Urteil des BGH vom 26.09.2012

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 315/11
Verkündet am:
26. September 2012
Ring,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 556 Abs. 3 Satz 2
Dem Mieter kann bei Beendigung des Mietverhältnisses im Wege ergänzender Ver-
tragsauslegung ein Anspruch auf Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen
nur insoweit zugebilligt werden, als er während der Dauer des Mietverhältnisses nicht
die Möglichkeit hatte, den Abrechnungsanspruch durch Geltendmachung eines Zu-
rückbehaltungsrechts an den laufenden Vorauszahlungen durchzusetzen (im An-
schluss an Senatsurteil vom 29. März 2006 - VIII ZR 191/05, NJW 2006, 2552
Rn. 12 ff.).
BGH, Urteil vom 26. September 2012 - VIII ZR 315/11 - LG Detmold
AG Lemgo
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat im schriftlichen Verfahren ge-
mäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 20. September 2012 durch
den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Milger, die Richter Dr. Achilles
und Dr. Schneider sowie die Richterin Dr. Fetzer
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer V
des Landgerichts Detmold vom 26. Oktober 2011 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Lem-
go vom 4. November 2010 wird zurückgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Der Streitwert für die Revisionsinstanz wird auf die Gebührenstufe
bis 1.200 € festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger nehmen ihren ehemaligen Vermieter nach Beendigung des
Mietverhältnisses im Laufe des Jahres 2009 auf Rückzahlung von Betriebskos-
tenvorauszahlungen in Anspruch.
Das Amtsgericht hat der auf Zahlung von 3.320 € nebst Zinsen gerichte-
ten Klage in Höhe eines Teilbetrages von 200,47 € Euro nebst Zinsen stattge-
geben und sie im Übrigen abgewiesen. Die Kläger haben das Urteil des Amts-
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gerichts mit der Berufung angefochten, soweit ihnen ein Anspruch auf Rückzah-
lung von 1.880 € nebst Zinsen (Rückforderung der für die Jahre 2002 bis 2004
geleisteten Vorauszahlungen) aberkannt wurde. In der Berufungsinstanz hat
der Beklagte die - jeweils mit einem Saldo zu Lasten der Kläger endenden -
Nebenkostenabrechnungen für diese Zeiträume erteilt. Der daraufhin von den
Klägern erklärten Erledigung des Rechtsstreits hat sich der Beklagte nicht an-
geschlossen. Das Landgericht hat die Erledigung des Rechtsstreits festgestellt.
Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt:
Hinsichtlich der in der Berufungsinstanz noch anhängigen Forderung der
Kläger auf Rückzahlung der Betriebskostenvorauszahlungen für die Jahre 2002
bis 2004 sei durch die Erteilung der Nebenkostenabrechnung während des Be-
rufungsverfahrens die Erledigung der Hauptsache eingetreten, denn bis zu die-
sem Zeitpunkt sei die Klage zulässig und begründet gewesen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sei dem Mieter nach
Beendigung des Mietverhältnisses im Wege ergänzender Vertragsauslegung
ein (vorläufiger) Anspruch auf Rückzahlung der Nebenkostenvorauszahlungen
zuzubilligen, soweit der Vermieter keine Abrechnungen erteilt habe. Dies sei für
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die in der Berufungsinstanz noch im Streit befindlichen Vorauszahlungen bis zur
nachträglichen Erteilung der Abrechnungen der Fall gewesen. Dem stehe nicht
entgegen, dass der Anspruch der Kläger auf Erteilung der Nebenkostenabrech-
nungen für die Jahre 2002 bis 2004 bereits verjährt gewesen sei. Denn der von
den Klägern verfolgte Anspruch auf Rückzahlung der Nebenkostenvorauszah-
lungen sei erst im Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses im Jahre
2009 entstanden, so dass die Verjährung erst mit Ablauf des Jahres 2009 be-
gonnen habe und noch nicht abgelaufen sei. Dies ergebe sich daraus, dass der
Mieter nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs während des laufen-
den Mietverhältnisses nicht berechtigt sei, geleistete Vorauszahlungen mit
Rücksicht auf die ausstehende Abrechnung zurückzuverlangen, sondern er sei-
nen Abrechnungsanspruch lediglich im Wege des Zurückbehaltungsrechts an
den laufenden Betriebskostenvorauszahlungen geltend machen könne.
