Urteil des BGH vom 22.02.1984

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 5/06
Verkündet
am:
7.
Februar
2007
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG §§ 16, 22; BGB §§ 123, 241 Abs. 2, 282, 311
Täuscht der Versicherungsnehmer bei Vertragschluss über einen gefahrerhebli-
chen Umstand im Sinne der §§ 16, 17 VVG, so sanktionieren die §§ 16 bis 22
VVG die Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit grundsätzlich ab-
schließend. Daneben bestehen keine Ansprüche des Versicherers aus culpa in
contrahendo.
Nur wo die §§ 16 ff. VVG nicht eingreifen oder andere geschützte Interessen
des Versicherers nicht abschließend behandeln, kommt ein über die Sanktionen
der §§ 16 ff. VVG hinausgehendes Leistungsverweigerungsrecht des Versiche-
rers in Betracht. Das kann der Fall sein bei Schadensersatzansprüchen des
Versicherers aus unerlaubten Handlungen, insbesondere bei den Tatbeständen
der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB, die neben den §§ 16 ff. VVG anzuwenden sind.
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(Fortführung der Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - VersR
1984, 630; vom 8. Februar 1989 - IVa ZR 197/87 - VersR 1989, 465 und vom
18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991, 1404)
BGH, Urteil vom 7. Februar 2007 - IV ZR 5/06 - HansOLG Hamburg
LG Hamburg
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kes-
sal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom
7. Februar 2007
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
9. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts
Hamburg vom 24. November 2005 aufgehoben, so-
weit die Berufung der Klägerin zurückgewiesen wor-
den ist.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen
Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kos-
ten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, Eigentümerin eines am 5. Januar 1999 niederge-
brannten Einfamilienhauses mit Nebengebäude, fordert von der Beklag-
ten Versicherungsleistungen aus einer Wohngebäude- sowie einer Haus-
ratversicherung.
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Für das ursprünglich vom Ehemann der Klägerin im Jahre 1990
erworbene Anwesen hatte dieser zunächst bis Ende 1996 eine Hausrat-
und eine Gebäudeversicherung bei der P. B. kasse (im Fol-
genden: Vorversicherer) genommen, für die er seinerzeit auch beruflich
tätig war. Mit Wirkung zum 1. Dezember 1996 wurden sowohl dieses Be-
schäftigungsverhältnis als auch die Versicherungsverträge beendet.
Ebenfalls 1996 wurde das gesamte Anwesen der Klägerin übereignet.
Am 22. November 1996 hatte der Ehemann der Klägerin einen
Wasserschaden in der Küche des Einfamilienhauses angezeigt, den der
Vorversicherer im Januar 1997 mit einer Zahlung von 22.500 DM regu-
lierte.
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Die Klägerin richtete zusammen mit ihrem Ehemann am 10. De-
zember 1996 unter Vermittlung der Versicherungsmaklerin D.
GmbH an die Beklagte zwei Anträge auf Abschluss von Gebäudeversi-
cherungen für Haupt- und Nebengebäude. In beiden Anträgen ist auf die
entsprechende Frage der Vorversicherer bezeichnet, jedoch die Frage
nach Vorschäden nur mit den Worten "in den letzten Jahren ca. 500,- DM
Sturmschäden" beantwortet. Der Wasserschaden blieb unerwähnt.
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Ab dem 15. Dezember 1996 gewährte die Beklagte den Eheleuten
vorläufige Deckung. Am 4. Februar 1997, einen Tag vor Annahme der
Versicherungsanträge, meldete der Ehemann der Klägerin der Beklagten
einen Wasserschaden, der nach seiner Behauptung infolge einer Ver-
stopfung des Abflussrohrs für Spüle und Spülmaschine unterhalb des
verfließten Küchenbodens eingetreten war. Am 17. Februar 1997 einigte
man sich auf eine Entschädigung von 15.500 DM. Inzwischen ist der E-
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hemann der Klägerin rechtskräftig wegen Betruges zu einer Geldstrafe
