Urteil des BGH vom 04.02.2010

BGH (freispruch, menge, kokain, rauschgift, festnahme, stgb, einlassung, anklage, handel, verurteilung)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 487/09
vom
4. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Verdachts des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
nicht geringer Menge u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Februar
2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Maatz,
Athing,
Richterin am Bundesgerichtshof
Solin-Stojanović,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
des Landgerichts Bochum vom 27. März 2009 mit den
Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte frei-
gesprochen worden ist.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in
Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jah-
ren und zehn Monaten verurteilt. Ferner hat es den Wertersatzverfall in Höhe
von 2.700 Euro angeordnet. Gegen den Freispruch wendet sich die Staatsan-
waltschaft mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
Das – von dem Generalbundesanwalt vertretene – Rechtsmittel hat Erfolg.
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1. Nach den zu den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe getroffenen Fest-
stellungen war der Angeklagte im Rahmen der sog. Nigeria-Connection, die
sich mit dem internationalen Handel von Kokain befasste, als Kurier tätig. Ne-
ben den genannten beiden Fällen, die die Verurteilung tragen, hat die Anklage
dem Angeklagten unter der laufenden Nr. 12 (Fallakte 15) zur Last gelegt, in
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Amsterdam von dem Lieferanten "Sunny" mindestens 400 g Heroin übernom-
men, inkorporiert und am 21. Juni 2008 nach Deutschland eingeführt zu haben;
auf dem Weg zur Wohnung in M. sei er fest-
genommen, jedoch bereits am nächsten Tag wieder freigelassen worden, nach-
dem eine Röntgenuntersuchung nicht zum Auffinden des inkorporierten
Rauschgifts geführt habe; nach seiner Freilassung habe er sich zu der geson-
dert verfolgten A. begeben und das inkorporierte Kokain ausge-
schieden, das durch die Tätergruppe gewinnbringend in den Handel gelangt sei.
Das Landgericht hat den Angeklagten insoweit aus tatsächlichen Grün-
den freigesprochen. Ohne den Anklagesachverhalt mitzuteilen, führt es in dem
angefochtenen Urteil zur Begründung lediglich aus, der Angeklagte habe sich
dahin eingelassen, er habe kein Kokain transportiert, insbesondere habe er kein
Kokain inkorporiert. Diese Einlassung sei - so das Landgericht - dem Angeklag-
ten nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu widerlegen, nachdem inkorporier-
tes Rauschgift bei seiner Festnahme nicht festgestellt worden sei. Nach dem
Inhalt eines kurz vor der Festnahme des Angeklagten zwischen "Sunny" und
dem früheren Mitangeklagten O. geführten Telefonats sei es vielmehr in
hohem Maße wahrscheinlich, dass der Angeklagte sich bei seiner Festnahme
auf dem Wege zu O. befunden habe, um dort das Rauschgift als Kurier
zu übernehmen; "der Angeklagte hatte mithin mutmaßlich die Absicht, für ein
Rauschgiftgeschäft tätig zu werden, hatte diese Absicht
aber noch nicht umgesetzt" (UA 9). Auch eine Einfuhr von Rauschgift durch den
Angeklagten nach Deutschland sei nicht sicher feststellbar; die Telefongesprä-
che des "Sunny" mit O. beträfen lediglich Tatplanungen über Kurierfahr-
ten, belegten jedoch nicht deren Durchführung durch den Angeklagten.
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2. Diese knappen Ausführungen werden bereits den formellen Anforde-
rungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an ein freispre-
chendes Urteil zu stellen sind, nicht gerecht. Bei einem Freispruch aus tatsäch-
lichen Gründen muss der Tatrichter zunächst in einer geschlossenen Darstel-
lung diejenigen Tatsachen feststellen, die er für erwiesen hält, bevor er in der
Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch
erforderlichen Feststellungen nicht getroffen werden können (st. Rspr.; vgl.
BGH NJW 1980, 2423; NStZ 1985, 184; BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch
4, 10; Senat, Urt. vom 20. März 2008 - 4 StR 5/08).
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Diese gebotene Darstellung der festgestellten Tatsachen enthält das an-
gefochtene Urteil nicht. Schon der Tatvorwurf lässt sich dem Urteil - wie er-
wähnt - nicht, jedenfalls nicht hinreichend deutlich, entnehmen. Ebenso fehlt
eine zusammenfassende Darstellung der Einlassung des Angeklagten. Dessen
hätte es aber hier schon deshalb bedurft, um dem Senat die Prüfung zu ermög-
lichen, ob die Strafkammer den Anklagesachverhalt erschöpfend erfasst und
gewürdigt hat. Insoweit hätte das Landgericht, wenn es sich in diesem Fall
schon nicht von einem durch den Angeklagten tatsächlich durchgeführten
Rauschgifttransport zu überzeugen vermochte, jedenfalls - wie die Beschwerde-
führerin und der Generalbundesanwalt zu Recht geltend machen - eine Straf-
barkeit des Angeklagten nach der subsidiären Vorschrift des § 30 Abs. 2 StGB
(vgl. Fischer StGB 57. Aufl. § 30 Rdn. 16 m.N.) wegen Verabredung eines
Verbrechens des - täterschaftlichen - Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge (§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG) in Betracht ziehen müssen.
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3. Die Sache bedarf deshalb in dem den Freispruch betreffenden Fall
umfassend neuer Prüfung und Entscheidung.
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Der Gesamtstrafenausspruch des angefochtenen Urteils bleibt von der
Aufhebung des freisprechenden Teils des angefochtenen Urteils unberührt. Die
Beschwerdeführerin wendet mit ihrer wirksam auf den Freispruch beschränkten
Revision gegen den Gesamtstrafenausspruch auch nichts ein. Sofern der neue
Tatrichter im Fall 12 (Fallakte 15) der Anklage zu einer Verurteilung des Ange-
klagten kommt, wird er entsprechend § 55 Abs. 1 StGB unter Einbeziehung der
in den Fällen II. 1 und 2 der Urteilsgründe rechtskräftig erkannten Einzelstrafen
und Auflösung der bisherigen Gesamtstrafe eine neue Gesamtstrafe zu bilden
haben (vgl. BGH NJW 1983, 1130, 1131 f.).
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Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann