Urteil des BGH vom 10.12.2013

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5 StR 387/13
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 10. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Totschlag
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. De-
zember 2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Prof. Dr. Sander,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Dölp,
Richter Prof. Dr. König
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt B.
Rechtsanwalt Be.
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Neben-
klägers wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom
15. März 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an das Landgericht
Dresden zurückverwiesen.
2. Die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil
wird verworfen.
Er hat die Kosten des Rechtsmittels und die dadurch dem
Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Totschlag
zu einer fünfjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die zu Ungunsten des Ange-
klagten eingelegte, auf die Sachrüge gestützte und vom Generalbundesan-
walt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat in gleicher Weise Erfolg
wie diejenige des Nebenklägers, der ebenfalls die Verletzung materiellen
Rechts rügt. Die Verfahrensrügen und die Sachrüge erhebende Revision des
Angeklagten zeigt keinen ihn benachteiligenden Rechtsfehler auf.
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1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen kam es seit dem Som-
mer 2011 zu Spannungen zwischen dem gesondert verfolgten
M. und dem späteren Tatopfer A. , den zu
töten sich M. in der Folge entschloss. Dies teilte er dem Angeklag-
ten sowie S. mit, die beide mit ihm befreundet waren. Anfang
Oktober 2011 erwarb der von S. begleitete Angeklagte in Absprache mit
M. in Tschechien eine Schusswaffe Ceska, Modell 85, Kaliber
9 mm Luger nebst Munition. Am Folgetag führten er und M. ge-
meinsam Schießübungen durch.
Am 1. November 2011, dem Tattag, hielten sich die drei Freunde in
M. s Wohnung auf. Dort zog sich der Angeklagte eine schwarze
Wollmütze über das Gesicht und schnitt in diese mit einer Schere in Höhe
der Augen Löcher. Mit der Waffe „spielte“ er zunächst „herum“ und hielt sie
dann S.
mit den Worten an den Kopf, „dass sie auch ihn und seine Fa-
milie umbringen werden, wenn er etwas verraten würde“. Im Anschluss ver-
ließen M. und S. die Wohnung.
Während S. auf dem Beifahrersitz von M. s Auto sitzen
blieb, betrat M. gegen 19.45 Uhr das von A. geführte Bist-
ro, wo er sich mit A. fünf Minuten unterhielt. Als er das Bistro da-
nach verließ, war er „sehr wütend“, äußerte, dass er nun den Angeklagten
holen werde, und setzte S. unterwegs ab. Gegen 20.00 Uhr betrat ein
maskierter Mann das Bistro und schoss unvermittelt aus nächster Nähe auf
den an einem Spielautomaten sitzenden A. , der
– im linken Ge-
sichtsbereich getroffen
– zu Boden fiel. Der sofort danach flüchtende Mann
schoss noch zweimal auf den Oberkörper des rücklings liegenden A.
, der infolge eines Herzschusses verblutete.
Der Angeklagte begab sich „gegen 20.00 Uhr“ in ein Asylbewerber-
heim zu einem Bekannten und gemeinsam mit diesem zu Fuß in eine Spielo-
thek, wo er gegen 20.45 Uhr über A. s Tod informiert wurde. Der
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wegen dieser Tat mit Haftbefehl zur Fahndung ausgeschriebene M.
ist unbekannten Aufenthalts. In seinem vor dem Bistro abgestellten Auto
wurde im Fußraum auf der Beifahrerseite die mit Sehschlitzen präparierte
Wollmütze des Angeklagten sichergestellt, an der sich u.a. dessen DNA so-
wie Schmauch von der ebenfalls aufgefundenen Tatwaffe befanden. Auch
am Sicherheitsgurt des Beifahrersitzes wurde derartiger Schmauch gesi-
chert.
2. Das Landgericht hat nicht ausgeschlossen, dass der jegliche Tatbe-
teiligung bestreitende Angeklagte selbst der Schütze war, insoweit verblei-
bende Zweifel aber insbesondere wegen dessen „nicht ohne weiteres zu den
Täterbeschreibungen“ passenden Gestalt nicht zu überwinden vermocht (UA
S. 25, 29 f.). Es hat sich auch nicht davon überzeugen können, „dass der
Angeklagte die Tat als eigene wollte oder Tatherrschaft gehabt und daher
mittäterschaftlich g
ehandelt hat“ (UA S. 31). Dieser habe jedoch die Haupttat
unterstützt, indem er die Schusswaffe erworben, diese getestet und mit ihr
S. bedroht habe, um ein Aufdecken des Plans zu verhindern. Seine
Überzeugung hat das Landgericht im Wesentlichen auf die konstanten, de-
tailreichen, widerspruchsfreien und daher glaubhaften Angaben des als Zeu-
gen gehörten S. gestützt.
3. Die Revisionshauptverhandlung konnte nach der verfassungsrecht-
lich unbedenklichen Vorschrift des § 350 Abs. 2 Satz 2 StPO in Abwesenheit
des inhaftierten verteidigten Angeklagten stattfinden. Für die Revisionsver-
handlung relevante Einwände hat die Verteidigung nicht erhoben.
4. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Nebenklägers ha-
ben Erfolg. Jedenfalls hält die Wertung des Schwurgerichts, der Angeklagte
habe sich nicht täterschaftlich, sondern lediglich als Gehilfe an der Tat betei-
ligt, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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a) Wesentliche Anhaltspunkte für diese Beurteilung können gefunden
werden im Grad des eigenen Interesses am Erfolg der Tat, im Umfang der
Tatbeteiligung und in der Tatherrschaft oder wenigstens im Willen zur Tat-
herrschaft. Dabei kann bereits eine Beteiligung im Vorfeld der eigentlichen
Tatbestandsverwirklichung ausreichen, um Mittäterschaft zu begründen, so-
fern sich diese Mitwirkung nach der Willensrichtung des sich Beteiligenden
nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der Tätigkeit aller
darstellt. Insbesondere ist eine Anwesenheit am Tatort für die Annahme von
Mittäterschaft nicht erforderlich (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002
– 3 StR 153/02, NStZ 2003, 253, 254 mwN).
Die tatgerichtliche Bewertung der Beteiligungsform ist nach der Recht-
sprechung des Bundesgerichtshofs allerdings nur einer eingeschränkten re-
visionsgerichtlichen Kontrolle zugänglich (BGH, Urteil vom 17. Septem-
ber 2009
– 5 StR 521/08, NJW 2010, 92, 97). Die Zubilligung eines dem Tat-
gericht eingeräumten Beurteilungsspielraums mit der Konsequenz, dass die
bloße Möglichkeit einer anderen Bewertung das gefundene Ergebnis nicht
rechtsfehlerhaft macht, setzt aber eine umfassende Würdigung des Beweis-
ergebnisses voraus (BGH, Urteil vom 17. Oktober 2002
– 3 StR 153/02,
NStZ 2003, 253, 254). Das angefochtene Urteil erweist sich hingegen inso-
fern als lückenhaft.
Denn das Landgericht hat es versäumt, alle von ihm festgestellten
Tatumstände in seine Beweiswürdigung einzubeziehen. Es hat hierbei vor
allem nicht berücksichtigt, dass M. wenige Minuten vor der Tat ge-
genüber S. wütend angekündigt hatte, er werde nun den
– wegen ge-
fährlicher Körperverletzung vorbestraften (UA S. 4)
– Angeklagten holen (UA
S. 8), was auf ein verabredetes Zusammenwirken hindeuten könnte. In den
Blick hätte ferner genommen werden müssen, dass der Angeklagte, für den
nach eigenem Be
kunden in seiner Heimat der Umgang mit Waffen „normal“
gewesen ist (UA S. 13), am Tatabend S. die Schusswaffe mit der Dro-
hung an den Kopf gehalten hat, nicht M.
, sondern „sie“ würden ihn
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umbringen, „wenn er etwas verraten würde“ (UA S. 8, ferner S. 18). Schließ-
lich hätte erörtert werden müssen, weshalb der Angeklagte gemeinsam mit
M. an den Schießübungen teilgenommen und entsprechend seiner
Gesichtsform die Sehschlitze in die Wollmütze geschnitten hat (UA S. 8).
b) Der Senat kann nicht ausschließen (§ 337 Abs. 1 StPO), dass das
Landgericht zur Annahme gelangt wäre, der Angeklagte habe sich an der
Tötung A. s täterschaftlich beteiligt, wenn es auch die genannten
Umstände in seine Abwägung einbezogen hätte. Er hebt daher das angegrif-
fene Urteil einschließlich der Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) auf.
5. Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos. Die erhobenen Ver-
fahrensrügen greifen aus den vom Generalbundesanwalt schon in seiner
Antragsschrift vom 14. August 2013 dargelegten Gründen nicht durch. Die
Prüfung des angefochtenen Urteils auf die Sachrüge deckt keinen den Ange-
klagten belastenden Rechtsfehler auf. Insbesondere lässt sich dem Gesamt-
zusammenhang des Urteils hinreichend deutlich entnehmen, dass das Land-
gericht davon überzeugt war, dass als Täter
– wenn nicht der Angeklagte
selbst geschossen hat
– allein M. , zu dessen Statur und Aussehen
das Schwurgericht keine Feststellungen getroffen hat, oder ein mit diesem
Vertrauter in Betracht kam (vgl. vor allem UA S. 31 f.), zumal keine Anhalts-
punkte für eine Tatbegehung durch einen Dritten bestanden.
6. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
Unabhängig von der Bewertung der Beteiligungsform wird Gelegenheit be-
stehen, das für den unmittelbaren Täter bejahte Mordmerkmal der Heimtücke
und einen hierauf gerichteten Vorsatz des Angeklagten eingehender als bis-
lang zu prüfen. Darüber hinaus wird auch die Frage eines Handelns aus
niedrigen Beweggründen in den Blick zu nehmen sein.
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7. Der Senat sieht Anlass, die Sache an ein anderes Landgericht zu-
rückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Basdorf Sander Schneider
Dölp König
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