Urteil des BGH vom 30.04.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
II ZR 328/00
Verkündet am:
30. April 2001
Vondrasek
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
ZPO §§ 3, 5, 69, 511 a Abs. 1
a) Der Wert der Beschwer einer beklagten GmbH, die sich gegen ein kassatorisches
Urteil hinsichtlich eines Beschlusses über die Einziehung eines Geschäftsanteils
wendet, richtet sich nach ihrem Interesse an der Wirksamkeit jenes Ein-
ziehungsbeschlusses. Maßstab der Bewertung ist dafür grundsätzlich der Wert
des von der Einziehung betroffenen Geschäftsanteils.
b) Legen die beklagte GmbH und ein sie als streitgenössischer Nebenintervenient
unterstützender Gesellschafter selbständige Berufungen gegen ein im Beschluß-
anfechtungs- bzw. Nichtigkeitsfeststellungsprozeß ergangenes kassatorisches
Gestaltungsurteil ein, so findet hinsichtlich der Beschwer jedenfalls wegen des
einheitlichen Streitgegenstandes und der einheitlichen Urteilswirkungen keine
Wertaddition statt.
BGH, Urteil vom 30. April 2001 - II ZR 328/00 - OLG Naumburg
LG Halle
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Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. April 2001 durch die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette,
Dr. Kurzwelly, Kraemer und die Richterin Münke
für Recht erkannt:
Die Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten
gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Naumburg vom 26. Oktober 2000 werden auf deren Kosten
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte wurde Ende 1997 als GmbH mit einem Stammkapital von
50.000,-- DM gegründet, an dem die Klägerin mit 20.000,-- DM, der Streithelfer
der Beklagten (nachfolgend: Nebenintervenient) mit 17.500,-- DM und S.
M. mit 12.500,-- DM beteiligt waren. Der Nebenintervenient geriet alsbald
mit seinen Mitgesellschaftern und der Beklagten in gerichtliche
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Auseinandersetungen. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits waren
zunächst mehrere Beschlüsse, die der Nebenintervenient anläßlich einer
Gesellschafterersammlung vom 8. Dezember 1998 allein gefaßt hat, nachdem
seine beiden Mitgesellschafter gegen seinen Widerspruch die Versammlung
vertagt und für beendet erklärt hatten. Die Klägerin wendet sich mit der
Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage in der Hauptsache noch gegen den vom
Nebenintervenienten gefaßten Beschluß über die Einziehung ihres
Geschäftsanteils im Nennbetrag von 20.000,-- DM; im übrigen hat sie ihre
Klage bereits erstinstanzlich vor mündlicher Verhandlung der Beklagten und
des Nebenintervenienten zurückgenommen. Für die Beklagte haben sich in der
ersten Instanz einerseits die Rechtsanwälte H. und Partner, andererseits die
Rechtsanwälte Sp. und Kollegen - diese zugleich für den
Nebenintervenienten - zur Akte legitimiert und unterschiedlichen Sachvortrag
gehalten. Während Rechtsanwalt H. den Anfechtungs- und
Nichtigkeitsantrag der Klägerin hinsichtlich des Beschlusses über die
Einziehung ihres Geschäftsanteils anerkannt hat, hat Rechtsanwalt Sp.
- auch namens des Nebenintervenienten - Klageabweisung begehrt. Das
Landgericht hat insoweit antragsgemäß Anerkenntnisurteil gegen die Beklagte
erlassen. Dagegen haben die Beklagte und der Nebenintervenient, beide
vertreten durch Rechtsanwalt A. , Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht
hat die Rechtsmittel durch Urteil als unzulässig verworfen, weil die
Berufungskläger nicht in Höhe der Berufungssumme gemäß § 511 a Abs. 1
Satz 1 ZPO beschwert seien. Gegen diese Entscheidung haben die Beklagte
und der Nebenintervenient Revision eingelegt.
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Entscheidungsgründe:
Beide Revisionen sind gemäß § 547 ZPO zulässig, haben aber in der
Sache keinen Erfolg.