verurteilt worden, nachdem die strafrechtlichen Ermittlungen ergeben
hatten, dass die behaupteten Schadenspositionen überwiegend identisch
sind mit denen des vom Vorversicherer regulierten Wasserschadens vom
22. November 1996.
Nachdem eine im Dezember 1996 von den Eheleuten bei einem
anderen Versicherer für beide Gebäude genommene Hausratversiche-
rung wegen mehrerer Schadenfälle im Dezember 1997 von beiden Ver-
tragsparteien wechselseitig gekündigt worden war, bemühte sich der E-
hemann der Klägerin ab Januar 1998 um den Abschluss einer Hausrat-
versicherung bei der Beklagten. Nach umfangreichem Schriftwechsel
kam es am 17. August 1998 schließlich zum Abschluss einer Hausrat-
versicherung.
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Nach dem Brand vom 5. Januar 1999 trat der Ehemann seine An-
sprüche aus den Versicherungsverträgen an die Klägerin ab. Diese for-
dert von der Beklagten aus der Hausratversicherung Leistungen in Höhe
von 268.039,38 € und aus der Gebäudeversicherung eine Teilleistung
von 51.150,90 €.
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Mit Schreiben vom 15. Dezember 1999 hat die Beklagte gegenüber
beiden Eheleuten die Anfechtung der Versicherungsverträge wegen arg-
listiger Täuschung (Verschweigen von Vorschäden bei Vertragschluss)
erklärt. Unter anderem deshalb hält sie sich für leistungsfrei. Widerkla-
gend hat sie die Rückzahlung der wegen des behaupteten Wasserscha-
dens geleisteten 7.925,02 € (15.500 DM) gefordert.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage
stattgegeben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht
die Klagabweisung bestätigt. Die Widerklage hat es infolge einer Ver-
zichtserklärung der Beklagten durch Teil-Verzichtsurteil abgewiesen. Mit
der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision, mit der sich die Klägerin nur insoweit gegen das Be-
rufungsurteil wendet, als ihre Berufung gegen die Abweisung der Klage
zurückgewiesen worden ist, hat Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob - wie das Landge-
richt angenommen hatte - die von der Beklagten erklärten Anfechtungen
durchgreifen. Stattdessen hat es angenommen, das Leistungsbegehren
der Klägerin stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar (§ 242 BGB),
weil ihm ein Schadensersatzanspruch der Beklagten in gleicher Höhe
aus culpa in contrahendo gegenüberstehe, so dass die Klägerin das Ver-
langte sofort zurückgewähren müsste. Der Ehemann der Klägerin habe
schuldhaft vorvertragliche Pflichten verletzt, als er der Beklagten vor
Ausstellung der Versicherungspolice in der Gebäudeversicherung den
bereits vom Vorversicherer regulierten Wasserschaden gemeldet habe.
Dass beide Schäden identisch seien, zeige ein Vergleich der geltend
gemachten Schadenspositionen, die in beiden Schadensmeldungen
weitgehend übereinstimmten, ohne dass die Klägerin dafür eine plausible
Erklärung gefunden habe.
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Infolge der Pflichtverletzung habe die Klägerin den Zustand wie-
derherzustellen, der ohne die zum Schadensersatz verpflichtende Hand-
lung des Ehemannes bestanden hätte. Die Beklagte sei so zu stellen, als
seien die Versicherungsverträge nicht zustande gekommen, denn sie
hätte bei Kenntnis der anderweitigen Regulierung des ihr am 4. Februar
1997 gemeldeten Wasserschadens durch den Vorversicherer weder am
5. Februar 1997 die Gebäudeversicherung noch am 17. August 1998 die
Hausratversicherung mit den Eheleuten abgeschlossen.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Die Beklagte hat keinen Schadensersatzanspruch aus Verschul-
den bei Vertragschluss, den sie, wie das Berufungsgericht annimmt, dem
Leistungsbegehren der Klägerin im Wege des Arglisteinwandes nach
§ 242 BGB entgegenhalten könnte.
