Urteil des BGH vom 09.04.2002

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5 StR 5/02
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 9. April 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. April 2002
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird
das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 15. Mai 2001
nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahin geändert,
daß der Angeklagte des zweifachen Totschlags in
Tateinheit mit zweifachem versuchtem Totschlag, mit
zweifacher gefährlicher Körperverletzung, mit fahrläs-
siger Körperverletzung und mit unerlaubtem Führen
einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe schul-
dig ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben.
1. Die weitergehende Revision wird nach §
349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des
Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Schwurgericht hat den Angeklagten “wegen Mordes in zwei tatein-
heitlich begangenen Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord in zwei tatein-
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heitlich begangenen Fällen und mit gefährlicher Körperverletzung in zwei
tateinheitlich begangenen Fällen sowie in Tateinheit mit fahrlässiger Körper-
verletzung und mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstla-
dewaffe von nicht mehr als 60 cm” zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt,
hat die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten gemäß § 57a
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB festgestellt und die Tatwaffe eingezogen. Die Re-
vision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Schuldspruchänderung
und zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist die Revision unbe-
gründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
1. Das Schwurgericht hat folgendes rechtsfehlerfrei festgestellt: Der
Angeklagte gab in der Nacht zum 27. Februar 2000 vor der von seinem
Sohn M C betriebenen Diskothek in Hamburg-Wandsbek unmittelbar
nacheinander zwölf Schüsse aus seiner Pistole Smith & Wesson Kaliber
9 mm ab. Er wollte alle vier Insassen eines vor der Diskothek abgestellten
Fahrzeugs töten. Der Fahrer S H und ein zweiter Mann wurden
erschossen, die beiden anderen Fahrzeuginsassen verletzt. Auch ein Pas-
sant erlitt eine Schußverletzung. Der Angeklagte handelte rechtswidrig und
uneingeschränkt schuldhaft.
2. Soweit das Schwurgericht den Angeklagten allerdings nicht, wie an-
geklagt, des Totschlags bzw. versuchten Totschlags, sondern des Mordes
bzw. versuchten Mordes schuldig gesprochen hat, hält das Urteil sach-
lichrechtlicher Prüfung nicht stand. Die Gesamtheit der getroffenen Fest-
stellungen rechtfertigt nach Auffassung des Senats – entgegen der Meinung
des Generalbundesanwalts – nicht die Annahme des Mordmerkmals der
Heimtücke.
a) Der genaue Hintergrund der Tat und das eigentliche Tatmotiv waren
nicht näher aufzuklären. Allerdings waren der Tat massive Spannungen vor-
angegangen: Im Herbst 1999 bewaffneten sich der Angeklagte und sein
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Sohn M mit scharfen Pistolen. Sie wollten damit auf einen vom Ange-
klagten der “PKK” zugerechneten Angriff mit Messern und Schußwaffen auf
einen anderen Diskothekenbesitzer reagieren, der mit M C – dem
der Angriff eigentlich galt – befreundet war. Die Bewaffnung des Angeklag-
ten war S H von einem Zusammenstoß in M s Diskothek mit dem
Angeklagten bekannt, bei dem auch S H seinerseits eine Waffe
führte. Ihm und seinen Brüdern wurde nach diesem Vorfall für die Diskothek
Hausverbot erteilt. Der Angeklagte rechnete die Brüder H der “PKK” zu,
brachte sie vor Zeugen gesprächsweise mit Waffenhandel in Beziehung und
drohte damit, sie zu erschießen. Ein früherer Teilhaber der Diskothek, der
für die “PKK” vom Angeklagten bzw. von seinem Sohn für die Diskothek
Schutzgeld verlangte, verweigerte einige Wochen vor der Tat den überwie-
gend mit schußsicheren Westen bekleideten Türstehern die Durchsuchung
nach Waffen, schlug den Angeklagten und wurde daraufhin seinerseits von
mehreren Türstehern krankenhausreif geschlagen.
