Urteil des BGH vom 14.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 83/04
vom
14. November 2005
in der Rechtsanwaltssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
GG Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1;
BRAO § 59a Abs. 1 Satz 1, § 59e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2
a) Das Verbot der Sternsozietät ist zur Zeit nicht verfassungswidrig.
b) Das Verbot der Sternsozietät gilt auch für die Anwaltsaktiengesellschaft.
BGH, Beschl. v. 14. November 2005 - AnwZ (B) 83/04 - AGH Hamburg
wegen Zulassung einer Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch den Präsidenten
des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch, den Richter Dr. Ganter, die Richterin
Dr. Otten und den Richter Dr. Ernemann sowie die Rechtsanwälte Dr. Schott,
Dr. Frey und Dr. Wosgien nach mündlicher Verhandlung
am 14. November 2005
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Be-
schluss des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofes in der Freien und
Hansestadt Hamburg vom 27. September 2004 wird zurückgewie-
sen.
Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und
die der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren entstandenen
notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Gegenstandswert wird auf 75.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin ist eine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft in Grün-
dung. Sie wurde von Rechtsanwälten errichtet, die bis auf einen - dieser ist
Rechtsanwalt in Frankreich - ihren Kanzleisitz im Bundesgebiet haben.
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Gegenstand des Unternehmens ist nach § 3 Abs. 1 und 2 der Satzung
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"die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich
der Rechtsberatung durch Übernahme von Rechtsanwaltsaufträ-
gen, deren Ausführung durch die im Dienste der Gesellschaft ste-
henden, zugelassenen Rechtsanwälte, die unabhängig und eigen-
verantwortlich unter Beachtung ihres Berufsrechts erfolgt" sowie
"die Berufstätigkeit im Dienste der Gesellschaft stehender Ange-
höriger anderer Berufe im Rahmen ihrer eigenen berufsrechtlichen
Befugnisse, mit denen sich Rechtsanwälte nach ihrem Berufsrecht
verbinden können".
Die Aktien lauten auf den Namen. Nach § 16 Abs. 3 Buchst. b der Sat-
zung kann der Vorstand die Zustimmung zu der Verfügung über Aktien verwei-
gern, wenn
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"die Zulassung zur Folge hätte, dass Personen Aktionäre werden,
die nicht zugleich selbst bzw. durch ihre Sozietät Mitglied der
D. ... sind".
Nach § 17 Abs. 2 Buchst. h der Satzung kann eine Aktie ohne Zustim-
mung des Aktionärs eingezogen werden, wenn der
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"Aktionär nicht mehr selbst oder durch seine Sozietät Mitglied der
D. ... ist".
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Die Antragstellerin erstrebt ihre Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Die-
sen Antrag hat die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 16. Dezember 2002 mit
der Begründung zurückgewiesen, eine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft könne
nicht zugelassen werden, außerdem verstoße die Antragstellerin mit ihrer Sat-
zung gegen das Verbot der Sternsozietät. Den Antrag auf gerichtliche Ent-
scheidung hat der Anwaltsgerichtshof mit Beschluss vom 27. September 2004
zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen
Beschwerde.
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II.
Das Rechtsmittel ist gemäß § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO zulässig. Es
hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
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1. Allerdings kann - entgegen der Auffassung des Anwaltsgerichtshofs -
eine Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wer-
den. Dies hat der Senat mit Beschluss vom 10. Januar 2005 (AnwZ (B) 27 und
28/03, BGHZ 161, 376 ff = NJW 2005, 1568 ff) entschieden. Daran ist festzu-
halten.
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2. Die in dieser Entscheidung verlangten notwendigen Voraussetzungen
für die berufsrechtliche Zulassung einer Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft sind
jedoch nicht durchweg erfüllt.