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a) Soweit sich eine dem Versicherungsnehmer angelastete Täu-
schung auf einen gefahrerheblichen Umstand im Sinne der §§ 16, 17
VVG bezieht, sind die im Schuldrecht durch das Institut des Verhand-
lungsverschuldens geschützten Interessen in den §§ 16 bis 22 VVG ei-
genständig geregelt. Diese Vorschriften sanktionieren die Verletzung der
vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit abschließend. Grundsätzlich kom-
men deshalb nach dem Gesetz insoweit nur Prämienerhöhung, Kündi-
gung oder Rücktritt in Betracht. Daneben steht es dem Versicherer offen,
die Anfechtung seiner Annahmeerklärung wegen arglistiger Täuschung
zu erklären (§§ 22 VVG, 123 BGB). Betrifft eine Nicht- oder Falschanzei-
ge gefahrerhebliche Umstände, so bestehen daneben keine Ansprüche
aus culpa in contrahendo (Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR
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63/82 - VersR 1984, 630 unter I 2; vom 8. Februar 1989 - IVa ZR
197/87 - VersR 1989, 465 unter II 3, vorangehend OLG Hamm VersR
1988, 458; vom 18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991, 1404
unter 2 b; OLG Saarbrücken VersR 1997, 863). Anderenfalls würde die
ausgewogene Entscheidung des Gesetzgebers zur Sanktionierung der
Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten bei Anbahnung eines Versi-
cherungsvertrages verfälscht und unterlaufen (Senatsurteil vom
22. Februar 1984 aaO).
Nur dort, wo die Regelungen der §§ 16 ff. nicht eingreifen, etwa
bei Täuschungen über andere als gefahrerhebliche Umstände, oder wo
sie andere geschützte Interessen des Versicherers nicht abschließend
behandeln, kommt ein über die genannten Sanktionen hinausgehendes
Leistungsverweigerungsrecht des Versicherers in Betracht. Das kann der
Fall sein bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen, insbesondere bei
den Tatbeständen der §§ 826, 823 Abs. 2 BGB, die neben den §§ 16 ff.
VVG anzuwenden sind (BGH, Urteile vom 8. Februar 1989 aaO unter II
3; vom 22. Februar 1984 aaO; vom 18. September 1991 aaO).
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b) Nach diesen Grundsätzen kam hier ein Schadensersatzan-
spruch des Versicherers aus culpa in contrahendo nicht in Betracht.
Gleichviel, ob man dem Ehemann der Klägerin anlastet, er habe der Be-
klagten bei Beantragung der Gebäudeversicherung den beim Vorversi-
cherer gemeldeten Wasserschaden verschwiegen, oder er vor Ausstel-
lung der Gebäudeversicherungspolice nicht offen gelegt, dass er densel-
ben Schaden der Beklagten zur Regulierung angezeigt habe, handelt es
sich um gefahrerhebliche Umstände, die der Regelung der §§ 16 ff. VVG
unterfallen.
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2.
Für
Schadensersatzansprüche der Beklagten aus unerlaubten
Handlungen, die andere als die bereits von den §§ 16 ff. VVG geschütz-
ten Interessen des Versicherers verletzt haben, hat das Berufungsgericht
keine ausreichenden Feststellungen getroffen.
Allein die Feststellung, der vom Vorversicherer regulierte Wasser-
schaden sei identisch mit dem pflichtwidrig bei der Beklagten angezeig-
ten, reicht für die Begründung eines deliktischen Schadensersatzanspru-
ches in Bezug auf den Abschluss beider Versicherungsverträge nicht
aus. Das Berufungsgericht hat insbesondere nicht festgestellt, die Kläge-
rin oder ihr Ehemann hätten die Beklagte zum Abschluss der Versiche-
rungsverträge bereits in der vorgefassten Absicht veranlasst, die Verträ-
ge für betrügerische Schadensmeldungen zu nutzen oder künftig Versi-
cherungsfälle vorsätzlich herbeizuführen (vgl. dazu Senatsurteil vom
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8. Februar 1989 aaO). Das lässt sich auch dem Zusammenhang der Ur-
teilsgründe weder für den im Februar 1997 abgeschlossenen Gebäude-
versicherungsvertrag, erst recht nicht für den erst im August 1998 abge-
schlossenen Hausratversicherungsvertrag mit ausreichender Sicherheit
entnehmen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 13.05.2005 - 331 O 377/01 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 24.11.2005 - 9 U 112/05 -