Urteil des BGH vom 04.07.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 31/02
vom
4. Juli 2002
in dem Insolvenzeröffnungsverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 7 i.d.F. von Art. 12 Nr. 2 ZPO-RG; ZPO § 574 Abs. 2
Die Insolvenz-Rechtsbeschwerde ist nur zulässig, wenn die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache oder das Erfordernis einer Entscheidung des
Bundesgerichtshofs zur Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung auch unter Berücksichtigung der Klärungen anzunehmen
ist, die bereits auf der Grundlage von § 7 InsO a.F. durch Entscheidungen
der Oberlandesgerichte oder Vorlageentscheidungen des Bundesgerichts-
hofs erfolgt sind.
InsVV § 11 Abs. 1 Satz 2, 3
Welcher Bruchteil der Insolvenzverwaltervergütung unter Berücksichtigung
von Art, Dauer und Umfang der Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwal-
ters festzusetzen ist, hat im Einzelfall grundsätzlich der Tatrichter zu würdi-
gen.
BGH, Beschluß vom 4. Juli 2002 - IX ZB 31/02 - LG Wuppertal
AG Wuppertal
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Ganter und Raebel
am 4. Juli 2002
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten gegen den Be-
schluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom
18. Januar 2002 - Geschäftsnummer 6 T 523/01 - wird auf seine
Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde beträgt 4.348,06
€.
Gründe:
I.
Der weitere Beteiligte war vom 21. Februar bis zum 22. März 2001 vor-
läufiger Insolvenzverwalter der Schuldnerin (GmbH), die das Insolvenzverfah-
ren über das eigene Vermögen beantragt hatte. Verfügungen der Schuldnerin
bedurften nach den Anordnungen des Insolvenzgerichts seiner Zustimmung. Im
übrigen hatte er durch Überwachung der Schuldnerin deren Vermögen zu si-
chern und zu erhalten.
Der weitere Beteiligte begab sich am 22. Februar 2001 zu der angege-
benen Geschäftsadresse der Schuldnerin in Wuppertal, die er nicht vorfand.
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Das tatsächliche Geschäftslokal der Schuldnerin befand sich nach Auskunft
ihres anwaltlichen Vertreters, der den Eigenantrag unterzeichnet hatte, in
Nürnberg. Der weitere Beteiligte verständigte außerdem die Bank der Schuld-
nerin, bei der ihr einziges Geschäftskonto mit einem Guthaben von etwa
32.000 DM geführt wurde, von der angeordneten Verfügungsbeschränkung.
Hierüber berichtete er am Folgetage an das Insolvenzgericht und regte die
Verweisung des Verfahrens nach Nürnberg an.
Der Insolvenzrichter setzte auf Antrag des weiteren Beteiligten die Ver-
gütung nach einem Massewert von 159.364,59 DM auf 25 % des Regelsatzes
gemäß § 2 InsVV = 9.163,88 DM zuzüglich Mehrwertsteuer fest. Über die Gut-
achtertätigkeit des weiteren Beteiligten wurde gesondert abgerechnet. Hierüber
besteht ebensowenig Streit wie über die zuerkannte Auslagenerstattung.
Auf die sofortige Beschwerde der Schuldnerin ermäßigte das Landge-
richt die Vergütung auf 5 % des genannten Regelsatzes = 1.832,78 DM zuzüg-
lich Mehrwertsteuer.
Mit seiner Rechtsbeschwerde erstrebt der weitere Beteiligte die Wieder-
herstellung der amtsgerichtlichen Festsetzung. Die Schuldnerin tritt dem ent-
gegen.
II.
Die Rechtsbeschwerde beruft sich für die Zulässigkeit des Rechtsmittels
(§ 574 Abs. 2 ZPO) auf zwei, nach ihrer Ansicht entscheidungserhebliche,
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Rechtsfragen, die im Schrifttum bisher unterschiedlich oder jedenfalls nicht ab-
schließend beantwortet worden seien:
(1) Wenn der vorläufige Insolvenzverwalter, dessen Aufgaben und Be-
fugnisse nicht über diejenigen des früheren Sequesters hinausgehen, regel-
mäßig nicht mehr als 25 % der Vergütung des endgültigen Insolvenzverwalters
erhalten solle (BGHZ 146, 165, 177), sei die Frage aufgeworfen, ob dem star-
ken vorläufigen Insolvenzverwalter i.S. von § 22 Abs. 1 InsO ein höherer Re-
gelvergütungssatz zustehe.
(2) Der Klärung bedürfe auch die Rechtsfrage, inwieweit die anerkannte
Regelvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters von 25 % der Verwalter-
vergütung (§ 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV) in einfachen und einfachsten Fällen un-
terschritten werden könne.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist nach den §§ 7 und 4 InsO i.V.m. § 574 Abs. 1
Nr. 1, Abs. 2 ZPO unzulässig.
