Urteil des BGH vom 09.02.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VII ZB 59/05
vom
9. Februar 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 91, 96, 494 a
a) Die im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Gerichtskosten stellen ge-
richtliche Kosten des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens dar. Voraussetzung
hierfür ist, dass Parteien und Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des
Hauptprozesses identisch sind (Bestätigung von BGH, Beschluss vom 22. Juli
2004 - VII ZB 9/03, BauR 2004, 1809, 1810 = ZfBR 2005, 53 = NZBau 2004,
674).
b) Eine Identität der Streitgegenstände in diesem Sinne liegt bereits dann vor, wenn
nur Teile des Streitgegenstands eines selbständigen Beweisverfahrens zum Ge-
genstand der anschließenden Klage gemacht werden (im Anschluss an BGH,
Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03, BauR 2004, 1485, 1486 = ZfBR
2004, 785 = NZBau 2004, 507 und Beschluss vom 21. Oktober 2004 - V ZB
28/04, BauR 2005, 429, 430 = NZBau 2005, 43).
c) Bleibt
die
Hauptsacheklage hinter dem Verfahrensgegenstand des selbständigen
Beweisverfahrens zurück, können im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller in
entsprechender Anwendung von § 96 ZPO die dem Antragsgegner durch den
überschießenden Teil des selbständigen Beweisverfahrens entstandenen Kosten
auferlegt werden. Hat das Gericht der Hauptsache von dieser Möglichkeit keinen
Gebrauch gemacht, scheidet eine Korrektur der Kostengrundentscheidung im
Wege der Kostenfestsetzung aus (im Anschluss an BGH, Beschluss vom 24. Ju-
ni 2004 - VII ZB 34/03, BauR 2004, 1487, 1488 = ZfBR 2004, 788 = NZBau 2005,
44 und Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03, BauR 2004, 1485, 1486 =
ZfBR 2004, 785 = NZBau 2004, 507).
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2006 - VII ZB 59/05 - LG Berlin
AG
Schöneberg
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Februar 2006 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Hausmann, Dr.
Wiebel,
Prof. Dr. Kniffka und Bauner
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss der
Zivilkammer 82 des Landgerichts Berlin vom 9. März 2005 aufge-
hoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zu-
rückverwiesen.
Gegenstandswert: 1.166,36 €
Gründe:
I.
Der Beklagte wendet sich gegen einen Kostenfestsetzungsbeschluss.
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Die Kläger beauftragten den Beklagten mit dem Einbau einer Heizungs-
anlage in ihrem Wohnhaus. Nachdem sie Mängel des Werkes gerügt hatten,
beantragten sie beim Amtsgericht S. die Durchführung eines selbständigen Be-
weisverfahrens. Der Sachverständige bestätigte das Vorliegen eines Teiles der
gerügten Mängel und bezifferte die Mängelbeseitigungskosten auf 555,54 €.
Den Wert des selbständigen Beweisverfahrens hat das Amtsgericht auf
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10.000 DM (5.112,92 €) festgesetzt. Die auf Zahlung des Betrages von
555,54 € gerichtete Klage hatte in Höhe von 359,16 € Erfolg. Das Amtsgericht
hat die Kosten des Rechtsstreits den Klägern zu 6/17 und dem Beklagten
zu 11/17 auferlegt. Das Urteil ist rechtskräftig.
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Die Parteien haben Kostenfestsetzung beantragt. Dabei haben die Klä-
ger u. a. die gesamten im Beweisverfahren angefallenen Sachverständigenkos-
ten in Höhe von 2.314,10 € sowie die Gerichtsgebühr für das Beweisverfahren
in Höhe von 60,08 €, berechnet nach einem Gegenstandswert von 5.112,91 €,
angesetzt. Bei den außergerichtlichen Kosten haben beide Parteien zusätzlich
zu der Prozessgebühr für das Hauptsacheverfahren eine Prozessgebühr für
das Beweisverfahren geltend gemacht, die sie auf Anregung der Rechtspflege-
rin jedoch nur nach einem Gegenstandswert von 555,54 € berechnet haben.
Im Kostenfestsetzungsbeschluss hat das Amtsgericht die vom Beklagten
an die Kläger zu erstattenden Kosten auf 351,51 € festgesetzt. Die Sachver-
ständigenkosten hat es dabei lediglich in Höhe von 257,12 € angesetzt, be-
rechnet nach dem Verhältnis des Wertes des Beweis- zum Wert des Hauptsa-
cheverfahrens. Die Gerichtsgebühr des Beweisverfahrens hat es nur in der Hö-
he (17,90 €) angesetzt, in der sie unter Zugrundelegung des Streitwertes der
Hauptsache entstanden wäre. Dem beiderseitigen Antrag der Parteien auf Fest-
setzung einer zusätzlichen Prozessgebühr für das Beweisverfahren hat es
entsprochen. Auf die sofortige Beschwerde der Kläger hat das Landgericht die
Entscheidung des Amtsgerichts abgeändert und die von dem Beklagten an die
Kläger zu erstattenden Kosten auf 1.517,87 € festgesetzt. Das Landgericht hat
die Rechtsbeschwerde zugelassen. Der Beklagte hat diese eingelegt.
