Urteil des BGH vom 27.04.2010

Fugenglätter Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 79/09 Verkündet
am:
27. April 2010
Anderer
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: nein
Fugenglätter
EPÜ Art. 56; PatG § 4
Beschränkt sich die Problemlösung darauf, ein als solches bekanntes, einfach
strukturiertes Werkzeug (hier: Kunststoffkeil zum Glätten von Silikonfugen) aus
einem modifizierten Material (hier: Elastomer statt Kunststoff) herzustellen und
darüber hinaus nur auf die Anweisung, den Gegenstand geometrisch (Gesamt-
größe und Bemaßung der Randaufkantung im Verhältnis zum Innenbereich) so
auszulegen, dass die Eigenschaften des gewählten Materials optimal ausge-
nützt werden können, handelt es sich auch dann um eine von einem durch-
schnittlich versierten Fachmann zu erwartende Entwicklungsleistung, wenn für
die Auswahl des Werkstoffs Vorbilder im Stand der Technik nicht auszumachen
sind (im Anschluss an Sen.Urt. v. 12.2.2003 - X ZR 200/99, GRUR 2003, 693
- Hochdruckreiniger; BGH, Urt. v. 4.2.2010 - Xa ZR 36/08 Tz. 27 - Gelenkanord-
nung).
BGH, Urteil vom 27. April 2010 - X ZR 79/09 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 27. April 2010 durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Rich-
ter Gröning, Dr. Berger, Dr. Grabinski und Hoffmann
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 31. März 2009 verkündete Urteil des
3. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf
Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des am 13. April 1995 angemel-
deten und unter anderem für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutsch-
land erteilten europäischen Patents 711 887 (Streitpatents), dessen Anspruch 1
im Einspruchsbeschwerdeverfahren in der Verfahrenssprache folgenden Wort-
laut erhalten hat:
1
"1. Werkzeug zur Nacharbeit von Fugen, die mit dauerelastischer
Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllt sind, wel-
ches eine ebene Platte mit einer im Wesentlichen konstanten
Dicke und mit einem umlaufenden, beidseitig senkrecht zur
Plattenebene überstehenden Rand ist, der seinerseits aus drei
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aneinander anschließenden Kanten besteht, wobei zwei Kan-
ten gerade sind und eine Kante bogenförmig verläuft, wobei
die beiden geraden Kanten sowie die längere der beiden gera-
den Kanten und die gebogene Kante einen spitzen Winkel ein-
schließen, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , dass das
Werkzeug aus einem Elastomer besteht und im Innern relativ
dünn und weich ist und somit durch Biegen optimal angepasst
werden kann."
Wegen der Ansprüche 2 bis 10 wird auf die neue europäische Patent-
schrift (711 887 B2) Bezug genommen.
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Mit ihren vom Bundespatentgericht zu gemeinsamer Verhandlung und
Entscheidung verbundenen Klagen haben die Klägerinnen das Streitpatent in
vollem Umfang angegriffen und geltend gemacht, der Gegenstand seiner An-
sprüche sei mangels Neuheit, jedenfalls aber mangels erfinderischer Tätigkeit
nicht patentfähig. Sie haben sich dafür auf einen Beitrag in der Veröffentlichung
"selbst ist der Mann Das Heimwerker-Magazin" Nr. 11, November 1988, Sei-
te 73 (im Folgenden: Heimwerkermagazin) sowie auf das deutsche Gebrauchs-
muster 85 03 947 U1 berufen. Der Beklagte ist den Klagen entgegengetreten.
