Urteil des BGH vom 22.01.2013

BGH: negative feststellungsklage, herausgabe, besitz, wiederherstellung, mietsache, räumung, zerstörung, erfüllung, zustand, meinung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 104/12
vom
22. Januar 2013
in dem Rechtsstreit
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Januar 2013 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger, Dr. Hessel und
Dr. Fetzer sowie den Richter Dr. Bünger
beschlossen:
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Re-
vision in dem Teilurteil des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer
33 - vom 1. März 2012 wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf die Wertstufe bis
1.200
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Wohnungsbaugenossenschaft und
begehrt von dieser die Wiedereinräumung des vollständigen Besitzes an einer
zur Wohnung der Klägerin gehörenden Gartenfläche sowie die Wiederherstel-
lung deren ursprünglichen Zustands.
Im Rahmen einer Neugestaltung des Innenhofs der Wohnanlage nahm
die Beklagte die vorgenannte 92,92 m² große Gartenfläche in Besitz und besei-
tigte dort vorhandene Gegenstände, Pflanzen, Büsche und Hecken, was zu ei-
ner Zerstörung der Gartenanlage der Klägerin führte. Einen Teil der Fläche be-
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zog die Beklagte in die Gemeinschaftsfläche des Innenhofs ein und errichtete
darauf ein Kinderkarussell. Der Klägerin verblieb eine Restfläche von ca. 56 m².
Die Klägerin war mit den genannten Maßnahmen nicht einverstanden
gewesen und hatte gegenüber der Beklagten durch Anwaltsschriftsatz eine vor-
herige gerichtliche Klärung der zwischen den Parteien damals streitigen Frage
angeregt, ob die Gartenfläche von 92,92 m² Teil des von den Parteien im Jahre
1994 geschlossenen Nutzungsvertrags ist. Die Beklagte erhob daraufhin im
Vorprozess eine entsprechende negative Feststellungsklage, führte jedoch
noch vor deren Anhängigkeit die oben genannten Maßnahmen durch. Die nega-
tive Feststellungsklage hat keinen Erfolg gehabt.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin die Wiedereinräumung
des vollständigen Besitzes an der Gartenfläche sowie die Wiederherstellung
des ursprünglichen Zustands. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das
Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil zur Wiedereinräumung des Besit-
zes an der Gartenfläche mit einer Größe von 92,92 m² verurteilt. Das Beru-
fungsgericht hat die Revision nicht zugelassen; dagegen wendet sich die Be-
klagte mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil der Wert der mit der
Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 € nicht übersteigt (§ 26 Nr. 8
EGZPO).
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde hält die Beklagte durch die vom Be-
rufungsgericht im Teilurteil ausgesprochene Verurteilung, die mit der Revision
in vollem Umfang angegriffen werden soll, in Höhe eines von ihr mit 59.256 €
angegebenen Grundstückwerts der an die Klägerin herauszugebenden Teilflä-
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che des Gartens für beschwert. Sie macht darüber hinaus geltend, der mit der
Herausgabe verbundene Kostenaufwand betrage 20.191,92 €. Dieser nach § 3
ZPO zu bemessende Wert sei gemäß § 5 ZPO hinzuzurechnen.
2. Entgegen der Auffassung der Nichtzulassungsbeschwerde sind die
Voraussetzungen des § 26 Nr. 8 EGZPO nicht erfüllt. Der Wert der Beschwer
der Beklagten bemisst sich nicht gemäß § 6 ZPO nach dem (Verkehrs-) Wert
der streitigen Teilfläche des Gartens, deren Besitz die Klägerin zurückverlangt.
Maßgeblich sind vielmehr die §§ 8, 9 ZPO. Auf die Höhe der mit der Wieder-
einräumung des Besitzes verbundenen Kosten kommt es in diesem Fall nicht
an.
a) Bei einem - hier gegebenen - Anspruch des Mieters gegen den Ver-
mieter auf Besitz(wieder)einräumung ist der Wert des Beschwerdegegenstan-
des nicht nach § 6 ZPO, sondern nach der Sondervorschrift des § 8 ZPO zu
bestimmen (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 1993 - LwZB 6/93, NJW-RR
1994, 256 unter II; Senatsbeschluss vom 12. März 2008 - VIII ZB 60/07, WuM
2008, 296 Rn. 8 f.; Schneider/Herget/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 13. Aufl.,
Rn. 3874 f.; MünchKommZPO/Wöstmann, 4. Aufl., § 6 Rn. 3; Zöller/Herget,
ZPO, 29. Aufl., § 6 Rn. 5; BeckOK-ZPO/Wendtland, Stand 30. Oktober 2012,
§ 6 Rn. 3; vgl. auch Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - VIII ZB 34/05,
WuM 2006, 45 Rn. 2; BGH, Beschluss vom 16. März 2012 - LwZB 3/11, NJW-
RR 2012, 1103 Rn. 9 f.). Lässt sich - wie hier - die streitige Zeit nicht ermitteln,
ist § 9 ZPO für die Berechnung der Beschwer entsprechend anwendbar (Se-
natsbeschluss vom 12. März 2008 - VIII ZB 60/07, aaO Rn. 9). Gemäß § 9 ZPO
bemisst sich die Beschwer der Beklagten nach dem 3,5-fachen Jahresbetrag
der auf den streitigen Teil der Gartenfläche entfallenden Miete (vgl. Senatsbe-
schluss vom 12. März 2008 - VIII ZB 60/07, aaO). Wie hoch dieser Anteil der
Miete im vorliegenden Fall zu bemessen ist, kann offen bleiben. Denn selbst
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der 3,5-fache Jahresbetrag
der gesamten Kaltmiete von 370,69 € monatlich
liegt unterhalb der Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO.
