Urteil des BGH vom 08.12.2004

BGH (spirituosen, vergleich, einlassung, umsatzsteuer, stpo, geschäftstätigkeit, höhe, steuerhinterziehung, sache, verhalten)

5 StR 331/04
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 8. Dezember 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Dezember 2004
beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Hamburg vom 8. April 2004 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere
Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Steuerhinterziehung in vier
Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten
verurteilt. Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Nach den Feststellungen des Landgerichts gründete die Angeklagte
– eine geschäftsunerfahrene Hausfrau – im Jahr 1998 eine Handelsagentur
für Spirituosen und setzte damit die Handelstätigkeit ihres verstorbenen
Ehemannes fort. Für die Jahre 1998 bis 2000 gab sie inhaltlich falsche Um-
satzsteuerjahreserklärungen ab, indem sie Vorsteuern aus innergemein-
schaftlichen Lieferungen geltend machte, obwohl diese umsatzsteuerfrei er-
folgt waren. Für 2001 gab die Angeklagte keine Umsatzsteuerjahreserklä-
rung ab.
Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält sachlichrechtlicher Prü-
fung nicht stand.
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1. Allerdings ist es grundsätzlich Sache des Tatrichters, die Beweise
zu würdigen. Das Revisionsgericht kann die tatrichterliche Beweiswürdigung
auf die Sachbeschwerde nur unter dem Gesichtspunkt überprüfen, ob sie
Rechtsfehler enthält. Dies ist dann der Fall, wenn die im Urteil mitgeteilten
Erwägungen des Tatrichters in sich widersprüchlich, lückenhaft oder unklar
sind oder wenn sie gegen Denkgesetze oder anerkannte Erfahrungssätze
verstoßen (st. Rspr.; vgl. nur BGH NStZ 2002, 48; BGHR StPO § 261 Be-
weiswürdigung 2; jeweils m.w.N.).
2. Hier erweist sich die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils
als teilweise widersprüchlich und lückenhaft.
a) Die Angeklagte hat sich vor dem Landgericht dahin eingelassen, sie
habe hinsichtlich der Umsatzsteuer „das System ihres Mannes übernom-
men“. Sie hat sich dabei auf einen Terminplaner ihres Mannes aus dem Jahr
1997 berufen, in den dieser Preise für Spirituosen eingetragen hatte. Nach
einem Vergleich der dortigen Eintragungen mit den Angebotslisten der aus-
ländischen Lieferanten sei für sie schlüssig gewesen, daß die niedrigeren
Preise im Terminplaner – im Gegensatz zu den Angebotslisten – keine Um-
satzsteuer enthalten hätten. Das Landgericht ist der Überzeugung, daß die-
ser von der Angeklagten behauptete Vergleich ihr nicht die Gewißheit ver-
schafft haben könne, sich umsatzsteuerrechtlich korrekt zu verhalten; die
Angeklagte habe nicht einschätzen können, ob die Preise für Spirituosen
zwischen dem Zeitpunkt der Eintragungen im Terminplaner (1997) und den
Angebotslisten (Juli 1998) annähernd gleich geblieben seien. Darüber hinaus
hält es der Tatrichter auch für denkbar, „daß ihr Mann einen günstigen (Net-
to)Preis durch Einräumung eines Rabatts erlangt hatte“ (UA S. 12).
Diese Erwägungen beruhen auf bloßen Vermutungen des Landge-
richts, die nicht durch Tatsachen belegt sind. Ausweislich der Urteilsgründe
wurden weder die maßgeblichen Spirituosenpreise für 1997 und 1998 fest-
gestellt, noch wurde Beweis darüber erhoben, ob – anders als der Angeklag-
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ten selbst – ihrem Ehemann tatsächlich auch noch bis 1997 Rabatte von den
Lieferanten eingeräumt worden waren. Letzteres erscheint schon deshalb
fernliegend, weil dessen Geschäftstätigkeit nach einem schweren Unfall im
Jahr 1993 erheblich abgenommen hatte (UA S. 3). Ohne tragfähige
Tatsachengrundlage durfte das Landgericht aber solche Vermutungen nicht
zur Widerlegung der Einlassungen der Angeklagten heranziehen (vgl. BGHR
StPO § 261 Vermutung 3, 10, 11).