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Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent antragsgemäß für nichtig
erklärt. Mit seiner dagegen gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Klä-
gerinnen beantragen, verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag wei-
ter.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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I. 1. Das Streitpatent betrifft ein Werkzeug zur Nacharbeit von mit dauer-
elastischer Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllten Fugen. Der
Beschreibung zufolge kann bei der Bearbeitung von Fugen überschüssiges Fu-
genmaterial oft nur sehr schwer geglättet oder abgetragen werden. Der Einsatz
von als Werkzeugen in Betracht kommenden Spachteln oder ähnlichen Hilfsmit-
teln sei an Kanten, Ecken oder anderen unzugänglichen Stellen allenfalls er-
schwert möglich. Ein zusätzliches Problem bestehe darin, dass die Fugenmas-
se von den bekannten Werkzeugen nur schlecht aufgenommen werde und
beim Glattstreichen vom Werkzeug fallen und beispielsweise die anliegenden
Fliesen verunreinigen könne. Auch die Anbringung von Krepp-Klebebändern
führe zu unbefriedigenden Arbeitsergebnissen bzw. gefährde diese dadurch,
dass beim Abziehen die Fugenmasse vom Klebeband abbröckle und die Flie-
sen verschmutze oder in die soeben geglättete Fuge falle.
2. Die Streitpatentschrift erwähnt des Weiteren den nachstehend einge-
fügten, im Tatbestand erwähnten Beitrag aus dem Heimwerkermagazin:
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3. An dem mit diesem Beitrag vorgestellten Kunststoffkeil bemängelt die
Streitpatentschrift, dass er sich nur in begrenztem Umfang zur Aufnahme des
abgetragenen Materials eigne. Demgegenüber habe die Erfindung es sich zur
Aufgabe gemacht, ein Werkzeug anzugeben, mit dem bei verbesserter Hand-
habung Fugen geglättet und überschüssige Fugenmaterialien exakt und ohne
weitere Hilfsmittel abgetragen werden könnten. Zur Nacharbeit von mit dauer-
elastischer Fugenmasse, insbesondere Kunststoffmasse gefüllten Fugen wird
ein Werkzeug vorgeschlagen (ohne Bezugsziffern; in Klammern die vom Bun-
despatentgericht vorgenommene Merkmalsnummerierung) mit:
8
M1
M2
M3
M4
M5
von denen
M6
M7
wobei
M8
M9
Kante jeweils einen spitzen Winkel einschließen,
M10
M11
M12
M13
kann.
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Die Zeichnung der Streitpatentschrift zeigt folgendes Ausführungsbei-
spiel:
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4. Das patentgemäße Werkzeug besteht aus einer Platte (1), die beidsei-
tig mit umlaufenden Rändern (2) versehen ist, die jeweils aus zwei geraden und
einer bogenförmigen Kante (3, 4, 5) bestehen.
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a) Die Angabe, dass das Werkzeug aus einem Elastomer besteht (Merk-
mal 5), ist dahin zu verstehen, dass Platte und Ränder aus demselben, homo-
genen Elastomer-Materialgemisch bestehen. Denn weder der Wortlaut der An-
sprüche noch die Beschreibung bieten Anhaltspunkte für die Annahme, dass
diese beiden Bereiche aus jeweils unterschiedlichen Elastomer-Materialien mit
entsprechend unterschiedlichem Härtegrad zusammengefügt sein sollen.
Gleichwohl werden an das Material in den verschiedenen Bereichen des Werk-
zeugs divergierende Anforderungen gestellt. Es soll durch die Kanten verstärkt
werden, wodurch die Platte am Rand relativ hart und dadurch eine maximale
Kraftentwicklung gegeben sein soll, ohne dass seine Flexibilität leidet, da es im
Inneren relativ dünn und weich ist (Beschreibung Tz. 8).
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b) Der Beschreibung in ihrer Gesamtheit ist zu entnehmen, dass die vor-
genannten Eigenschaften durch Wahl eines Elastomers mit ausreichender Fle-
xibilität bei gleichzeitiger genügender Festigkeit am Rand und Abriebsfestigkeit
(Beschreibung Tz. 9) gewährleistet und dass die Flexibilität im Inneren und die
Festigkeit am Rande gegebenenfalls außerdem durch entsprechende Bema-
ßung des Werkzeugs erzielt werden soll (Beschreibung Tz. 10). Aus der in die-
sem Zusammenhang erfolgten Bemerkung, dass "auch" die Längen der Kanten
zweckmäßigerweise auf die manuelle Benutzung abgestimmt werden, ergibt
sich, dass zur Verwirklichung des erforderlichen Verhältnisses von Flexibilität
und Festigkeit auch weitere geometrische Parameter, namentlich Breite und
Höhe des Randes im Verhältnis zur Dicke und Größe der Platte eingesetzt wer-
den können.