1. Der weitere Beteiligte war nicht als (starker) vorläufiger Insolvenzver-
walter mit alleiniger Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis (§ 21 Abs. 2 Nr. 2
1. Fall, § 22 Abs. 1 InsO) bestellt; denn das Amtsgericht hatte nur einen
Zustimmungsvorbehalt gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Fall InsO angeordnet. Auf
Rechtsfragen zur Vergütung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters
kommt es deshalb im Beschwerdefall nicht an.
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2. Die Bemessung von Vergütungszu- oder -abschlägen gemäß § 11
Abs. 1 Satz 3 InsVV unter Berücksichtigung von Art, Dauer und Umfang der
jeweils entfalteten Tätigkeit des vorläufigen Insolvenzverwalters ist vorwiegend
eine Frage der tatrichterlichen Würdigung des Leistungsbildes im Einzelfall
(vgl. OLG Köln, Beschl. v. 19. Dezember 2001 - 2 W 218/01 -, Umdruck S. 5 f;
OLG Celle NZI 2001, 650, 651 = ZInsO 2001, 1003, 1004). Der rechtlichen
Nachprüfung zugänglich sind jedoch die Maßstäbe (Rechtsgrundsätze) und
ihre Beachtung, nach denen das Leistungsbild der entfalteten Verwaltertätig-
keit im Einzelfall gewürdigt und zu dem Grundsatz einer leistungsangemesse-
nen Vergütung (§ 21 Abs. 2 Nr. 1, § 63 InsO) in Beziehung gesetzt worden ist.
Geht es nur um die Verletzung solcher rechtlich nachprüfbarer Maßstäbe bei
der Festsetzung der Vergütung im Einzelfall, führt die Beanstandung eines ent-
sprechenden Rechtsfehlers nach § 574 Abs. 2 ZPO freilich noch nicht zur Zu-
lässigkeit der Rechtsbeschwerde, solange nicht eine Fehlbeurteilung die Ge-
fahr einer Maßstabsverschiebung mit sich bringt. Zwar kann die Entwicklung
allgemeiner Rechtsgrundsätze zur Konkretisierung des Berücksichtigungsge-
botes in bezug auf Art, Dauer und Umfang der Verwaltertätigkeit zur Fortbil-
dung des Rechtes oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch
eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern (§ 574 Abs. 2
Nr. 2 ZPO). Im Beschwerdefall ist ein solches Erfordernis indes nicht dargelegt.
Die Rechtsbeschwerde bezweifelt selbst nicht, daß ein Vergütungssatz
von 25 % bei sequestrationsähnlicher vorläufiger Verwaltung nach § 11 Abs. 1
Satz 3 InsVV im Einzelfall deutlich unterschritten werden kann. Diese Rechts-
frage ist im Grundsatz auch bereits durch die nach § 7 InsO a.F. ergangene
oberlandesgerichtliche Rechtsprechung geklärt (vgl. OLG Celle aaO 652; OLG
Köln aaO Umdruck S. 7). Der Übergang der Rechtsbeschwerdezuständigkeit
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auf den Bundesgerichtshof durch die §§ 133 GVG, 7 InsO i.d.F. des Zivilpro-
zeßreformgesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) läßt zwar zu, daß der
Bundesgerichtshof die Vorgängerrechtsprechung der Oberlandesgerichte sei-
nerseits fortbildet oder, wie eigene Rechtsprechung, aufgibt. Die Zuständig-
keitsänderung wirft die bereits erreichte höchstrichterliche Klärung in der Aus-
legung der Insolvenzordnung und der nach § 65 InsO ergangenen Verordnung
aber nicht an den Anfang zurück (vgl. bereits Senatsbeschl. v. 20. Juni 2002
- IX ZB 36/02, z.V.b.). Trotz Regelzuständigkeit der Oberlandesgerichte für die
weitere Beschwerde gemäß § 7 InsO a.F. verbürgte auch diese Rechtsschutz-
form eine höchstrichterliche Klärung grundsätzlicher Auslegungsfragen, weil
das Rechtsmittel bei Divergenz nach § 7 Abs. 2 InsO a.F. dem Bundesge-
richtshof vorgelegt werden mußte.
Im Beschwerdefall hat das Landgericht die Vergütung des weiteren Be-
teiligten danach bestimmt, daß der Umfang seiner Verwaltertätigkeit trotz einer
Amtszeit von normaler Dauer infolge der Umstände des Einzelfalls zwangs-
läufig erheblich hinter dem Regelfall zurückgeblieben ist. Eine grundsätzlich
rechtsfehlerhafte oder die Einheitlichkeit der Rechtsprechung in Frage stellen-
de Würdigung des Leistungsbildes und seiner Bewertung ist in dieser Be-
schwerdeentscheidung nicht zu erkennen. Sie bietet auch keinen Anlaß zu ei-
ner Rechtsfortbildung.
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Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde ergibt sich aus der streiti-
gen Vergütungsdifferenz.
Kreft
Kirchhof
Fischer
Ganter
Raebel