Urteil des BGH vom 22.04.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 156/07 Verkündet
am:
22. April 2009
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Brüssel I-VO Art. 5 Nr. 1
a) Wenn zwischen den Parteien eines Kaufvertrages der Incoterm FOB vereinbart
ist, ist der Verschiffungshafen der Lieferort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
EuGVVO. Liegt dieser Ort außerhalb des geographischen Geltungsbereichs der
Verordnung, so findet nicht Art. 5 Nr. 1 Buchst. b, sondern Art. 5 Nr. 1 Buchst. a
EuGVVO Anwendung.
b) Im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO können die Parteien den Erfül-
lungsort vereinbaren, sofern dieser Ort einen Zusammenhang mit der Vertrags-
wirklichkeit aufweist.
BGH, Urteil vom 22. April 2009 - VIII ZR 156/07 - OLG Düsseldorf
LG Mönchengladbach
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 22. April 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen, die Richterinnen Hermanns und Dr. Hessel sowie den Richter
Dr. Achilles
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 22. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 2007 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsge-
richt zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein deutsches Unternehmen mit Sitz in M. ,
macht gegen die Beklagte, ein englisches Unternehmen mit Sitz in London, aus
abgetretenem Recht Kaufpreisforderungen der türkischen Unternehmen I.
und G. (im Folgenden: Ver-
käufer) geltend. Mit Schreiben jeweils vom 3. November 2003 teilten die Ver-
käufer der Beklagten mit, dass aufgrund eines mit der Klägerin abgeschlosse-
nen Factoring-Vertrages alle Forderungen aus der Geschäftsverbindung an die
Klägerin und die A. Bank Corporation plc abgetreten seien und zukünf-
tige Zahlungen auf das Konto der A. Bank Corporation plc bei der N.
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-Bank AG Essen zu leisten seien. Die Beklagte bestätigte dies unter dem
5. November 2003 – in deutscher Übersetzung – wie folgt:
"Wir bestätigen den Erhalt und die Vereinbarung dieser Abtretungsanzeige. Zu-
künftige Zahlungen werden ausschließlich an die vorstehende Bankverbindung
erfolgen."
Von März bis Juni 2004 lieferten die Verkäufer der Beklagten Textilien
und stellten ihr einen Gesamtbetrag von 452.719,70 GBP in Rechnung. Die Be-
klagte zahlte durch Überweisung auf das bezeichnete Konto, nahm aber – ne-
ben weiteren Kürzungen – jeweils einen Abzug von 25 % von jeder Rechnung
vor.
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Mit ihrer Klage macht die Klägerin die restliche Kaufpreisforderung gel-
tend. Sie ist der Ansicht, dass für die Klage deutsche Gerichte international zu-
ständig seien, und behauptet, dass die Verkäufer und die Beklagte für die Liefe-
rung jeweils den Incoterm FOB vereinbart hätten und nach türkischem Recht
Geldschulden am Sitz des Gläubigers zu erfüllen seien.
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Das Landgericht hat die Klage wegen fehlender internationaler Zustän-
digkeit als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die dagegen ge-
richtete Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelasse-
nen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt:
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Die deutschen Gerichte seien international nicht zuständig. Die Frage der
Zuständigkeit richte sich allein nach den Vorschriften der Verordnung (EG)
Nr. 44/2001 vom 22. Dezember 2000 des Rates über die gerichtliche Zustän-
digkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-
und Handelssachen (EuGVVO; im Folgenden auch: Verordnung). Nach Art. 2,
60 EuGVVO sei die Beklagte an ihrem allgemeinen Gerichtsstand in Großbri-
tannien zu verklagen. Eine Ausnahmevorschrift, die einen Gerichtsstand am
Sitz der Klägerin begründe, greife nicht ein.
Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO begründe keinen deutschen Gerichts-
stand. Der autonom zu bestimmende Erfüllungsort sei hier Großbritannien, da
dies der Ort sei, an dem die Waren tatsächlich geliefert worden seien. Die Ver-
einbarung des Incoterms FOB ändere daran nichts. FOB stelle keine andere
Vereinbarung im Sinne des Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO dar, sondern habe
primär Bedeutung für die Gefahrtragung, auch wenn sich dadurch gegebenen-
falls nach nationalem Recht der Erfüllungsort verändere. Sei der Erfüllungsort
einmal bestimmt, bleibe er für alle Ansprüche aus dem Vertragsverhältnis maß-
geblich. Deshalb sei auch die zum früheren Rechtszustand ergangene Ent-
scheidung des OLG Celle (IPRax 1999, 456) nicht einschlägig, die die Möglich-
keit einer Änderung des Erfüllungsortes nach erfolgter Abtretung bejaht habe.
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Eine Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich auch nicht aus Art. 5
Nr. 1 Buchst. a, c EuGVVO. Nur wenn – wie hier wegen des Erfüllungsorts
Großbritannien nicht der Fall – der nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO ermit-
telte Erfüllungsort außerhalb des geographischen Anwendungsbereichs der
Verordnung läge, könnte gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst. a, c EuGVVO das deut-
sche Kollisionsrecht zur Bestimmung des Erfüllungsortes herangezogen wer-
den. Selbst dies unterstellt, läge der Erfüllungsort aber in der Türkei, nicht in
Deutschland. Wegen der Einheitlichkeit des Erfüllungsbegriffs bliebe es dabei,
so dass ein deutscher Gerichtsstand jedenfalls nicht gegeben sei.
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II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass gemäß Art. 2
Abs. 1 EuGVVO grundsätzlich jeder vor dem für seinen Wohnsitz zuständigen
Gericht zu verklagen ist, soweit nicht eine der davon abweichenden Vorschrif-
ten der Verordnung eingreift. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts
kann Letzteres aber auf der Grundlage des revisionsrechtlich zugrunde zu le-
genden Vortrags der Klägerin nicht verneint werden.
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Nach Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohn-
sitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, auch in einem anderen Mitglied-
staat verklagt werden, wenn ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den
Gegenstand des Verfahrens bilden, und zwar vor dem Gericht des Ortes, an
dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Für den Verkauf
beweglicher Sachen wird diese Bestimmung in Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO
dahin ergänzt, dass im Sinne dieser Vorschrift – und sofern nichts anderes ver-
einbart worden ist – der Erfüllungsort der Verpflichtung für den Verkauf beweg-
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licher Sachen der Ort in einem Mitgliedstaat ist, an dem sie nach dem Vertrag
geliefert worden sind oder hätten geliefert werden müssen. In Art. 5 Abs. 1
Buchst. c EuGVVO ist geregelt, dass in Fällen, in denen Buchstabe b nicht an-
wendbar ist, Buchstabe a gilt.
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1. Voraussetzung für das Vorliegen eines Vertragsgerichtsstands ist zu-
nächst, dass ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand
des Verfahrens bilden.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen
Gemeinschaften (im Folgenden: Gerichtshof) ist der Begriff "Vertrag oder An-
sprüche aus einem Vertrag" autonom auszulegen, um die einheitliche Anwen-
dung des Übereinkommens in allen Vertragsstaaten zu gewährleisten (EuGH,
Urteil vom 5. Februar 2004 – Rs. C-265/02, IPRax 2004, 334 – Frahuil SA ./.
Assitalia Spa, Rdnr. 22 m.w.N.). Vertragliche Ansprüche liegen (jedenfalls)
dann vor, wenn eine Partei gegenüber einer anderen freiwillig eine Verpflich-
tung eingegangen ist (EuGH, Urteile vom 27. Oktober 1998 – Rs. C-51/97, Slg.
1998, I S. 6511 – Réunion européenne SA u.a. ./. Spliethoff’s Bevrachtingskan-
toor BV u.a., Rdnr. 15, 17 m.w.N; vom 17. September 2002 – Rs. C-334/00,
Slg. 2002, I S. 7357 – Fonderie Officine Meccaniche Tacconi SpA ./. Heinrich
Wagner Sinto Maschinenfabrik GmbH, Rdnr. 23; vgl. auch Stadler in: Festschrift
für Musielak, 2004, S. 569 ff.). Es reicht aus, wenn der Kläger vertragliche An-
sprüche schlüssig behauptet (EuGH, Urteil vom 4. März 1982 – Rs. 38/81, Slg.
1982, S. 825 – Effer SpA ./. Kantner).