I. Das Oberlandesgericht ist der Ansicht, die Beschwer beider
Berufungsführer übersteige den gemäß § 511 a Abs. 1 ZPO maßgeblichen
Betrag von 1.500,-- DM schon deshalb nicht, weil der Wert des von dem
angefochtenen Einziehungsbeschluß betroffenen Geschäftsanteils der Klägerin
bei 0,00 DM liege; die Parteien und der Nebenintervenient hätten nämlich im
vorliegenden Rechtsstreit wie auch in einem Parallelverfahren, in dem es um
die Wirksamkeit einer von den übrigen Gesellschaftern beschlossenen
Einziehung des Geschäftsanteils des Nebenintervenienten geht,
übereinstimmend vorgetragen, daß angesichts der desolaten wirtschaftlichen
und finanziellen Situation der Beklagten die dem von der Einziehung
betroffenen Gesellschafter an sich satzungsmäßig zustehende Abfindung
0,00 DM betrage und deshalb der jeweilige Einziehungsbeschluß im Falle
seiner Rechtsgültigkeit sofort wirksam geworden sei. Angesichts dessen könne
bei der Bemessung des Streitwerts wie auch der Beschwer der beiden
Rechtsmittelführer gemäß § 3 ZPO allenfalls eine grundsätzlich bestehende
Gewinnerzielungserwartung der Gesellschaft bzw. ihrer Gesellschafter in Höhe
von 1.000,-- DM berücksichtigt werden. Diese Beurteilung hält
revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
II. 1. Zu Recht hat das Berufungsgericht die Rechtsmittel der Beklagten
und des Nebenintervenienten gesondert behandelt. Nach der Rechtsprechung
des Senats gilt nämlich der Grundsatz, daß es sich auch bei eigenständiger
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Rechtsmitteleinlegung durch Hauptpartei und Streithelfer nur um ein
einheitliches Rechtsmittel handelt, nicht bei der streitgenössischen
Nebenintervention nach § 69 ZPO, bei der der Streithelfer unabhängig und
selbst in Widerspruch zur Hauptpartei Rechtsmittel einlegen kann (Sen.Beschl.
v. 4. Oktober 1993 - II ZB 9/93, DtZ 1994, 29 m.N.). Um einen derartigen Fall
streitgenössischer Nebenintervention handelt es sich jedoch, wenn - wie
vorliegend - der Gesellschafter einer GmbH dieser im Anfechtungsprozeß
beitritt, da das dort ergehende Urteil auch ihm gegenüber wirkt (vgl. Sen.Urt. v.
12. Juli 1993 - II ZR 65/92, ZIP 1993, 1228, 1229 m.N.).
2. Die Wertfestsetzung durch das Berufungsgericht mit einem Betrag
unterhalb der Berufungssumme des § 511 a ZPO kann das Revisionsgericht
nur darauf überprüfen, ob das Berufungsgericht von dem ihm durch § 3 ZPO
eingeräumten freien Ermessen rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht,
insbesondere bewertungsrelevante, glaubhaft gemachte Tatsachen (§ 511 a
Abs. 1 Satz 2 ZPO) unberücksichtigt gelassen hat (Sen.Beschl. v. 5. März 2001
- II ZB 11/00 m.w.N., zur Veröffentlichung bestimmt). Ein solcher
Ermessensfehlgebrauch ist hier in bezug auf beide Berufungsführer nicht
festzustellen.