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c) Soweit die Platte (Merkmal 1) eine "im Wesentlichen" konstante Dicke
aufweist, signalisiert diese Relativierung - wie häufig in Patentansprüchen -,
dass die Platte grundsätzlich von konstanter Höhe ist - was im Übrigen im Pa-
tentanspruch auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass sie als "eben" bezeich-
net wird -, dass die absolute Konstanz aber keine Bedingung für die erfolgrei-
che Nacharbeit der Lehre ist und dass deshalb gewisse, etwa fertigungsbeding-
te Unebenheiten toleriert werden können.
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Entgegen der Ansicht des Beklagten ist der Angabe "im Wesentlichen"
aber nicht zu entnehmen, dass die Platte patentgemäß gezielt in verschiedenen
Bereichen mit unterschiedlicher Dicke modelliert werden soll. Das ergibt sich
auch nicht in Verbindung mit der Anweisung, dass das Werkzeug "im Inneren"
relativ dünn und weich ist. Aus fachmännischer Sicht wird die Bezeichnung "im
Inneren" vielmehr als Synonym für "Platte" (Merkmal 1) benutzt, mit dem her-
vorgehoben wird, dass der Bereich der Platte vom Rand zu unterscheiden ist.
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Hätte mit Patentanspruch 1 das unter Schutz gestellt werden sollen, was
der Beklagte nunmehr mit seinem Verständnis der Merkmalselemente "im We-
sentlichen konstante Dicke" und "im Inneren" verbunden wissen möchte, dass
damit nämlich ein über den gesamten Querschnitt der Platte spezifisches Profil
beschrieben wird, bei dem Bereiche mit größerer und geringerer Dicke anein-
ander grenzen und die Letzteren im Zentrum der Platte zu lokalisieren sind (Be-
rufungsbegründung S. 5), hätte die Streitpatentschrift sich nicht damit begnügt,
dieses Ziel allein durch die genannten Formulierungen zum Ausdruck zu brin-
gen. Entsprechende Absichten wären vielmehr in Gestalt konkreterer Anwei-
sungen in die Patentansprüche eingeflossen oder jedenfalls in der Beschrei-
bung - zumindest ansatzweise - verdeutlicht worden. Die erteilten Ansprüche
enthielten aber überhaupt keine in diese Richtung zielenden Vorgaben und in
die Fassung, die Patentanspruch 1 infolge des Einspruchsbeschwerdeverfah-
rens erhalten hat, sind sämtliche Angaben aufgenommen worden, die dazu in
der Beschreibung enthalten waren. Sie erschöpfen sich, abgesehen von der
Anweisung, dass das Werkzeug aus einem Elastomer besteht, in den Angaben,
dass das Werkzeug "im Innern relativ dünn und weich ist und somit durch Bie-
gen optimal angepasst werden kann" (Beschreibung der Europäischen Patent-
schrift [B 1] Sp. 2 Z. 10 ff.). Hinzu kommt, dass die Beschreibung, wie bereits
ausgeführt, zur Gewährleistung der Flexibilität im Inneren und zur Erhaltung der
Festigkeit am Rande zwar ausdrücklich auf die Möglichkeit einer entsprechen-
den Bemaßung des Werkzeugs hinweist, aber keine Strukturierung der Platte in
unterschiedlich dicke Bereiche vorschlägt.
