Urteil des BGH vom 03.12.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
I ZR 201/04
Verkündet am:
20. Oktober 2005
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ
: nein
BGHR
:
ja
HGB § 421 Abs. 3
Dem Unterfrachtführer steht gegenüber dem Empfänger, der sein Ablieferungs-
recht gemäß § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB geltend macht, kein eigener Anspruch
auf Zahlung eines Standgelds zu.
BGH, Urt. v. 20. Oktober 2005 - I ZR 201/04 - LG Heilbronn
AG Heilbronn
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Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren, in
dem den Parteien Schriftsätze bis zum 1. September 2005 nachgelassen waren,
am 20. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Büscher, Dr. Schaffert und Dr. Bergmann
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts
Heilbronn vom 3. Dezember 2004 wird auf Kosten der Klägerin zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Transportunternehmen, begehrt von der Beklagten Zah-
lung eines Standgeldes sowie Ersatz von Umdispositionskosten. Die Beklagte
hatte bei der E. GmbH & Co. KG (im Weiteren: Absenderin) Lebensmittel zur
Anlieferung am 30. Dezember 2002 bestellt. Die von der Absenderin mit der
Beförderung der Waren zur Niederlassung der Beklagten beauftragte R.
Transport GmbH (im Weiteren: Hauptfrachtführerin) beauftragte ihrerseits
die Klägerin mit der Ausführung des Transports.
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Die Klägerin hat vorgetragen, ihr Fahrer sei am 30. Dezember 2002 be-
reits um 7.30 Uhr auf dem Gelände der Niederlassung der Beklagten erschie-
nen. Er habe aber erst gegen 12.00 Uhr eine Rampe anfahren dürfen und habe
ohne vertragliche Verpflichtung sein Fahrzeug selbst entladen. Für die Über-
schreitung der Entladezeit verlangt sie ein Standgeld i.H. von 196 € zuzüglich
Mehrwertsteuer. Da wegen der Wartezeit keine Rückfracht mehr habe geladen
werden können, macht sie außerdem als Ersatz für die Kosten der Umdispositi-
on einen Pauschalbetrag von 128 € zuzüglich Mehrwertsteuer geltend.
Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 375,83 €
zu zahlen.
Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie ist der Auffassung, ein An-
spruch der Klägerin auf Standgeld scheitere bereits daran, dass zwischen der
Klägerin und dem Absender des Frachtgutes keine vertraglichen Beziehungen
bestünden. Sie hat ferner bestritten, dass der Fahrer der Klägerin so lange ha-
be warten müssen, und hat geltend gemacht, im Übrigen hätte die behauptete
Wartezeit durch eine Terminsvereinbarung vermieden werden können.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurück-
weisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Zahlungsbegehren
weiter.
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Entscheidungsgründe:
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Klägerin habe gegen die
Beklagte keinen Anspruch auf Standgeld und auf Schadensersatz. Zur Begrün-
dung hat es ausgeführt:
Für eine deliktische Haftung der Beklagten bestünden keine Anhalts-
punkte. Vertragliche Ansprüche gegen die Beklagte schieden ebenfalls aus,
weil die Klägerin ihre Frachtleistung allein aufgrund eines ihr von der Haupt-
frachtführerin erteilten Auftrages erbracht habe, die ihrerseits von der Absende-
rin mit der Beförderung des Frachtgutes zur Beklagten betraut worden sei. An
dieser Konstellation scheitere schließlich auch ein Anspruch aus § 421 Abs. 3
HGB gegen die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Empfängerin des Frachtgutes.
Nach Sinn und Zweck dieser Regelung und deren systematischer Stellung im
Transportrecht setze eine Verpflichtung des Empfängers zur Leistung von
Standgeld und sonstiger Vergütungen einen entsprechenden Anspruch des
Frachtführers gegen den Absender voraus.
II. Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Das Berufungsgericht hat vertragliche oder deliktische Ansprüche der
Klägerin rechtsfehlerfrei verneint. Die Revision erhebt insoweit auch keine Rü-
gen.
2. Die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche stehen der Klägerin,
wie das Berufungsgericht zutreffend entschieden hat, auch nicht nach § 421
Abs. 3 HGB zu. Nach dieser Vorschrift ist der Empfänger, der sein Abliefe-
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rungsrecht nach § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB geltend macht, bei Überschreitung
der Ladezeit, auch der Entladezeit (vgl. Koller, Transportrecht, 5. Aufl., § 421
HGB Rdn. 30; Ruß in: HK-HGB, 6. Aufl., § 421 Rdn. 8), zur Zahlung von Stand-
geld verpflichtet. Der Anspruch auf Standgeld gemäß § 421 Abs. 3 HGB richtet
sich auf Zahlung einer angemessenen Vergütung (vgl. § 412 Abs. 3 HGB); ei-
nen Anspruch auf Ersatz durch Entladeverzögerungen entstandener Schäden
begründet diese Vorschrift nicht (vgl. dazu Koller aaO § 421 HGB Rdn. 60).