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II.
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Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übri-
gen zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der
Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Be-
schwerdegericht.
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1. Das Landgericht ist der Ansicht, die Kosten des selbständigen Be-
weisverfahrens seien bei der Kostenfestsetzung nur in eingeschränktem Um-
fang zu berücksichtigen. Die Kläger hätten im Hauptsacheverfahren Schadens-
ersatz nur für einen Teil der im selbständigen Beweisverfahren geltend ge-
machten Mängel verlangt. Die im Hauptsacheprozess ergangene Kostenent-
scheidung erfasse daher nur diejenigen Kosten des nach dem höheren Wert
durchgeführten Beweisverfahrens, die sich auf den Streitgegenstand der
Hauptsache bezogen hätten.
Von den Sachverständigenkosten in Höhe von 2.349,89 € sei nur ein
Teilbetrag von 2.059,67 € anzusetzen. Die restlichen Kosten von 254,42 € ent-
fielen auf eine vom Sachverständigen beantwortete Beweisfrage, die mit dem
Rechtsstreit der Hauptsache in keinem Zusammenhang stehe.
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Soweit das Amtsgericht die Gerichtsgebühr für das selbständige Beweis-
verfahren nur in der Höhe berücksichtigt habe, wie sie entstanden wäre, wenn
dieses Verfahren unter Zugrundelegung des Wertes des Hauptsacheprozesses
durchgeführt worden wäre, könne dahinstehen, ob die festzusetzende Gebühr
nicht vielmehr nach dem Verhältnis der Streitwerte der beiden Verfahren zu be-
rechnen sei. Denn die vom Amtsgericht gewählte Berechnungsweise erweise
sich für die Kläger als günstiger, da diese hierdurch einen höheren Betrag der
Gerichtsgebühr für das Beweisverfahren erstattet bekämen, als es bei Anwen-
dung der anderen Berechnungsart der Fall wäre.
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Dahinstehen könne auch, ob bei der Kostenfestsetzung die vom Beklag-
ten für das Beweisverfahren geltend gemachte Prozessgebühr zusätzlich zu der
Prozessgebühr des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen sei. Denn die
Prozessgebühr sei sowohl von den Klägern als auch von dem Beklagten zwei-
mal zur Festsetzung und Ausgleichung beantragt und von der Rechtspflegerin
auch als erstattungsfähig angesehen worden. Da der Beklagte die Kosten des
Rechtsstreits mit 11/17 zu einem verhältnismäßig höheren Anteil als die Kläger
zu tragen habe, führe dies zu einem für die Kläger günstigeren Ergebnis.
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2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand.
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a) Im Ansatz zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Kosten
des selbständigen Beweisverfahrens zu den Kosten des anschließenden
Hauptsacheverfahrens gehören und von der darin getroffenen Kostenentschei-
dung mit umfasst werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die Parteien und der
Streitgegenstand des Beweisverfahrens und des Hauptprozesses identisch sind
(BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 34/03, BauR 2004, 1487, 1488 =
ZfBR 2004, 788 = NZBau 2005, 44; Beschluss vom 22. Juli 2004 - VII ZB 9/03,
BauR 2004, 1809, 1810 = ZfBR 2005, 53 = NZBau 2004, 674).
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b) Eine Identität der Streitgegenstände in diesem Sinne liegt bereits dann
vor, wenn nur Teile des Streitgegenstands eines selbständigen Beweisverfah-
rens zum Gegenstand der anschließenden Klage gemacht werden (BGH, Be-
schluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03, BauR 2004, 1485, 1486 = ZfBR
2004, 785 = NZBau 2004, 507; Beschluss vom 21. Oktober 2004 - V ZB 28/04,
BauR 2005, 429, 430 = NZBau 2005, 43). Davon, dass der Streitgegenstand
des Hauptprozesses mit dem des Beweisverfahrens hier zumindest zum Teil
identisch ist, ist das Landgericht zutreffend ausgegangen.