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a) Zwar ist die Eigenverantwortlichkeit und Weisungsfreiheit der in der
Aktiengesellschaft tätigen Rechtsanwälte sichergestellt. Wie in der Senatsent-
scheidung vom 10. Januar 2005 gefordert, ist der Kreis der Aktionäre und Vor-
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standsmitglieder beschränkt. Aktionäre können nur aktiv in der Gesellschaft
mitarbeitende Rechtsanwälte und sozietätsfähige Personen sein.
b) Ein Zulassungshindernis ist auch nicht darin zu sehen, dass zum sat-
zungsgemäßen Gegenstand des Unternehmens die Berufstätigkeit von Ange-
hörigen der nach § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO sozietätsfähigen Berufe gehört.
Teilweise ist der Senatsentscheidung vom 10. Januar 2005 entnommen wor-
den, der Bundesgerichtshof wolle der Aktiengesellschaft eine derartige Öffnung
nicht erlauben (Römermann, BB 2005, 1135, 1136). Dies ist unzutreffend. In
dem angegebenen Beschluss (aaO S. 1571 unter 3 b dritter Spiegelstrich) hat
der Senat die "Beschränkung des Kreises der Aktionäre auf die in der Gesell-
schaft beruflich tätige(n) Rechtsanwälte und Angehörige(n) der in § 59a Abs. 1
Satz 1, Abs. 3 BRAO genannten Berufe" gefordert. Er hat damit - in Überein-
stimmung mit Stimmen in der Literatur (Henssler, in Henssler/Streck, Handbuch
des Sozietätsrechts 2001 E Rn. 152; ders. AnwBl. 2005, 374, 375; Brandi, in
Kilian/vom Stein, Praxishandbuch für Anwaltskanzlei und Notariat 2005 § 18
Rn. 159 f) - für die Aktiengesellschaft die zu enge Fassung des § 59c Abs. 1
ergänzt. Dies entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der sich in § 59e
Abs. 1 BRAO ausdrücklich zur interprofessionellen Rechtsanwaltsgesellschaft
mit beschränkter Haftung bekannt hat.
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c) Die Satzung der Antragstellerin weicht zwar auch insoweit von den
Vorgaben in der Senatsentscheidung vom 10. Januar 2005 ab, als sich die An-
tragstellerin an Zusammenschlüssen zur gemeinschaftlichen Berufsausübung
soll beteiligen dürfen. Die Antragstellerin hat jedoch erklärt, dass sie ihre Sat-
zung entsprechend dem Verbot des § 59c Abs. 2 BRAO ändern wird. Auch die-
ser Punkt rechtfertigt deshalb nicht eine Versagung der Zulassung.
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d) Nicht zulassungsfähig ist die Antragstellerin indes deswegen, weil ihre
Satzung die Bildung einer Sternsozietät erlaubt. Von dieser satzungsmäßigen
Erlaubnis möchte die Antragstellerin ersichtlich auch Gebrauch machen.
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aa) Aus § 16 Abs. 3 Buchst. b, § 17 Abs. 2 Buchst. h der Satzung lässt
sich entnehmen, dass Aktionäre Rechtsanwälte sein können, die - außer an der
Antragstellerin - auch an Sozietäten, also BGB-Gesellschaften, beteiligt sind.
Dies widerspricht § 59a Abs. 1 Satz 1, § 59e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BRAO. Nach
§ 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO darf sich ein Rechtsanwalt mit anderen Angehörigen
sozietätsfähiger Berufe in einer Sozietät zur gemeinschaftlichen Berufsaus-
übung verbinden. Das Wort "einer" ist hier nicht als unbestimmter Artikel, son-
dern als Zahlwort zu verstehen. Dies ist vom Gesetzgeber in § 59e Abs. 2
BRAO bekräftigt worden. Danach ist es den Gesellschaftern untersagt, ihren in
einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung ausgeübten Beruf in
einem weiteren beruflichen Zusammenschluss auszuüben. Dieses Gesetzes-
verständnis ergibt sich zudem aus den Materialien (BT-Drucks. 12/4993 S. 33,
13/9820 S. 14). In Rechtsprechung und Schrifttum herrscht darüber weitgehend
Einigkeit (BGH, Beschl. v. 21. Juni 1999 - AnwZ (B) 89/98, NJW 1999, 2970,
2971; v. 29. September 2003 - AnwZ (B) 24/00, NJW 2003, 3548, 3549; Henss-
ler, ZIP 1998, 2121, 2123 ff; Zuck, NJW 1999, 263, 265; Feuerich/Weyland,
BRAO 6. Aufl. § 59a Rn. 14; Kleine-Cosack, BRAO 3. Aufl. § 59a Rn. 3). Solche
konzernähnlichen Strukturen werden missbilligt. Sich mit einem Kapitalanteil an
einem solchen Zusammenschluss zu beteiligen, wäre nach § 59e Abs. 2 BRAO
zwar möglich (Henssler, NJW 1999, 241, 245; Kilian, NZG 2001, 150, 155). Die
Übernahme einer bloßen Kapitalbeteiligung ohne aktive Tätigkeit ist jedoch
durch § 59e Abs. 1 Satz 2 BRAO verboten. Die Einhaltung dieser Bestimmun-
gen hat der Senat in seiner Entscheidung vom 10. Januar 2005 auch für die
Aktionäre einer Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft gefordert.