Am Tattag begaben sich die Insassen des Fahrzeugs kurz nach einem
heftigen Streit zwischen S H und M C erneut zur Disko-
thek. Unter Wortführung H s beleidigten sie M vom Fahrzeug aus
massiv; ihm wurde auch zugerufen: “Du bist schon tot. Du bist schon fertig.”
M stand dabei in einer Gruppe, bestehend aus seinem Bruder sowie Mit-
arbeitern, Gästen und einzelnen Passanten, vor der Diskothek. Der Ange-
klagte, der seine geladene Pistole, wie üblich, im Gürtel trug, stand einige
Meter abseits. M C erwiderte die Beleidigungen. Auch durch zwei im
Rahmen einer Verkehrskontrolle eintreffende Polizeibeamte ließen sich die
Kontrahenten von der Fortführung des lautstark und erregt geführten Streits
nicht wesentlich abhalten. M C forderte allerdings einen der Polizei-
beamten auf, das Fahrzeug nach Waffen zu durchsuchen; darauf verlangte
der empörte S H seinerseits die Durchsuchung der Diskothek nach
Waffen. In dieser Situation trat der Angeklagte, der sich kurz zuvor, als eine
Durchsuchung nach Waffen angesprochen worden war, noch weiter – etwa
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zehn Meter – von der Gruppe um seinen Sohn entfernt hatte, hinter der
Gruppe vor, trat bis auf zwei Meter auf das Fahrzeug zu, zog die Pistole, lud
sie durch und gab die tödlichen Schüsse ab. Er warf anschließend auf Auf-
forderung eines der Polizeibeamten, der seinerseits einen Warnschuß aus
seiner Dienstwaffe abgab, sofort die Waffe weg und ließ sich widerstandslos
festnehmen. Wenig später gab er gegenüber der Polizei – im Gegensatz zu
seiner rechtsfehlerfrei widerlegten Nothilfeversion in der Hauptverhandlung
– an, eine Schutzgelderpressung sei der Tatanlaß gewesen.
b) In der festgestellten Tatsituation war die für einen Heimtückemord
geforderte Arglosigkeit der Opfer nicht gegeben, ebensowenig das erforder-
liche Bewußtsein des Angeklagten vom Vorliegen einer solchen Arglosigkeit
bei Begehung seiner Tat.
Die Opfer haben sich bewußt in einen massiven Streit mit M C
und seiner Gruppe eingelassen. Dabei waren ihre zitierten Äußerungen vor
dem Hintergrund des festgestellten Vorgeschehens nicht etwa, wie das
Schwurgericht bei dieser Sachlage unvertretbar interpretiert, lediglich als
von übersteigertem Imponiergehabe getragene Äußerungen ohne jeden
Realitätsbezug (UA S. 61) zu verstehen, sondern müssen als ernsthafte
Drohungen verstanden werden. Die mögliche Bewaffnung von Diskotheken-
angehörigen war den Opfern bekannt. Die – von beiden Seiten ersichtlich
kaum ernst genommenen – Polizeibeamten änderten an der Gefährlichkeit
der von der Opferseite bewußt eingegangenen Auseinandersetzung nichts.
Diese Gefährlichkeit, wie sie sich gerade auch unter Berücksichtigung von
Vorgeschichte und Ablauf der Konfrontation darstellte, unterschätzt das
Schwurgericht ersichtlich, das bei seiner abweichenden Bewertung der Tat-
situation (UA S. 61 ff.) auch zu Unrecht auf die Sicht eines der Polizeibe-
amten abstellt.
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Hiernach haben sich die Opfer nicht nur bewußt in eine feindliche Aus-
einandersetzung mit den Diskothekenangehörigen eingelassen. Über die
offene Feindschaft hinaus mußten sie in der konkreten Tatsituation ersicht-
lich auch mit ernsthaften Angriffen auf ihre körperliche Unversehrheit rech-
nen. Dies beseitigte – namentlich auch im Bewußtsein des Angeklagten –
ihre Arglosigkeit (vgl. BGHSt 33, 363; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtük-
ke 27; Tröndle/Fischer, StGB 50. Aufl. § 211 Rdn. 17; Eser in Schön-
ke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 211 Rdn. 24; Jähnke in LK 10. Aufl. § 211
Rdn. 45; jeweils m. w. N.).