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b) Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Zwar ist die Klägerin nicht Partei
der zwischen der Beklagten und den Verkäufern abgeschlossenen Kaufverträ-
ge, so dass sich im vorliegenden Verfahren nicht die Vertragsparteien selbst
gegenüberstehen. Die Tatsache, dass die Klägerin eine vertragliche Forderung
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aus abgetretenem Recht geltend macht, schließt es jedoch ein, dass sie sich
auf den zwischen den ursprünglichen Vertragsparteien bestehenden Gerichts-
stand berufen kann (OGH Österreich, Beschluss vom 11. Mai 2005 – 9 Ob
104/04s, IPRax 2006, 489, 490; Martiny in: Festschrift für Geimer, 2002, S. 641,
661; Mankowski, EWiR 2004, 379 f.; Hau, IPRax 2006, 507 f.; Czernich/
Tiefenthaler, Kurzkommentar Europäisches Gerichtsstands- und Vollstre-
ckungsrecht, 2. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rdnr. 18; Magnus/Mankowski, Brussels I
Regulation, 2007, Art. 5 Rdnr. 67; Schlosser, JZ 2004, 408, 409).
Zwar kann ein Zessionar nicht im Klägergerichtsstand klagen, wenn die
Sonderzuständigkeit – wie etwa der Gerichtsstand des Unterhaltsberechtigten
oder des Verbrauchers – einem besonderen Schutz des ursprünglichen Gläubi-
gers dienen soll (EuGH, Urteil vom 15. Januar 2004 – Rs. C-433/01, JZ 2004,
407 – Freistaat Bayern ./. Blijdenstein, Rdnr. 25 ff. m.w.N.). So liegt es hier aber
nicht. Der Grund für den besonderen Gerichtsstand für vertragliche Streitigkei-
ten liegt in der besonders engen Verbindung zwischen dem Vertrag und dem
Gericht des Erfüllungsorts (EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007 – Rs. C-386/05, NJW
2007, 1799 – Color Drack GmbH ./. Lexx International Vertriebs GmbH, Rdnr.
22 f.). Diese besondere Verbindung besteht unabhängig davon, ob vertragliche
Ansprüche auf Dritte übergegangen sind. Jedenfalls der zwischen den ur-
sprünglichen Vertragsparteien bestehende Gerichtsstand steht daher auch dem
Zessionar offen (OGH, Beschluss vom 11. Mai 2005, aaO).
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2. Der ursprüngliche Vertragsgerichtsstand liegt für die Kaufpreiszah-
lungspflicht in Deutschland, wenn – wie die Klägerin behauptet – zwischen den
Kaufvertragsparteien die Erfüllung der streitgegenständlichen Forderungen in
Deutschland vereinbart worden ist. Nach dem revisionsrechtlich zugrunde zu
legenden Vortrag der Klägerin kann entgegen der Auffassung des Berufungsge-
richts ein Erfüllungsort in Deutschland und mithin die internationale Zuständig-
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keit der deutschen Gerichte nicht verneint werden (Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGV-
VO). Denn entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts findet – den Vortrag
der Klägerin, die Lieferung der Kaufsache sei in der Türkei erfolgt, revisions-
rechtlich unterstellt – vorliegend nicht Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO, sondern
Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO Anwendung.
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a) Zwar geht das Berufungsgericht zunächst zutreffend davon aus, dass
der Erfüllungsort nach dem vorrangig zu prüfenden Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
EuGVVO autonom zu bestimmen ist. Im Rahmen der Verordnung wird der Lie-
ferort als autonomes Anknüpfungskriterium festgelegt, das auf sämtliche Klagen
aus ein- und demselben Vertrag über den Verkauf beweglicher Sachen und
nicht nur für diejenige aus der Lieferverpflichtung an sich anwendbar ist (EuGH,
Urteil vom 3. Mai 2007, aaO, Rdnr. 24 ff.; Senatsbeschluss vom 9. Juli 2008
– VIII ZR 184/07, ZGS 2008, 390, Tz. 18 m.w.N.). Bei bereits erfolgter Lieferung
kommt es auf den Ort an, an dem tatsächlich geliefert worden ist (Gei-
mer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Art. 5 EuGVVO
Rdnr. 142 f.; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., Art. 5
Rdnr. 47; Ferrari, IPRax 2007, 61, 66 m.w.N.). Entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts liegt der Lieferort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGV-
VO aber nicht in Großbritannien, sondern in der Türkei und damit außerhalb
des geographischen Anwendungsbereichs der Verordnung, wenn der – im Fol-
genden revisionsrechtlich zu unterstellende – Vortrag der Klägerin zutrifft, dass
die Lieferung gemäß einer zwischen den Parteien vereinbarten FOB-Klausel in
der Türkei erfolgte.