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c) Zu Unrecht meint das Landgericht aber, dass bei nur teilweiser Identi-
tät der Streitgegenstände die Kostenentscheidung des Hauptprozesses nur die-
jenigen Kosten eines nach einem höheren Wert durchgeführten Beweisverfah-
rens erfasst, die sich auf den Streitgegenstand der Hauptsache beziehen.
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aa) Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens gehören auch dann
zu den Kosten des Klageverfahrens, wenn die Hauptsacheklage hinter dem
Verfahrensgegenstand des selbständigen Beweisverfahrens zurückbleibt (BGH,
Beschluss vom 21. Oktober 2004 - V ZB 28/04, BauR 2005, 429, 430 = NZBau
2005, 43). In diesem Fall können im Hauptsacheverfahren dem Antragsteller in
entsprechender Anwendung von § 96 ZPO die dem Antragsgegner durch den
überschießenden Teil des selbständigen Beweisverfahrens entstandenen Kos-
ten auferlegt werden (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 11/03, BauR
2004, 1485, 1486 = ZfBR 2004, 785 = NZBau 2004, 507). Hat das Gericht der
Hauptsache von dieser Möglichkeit keinen Gebrach gemacht, scheidet eine
Korrektur der Kostengrundentscheidung im Wege der Kostenfestsetzung aus
(BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 - VII ZB 34/03, BauR 2004, 1487, 1488 =
ZfBR 2004, 788 = NZBau 2005, 44).
bb) Das Amtsgericht hat bei seiner Kostenentscheidung § 96 ZPO nicht
angewandt. Die gesamten Kosten des selbständigen Beweisverfahrens sind
demzufolge gemäß der im Kostenausspruch des Urteils des Amtsgerichts an-
gegebenen Quote von den Parteien anteilig zu tragen.
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d) Nach dieser Maßgabe wird das Landgericht unter Beachtung des Ver-
bots der reformatio in peius zu überprüfen haben, ob und in welcher Höhe die
von den Parteien zum Ausgleich angemeldeten Kosten berechtigt sind. Der Se-
nat weist insoweit auf Folgendes hin:
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aa) Das Verbot der reformatio in peius gilt lediglich für den festgesetzten
Gesamtbetrag. Die einzelnen Posten der Kostenfestsetzung können dagegen
geprüft und gegebenenfalls korrigiert und durch andere ersetzt werden, wenn
nur das Endergebnis sich nicht zum Nachteil des Rechtsmittelführers ändert
(vgl. BFH, Beschluss vom 16. Dezember 1969 - VII B 45/68, BFHE 98, 12, 14;
v. Eicken/Lappe/Madert, Die Kostenfestsetzung, 18. Aufl., Rdn. B 208 i.V.m.
Rdn. B 182; Wieczorek/Schütze/Steiner, ZPO, 3. Aufl., § 104 Rdn. 39; Zöller/
Gummer, ZPO, 25. Aufl., § 572 Rdn. 40; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl.,
§ 104 Rdn. 41; a.A.: Pauling, JurBüro 2002, 61 m.w.N.).
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bb) Die Kosten des Sachverständigen sind in vollem Umfang anzuset-
zen. Ob Teile des Sachverständigengutachtens keinen Bezug zu dem Hauptsa-
cheverfahren gehabt haben, ist ohne Belang.
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Das Landgericht wird in diesem Rahmen auch zu überprüfen haben, in
welcher Höhe Sachverständigenkosten angefallen sind. Nach den im angefoch-
tenen Beschluss wiedergegebenen Feststellungen des Amtsgerichts betragen
diese 2.314,10 €. Seiner Berechnung hat das Landgericht indes einen Aus-
gangswert von 2.349,89 € zugrunde gelegt.
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cc) Die Gerichtsgebühr für das Beweisverfahren richtet sich nach dem
hierfür festgesetzten Streitwert von 5.112,91 €.
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dd) Die Prozessgebühr für das Beweisverfahren kann nicht neben der
Prozessgebühr für das Hauptsacheverfahren geltend gemacht werden. Die
Kosten der Prozessbevollmächtigten der Parteien für das selbständige Beweis-
verfahren gehören gemäß § 37 Nr. 3 BRAGO zu den Kosten des Rechtszugs
und sind demgemäß nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BRAGO durch die in dem Haupt-
sacheverfahren angefallenen Gebühren mit abgegolten (vgl. HansOLG Ham-
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burg, JurBüro 1997, 320; OLG München, Rpfleger 1994, 317; Gerold/
Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 37 Rdn. 9e).
Dressler
Hausmann
Wiebel
Kniffka
Bauner
Vorinstanzen:
AG Schöneberg, Entscheidung vom 11.05.2004 - 3 C 145/02 -
LG Berlin, Entscheidung vom 09.03.2005 - 82 T 464/04 -