a) Als Maßstab für die Bewertung der Beschwer der Beklagten
(§ 3 ZPO) hat das Berufungsgericht mit Recht den Wert des von dem
Einziehungsbeschluß betroffenen Geschäftsanteils der Klägerin zugrunde
gelegt; denn das Interesse der Beklagten an der Beseitigung des gegen sie
ergangenen Anerkenntnisurteils des Landgerichts entspricht - spiegelbildlich
zum Begehren der Klägerin - ihrem Interesse an der Wirksamkeit des den
Gesellschaftsanteil der Klägerin betreffenden Einziehungsbeschlusses. Den
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danach maßgeblichen Wert des durch den angefochtenen Beschluß
eingezogenen Geschäftsanteils der Klägerin hat das Oberlandesgericht auf der
Grundlage des ihm von allen Prozeßbeteiligten insoweit übereinstimmend
unterbreiteten Tatsachenstoffs ermessensfehlerfrei mit "bei 0,00 DM liegend"
angenommen. Seine daran anknüpfenden Überlegungen zur Bewertung einer
etwaigen Abfindung der Klägerin im Falle der Gültigkeit des
Einziehungsbeschlusses sind - entgegen der Ansicht der Revision - nicht zu
beanstanden, weil die Abfindung grundsätzlich auf den Verkehrswert des
eingezogenen Geschäftsanteils, mithin den Betrag gerichtet ist, den ein Dritter
als Erwerber zahlen würde (vgl. dazu Senat, BGHZ 116, 359, 370 f. m.N.); im
Falle des Fehlens objektiv vergleichbarer Anteilsverkäufe entspricht das dem
Betrag, der bei der Veräußerung des Unternehmens als Ganzes oder der
Liquidation der Gesellschaft auf den Geschäftsanteil entfallen würde. Stand
aber nach dem unwidersprochenen - und zudem durch umfangreiches Material
belegten - Vorbringen der Beklagten und des Streitverkündeten "angesichts
der wirtschaftlichen und finanziellen Situation des Unternehmens ... eine
etwaige Abfindungszahlung nicht an bzw. belief sich der nach § 11 Abs. 2 der
Satzung maßgebliche Wert des Anteils tatsächlich auf Null", so wäre auch im
Falle einer Anteilsveräußerung oder Liquidation des Unternehmens kein
potentieller Erwerber bereit gewesen, hierfür noch einen realen Kaufpreis zu
entrichten. Sonstige bewertungsrelevante Erkenntnisquellen, die Anlaß zu
einer höheren Bewertung oder entsprechenden Nachforschung gemäß
§ 139 ZPO hätten geben können, haben die Beklagte und der
Nebenintervenient dem Berufungsgericht trotz des vor der
Berufungsverhandlung ergangenen entsprechenden gerichtlichen Hinweises
nicht eröffnet. Auf den Inhalt des erst mit der Revisionsbegründung zu den
Akten gereichten vorläufigen Jahresabschlusses der Beklagten zum
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31. Dezember 1998 können sich die Berufungsführer daher nicht zur
Begründung eines Ermessensfehlgebrauchs berufen. Abgesehen davon weist
diese vorläufige Bilanz schon für jenen Bilanzstichtag einen nicht durch
Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 91.926,28 DM auf und bestätigt damit
nur den in den Tatsacheninstanzen unstreitigen Vortrag sämtlicher
Verfahrensbeteiligter, wonach die Beklagte schon seit ihrer Gründung
unterkapitalisiert war und sich schließlich in einer derart desolaten
Vermögenssituation befand, daß "das völlig überschuldete Unternehmen"
insolvenzgefährdet war und die Gehälter seiner Arbeitnehmer nur mit Hilfe
ungesicherter Vorschüsse bestimmter Auftraggeber zur Vermeidung sofortiger
Insolvenzanträge zahlen konnte. Angesichts dessen kann ein realer Wert des
Anteils der Klägerin entgegen der Ansicht der Revision auch nicht daraus
abgeleitet werden, daß die Beklagte "1998 eine Anlage zum Nettopreis von
1.930.000,-- DM verkauft und dafür Anzahlungen in erheblicher Höhe
eingenommen hat". Es ist nichts dafür ersichtlich, daß die
Verfahrensbeteiligten diesen Umstand nicht bereits bei der vorinstanzlich
übereinstimmend vorgenommenen Bewertung des Anteils mit 0,00 DM
berücksichtigt hätten. Nach Aktenlage konnte die Beklagte nicht einmal das
Material für die zu entwickelnde und herzustellende Anlage aus eigenen Mitteln
erwerben; die ihr hierfür vom Auftraggeber geleisteten Anzahlungen wurden
abredewidrig für andere Zwecke verwendet, u.a. wurden davon die mit der
Konstruktion beauftragten dritten Personen bevorschußt, ohne daß selbst
geraume Zeit nach Auftragserteilung irgendwelche Konstruktionsergebnisse
vorgelegen hätten. Angesichts dieser desolaten wirtschaftlichen und
finanziellen Zustände bei der Beklagten kommt auch - anders als die Revision
meint - den mit der Beteiligung der Klägerin verbundenen
Mitverwaltungsrechten, namentlich ihrer Stimmberechtigung, kein
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selbständiger, im Rahmen der Beschwer zu berücksichtigender wirtschaftlicher
Wert zu.
