Urteil des BGH vom 22.01.2004

BGH (zpo, grundstück, begründung, behinderung, angriff, einfahrt, bezeichnung, erwägung, gutachten, fehlerhaftigkeit)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 47/03
vom
22. Januar 2004
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 22. Januar 2004 durch die
Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Gaier und die Richterin
Dr. Stresemann
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 16. Zivilkammer
des Landgerichts Leipzig vom 1. August 2003 wird auf Kosten des
Klägers als unzulässig verworfen.
Gründe:
I.
Der Kläger hat von dem Beklagten verlangt, es zu unterlassen, sein
Fahrzeug gegenüber der Einfahrt des Grundstücks des Klägers abzustellen, da
ihm hierdurch das Einfahren auf bzw. das Ausfahren aus seinem Grundstück
erheblich erschwert werde. Das Amtsgericht hat die Klage nach Einholung ei-
nes Sachverständigengutachtens abgewiesen. Es hat eine erhebliche Behinde-
rung nicht als bewiesen angesehen. Zum einen handele es sich um eine nor-
male Verkehrssituation, die sich jedem Verkehrsteilnehmer stelle und die ledig-
lich durch die eigene enge Einfahrt des Klägers verschärft werde, welche der
Beklagte nicht zu vertreten habe. Zum anderen könnten die Schwierigkeiten
nach dem Gutachten des Sachverständigen dadurch vermieden werden, daß
der Kläger rückwärts auf sein Grundstück fahre; dies sei ohne das Erfordernis
mehrmaligen Rangierens problemlos möglich.
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Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht mit der
Begründung als unzulässig verworfen, die Berufungsbegründung setze sich
nur mit dem ersten Gesichtspunkt der klageabweisenden Entscheidung des
Amtsgerichts auseinander, nicht aber mit der davon unabhängigen Begrün-
dung, der Kläger könne die geltend gemachten Behinderungen vermeiden,
wenn er rückwärts auf sein Grundstück fahre. Eine solche Begründung, die
sich nicht mit beiden selbständig tragenden Erwägungen des angefochtenen
Urteils auseinandersetze, genüge nicht den Anforderungen an eine ordnungs-
gemäße Berufungsbegründung.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers, deren Zu-
rückweisung der Beklagte beantragt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zwar nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522
Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft, im übrigen jedoch unzulässig, da es an einem Zu-
lassungsgrund nach § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
1. Die Rechtsbeschwerde verkennt nicht, daß es gesicherter Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs entspricht, daß sich die Berufungsbegründung,
die sich gegen ein auf zwei voneinander unabhängige, selbständig tragende
rechtliche Erwägungen gestütztes klageabweisendes Urteil richtet, mit beiden
Erwägungen auseinandersetzen und darlegen muß, warum sie die Entschei-
dung nicht tragen (BGH, Urt. v. 18. Juni 1998, IX ZR 389/97, MDR 1998, 1114
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m.w.N.). Soweit sie meint, diese für das frühere Revisionsrecht entschiedene
Rechtsfrage bedürfe für das neue Recht der Klärung (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 oder
Nr. 2 Alt. 1 ZPO), ist ihr nicht zu folgen. Sie legt schon nicht dar, daß das neue
Recht insoweit eine Änderung erbracht hätte, vor deren Hintergrund die Frage,
welchen Anforderungen eine Berufungsbegründung in einem Fall wie hier ge-
nügen muß, neu zu stellen wäre. Tatsächlich hat das neue Recht auch keine
Änderung herbeigeführt. § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, die Vorschrift, auf die die
Notwendigkeit, das Urteil in der Berufungsbegründung insgesamt in Frage zu
stellen, gestützt wird, entspricht § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO a.F. Soweit sprachlich
eine Abweichung besteht, indem dem Berufungsführer früher eine "bestimmte
Bezeichnung" der die Berufung rechtfertigenden Umstände abverlangt wurde,