b) Anders als die Nichtzulassungsbeschwerde meint, steht einer Anwen-
dung der §§ 8, 9 ZPO nicht entgegen, dass zwischen den Parteien aufgrund der
rechtskräftigen Entscheidung des Vorprozesses außer Streit steht, dass die
gesamte Gartenfläche von 92,92 m² Bestandteil des Nutzungsvertrags ist. Denn
Streit besteht gleichwohl weiterhin jedenfalls über den Umfang der aus dem
Nutzungsvertrag folgenden Gebrauchsgewährungspflicht der Beklagten (vgl.
hierzu Senatsbeschluss vom 22. November 2005 - VIII ZB 34/05, aaO; Schnei-
der/Herget/Kurpat, aaO Rn. 3874 f.; Musielak/Heinrich, ZPO, 9. Aufl., § 8 Rn. 3;
vgl. demgegenüber MünchKommZPO/Wöstmann, aaO, § 8 Rn. 9), insbesonde-
re über die Frage, ob diese Pflicht hinsichtlich der streitigen Teilfläche des Gar-
tens durch die aus dem Genossenschaftsverhältnis der Parteien folgende
Treuepflicht eine Einschränkung erfährt.
c) Nicht zu folgen ist der Nichtzulassungsbeschwerde auch insoweit, als
sie meint, einer Anwendung der §§ 8, 9 ZPO stehe - da vorliegend ebenfalls
eine Hauptleistungspflicht betroffen sei - ein Beschluss des XII. Zivilsenats des
Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2002 entgegen, wonach bei Mietzinsklagen
für die Bemessung der Beschwer die Urteilssumme selbst dann maßgebend
und § 8 ZPO nicht anzuwenden sei, wenn sich die Parteien letztlich nur über
den (Fort-) Bestand des zugrundeliegenden Mietverhältnisses stritten (BGH,
Beschluss vom 19. Juni 2002 - XII ZR 5/02, NJW-RR 2002, 1233 unter II 1
mwN). Denn diese Rechtsprechung betrifft den hier nicht gegebenen Fall einer
bezifferten Klageforderung. Ansonsten unterliegen auch mietvertragliche Erfül-
lungsansprüche - wie etwa der Anspruch auf Einräumung des Besitzes an der
Mietsache - dem § 8 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Juli 2000 - XII ZR
269/99, NZM 2000, 1227; Schneider/Herget/Kurpat, aaO Rn. 3698).
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d) Soweit die Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht, mit der Her-
ausgabe der streitigen Gartenfläche entstünden ihr Kosten in Höhe von
20.191,92 €, ändert dies ebenfalls nichts an der Unstatthaftigkeit des Rechts-
mittels.
aa) Der Bundesgerichtshof hat für das Pachtrecht bereits mehrfach ent-
schieden, dass sich der Wert der Beschwer eines zur Räumung und Herausga-
be des Grundstücks verurteilten Pächters allein nach § 8 ZPO bemisst und der
Kostenaufwand des Pächters zur Erfüllung der Räumungspflicht nach dem kla-
ren Wortlaut des § 8 ZPO unmaßgeblich ist (BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober
1993 - LwZB 6/93, aaO; vom 16. März 2012 - LwZB 3/11, aaO mwN; vgl. auch
MünchKommZPO/Wöstmann, aaO, § 8 Rn. 17 mwN). Wenn und soweit die
Sonderbestimmung des § 8 ZPO einschlägig ist, ist der zur Räumung und Her-
ausgabe des Pachtgrundstücks in vertragsgemäßem Zustand erforderliche
Aufwand mithin ohne Bedeutung und für eine Anwendung des § 3 ZPO dane-
ben kein Raum (BGH, Beschluss vom 4. Juli 1996 - III ZR 34/96, juris Rn. 6).
Für den im vorliegenden Fall streitgegenständlichen Anspruch auf Wiederein-
räumung des Besitzes an (einem Teil) der Mietsache kann nichts anderes gel-
ten, da auch hier, wie oben ausgeführt, § 8 ZPO einschlägig ist.
bb) Dem von der Beklagten vorgetragenen Kostenaufwand kommt für die
Höhe des Wertes ihrer Beschwer auch nicht etwa deshalb Bedeutung zu, weil
die Beklagte im Wege der Klagehäufung (§ 260 ZPO) sowohl auf Wiederein-
räumung des Besitzes als auch auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zu-
stands in Anspruch genommen wird (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 16. März
2012 - LwZB 3/11, aaO Rn. 11 mwN). Denn Gegenstand des Nichtzulassungs-
beschwerdeverfahrens ist nur die im angegriffenen Teilurteil des Berufungsge-
richts ausgesprochene Verurteilung zur Wiedereinräumung des Besitzes. Im
Falle des Erlasses eines Teilurteils ist die Höhe der Beschwer allein aufgrund
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des durch das Teilurteil beschiedenen Teils des Streitgegenstands zu bemes-
sen (allgemeine Meinung, siehe nur Senatsurteil vom 3. Juli 1996 - VIII ZR
302/95, NJW 1996, 3216 unter [II] 1; BGH, Urteil vom 20. Juli 1999 - X ZR
139/96, NJW 2000, 217 unter I 3; jeweils mwN).
Ball
Dr. Milger
Dr. Hessel
Dr. Fetzer
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 22.12.2010 - 40B C 39/10 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 01.03.2012 - 333 S 3/11 -