Urteil des BGH vom 29.01.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
TEILVERSÄUMNIS- UND
TEILURTEIL
XI ZR 86/01
Verkündet am:
29. Januar 2002
Weber,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
BGB § 852 Abs. 1 a.F.
ZPO § 286 Abs. 1 B
a) Wird Schadensersatz wegen unzureichender Aufklärung über die Risi-
ken von Warentermin- oder Optionsgeschäften verlangt, beginnt die
Verjährungsfrist nicht, bevor der Gläubiger die Umstände kennt, aus de-
nen sich die Rechtspflicht zur Aufklärung ergibt.
b) Der Tatrichter hat sich mit dem Streitstoff umfassend auseinanderzuset-
zen und den Sachverhalt durch die Erhebung der angetretenen Beweise
möglichst vollständig aufzuklären.
BGH, Teilversäumnis- und Teilurteil vom 29. Januar 2002 - XI ZR 86/01 -
OLG Düsseldorf
LG Duisburg
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 29. Januar 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe,
die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die Richterin Mayen
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des
22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf
vom 26. Januar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist gegen den Beklagten zu 3) vorläufig und
im übrigen endgültig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schadensersatz für Verluste
aus Warentermin- und Optionsgeschäften in Anspruch.
- 3 -
Die Beklagten waren Geschäftsführer einer GmbH, die gewerbs-
mäßig Termin- und Optionsgeschäfte vermittelt. Nach telefonischer Wer-
bung schloß der Kläger am 3. Dezember 1993 mit der GmbH einen Ge-
schäftsbesorgungsvertrag zur Durchführung von Termin- und Optionsge-
schäften, die über einen auf den Bahamas ansässigen Broker abgewik-
kelt werden sollten.
Der Kläger hat behauptet, er habe der GmbH in den Jahren 1993
und 1994 in deutscher und US-amerikanischer Währung insgesamt
2.504.277,72 DM für Anlagezwecke zur Verfügung gestellt und nur teil-
weise zurückerhalten. Den Restbetrag in Höhe von 921.108,42 DM ver-
langt er mit seiner Klage ersetzt. Er macht geltend, seine Einlagen seien
nicht für Termin- und Optionsgeschäfte verwandt, sondern veruntreut
worden. Die Beklagten hätten ihn außerdem nicht ausreichend über die
Risiken der Geschäfte aufgeklärt.
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Re-
vision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Da der Beklagte zu 3) in der mündlichen Verhandlung trotz recht-
zeitiger Ladung zum Termin nicht vertreten war, war gegenüber ihm über
die Revision des Klägers durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Das
Urteil ist jedoch auch insoweit keine Folge der Säumnis, sondern beruht
auf einer Sachprüfung (vgl. BGHZ 37, 79, 81).
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Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung
des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das
Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat die Abweisung der Klage im wesentli-
chen wie folgt begründet: Dem Kläger sei kein ersatzfähiger Schaden
entstanden, weil er seine Einlagen in vollem Umfang zurückerhalten ha-
be. Nach seinem eigenen Vortrag im Berufungsverfahren seien insge-
samt 1.660.331 DM an ihn zurückgezahlt worden. Darüber hinaus sei
entsprechend der Darstellung der Beklagten zu 1) und 2) von weiteren
Rückzahlungen in Höhe von 366.713,92 DM und 645.946,31 US-Dollar
und damit insgesamt von Rückzahlungen in Höhe von umgerechnet
2.995.964,39 DM auszugehen. Diese Rückzahlungen ergäben sich aus
den vom Kläger mit der Klageschrift vorgelegten "Financial Statements"
des Brokers. Der Kläger sei diesen weiteren Rückzahlungen nicht mit
hinreichend konkretem Sachvortrag entgegengetreten. Soweit er
1.660.331 DM übersteigende Rückzahlungen bestreite, setze er sich in
Widerspruch zu seinem vorprozessualen und prozessualen Verhalten. Er
habe die "Financial Statements", insoweit unkommentiert, vorgelegt und
nicht vorgetragen, dem nach seiner jetzigen Darstellung unrichtigen
Ausweis einzelner Rückzahlungen jemals widersprochen zu haben.