Darüber hinaus teilt das Landgericht keinerlei Einzelheiten zu den Ein-
tragungen im Terminplaner und zu den Angebotslisten – etwa Preise für be-
stimmte Spirituosen – sowie zu den sich ergebenden Differenzen mit. Ergäbe
der Vergleich beider Listen eine durchschnittliche Differenz der Preise in Hö-
he der Umsatzsteuer, könnte dies für die Einlassung der Angeklagten spre-
chen, ein System ihres verstorbenen Ehemannes übernommen zu haben.
Läßt sich jedoch kein solcher Zusammenhang feststellen, könnte dies für die
Auffassung des Landgerichts sprechen, daß der Vergleich beider Listen der
Angeklagten nicht die Gewißheit verschafft haben könne, sich steuerrechtlich
korrekt zu verhalten. Mangels näherer Darlegung ist es dem Revisionsgericht
nicht möglich, die Erklärungen des Landgerichts zu den Differenzen zwi-
schen beiden Listen nachzuvollziehen.
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts erkundigte sich die An-
geklagte bei den ehemaligen Geschäftspartnern ihres Mannes, ob diese die
Geschäftsverbindung mit ihr fortsetzen würden, was ihr sowohl von den Lie-
feranten als auch von den Abnehmern zugesagt wurde (UA S. 4 f.). Ihrer Ein-
lassung zufolge hat die Angeklagte dagegen „auf Zuraten der Lieferanten
ihres Mannes … die Geschäfte weitergeführt“ (UA S. 9).
Mit dieser Einlassung hat sich das Landgericht nicht auseinanderge-
setzt. Dies wäre hier aber erforderlich gewesen. Denn wenn die Initiative zur
Fortführung der Handelsagentur nicht von ihr, sondern von den Geschäfts-
partnern ausging, könnte dies zu einer abweichenden Beurteilung der Tatbei-
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träge der Angeklagten – auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Vorteile der
beteiligten Personen – führen. Insbesondere vor dem Hintergrund eines von
der Angeklagten behaupteten „umsatzsteuerlichen Systems“ ihres verstorbe-
nen Mannes und mit Blick auf die Tatsache, daß die Angeklagte gemessen
an dem Betrag der hinterzogenen Steuern einen nicht übermäßig großen
Vorteil aus der Tat gezogen hat, hätte es deshalb weiterer Aufklärung und
Erörterung bedurft. Denn Nutznießer der Geschäftstätigkeit der Angeklagten
waren offenkundig ihre Abnehmer, denen sie die Ware aufgrund einer wirt-
schaftlich schon im Ansatz verfehlten Preiskalkulation unter dem Marktpreis
angeboten hatte (UA S. 29). Angesichts der Besonderheiten des vorliegen-
den Falles wäre eine etwaige Verstrickung der Geschäftspartner für die der
Angeklagten zur Last gelegten steuerstrafrechtlichen Vorwürfe von erhebli-
cher Bedeutung; jedenfalls bei der Strafzumessung wäre solches zu berück-
sichtigen.
3. Der neue Tatrichter wird in Betracht zu ziehen haben, ob die Ange-
klagte etwa nur leichtfertig oder aber angesichts der Höhe der hinterzogenen
Steuern, des Tatzeitraums und der Tatmodalitäten vielmehr sogar mit direk-
tem Vorsatz gehandelt hat. Zudem wird zu prüfen sein, ob – abhängig von
den neu zu treffenden Feststellungen – angesichts der Besonderheiten des
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Falles und trotz des verursachten Steuerschadens die Verhängung einer
aussetzungsfähigen Strafe in Betracht kommt.
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