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d) Welche Bedeutung innerhalb der Lehre des Streitpatents der Anwei-
sung zukommt, das Werkzeug im Inneren relativ dünn und relativ weich zu ge-
stalten, so dass es durch Biegen optimal angepasst werden kann, erschließt
sich aus der Gesamtheit der im Lichte der Beschreibung gelesenen Anweisun-
gen in der Merkmalsgruppe 5. Wie auch die Erörterungen mit den Vertretern
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der Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, zielt die unter
Schutz gestellte Lehre zum einen darauf, durch die Verformbarkeit sowohl ein
Arbeiten an schwer zugänglichen Stellen zu ermöglichen. Namentlich die Kritik
an dem im Heimwerkermagazin gezeigten Kunststoffkeil (Beschreibung Tz. 5),
dass sich dieser nur in begrenztem Maße zur Aufnahme des abgetragenen Ma-
terials eigne, verdeutlicht zum anderen, dass das in Patentanspruch 1 be-
schriebene optimale Anpassen durch Biegen aber auch auf die Funktion zu be-
ziehen ist, das abgetragene Material mit dem Werkzeug aufzunehmen.
Die Vorgabe in Merkmal 5.3, das Werkzeug so zu gestalten, dass es
durch Biegen optimal angepasst werden kann, ist auf beide vorstehend be-
schriebenen werkzeugmäßigen Anforderungen, denen es der Beschreibung
zufolge genügen soll, zu beziehen, nämlich auf das Abtragen einerseits und das
Aufnehmen von Fugenmaterial ohne weitere Hilfsmittel andererseits. Dem
Werkzeug soll durch Auswahl des Materials und Abstimmung des Unterschieds
von Höhe und Breite des Rands im Verhältnis zur Platte sowie gegebenenfalls
durch seine gesamte Dimensionierung die erforderliche Elastizität verliehen
werden, damit es für den Einsatz auf einer frisch verfugten Fliesenwand, insbe-
sondere in schwer zugänglichen Bereichen wie Nischen oder Winkeln, in sei-
nem ganzen Korpus durch Biegen verformt werden kann.
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Das Werkzeug im Inneren, also im Bereich der Platte, relativ dünn und
weich zu gestalten, ist in diesem Zusammenhang dahin zu verstehen, dass die
Höhe (Dicke) dieses Bereichs, also die Platte, im Verhältnis zum Rand ("rela-
tiv") so austariert werden soll, dass die Festigkeit für die Funktion des Abtra-
gens gewahrt und die Biegsamkeit für das Aufnehmen des abgestreiften Fu-
genmaterials ohne weitere Hilfsmittel gewährleistet ("optimal aufeinander abge-
stimmt") ist. Soweit es die Aufnahmefunktion betrifft, soll, wie die Erörterungen
in der mündlichen Verhandlung bestätigt haben, das Werkzeug mit einer an-
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passenden Verformung so durch komprimierende Druckausübung in der Hand
verformt und auf der zu verfugenden Fläche angesetzt werden können, dass
die Kanten mit längeren Abschnitten auf den Fliesen anliegen, wobei sich das
Innere muldenförmig darüber wölbt und einen Hohlraum zur Aufnahme des
Füllmaterials bildet, so dass das abgetragene Material infolge der Wölbung der
Platte in der Hand besser aufgefangen werden kann.
II. Der Berufung ist der Erfolg zu versagen, weil der Gegenstand des
Streitpatents nicht patentfähig ist (Art. 2 § 6 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜbkG i.V. mit
Art. 138 Abs. 1 lit. a EPÜ).
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1. Allerdings ist der Gegenstand von Patentanspruch 1 neu (Art. 56
Abs. 1 EPÜ), und zwar auch gegenüber dem in dem Heimwerkermagazin als
Kunststoffkeil bezeichneten Werkzeug. Das Bundespatentgericht hat zu Recht
angenommen, dass das Beschaffenheitsmerkmal "Elastomer" dort nicht des-
halb offenbart ist, weil Elastomere generell zur Gattung der Kunststoffe gehö-
ren. Die gegenüber anderen Kunststoffarten charakteristische Eigenschaft von
Elastomeren, formbeständig und zugleich elastisch verformbar zu sein, wird in
der Veröffentlichung nicht beschrieben. Die Abbildungen, mit denen die Anwen-
dung des Werkzeugs demonstriert wird und anhand derer der Betrachter sich
eine nähere Vorstellung von der Beschaffenheit des vorgestellten Werkzeugs
macht, vermitteln nicht den Eindruck einer auch elastisch verformbaren Körper-
lichkeit des Kunststoffkeils. Es mag zwar sein, dass ein die Veröffentlichung
studierender Fachmann (dazu nachstehend unter II 2) aufgrund von Über-
legungen, die er aus seinem allgemeinen Fachwissen herleitet, zu der Annah-
me gelangen könnte, dass sich zur Herstellung solcher Keile auch ein Elasto-
mer eignen würde. Dieser durch Kognition hergestellte Zusammenhang reicht
aber nicht aus, um das Merkmal "Elastomer" in Patentanspruch 1 als vom Of-
fenbarungsgehalt der Produktbeschreibung in dem Heimwerkermagazin um-
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fasst anzusehen (vgl. Sen.Urt. v. 22.12.2009 - X ZR 27/06 - Hubgliedertor I für
den entsprechenden Fall der unzulässigen Erweiterung).