II.
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Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger habe seine
Einlagen in vollem Umfang zurückerhalten, beruht auf einem Verstoß
gegen das Gebot des § 286 Abs. 1 ZPO, sich mit dem Streitstoff umfas-
send auseinanderzusetzen (BGH, Urteile vom 1. Oktober 1996 - VI ZR
10/96, NJW 1997, 796, 797 und vom 9. Juli 1999 - V ZR 12/98,
WM 1999, 1889, 1890; Senat, Urteil vom 3. April 2001 - XI ZR 223/00,
BGH-Report 2001, 648, 649) und den Sachverhalt durch die Erhebung
der angetretenen Beweise möglichst vollständig aufzuklären (BGH, Urteil
vom 29. Januar 1992 - VIII ZR 202/90, NJW 1992, 1768, 1769).
1. Das Berufungsgericht hat bei seiner Annahme, ausreichender
Vortrag des Klägers zu den von ihm bestrittenen Rückzahlungen fehle,
wesentliche Teile seines Vorbringens unberücksichtigt gelassen. Der
Kläger hat sich nicht auf ein einfaches Bestreiten einzelner Rückzahlun-
gen beschränkt, sondern zu allen nach seiner Darstellung erfolgten
Rückzahlungen umfassend und detailliert vorgetragen. In einer Anlage
zu seinem Schriftsatz vom 10. Januar 2001 hat er die von ihm einge-
räumten Rückzahlungen im einzelnen aufgeführt und durch Kopien von
Schecks, Scheckeinreichungsformularen und sonstigen Unterlagen do-
kumentiert. Zu den von ihm bestrittenen Rückzahlungen konnte er natur-
gemäß nicht mehr vortragen.
2. Das Berufungsgericht durfte das Bestreiten dieser Rückzahlun-
gen durch den Kläger nicht wegen eines Widerspruchs zu seinem vor-
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prozessualen und prozessualen Verhalten, nämlich der widerspruchslo-
sen Entgegennahme der "Financial Statements" des Brokers, die diese
Rückzahlungen ausweisen, als unbeachtlich ansehen und deshalb die
Beweisantritte der Parteien übergehen.
a) Das vorprozessuale Verhalten einer Partei ist generell nicht ge-
eignet, ihrem Prozeßvortrag die Beachtlichkeit zu nehmen. Ob wegen
eines solchen Verhaltens dem Vortrag im Prozeß der Erfolg versagt
bleibt, kann erst im Rahmen der abschließenden Würdigung nach § 286
Abs. 1 ZPO unter Einbeziehung des Ergebnisses einer verfahrensrecht-
lich gebotenen Beweisaufnahme beurteilt werden (BGH, Urteil vom
8. November 1995 - VIII ZR 227/94, WM 1996, 321, 322). Nach diesen
Grundsätzen rechtfertigt die widerspruchslose Entgegennahme der
"Financial Statements" über die streitigen Rückzahlungen durch den
Kläger es nicht, diese Rückzahlungen als erwiesen anzusehen, ohne die
von den Parteien hierzu angebotenen Beweise zu erheben, insbesonde-
re den Zeugen Dr. S. (GA III 779, IV 851) und den Kläger als Partei
(GA III 743, IV 851) zu den Rückzahlungen zu vernehmen, die bei der
S. Bank AG, über die der Kläger die streitgegenständlichen Geschäfte
abgewickelt hat, eingegangen sein sollen.
b) Das prozessuale Verhalten des Klägers, insbesondere die in-
soweit kommentarlose Vorlage der "Financial Statements", führt zu kei-
ner anderen Beurteilung. Der Kläger hat in der Klageschrift, der die
"Financial Statements" als Anlage beigefügt waren, lediglich Rückzah-
lungen in Höhe von 1.583.169,30 DM vorgetragen und die Beklagten auf
Zahlung der Differenz zwischen diesem Betrag und den von ihm be-
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haupteten Einzahlungen in Anspruch genommen. Daraus ging eindeutig
hervor, daß er sich nicht alle in den "Financial Statements" ausgewiese-
nen Rückzahlungen zu eigen machen wollte.