Zahlung eines Standgelds gemäß § 421 Abs. 3 HGB kann die Klägerin, wie das
Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, schon deshalb nicht verlangen,
weil sie nicht von der Absenderin, sondern von der Hauptfrachtführerin beauf-
tragt worden ist, also lediglich als Unterfrachtführerin tätig geworden ist. Es
kann daher dahinstehen, ob es sich bei der von ihr geltend gemachten "Pau-
schale für Umdisposition" um ein auf Schadensersatz gerichtetes Verlangen
handelt oder ob damit nur ein zur Bestimmung der Angemessenheit der Stand-
geldvergütung dienender Umstand (vgl. dazu Koller aaO § 421 HGB Rdn. 58)
dargelegt werden sollte.
a) Die Verpflichtung des Empfängers zur Zahlung eines Standgelds ent-
steht gemäß § 421 Abs. 3 HGB nur, wenn er sein Recht nach § 421 Abs. 1
Satz 1 HGB geltend macht. Gemäß § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB ist der Empfänger
nach Ankunft des Frachtgutes an der Ablieferungsstelle berechtigt, vom Fracht-
führer zu verlangen, ihm das Gut gegen Erfüllung der Verpflichtungen aus dem
Frachtvertrag abzuliefern. Der durch § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB begründete ei-
genständige Anspruch des Empfängers entspricht dem Ablieferungsanspruch
des Absenders (§ 407 Abs. 1 HGB). Dieser hat seine Verpflichtung zur Zahlung
der vereinbarten Fracht (§ 407 Abs. 2 HGB) gleichfalls bei Ablieferung des Gu-
tes zu erfüllen (§ 420 Abs. 1 Satz 1 HGB). § 421 Abs. 1 HGB begründet somit
eine Doppellegitimation von Empfänger und Absender für frachtvertragliche
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Ansprüche gegenüber dem Frachtführer (vgl. Baumbach/Hopt/Merkt, HGB,
31. Aufl., § 421 Rdn. 2; MünchKomm.HGB/Dubischar, Aktualisierungsband zum
Transportrecht, § 422 HGB Rdn. 1). Dem Empfänger sollen als Drittbegünstig-
tem Rechte aus dem Frachtvertrag zustehen, die er im eigenen Namen geltend
machen kann. Die Zug-um-Zug-Verknüpfung in § 421 Abs. 1 Satz 1 HGB ist
folglich dahin zu verstehen, dass dem Empfänger nur Ansprüche aus dem zwi-
schen dem Absender und dem Hauptfrachtführer geschlossenen Frachtvertrag
entgegengehalten werden können (vgl. Koller aaO § 421 HGB Rdn. 8).
b) In welchem Umfang der Empfänger dem Frachtführer gegenüber An-
sprüche aus dem Frachtvertrag zu erfüllen hat, wenn er sein Ablieferungsrecht
geltend macht, ist in § 421 Abs. 2 und 3 HGB geregelt. In § 421 Abs. 4 HGB ist
bestimmt, dass der Absender zur Zahlung der nach dem Vertrag geschuldeten
Beträge verpflichtet bleibt. Das Ablieferungsverlangen nach § 421 Abs. 1 Satz 1
HGB führt danach zu einem Schuldbeitritt des Empfängers, der Absender und
Empfänger zu Gesamtschuldnern hinsichtlich der Verpflichtungen aus dem
Frachtvertrag macht (vgl. Koller aaO § 421 HGB Rdn. 25; Ebenroth/Boujong/
Joost/Gass, HGB, § 421 Rdn. 38; Ruß in: HK-HGB aaO § 421 Rdn. 11;
MünchKomm.HGB/Dubischar aaO § 422 Rdn. 6; Baumbach/Hopt/Merkt aaO
§ 421 Rdn. 3). Die Verpflichtung des Empfängers zur Zahlung von Standgeld
gemäß § 421 Abs. 3 HGB knüpft demnach, wie das Berufungsgericht zutreffend
angenommen hat, gleichfalls an die entsprechende Verpflichtung des Absen-
ders aus dem von diesem geschlossenen Frachtvertrag an (vgl. § 412 Abs. 3
HGB). Auch insoweit besteht eine vertragliche Verpflichtung des Absenders nur
gegenüber dem Hauptfrachtführer, nicht dagegen im Verhältnis zu Unterfracht-
führern, deren sich der Hauptfrachtführer zur Erfüllung seiner frachtvertragli-
chen Verpflichtungen dem Absender gegenüber bedient. Erklärt der Empfänger
sein Ablieferungsverlangen dem vom Hauptfrachtführer eingesetzten Unter-
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frachtführer gegenüber, so erlangt dieser daher keine Ansprüche gemäß § 421
Abs. 2 und 3 HGB gegenüber dem Empfänger (vgl. Koller aaO § 421 HGB
Rdn. 25). Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich weder dem Wortlaut
noch dem Zweck von § 421 Abs. 3 HGB entnehmen, dass durch diese Vor-
schrift eigene Ansprüche des Unterfrachtführers dem Empfänger gegenüber
begründet werden sollen. Der Unterfrachtführer, dem im Verhältnis zum Haupt-
frachtführer ein Anspruch auf Standgeld gemäß § 412 Abs. 3 HGB zusteht,
bleibt es unbenommen, sich dessen Anspruch auf Standgeld (§ 412 Abs. 3,
§ 421 Abs. 3 HGB) abtreten zu lassen. Im Streitfall geht die Klägerin aber nicht
aus abgetretenem Recht vor.
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III. Danach ist die Revision der Klägerin als unbegründet zurückzuwei-
sen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Ullmann
Bornkamm
Büscher
Schaffert
Bergmann
Vorinstanzen:
AG Heilbronn, Entscheidung vom 07.05.2004 - 2 C 2339/03 -
LG Heilbronn, Entscheidung vom 03.12.2004 - 7 S 20/04 -
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