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bb) Dass § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO die Beteiligung eines Rechtsanwalts
an einer BGB-Gesellschaft und § 59e Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BRAO diejenige an
einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung betrifft, besagt nicht,
dass im Umkehrschluss auf eine weitergehende Freiheit der übrigen Gesell-
schaftsformen geschlossen werden kann (so jedoch Römermann aaO). Da der
Gesetzgeber die Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft nicht geregelt und der Bun-
desgerichtshof diese Lücke unter Übernahme der Regeln zur Anwalts-GmbH
geschlossen hat, gilt jedenfalls § 59e Abs. 1 Satz 2 BRAO entsprechend auch
für die Rechtsanwalts-Aktiengesellschaft.
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cc) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist das Verbot der § 59a
Abs. 1, § 59e Abs. 2 BRAO - jedenfalls derzeit - nicht verfassungswidrig.
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(1) Im Schrifttum wird überwiegend die Meinung vertreten, das Verbot
der Sternsozietät halte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht Stand
(so Henssler, ZIP 1998, 2121, 2124; ders., NJW 1999, 241, 245; ders., in
Henssler/Prütting, BRAO 2. Aufl. § 31 BORA Rn. 8 ff; Zuck, NJW 1999, 263,
265; Deichfuß, AnwBl. 2001, 645, 647; Kilian, NZG 2001, 150, 155 f; Stein-
kraus/Schaaf, JuS 2001, 275, 277 f; Jawansky, DB 2002, 2699, 2701 f; Har-
tung, in Henssler/Streck aaO D Rn. 34; Michalski/Römermann, in Henss-
ler/Streck, aaO B Rn. 210; Römermann, in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsord-
nung 2. Aufl. § 31 BORA Rn. 29 f; a.A. Feuerich/Weyland, aaO § 59a Rn. 14;
Braun, Anwalt 4/2003 S. 8).
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(2) Dieser Meinung folgt der Senat nicht.
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Das Verbot der Sternsozietät verletzt nicht die durch Art. 12 Abs. 1 GG
geschützte Berufsfreiheit der Antragstellerin. Zur Berufsausübung gehört das
Recht, sich beruflich zusammenzuschließen (BVerfGE 80, 269, 278; BVerfG,
NJW 2003, 2520, 2522). Die vorliegend gegebene Einschränkung der Be-
rufsausübung hat vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand, weil sich das Verbot auf be-
achtliche Gründe des Gemeinwohls stützen lässt.
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Eine Anwaltschaft, die zu erheblichen Teilen aus angestellten Rechtsan-
wälten in anonymen, konzernähnlich verflochtenen Kapitalgesellschaften be-
stünde, wäre weder frei noch unabhängig. Zudem möchte, wer anwaltliche Leis-
tungen in Anspruch nimmt, ohne komplizierte Nachfrage wissen, wem er die
Wahrnehmung seiner rechtlichen Belange anvertraut und ob der Beauftragte
nicht zugleich widerstreitende Interessen vertritt oder auf sonstige Weise in der
Gefahr einer Interessenkollision steht (BGH, Beschl. v. 19. November 2001
- AnwZ (B) 75/00, NJW 2002, 1419). Der Rechtsuchende, der sich mannigfach
verschachtelten, intransparenten Rechtsanwaltsgesellschaften gegenüber sä-
he, müsste befürchten, dass für ihn unerkennbare Rücksichtnahmen und Inte-
ressenkollisionen die Qualität der rechtlichen Dienstleistung beeinflussen und
mindern können. Er könnte auch nicht ohne weiteres ausschließen, dass der
Gegner von anderen Rechtsanwälten desselben Dienstleistungskonzerns ver-
treten wird.