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Entgegen der Ansicht des Bundespatentgerichts unterscheidet sich der
Gegenstand unter Neuheitsgesichtspunkten von Patentanspruch 1 aber auch
durch die Merkmale 5.1 bis 5.3 (Merkmale 11 bis 13 der patentgerichtlichen
Gliederung) vom Stand der Technik. Der Sinngehalt der Angabe, dass das
Werkzeug im Innern relativ dünn (und relativ weich) sein soll, erschöpft sich
nicht darin, zum Ausdruck zu bringen, dass das Werkzeug infolge der Aufkan-
tung der Randbereiche unterschiedliche Höhen aufweist; dieser Umstand
kommt hinreichend deutlich in den Merkmalen 2 und 2.1 zum Ausdruck. Vor
dem Hintergrund der Beschreibung verstehen sich die Merkmale in der Merk-
malsgruppe 5, wie ausgeführt (oben I 4 d), insgesamt vielmehr als Anweisung,
das Werkzeug durch Wahl des Materials, seiner Größe und der Dimensionie-
rung seiner Randbereiche so auszulegen, dass es beiden unterschiedlichen
werkzeugmäßigen Anforderungen beim Einsatz genügt. Dass das Streitpatent
darauf verzichtet, diese Parameter - insbesondere durch quantifizierende An-
gaben - näher zu kennzeichnen, sondern die Abstimmung dem Fachmann
überlässt, ändert nichts daran, dass der Merkmalsgruppe 5 gegenüber den
Merkmalen 2 und 2.1 ein eigenständiger Gehalt zukommt.
2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 kann jedoch nicht als auf einer
erfinderischen Tätigkeit beruhend gelten (Art. 56 EPÜ), weil es keiner über-
durchschnittlichen fachmännischen Fähigkeiten bedurfte, um ihn aus dem
Stand der Technik zu entwickeln.
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a) Für die Qualifikation des einschlägigen Fachmanns hat das Patentge-
richt auf die eines Handwerksmeisters im Bereich Innenausbau/Fliesen/Sanitär
abgestellt. Entgegen den Befürchtungen des Beklagten hat das Patentgericht
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- 13 -
damit nicht auf den Kenntnisstand des potentiellen Anwenderkreises abgestellt,
zumal dazu, wie die Veröffentlichung im Heimwerkermagazin zeigt, ohnehin
nicht nur gewerbliche Abnehmer, sondern vor allem auch Verbraucher zu zäh-
len sind. Die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Urteil sind viel-
mehr dahin zu verstehen, dass nach Auffassung des Patentgerichts für die Wei-
terentwicklung solcher Werkzeuge auf den Kenntnisstand eines Handwerks-
meisters in den genannten Bereichen abzustellen ist. Dem ist grundsätzlich bei-
zupflichten. Für die Weiterentwicklung von Werkzeugen wie dem vorliegend
interessierenden werden deren Hersteller auf die Sachkunde von Fachleuten
auf dem Gebiet der Anwendung solcher Werkzeuge zurückgreifen, weil diesen
die spezifischen praktischen Anwenderbedürfnisse geläufig sind. Richtig mag
zwar sein, dass diese wiederum, wenn es um die fertigungstechnische Umset-
zung geht, erforderlichenfalls den zusätzlichen Sachverstand und insbesondere
die Materialkunde von Fertigungstechnikern heranziehen und auswerten wer-
den. Die Notwendigkeit dazu entsteht aber erst, nachdem eine konkrete Idee für
die Weiterentwicklung bereits erarbeitet worden ist. Gegen die Annahme des
Patentgerichts, dass der für diese Leistung zuständige Fachmann im Streitfall
im handwerklichen Bereich anzusiedeln ist, sind durchgreifende Bedenken we-
der vorgetragen noch ersichtlich.