während nun lediglich eine "Bezeichnung" gefordert wird, so kommt dem keine
inhaltliche Bedeutung zu. Es sind damit die Anforderungen gegenüber früher
nicht herabgesetzt worden (MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl., Aktua-
lisierungsband, § 520 Rdn. 50; Zöller/Gummer/Heßler, ZPO, 24. Aufl., § 520
Rdn. 33; vgl. auch Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 520 Rdn. 15:
uneingeschränkte Anwendung der bisherigen Rechtsprechung; Musielak/Ball,
ZPO, 3. Aufl., § 520 Rdn. 31, wonach die Anforderungen "sprachlich" herabge-
setzt wurden; anders, aber inhaltslos, die Gesetzesbegründung, BT-
Drucks. 14/4722, S. 95), und dies schon gar nicht im Hinblick darauf, daß ein
Urteil in allen selbständig tragenden Gründen angegriffen werden muß. Daß
die Umstände, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Urteils
ergeben soll, hinreichend bestimmt bezeichnet werden müssen, ergibt sich,
auch ohne daß dies sprachlich besonders hervorgehoben wird, schon daraus,
daß anderenfalls nicht zu erkennen wäre, was der Berufungsführer konkret rü-
gen will. Das aber ist Voraussetzung für eine zulässige Berufung (Musie-
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lak/Ball, § 520 Rdn. 29; Zöller/Gummer/Heßler, § 520 Rdn. 33 ff.; MünchKomm-
ZPO/Rimmelspacher, § 520 Rdn. 53).
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wirft die Annahme
des Berufungsgerichts, das Urteil des Amtsgerichts beruhe auf zwei selbstän-
dig tragenden Erwägungen, keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung auf,
die der Klärung bedürfte. Ob eine Entscheidung auf mehreren selbständigen
Erwägungen beruht, ist eine Frage des Einzelfalls. Sollte das Berufungsgericht
sie im konkreten Fall falsch beantwortet haben, läge darin ein einfacher
Rechtsfehler, der der Rechtssache indes keine grundsätzliche Bedeutung ver-
liehe. Im übrigen mißversteht die Rechtsbeschwerde das angefochtene Urteil
des Amtsgerichts. Dieses hat mit dem Begründungselement, der Kläger habe
keinen Anspruch darauf, auf sein Grundstück nur vorwärts einzufahren, nicht
allein darüber befunden, daß der Kläger eine Behinderung bei der Einfahrt in
sein Grundstück durch Rückwärtsfahren vermeiden könne, so daß es für die
Behinderung bei der Ausfahrt an einer zweiten selbständigen Begründung
fehle. Vielmehr hat es, gestützt auf das Sachverständigengutachten, offen-
sichtlich und naheliegend auch im Blick gehabt, daß nach einem problemlosen
Rückwärtseinfahren ein Vorwärtsausfahren ebenso problemlos möglich ist (vgl.
Gutachten des Sachverständigen S. 8).
3. Schließlich stellt sich entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwer-
de auch nicht die Grundsatzfrage, ob bei einem auf mehreren selbständigen
Erwägungen beruhenden Urteil eine zulässige Begründung dann vorliege,
wenn der Beschwerdeführer "überhaupt insoweit einen Angriff führt, gleichgül-
tig, ob er richtig ist, überzeugend oder plausibel". Der Kläger hat nämlich ge-
gen die Erwägungen des Berufungsgerichts, er könne Behinderungen vermei-
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den, wenn er in sein Grundstück rückwärts einfahre, keinen Angriff geführt. Er
hat zwar - im übrigen zu Unrecht - bemängelt, daß über die Frage des Ausfah-
rens keine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Darin liegt jedoch kein Angriff
gegen die Erwägung des Amtsgerichts, bei einem Rückwärtseinfahren würden
Beeinträchtigungen des Klägers vermieden. Vielmehr wird allein gerügt, der
Sachverständige habe nur die Lenkbewegungen beim Einfahren untersucht,
nicht aber die beim Ausfahren. Und dieser Vortrag bezieht sich allein darauf,
daß "der Kläger einmal vorwärts fährt (Einfahren) und einmal rückwärts (Aus-
fahren)". Die zweite Erwägung des Amtsgerichts geht aber gerade von der um-
gekehrten Möglichkeit aus, daß rückwärts eingefahren und vorwärts ausgefah-
ren wird.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Krüger Klein
Gaier Stresemann