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Das Verbot der Sternsozietät verletzt auch nicht Art. 3 Abs. 1 GG, wo-
nach (im Wesentlichen) gleiche Sachverhalte nicht ohne sachlich gerechtfertig-
ten Grund unterschiedlich behandelt werden dürfen. Zwar sind Wirtschaftsprü-
fer nicht auf die Tätigkeit in einer Sozietät beschränkt, können also auch mehre-
ren angehören (§ 44b Abs. 1 WPO). Einem Steuerberater ist es ebenso wenig
verwehrt, sich an mehreren Steuerberatungsgesellschaften zu beteiligen, weil
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die Regelungen in den §§ 49 bis 55 StBerG keine dem § 59e Abs. 2 BRAO ent-
sprechende Norm enthalten. Auch auf Patentanwälte trifft das Verbot nicht zu
(Deichfuß AnwBl. 2001, 645, 647). Nach der Rechtsprechung des Bundesver-
fassungsgerichts bedürfen auf Grund der Artverwandtschaft der rechts- und
wirtschaftsberatenden Berufe differenzierende Beschränkungen ihrer Assozie-
rungsfreiheit regelmäßig einer besonderen Rechtfertigung (BVerfG, ZIP 1998,
1068). Eine solche lässt sich jedoch in dem Umstand finden, dass sich Rechts-
anwälte schwerpunktmäßig mit rechtlichen Konfliktsituationen befassen, in de-
nen auch die Gegenseite anwaltlich vertreten ist, während Steuerberater, Wirt-
schaftsprüfer und Patentanwälte nur ausnahmsweise in solchen Lagen tätig
werden.
Zwar ist es einem vergesellschafteten Rechtsanwalt berufsrechtlich nicht
untersagt, in beliebigem Umfang Einzelmandate zu übernehmen. Wenn eine
solche "Teilung und Vermehrung" der anwaltlichen Tätigkeit durch Rechtsbe-
sorgung außerhalb der Sozietät möglich ist, bedeutet es dennoch im Hinblick
auf die erwünschte Transparenz einen Unterschied, ob diese Rechtsbesorgung
durch den Rechtsanwalt als Einzelperson oder wiederum in Gesellschaft erfolgt.
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Allerdings darf der Eingriff nicht weiter gehen, als es die rechtfertigenden
Gemeinwohlbelange erfordern (BVerfGE 54, 301, 313), Eingriffszweck und Ein-
griffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfGE
101, 331, 347). Insofern wird geltend gemacht, es genüge, die bestehende Re-
gelung der Prävarikation in § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 BORA um ein Tätigkeits-
verbot für Mehrfachgesellschafter zu ergänzen (Henssler, in Henssler/Prütting,
aaO § 31 BORA Rn. 8). Dies erscheint unzutreffend, weil bei verschachtelten,
konzernähnlichen Gebilden die Einhaltung eines Tätigkeitsverbots nur mit
Schwierigkeiten zu kontrollieren wäre. Außerdem wäre durch ein Tätigkeitsver-
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bot die erforderliche Transparenz und die im Interesse der freien Advokatur ge-
botene persönliche Unabhängigkeit der Rechtsanwälte nicht herzustellen.