b) Die Überlegungen des mit der Weiterentwicklung der aus dem Stand
der Technik bekannten Werkzeuge betrauten Fachmanns setzten naturgemäß
bei der Fehleranalyse bei vorhandenen Lösungen und deren Verbesserung an.
Als problematisch wurde insoweit - was auch der Lizenznehmer des Beklagten
in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat - im Stand der Technik angesehen,
wenn Werkzeuge sich nicht hinreichend den Unebenheiten der Fliesenoberflä-
che anpassten, so dass die in entsprechende Vertiefungen eingedrungene Ver-
fugungsmasse nicht mitentfernt wurde, weil das eingesetzte Werkzeug infolge
zu großer Unflexibilität starr darüber hinwegglitt (vgl. deutsche Gebrauchsmus-
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terschrift 85 03 947 U1 S. 2). Ein verbessertes Arbeitsergebnis war insoweit,
wie dem Fachmann schnell klar werden konnte, zu erwarten, wenn das Werk-
zeug elastischer und schmiegsamer gestaltet wurde, so dass es sich besser an
das jeweilige Oberflächenprofil der zu bearbeitenden Fläche anpasste. Höhere
Elastizität und dadurch bedingte leichtere Verformbarkeit konnten zudem den
Einsatz in engen, schwieriger zugänglichen Arbeitsbereichen erleichtern. Wäh-
rend die deutsche Gebrauchsmusterschrift 85 03 947 zur Erhöhung der Flexibi-
lität vorschlug, die Schneidkante des Fugenausformungsabschnitts mit einem
Freiwinkel von 4 - 6 Grad zu versehen, musste sich dem Fachmann, dem zu-
sätzlich der Kunststoffkeil aus dem Heimwerkermagazin bekannt war, als Lö-
sung aufdrängen, dieses Werkzeug einfach aus einem elastischeren Material
herzustellen. Dieser Keil erfüllte nicht nur die Funktion, überschüssiges Material
abzutragen; insbesondere die große Abbildung im oberen Bereich der Veröf-
fentlichung enthielt für den Fachmann den zusätzlichen Fingerzeig, den von
den Kanten geschaffenen Innenbereich zur Aufsammlung des abgetragenen
Materials zu nutzen. Auch die Aufsammelfunktion ließ sich mit einem elastisch-
verformbaren Werkzeug optimieren. Aus der Veröffentlichung ist nämlich zu
ersehen, dass die Gefahr des Herabfallens abgetragenen Fugenmaterials be-
sonders groß ist, wenn das Werkzeug, wie in der Abbildung 6 gezeigt, nur an-
gewinkelt mit der Spitze an der Fuge angelegt werden kann und bei starrer Aus-
gestaltung ansonsten von der zu verfugenden Fläche weggerichtet ist. Eine
Verbesserung der Auffangfunktion ließ sich augenscheinlich nicht einfach da-
durch erzielen, dass ein solches Werkzeug plan auf die zu verfugende Wand
gelegt und mit einer Schnittkante voran über die Fugen gezogen wird. Zwar
könnte abgetragenes Material auf diese Weise auch bis zu einem gewissen
Maße im Innenbereich aufgesammelt werden. Ist dieser jedoch unflexibel ge-
staltet, würde sich dieses Material aber schnell aufstauen und über den gesam-
ten Innenbereich der Platte verteilen, womit jedenfalls eine erhöhte Gefahr der
Verunreinigung der Umgebung einherginge. Für den Fachmann leicht erkenn-
- 15 -
bar ließ sich das vermeiden, wenn das Werkzeug so verformbar ist, dass seine
Ränder nicht nur in spitzem Winkel an der Schnittkante über den Fugen, son-
dern auch parallel zu diesen an den Fliesen anliegen und das Werkzeug dar-
über muldenförmig gewölbt ist, so dass das abgetragene Material sich nach
oben auftürmen kann und nicht infolge der Starrheit der Platte nach dem Ab-
schneiden breitgedrückt wird.
