsgericht möglicherweise da-
von ausgegangen seien, dass eine Verurteilung zur Entfernung des Zaunes
zugleich die Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe der Teilfläche bedeu-
te, ändere daran nichts. Deshalb bemesse sich die Beschwer der Kläger nur
nach ihrem wirtschaftlichen Interesse an der Beseitigung der durch den Zaun
allenfalls geringfügig und nicht nachhaltig entstandenen Substanzverletzung
des Erdreichs in Verbindung mit einem wohl eher immateriellen Interesse an
der Beseitigung einer eventuellen optischen Beeinträchtigung durch den Zaun.
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III.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 ZPO) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden
(§ 575 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Voraussetzungen des § 574
Abs. 2 ZPO liegen vor; die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfor-
dert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (Nr. 2 Alt. 2).
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1. Entgegen der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen An-
sicht hat das Berufungsgericht allerdings den Anspruch der Kläger auf Gewäh-
rung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht verletzt. Denn es hat ihren
Vortrag, dass sie sowohl in erster als auch in zweiter Instanz die Herausgabe
der von den Beklagten genutzten Teilfläche verlangt hätten und dies habe das
Amtsgericht auch so verstanden, in dem angefochtenen Beschluss sowohl zur
Kenntnis genommen als auch erwogen. Es hat ihn lediglich rechtlich anders
bewertet als die Kläger.
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2. Das Berufungsgericht hat jedoch entgegen dem in Art. 19 Abs. 4 GG
verankerten Justizgewährungsanspruch den Klägern den Zugang zur Beru-
fungsinstanz in unzumutbarer Weise erschwert und damit gegen das aus Art. 2
Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeinem Prozessgrundrecht folgen-
de Recht auf ein faires Verfahren verstoßen (vgl. BVerfGE 110, 339, 342).
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3. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
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a) Das Amtsgericht hat - allerdings ohne auf die Stellung eines entspre-
chenden Klageantrags hinzuwirken (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO) - das Klageziel,
nämlich auch die Herausgabe der durch den Maschendrahtzaun abgetrennten
Teilfläche des Grundstücks der Kläger, richtig erkannt; die Beklagten sind
ebenfalls davon ausgegangen, dass sie die Fläche herausgeben sollen. Die
erstinstanzliche Klageabweisung beruht auf der Überlegung, dass die Kläger
die Zufahrt zu der Garage der Beklagten unter Inanspruchnahme eines Teils
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ihres Grundstücks aus dem Gesichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschafts-
verhältnisses (§ 242 BGB) dulden müssen. Somit bildete der Herausgabean-
spruch den rechtlichen Schwerpunkt des Prozesses. Insoweit sind die Kläger
durch die Klageabweisung beschwert.
b) Diesen Umfang der Beschwer hat das Berufungsgericht verkannt, in-
dem es zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Rechtskraft eines Urteils
durch die Anträge und den Tenor begrenzt werde. Richtig ist demgegenüber,
dass zur Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft auch Tatbestand und Ent-
scheidungsgründe einschließlich des Parteivorbringens heranzuziehen sind,
wenn sich, wie bei Klageabweisungen, der Urteilsformel nicht mit genügender
Bestimmtheit entnehmen lässt, worüber das Gericht entschieden hat (BVerfG
NJW 2003, 3759).
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c) Der Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts vom 6. März 2008 än-
dert an der rechtsfehlerhaften Behandlung der Sache nichts. Nachdem die Klä-
ger daraufhin ihr Klageziel ausführlich dargelegt haben, musste das Berufungs-
gericht ihnen die Gelegenheit geben, dieses - gegenüber dem erstinstanzlichen
Verfahren unveränderte - Ziel in dem Berufungsverfahren - gegebenenfalls mit
einem sachdienlichen Antrag - weiter zu verfolgen. Diese Möglichkeit hat das
Berufungsgericht ihnen mit dem angefochtenen Beschluss genommen.
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IV.
Den Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens bemisst der
Senat entsprechend den Angaben der Kläger mit dem Wert der Teilfläche.
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Krüger
Klein
Lemke
Schmidt-Ränsch
Roth
Vorinstanzen:
AG Bernau, Entscheidung vom 11.09.2007 - 11 C 93/06 -
LG Frankfurt (Oder), Entscheidung vom 31.03.2008 - 15 S 241/07 -