(3) Selbst wenn das Verbot der Sternsozietät durch wichtige Belange des
Gemeinwohls nicht (mehr) zu rechtfertigen oder ein Verstoß gegen den Gleich-
heitssatz anzunehmen wäre, könnte zur Zeit noch von keinem verfassungswid-
rigen Zustand ausgegangen werden.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Ge-
setzgeber einen vom Gericht nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspiel-
raum, wenn komplexe, in der Entwicklung begriffene Sachverhalte Gegenstand
der Gesetzgebung sind. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen in Rede ste-
hen, ist ein angemessener Zeitraum zu gewähren, um Erfahrungen zu sam-
meln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Regelung abzuhelfen (BVerfGE
83, 1, 21 ff; 101, 331, 350 f).
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Das Recht der beruflichen Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und
insbesondere der Rechtsanwaltsgesellschaften ist im Fluss. Die Vorschrift des
§ 59a BRAO, welche die berufliche Zusammenarbeit regelt, ist durch Gesetz
vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) in die Bundesrechtsanwaltsordnung
eingefügt worden. Über die grundsätzliche Zulässigkeit des Zusammenschlus-
ses von Rechtsanwälten zur gemeinsamen Berufsausübung in einer Kapitalge-
sellschaft hat erstmals das Bayerische Oberste Landesgericht in seinem Be-
schluss vom 24. November 1994 (NJW 1995, 199) entschieden. Diese Ent-
scheidung und der durch sie eingeleitete Auffassungswandel über die - verfas-
sungsrechtlich gebotene - Zulässigkeit einer Rechtsanwaltsgesellschaft mit be-
schränkter Haftung sind dann Anlass für die Einfügung der §§ 59c ff durch
Gesetz vom 31. August 1998 gewesen (BGBl. I S. 2600). Seinerzeit wollte der
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te der Gesetzgeber "zur Frage der Zulassung anderer Gesellschaftsformen
- insbesondere von Aktiengesellschaften - als Anwaltsgesellschaften (noch)
keine Aussage" machen (BT-Drucks. 13/9820 S. 11). Inzwischen hat der Senat
mit dem bereits mehrfach erwähnten Beschluss vom 10. Januar 2005 (AnwZ
(B) 27 und 28/03, BGHZ 161, 376 ff= NJW 2005, 1568 ff) die Anwaltsaktienge-
sellschaft zugelassen. Zur Regelung von Einzelheiten ist der Gesetzgeber auf-
gerufen.
Dass diese Vorgänge im gesetzgeberischen Bereich noch zu keinem
- wenigstens vorläufigen - Abschluss gekommen sind, zeigt unter anderem der
inzwischen vorliegende Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz
vom 13. April 2005 zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts, in dessen
Art. 3 teilweise weit reichende, auch die Sternsozietät betreffende Änderungen
der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgesehen sind. Daran ist er nicht gehindert.
Auch wenn das Verbot der Sternsozietät nicht verfassungswidrig ist, so kann
der Gesetzgeber es dennoch aus Zweckmäßigkeitsgründen beseitigen oder
einschränken. Aus diesen Gründen sollte dem Gesetzgeber nicht vorgegriffen
werden.
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dd) Das Verbot der Sternsozietät ist europarechtlich unbedenklich. Der in
Frankreich als Rechtsanwalt zugelassene Gesellschafter der Antragstellerin
wird nicht diskriminiert, weil er im Inland denselben Regelungen unterworfen
wird wie seine deutschen Mitgesellschafter. Die Niederlassungs- und Dienstleis-
tungsfreiheit ist nicht tangiert, weil der französische Rechtsanwalt, der sich in
Deutschland - oder in einem anderen Mitgliedstaat der Union außerhalb Frank-
reichs - beruflich betätigen will, keinen Anspruch darauf hat, dass das französi-
sche Berufsrecht über die Binnengrenzen hinweg angewendet wird. Art. 43
Abs. 2 EG garantiert lediglich die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Er-
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werbstätigkeiten "nach den Bestimmungen des Aufnahmestaats für seine eige-
nen Angehörigen" (BGH, Beschl. v. 19. September 2003 - AnwZ (B) 74/02,
NJW 2003, 3706, 3707).
Hirsch
Ganter
Otten
Ernemann
Schott
Frey
Wosgien
Vorinstanz:
AGH Hamburg, Entscheidung vom 27.09.2004 - I ZU 8/03