Urteil des BGH vom 16.05.2012

BGH: unterbringung, bezirk, anstalt, klinikum, fortdauer, kontrolle, begriff, aufenthaltswechsel, niedersachsen, strafvollstreckung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 ARs 159/12
2 AR 100/12
vom
16. Mai 2012
in der Strafvollstreckungssache
gegen
Az.: 13 StVK 51/12 BK Landgericht Osnabrück
Az.: 3302 Js 24512/08 Staatsanwaltschaft Lüneburg
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts am 16. Mai 2012 gemäß § 14 StPO beschlossen:
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück ist
für die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf die Unterbrin-
gung des Verurteilten in einer Entziehungsanstalt beziehen, zu-
ständig.
Gründe:
1. Das Landgericht Lüneburg hat den Untergebrachten am 3. Februar
2009 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verur-
teilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Maß-
regel wird seit dem 17. April 2009 zunächst im Maßregelvollzugszentrum M. -
und seit dem 10. Oktober 2011 in der forensischen Abteilung des
A. -Klinikums in O. vollzogen. Zuvor hatte die Strafvollstreckungs-
kammer des Landgerichts Göttingen mit Beschluss vom 18. August 2011 die
Fortdauer der Unterbringung angeordnet. Seit dem 18. Februar 2012 steht die
erneute Regelüberprüfung des weiteren Maßregelvollzugs an (§ 67e Abs. 1 und
2 StGB). Die Staatsanwaltschaft hat diese am 10. Januar 2012 durch Anfordern
einer Stellungnahme des A. -Klinikums eingeleitet und am 3. Februar 2012
beantragt, die Fortdauer der Unterbringung anzuordnen. Die Strafvoll-
streckungskammern der Landgerichte Göttingen und Osnabrück halten sich
nicht für zuständig, über diesen Antrag zu entscheiden. Die Strafvoll-
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streckungskammer des Landgerichts Osnabrück hat die Sache zur Bestim-
mung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
2. Das Landgericht Osnabrück, in dessen Bezirk das A. -Klinikum
liegt, ist für die nachträglichen Entscheidungen, die sich auf den Maßregelvoll-
zug beziehen, zuständig.
a) Örtlich zuständig für die zu treffende Entscheidung ist gemäß § 462a
Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 463 Abs. 1 StPO die Strafvollstreckungskammer, in
deren Bezirk sich die Maßregelvollzugseinrichtung befindet, in die der Verurteil-
te zu dem Zeitpunkt aufgenommen ist, in dem das Gericht mit der Sache be-
fasst wird (§ 463 Abs. 1, § 462a Abs. 1 Satz
1 StPO). „Aufgenommen“ im Sinne
des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO ist ein Verurteilter, wenn er sich in der betref-
fenden Vollzugseinrichtung auch tatsächlich und nicht nur vorübergehend wie
etwa im Rahmen einer Verschubung oder zum Zwecke einer medizinischen
Untersuchung aufhält. Dabei ist es unerheblich, ob die Vollzugseinrichtung
nach dem Vollstreckungsplan des jeweiligen Bundeslandes auch zuständig ist;
dies gilt auch dann, wenn - wie im Fall vom Übergang der Untersuchungshaft in
Strafhaft - eine spätere Verlegung in eine zuständige Einrichtung schon abzu-
sehen ist (st. Rspr.; vgl. BGHSt 38, 63, 65; 27, 302, 304; BGH Beschluss vom
28. Juli 2004 - 2 ARs 247/04; vgl. auch BGH NStZ 1999, 638; OLG Hamm
NStZ 2010, 295, 296; KK/Appl StPO § 462a Rn. 14, 15; Röttle/Wagner, Straf-
vollstreckung, 8. Aufl. Rn. 827; vgl. auch Meyer-Goßner StPO § 462a Rn. 6; aM
SK-StPO/Paeffgen § 462a Rn. 8 sowie KMR/Stöckel StPO § 462a Rn. 11, die
für eine Aufnahme im Sinne des § 462a Abs. 1 StPO auf den tatsächlichen
Aufenthalt und die Zuständigkeit der Einrichtung abstellen). Anders zu beurtei-
len sind lediglich die Fälle, in denen sich der Verurteilte entgegen der Ladung in
einer unzuständigen Vollzugsanstalt zum Strafantritt meldet und alsbald in die
zuständige Anstalt verlegt wird (vgl. KK/Appl StPO § 462a Rn. 15; SK-
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StPO/Paeffgen § 462 Rn. 8); wird aber die Haft in der Folge gleichwohl in der
unzuständigen Vollzugsanstalt vollzogen, ist auch in diesen Fällen allein der
tatsächliche Aufenthalt des Verurteilten für die Bestimmung der zuständigen
Strafvollstreckungskammer maßgeblich. Die nach Landesrecht zuständige Voll-
zugseinrichtung kann daher die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer
nach § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO nur begründen, wenn sich der Verurteilte in
der Einrichtung auch zugleich und dies nicht nur vorübergehend aufhält (nicht
anders ist auch die Entscheidung des Senats in NStZ-RR 1998, 155 zu verste-
hen, die an die tatsächliche Aufnahme eines Untergebrachten in einer zugleich
zuständigen Maßregelvollzugseinrichtung anknüpft).