c) Um zu erkennen, dass das Ziel einer verbesserten Materialaufsamm-
lung, ebenso wie die bessere Anpassung des Werkzeugs an schwerer zugäng-
liche Arbeitsbereiche, dadurch erzielt werden kann, dass für das Werkzeug ein
elastischer Kunststoff ausgewählt wird, der sich durch einfaches Zusammen-
drücken verformen lässt, der aber seine ursprüngliche Form zurückgewinnt,
wenn der verformende Druck aufgehoben wird, musste der Fachmann auf sei-
nem Gebiet weder überdurchschnittlich bewandert und befähigt sein noch
musste er erhebliche gedankliche Kreativität entfalten, um zur Lösung des
Streitpatents zu gelangen. Er hat aufgrund seiner Fachkunde und Erfahrung
eine generelle Vorstellung von den für ein solches Werkzeug in Betracht kom-
menden Materialien und kann eine endgültige Auswahl mit allenfalls geringem
zusätzlichem Rechercheaufwand treffen. Die Einsicht, dass sich die gegenüber
dem Kunststoffkeil aus dem Heimwerkermagazin erwünschten Verbesserungen
prinzipiell durch Wahl eines Elastomers erzielen ließ, und das Werkzeug an-
schließend lediglich noch hinsichtlich seiner Abmessung und des Verhältnisses
der einzelnen Bestandteile zueinander so ausgelegt werden musste, dass die
Abtragungsfunktion des Randes bei hinreichender Flexibilität der Platte gewahrt
ist, lag vielmehr nahe.
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d) Der damit verbundenen Verneinung einer erfinderischen Tätigkeit steht
nicht entgegen, dass der Fachmann im Stand der Technik keine unmittelbare
Anregung zur materialmäßigen Weiterbildung eines Werkzeugs zur Nacharbeit
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von Fugen zu dem Gegenstand von Patentanspruch 1 vorfand, sondern zu
dessen Auffindung von allgemeineren Überlegungen ausgehen musste. Bei der
Beurteilung, ob einer beanspruchten Lösung eine erfinderische Bedeutung bei-
gelegt werden kann, ist von dem auszugehen, was die Erfindung gegenüber
dem Stand der Technik im Ergebnis tatsächlich leistet. Beschränkt sich die
Problembewältigung, wie im Streitfall, darauf, ein als solches bekanntes, ein-
fach strukturiertes Werkzeug aus einem modifizierten Material (hier: Elastomer
statt Kunststoff) herzustellen und darüber hinaus nur noch darauf, den Fach-
mann in diesem Zusammenhang anzuweisen, die Bestandteile (hier: Rand und
Platte) so auszugestalten, dass die Eigenschaften des gewählten Materials op-
timal ausgenützt werden können, handelt es sich auch dann um eine auch von
einem durchschnittlich versierten Fachmann zu erwartende Entwicklungsleis-
tung, wenn für die Auswahl des Werkstoffs Vorbilder im Stand der Technik nicht
auszumachen sind (vgl. auch Sen.Urt. v. 12.2.2003 - X ZR 200/99, GRUR
2003, 693 - Hochdruckreiniger; BGH, Urt. v. 4.2.2010 - Xa ZR 36/08 Tz. 27
- Gelenkanordnung).
Die Unteransprüche weisen, wie auch der Beklagte nicht geltend macht,
keinen eigenständigen erfinderischen Gehalt auf.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V. mit
§ 97 Abs. 1 ZPO.
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Scharen Gröning Berger
Grabinski
Hoffmann
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 31.03.2009 - 3 Ni 30/08 (EU) -