Ob sich angesichts dessen überhaupt die Annahme einer
Gewinnerzielungserwartung im Rahmen der Beschwerfestsetzung objektiv
rechtfertigen läßt, kann dahinstehen. Jedenfalls ist der insoweit vom
Berufungsgericht vorgenommene Ansatz von 1.000,-- DM derart bemessen,
daß von einer willkürlichen Benachteiligung der Beklagten entgegen der
Ansicht der Revision keine Rede sein kann.
b) Die Festsetzung der Beschwer auf - maximal - 1.000,-- DM ist auch in
bezug auf den Nebenintervenienten ermessenfehlerfrei. Ob bei der hier
vorliegenden streitgenössischen Nebenintervention die zu erreichende
Rechtsmittelsumme und die erforderliche Beschwer - wie bei der einfachen
Nebenintervention (vgl. dazu BGH, Urt. v. 15. Juni 1989 - VII ZR 227/88,
NJW 1990, 190, 191 m.N.) - stets lediglich aus der Person der unterstützten
Hauptpartei zu bestimmen sind, weil der streitgenössische Nebenintervenient
zwar als Streitgenosse der Hauptpartei "gilt" (§ 69 ZPO), nicht aber Partei ist,
um deren Rechte der Prozeß geführt wird (vgl. dazu MüKo-
ZPO/Rimmelspacher, 2. Aufl. vor § 511 Rdn. 33; Stein/Jonas/Bork, ZPO
21. Aufl. § 69 Rdn. 10 m.N.), kann hier dahingestellt bleiben. Auch wenn die
Beschwer insoweit selbständig in der Person des streitgenössischen
Nebenintervenienten zu bestimmen wäre, käme vorliegend kein höherer Wert
als der für die unterstützte Hauptpartei festgesetzte in Betracht. Das folgt
bereits aus der Besonderheit der kassatorischen Beschlußanfechtungs- bzw.
Nichtigkeitsklage, bei der das angegriffene stattgebende Gestaltungsurteil
gegenüber dem Gesellschafter als streitgenössischem Nebenintervenienten
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jedenfalls keine weitergehende Gestaltungswirkung entfaltet als gegenüber der
Gesellschaft selbst als unterstützter Hauptpartei. Im übrigen hat der
Nebenintervenient mit der Revision auch keine weitergehenden
Beeinträchtigungen in tatsächlicher Hinsicht geltend gemacht.
Eine - die Erwachsenheitssumme des § 511 a ZPO übersteigende -
Zusammenrechnung der Beschwerdewerte gemäß § 5 ZPO kommt entgegen
der Ansicht der Revision selbst dann nicht in Betracht, wenn man im Hinblick
auf die aus § 69 ZPO abzuleitende Eigenständigkeit der Berufung des
streitgenössischen Nebenintervenienten hier eine selbständige Beschwer in
Höhe von 1.000,-- DM - neben einer solchen der Beklagten in gleicher Höhe -
in Ansatz bringt. Die Fiktion des § 69 ZPO bewirkt für den streitgenössischen
Nebenintervenienten eine Gleichstellung mit einem Streitgenossen lediglich für
den Prozeßbetrieb, ohne daß er damit weitergehend die Stellung als Partei in
bezug auf das im Prozeß umstrittene materielle Recht erlangte. Da nur ein
einheitlicher Streitgegenstand vorliegt, dessen Auswirkungen als Folge des
kassatorischen erstinstanzlichen Urteils sich bei der Beklagten und dem sie
unterstützenden streitgenössischen Nebenintervenienten wirtschaftlich decken,
besteht - nicht anders als bei der sogar weitergehenden gesamtschuldneri-
schen Verurteilung von Streitgenossen (vgl. dazu BGHZ 7, 152) -
wirtschaftliche Identität auch in bezug auf die Beschwer der beiden
Berufungsführer, die eine Wertaddition ausschließt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 101 Abs. 2, 100 Abs. 1 ZPO.
Henze
Goette
Kurzwelly
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Kraemer
Münke