Dabei war auch der Angeklagte aus Sicht der Opfer ihrer der Diskothek
zugehörigen Kontrahentengruppe zuzurechnen. Hierbei handelte es sich um
eine mehrköpfige, in der Situation des Streits auf der Straße nicht etwa ge-
schlossene, zahlenmäßig begrenzte und ohne weiteres überschaubare
Gruppe. Daß die Opfer ungeachtet des von ihnen eingegangenen Risikos
speziell dem Angeklagten gegenüber arglos gewesen wären, weil er bewußt
überraschend von außen in die Konfrontation eingegriffen hätte, läßt sich
allein durch den Umstand, daß er etwas abseits gestanden und sich zuletzt
noch weiter von der Gruppe seines Sohnes zurückgezogen hatte, bei den
sonst festgestellten zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten nicht hinrei-
chend belegen.
3. Unter Berücksichtigung der sonst vollständig rechtsfehlerfrei getrof-
fenen Feststellungen ist auszuschließen, daß die für das Mordmerkmal der
Heimtücke erforderlichen Voraussetzungen noch sicher festgestellt werden
können. Nichts anderes gilt für das Vorliegen eines sonstigen Mordmerk-
mals. Niedrige Beweggründe sind zwar wahrscheinlich gegeben, angesichts
der unaufklärbaren Tathintergründe aber ersichtlich nicht sicher nachweis-
bar. Danach ändert der Senat den Schuldspruch von sich aus abschließend
im Sinne der so zugelassenen Anklage.
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Alle weitergehenden Feststellungen, auch diejenigen, die für den
Strafausspruch noch bedeutsam sein könnten, hat das Schwurgericht
rechtsfehlerfrei getroffen. Im Rahmen der Erwägungen zum Ausschluß eines
relevanten schuldmindernden Affekts hat das Schwurgericht zwar die unvoll-
ständige Aufklärung von Tatmotiv und -hintergrund nicht vollständig bedacht
(UA S. 54) und das Verhältnis des Angeklagten zur “PKK” zum Tatzeitpunkt
kaum nachvollziehbar als “entspannt” bezeichnet (UA S. 52). Die weiteren,
mit Hilfe eines psychiatrischen Sachverständigen ausgewerteten Erkennt-
nisse sind indes für sich allein ersichtlich hinreichend tragfähig, einen Affekt
auszuschließen, der eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit im
Sinne des § 21 StGB zur Folge gehabt hätte.
Auf der Grundlage der insgesamt aufrechtzuerhaltenden Feststellun-
gen ist danach eindeutig abzusehen, daß die zu verhängende Strafe im
Blick auf das Vorverhalten der Opfer einerseits, das Tatverhalten des Ange-
klagten andererseits weder dem Sonderstrafrahmen des § 212 Abs. 2 StGB
noch demjenigen des § 213 StGB zu entnehmen sein wird. Angesichts der –
vom Schwurgericht bei der Erörterung zu § 57a StGB benannten – rechts-
fehlerfrei als schulderhöhend bewerteten Umstände im Zusammenhang mit
dem Tatbild und dem Ausmaß der vorsätzlich und fahrlässig verursachten
Tatfolgen und Gefährdungen wird allein eine zeitige Freiheitsstrafe aus dem
obersten Bereich des Strafrahmens des § 212 Abs. 1 StGB als schuldange-
messene Sanktion in Betracht kommen. Ihre präzise Festsetzung ist einem
neuen Tatrichter zu überlassen, der sie unter Berücksichtigung der beste-
henbleibenden bisherigen Feststellungen, die allenfalls durch neue wider-
spruchsfreie ergänzbar sind, vorzunehmen haben wird.
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