Im Berufungsverfahren hat der Kläger zwar Rückzahlungen in Hö-
he von 1.660.331 DM eingeräumt. Auch dadurch wird sein Bestreiten
weiterer Rückzahlungen aber nicht unbeachtlich. Eine Partei kann ihr
Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits, auch im Berufungsverfahren
(§ 525 ZPO a.F.), berichtigen. Eine solche Modifizierung des Vortrags
kann im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt werden. Diese
Würdigung ist jedoch erst am Ende der Verhandlungen und nach Erhe-
bung der angebotenen Beweise zulässig (BGH, Urteil vom 5. Juli 1995
- KZR 15/94, WM 1995, 1775, 1776).
III.
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig dar (§ 563 ZPO a.F.).
Die Klageforderung ist, anders als das Landgericht gemeint hat,
nicht verjährt. Etwaige Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten ge-
mäß §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i.V. mit §§ 263, 266 StGB verjähren gemäß
§ 852 Abs. 1 BGB a.F. in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der
Kläger von dem Schaden und den Personen der Ersatzpflichtigen Kennt-
nis erlangt hat. Dazu gehört, wenn - wie im vorliegenden Fall - Scha-
densersatz wegen unzureichender Aufklärung über die Risiken von Wa-
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rentermin- und Optionsgeschäften verlangt wird, die Kenntnis der Um-
stände, aus denen sich die Rechtspflicht zur Aufklärung ergibt (BGH,
Urteile vom 10. April 1990 - VI ZR 288/89, WM 1990, 971, 973 und vom
31. Januar 1995 - VI ZR 305/94, VersR 1995, 551, 552). Diese Kenntnis
des Klägers kann erst dem Schreiben seines Bevollmächtigten vom
11. November 1996 entnommen werden.
Für eine die Verjährungsfrist in Lauf setzende Kenntnis des Klä-
gers bereits vor dem 11. November 1996 liegen weder Feststellungen
noch ausreichende Anhaltspunkte vor. In dem Schreiben vom
11. November 1996 wird zwar auf einen Vergleichsvorschlag des Bro-
kers vom 21. Mai 1996 Bezug genommen. Dieser Vergleichsvorschlag
betraf aber nicht etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers gegen
die Beklagten, sondern lediglich Ansprüche des Klägers gegen den Bro-
ker aus Spekulationsgeschäften. Der Vergleichsvorschlag und auch das
übrige Parteivorbringen enthalten keine Anhaltspunkte dafür, daß der
Kläger bereits vor dem 11. November 1996 gegenüber den vier Beklag-
ten die für den Verjährungsbeginn gemäß § 852 Abs. 1 BGB erforderli-
che Kenntnis gehabt hätte. Die Verjährung ist danach durch die am
9. November 1999 beim Landgericht eingegangene Klage unterbrochen
worden (§ 209 Abs. 1 BGB a.F., § 270 Abs. 3 ZPO).
IV.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO
a.F.) und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an
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das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO
a.F.). Das Berufungsgericht wird die angebotenen Beweise zu den strei-
tigen Rückzahlungen zu erheben haben. Die Beweislast für die Rück-
zahlungen tragen die Beklagten, da der Schaden, den der Kläger ersetzt
verlangt, bereits mit den von ihm behaupteten Einzahlungen entstanden
ist (vgl. Senat, Urteil vom 28. Februar 1989 - XI ZR 70/88, WM 1989,
1047, 1049). Sollte von einem ersatzfähigen Schaden auszugehen sein,
sind Feststellungen zu den weiteren Anspruchsvoraussetzungen zu
treffen (vgl. hierzu Senat BGHZ 124, 151; Senat, Urteil vom 16. Oktober
2001 - XI ZR 25/01, WM 2001, 2313, jeweils m.w.Nachw.).
Nobbe Siol Bungeroth
Joeres Mayen