II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Klage auf
Rückzahlung der Nebenkostenvorauszahlungen für die Jahre 2002 bis 2004
war von vornherein unbegründet. Denn dem Mieter kann bei Beendigung des
Mietverhältnisses im Wege ergänzender Vertragsauslegung ein Anspruch auf
Rückzahlung von Betriebskostenvorauszahlungen nur insoweit zugebilligt wer-
den, als er während der Dauer des Mietverhältnisses nicht die Möglichkeit hat-
te, den Abrechnungsanspruch durch Geltendmachung eines Zurückbehaltungs-
rechts an den laufenden Vorauszahlungen durchzusetzen. Diese Möglichkeit
stand den Klägern bezüglich der in der Revisionsinstanz noch im Streit befindli-
chen Abrechnungen für die Jahre 2002 bis 2004 zur Verfügung, weil das Miet-
verhältnis erst im Jahr 2009 endete; dass die Kläger hiervon keinen Gebrauch
gemacht, sondern den Abrechnungsanspruch haben verjähren lassen, rechtfer-
tigt keine ergänzende Vertragsauslegung zu ihren Gunsten.
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1. Nach der Rechtsprechung des Senats, von der auch das Berufungs-
gericht im Ansatzpunkt zutreffend ausgeht, kann der Mieter bei beendetem
Mietverhältnis die Vorauszahlungen, über die der Vermieter nicht fristgemäß
abgerechnet hat, ohne den zeitraubenden Umweg über eine (Stufen-)Klage auf
Erteilung der Abrechnung sogleich zurückverlangen. Diese ergänzende Ver-
tragsauslegung beruht auf der Überlegung, dass der Vermieter sonst in der La-
ge wäre, die Fälligkeit eines Erstattungsanspruchs des Mieters nach Belieben
hinauszuzögern, so dass die Abrechnungsfrist (§ 556 Abs. 3 Satz 2 BGB) ohne
praktische Bedeutung bliebe (Senatsurteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 57/04,
NJW 2005, 1499 unter II 3 c).
Hingegen besteht bei Fortdauer des Mietverhältnisses kein Anlass für ei-
ne ergänzende Vertragsauslegung, denn der Mieter ist durch ein Zurückbehal-
tungsrecht an den laufenden Vorauszahlungen hinreichend geschützt, wenn der
Vermieter die abgelaufene Periode nicht fristgerecht abrechnet. Ein Anspruch
des Mieters auf Rückzahlung der für die nicht fristgemäß abgerechneten Be-
triebskosten geleisteten Vorauszahlungen kommt in diesem Fall mangels Be-
stehens einer ausfüllungsbedürftigen Vertragslücke nicht in Betracht (Senatsur-
teil vom 29. März 2006 - VIII ZR 191/05, NJW 2006, 2552 Rn. 12 ff.).
Das Gleiche gilt bei einem beendeten Mietverhältnis für die Abrech-
nungsperioden, für die die Abrechnungsfrist noch während des Mietverhältnis-
ses abgelaufen war. Insoweit ist der Mieter nicht schutzbedürftig, denn er hatte
während des Mietverhältnisses die Möglichkeit, die laufenden Vorauszahlungen
einzubehalten und so auf den Vermieter Druck zur Erteilung der geschuldeten
Abrechnung auszuüben. Erst recht kommt eine ergänzende Vertragsauslegung
nicht in Betracht, wenn - wie hier - der Abrechnungsanspruch des Mieters im
Zeitpunkt der Beendigung des Mietverhältnisses bereits verjährt ist.
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III.
Nach den vorstehenden Ausführungen kann das Urteil des Berufungsge-
richts keinen Bestand haben; es ist daher aufzuheben (§ 562 Satz 1 ZPO). Da
es keiner weiteren Feststellungen bedarf, entscheidet der Senat in der Sache
selbst (§ 563 Abs. 3 ZPO); dies führt zur Wiederherstellung des amtsgerichtli-
chen Urteils.
Ball
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
AG Lemgo, Entscheidung vom 04.11.2010 - 18 C 73/10 -
LG Detmold, Entscheidung vom 26.10.2011 - 10 S 204/10 -
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