Die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt des Verurteilten ent-
spricht dem Gebot des gesetzlichen Richters nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG,
der verlangt, dass sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst ein-
deutig aus einer allgemeinen Norm ergeben muss (BVerfGE 40, 268, 271). Ei-
ne Auslegung des § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO dahingehend, dass sich die Zu-
ständigkeit der Strafvollstreckungskammer - unabhängig davon, in welcher Ein-
richtung sich der Verurteilte tatsächlich aufhält - allein nach der gemäß dem
Vollstreckungsplan zuständigen Vollzugseinrichtung richtet, würde dem nicht
gerecht. Denn aus den Vollstreckungsplänen der Länder, die regelmäßig z.B.
für besonders fluchtverdächtige oder gefährliche Verurteilte Abweichungen be-
stimmen, ließe sich in solchen Fällen die zuständige Vollzugsanstalt nicht ent-
nehmen (vgl. BGHSt 38, 63, 65). Vor dem Hintergrund, dass die Abweichung
vom Vollstreckungsplan einer gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist (nach BGH
StraFo 2001, 432 ist die Ablehnung eines auf Verlegung in die zuständige An-
stalt gerichteter Antrag als Justizverwaltungsakt im Sinne der §§ 23 ff EGGVG
anzusehen), begegnet die Anknüpfung an den tatsächlichen Aufenthalt auch
nicht deshalb Bedenken, weil sich die örtlich und sachlich zuständige Vollzugs-
anstalt und daran anknüpfend auch die zuständige Strafvollstreckungskammer
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nicht mehr nach Landesrecht (vgl. § 138 Abs. 1, § 152 StVollZG) bestimmen
würde. Dieses Ergebnis entspricht auch der Intention des § 462a StPO, der
getragen vom Gedanken der Vollzugsnähe (vgl. SK-StPO/Paeffgen § 462a
Rn. 6) die Zuständigkeit des im Bezirk der Vollzugseinrichtung ansässigen und
mit den dortigen Gegebenheiten besonders vertrauten Vollstreckungsgerichts
bestimmt.
Nichts anderes gilt für eine spätere Verlegung eines Verurteilten. Da un-
ter den Begriff der Aufnahme nicht nur die Erstaufnahme, sondern auch jede
spätere Verlegung in eine andere Vollzugseinrichtung fällt, also der tatsächliche
Aufenthalt des Verurteilten in einer Einrichtung entscheidend ist, bewirkt der
(nicht nur vorübergehende) Aufenthaltswechsel den Übergang der Zuständig-
keit auf diejenige Strafvollstreckungskammer, zu deren Bezirk die Einrichtung
gehört, in die der Betroffene verlegt wird (vgl. BGH NJW 1990, 264).
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b) Da sich der Verurteilte zum Zeitpunkt der anstehenden Regelüberprü-
fung in der forensischen Abteilung des A. -Klinikums in O. befand
und dort nicht nur vorübergehend untergebracht war, war er dort „aufgenom-
men“ im Sinne des § 463 Abs. 1, § 462a Abs. 1 Satz 1 StPO. Dabei ist uner-
heblich, dass das A. -Klinikum nach dem Vollstreckungs- und Einwei-
sungsplan für das Land Niedersachsen nur für Unterbringungen gemäß § 63
StGB zuständig ist und damit auch die Voraussetzungen für eine von dem Voll-
streckungsplan abweichende Unterbringung gemäß § 5 Abs. 2 Nds.MVollzG
nicht erfüllt waren.
Ernemann
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Berger
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