aa) Ist zwischen den Kaufvertragsparteien der Incoterm FOB vereinbart,
hat der Verkäufer die von ihm für den Export freizumachende Ware an Bord des
vom Käufer zu benennenden Schiffes (vgl. Senatsurteil vom 18. Juni 1975
– VIII ZR 34/74, WM 1975, 917, unter II) zu liefern. Mit Überschreiten der
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Schiffsreling gehen Gefahren und Kosten auf den Käufer über. Der Käufer hat
die Ware am Lieferort zu übernehmen und trägt die Verantwortung für den
Haupttransport, die Durchfuhr durch Drittstaaten und die Einfuhr in das Be-
stimmungsland (vgl. Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl., Anhang (6) Incoterms
4. FOB; Bredow/Seiffert, Incoterms 2000, FOB Rdnr. 10 ff.; Lehr, VersR 2000,
548, 555).
bb) Rechtsprechung und Literatur gehen davon aus, dass Lieferort im
Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b EuGVVO der Verschiffungshafen ist, wenn auf-
grund einer FOB-Vereinbarung geliefert wurde (House of Lords, Urteil vom 20.
Februar 2008 – [2008] UKHL 11 – Othon Ghalanos Limited v. Scottish & New-
castle International Limited, EuLF 2008, I S. 95, Tz. 48 ff., 55; Czernich/
Tiefenthaler, aaO, Art. 5 Rdnr. 35; Magnus, IHR 2002, 45, 48; Ferrari, aaO,
S.
66; Rauscher in: Festschrift für Heldrich, 2005, S. 933, 942;
Hess/Pfeiffer/Schlosser, The Brussels I-Regulation (EC) No 44/2001, 2008, D III
Rdnr. 187; Piltz, IHR 2006, 53, 55; ders., NJW 2002, 789, 793, Fn. 50).
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cc) Dem schließt sich der Senat an. Anders als bei einem Versendungs-
kauf fallen bei der Lieferung auf der Grundlage einer FOB-Klausel der Lieferort
und der Ort, an dem der Käufer die Ware zu übernehmen hat, nicht auseinan-
der (vgl. Incoterms 2000, 4. FOB unter A. Nr. 4 und 5 sowie B. Nr. 4 und 5, ab-
gedruckt bei Baumbach/Hopt, aaO). Es kommt deshalb entgegen der Ansicht
der Revisionserwiderung auf die streitige Frage, welcher Ort der nach Art. 5 Nr.
1 Buchst. b EuGVVO maßgebliche Lieferort ist, wenn es sich bei dem zu Grun-
de liegenden Kauf um einen Versendungskauf handelt (vgl. Senatsbeschluss
vom 9. Juli 2008, aaO, m.w.N., und Hau, IPRax 2009, 44 f. m.w.N.), nicht an.
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Die Verordnung bezweckt, die Vorschriften über die internationale Zu-
ständigkeit in Zivil- und Handelssachen durch Zuständigkeitsvorschriften zu
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vereinheitlichen, die in hohem Maße vorhersehbar sind. Sie soll den Rechts-
schutz der in der Gemeinschaft ansässigen Personen in der Weise verbessern,
dass ein Kläger ohne Schwierigkeiten festzustellen vermag, welches Gericht er
anrufen kann, und ein Beklagter entsprechend vorhersehen kann, vor welchem
Gericht er verklagt werden kann (EuGH, Urteil vom 3. Mai 2007, aaO, Rdnr. 19
f.). Diesem Ziel entspricht es, bei einer vertraglich vereinbarten FOB-Klausel
den Verschiffungshafen als Lieferort im Sinne von Art. 5 Nr. 1 Buchst. b
EuGVVO anzusehen (House of Lords, aaO, Tz. 51 f.). Dieser ist ohne weiteres
identifizierbar und von den Parteien ohne Schwierigkeiten voraussehbar. Er
weist ferner eine enge Verknüpfung mit dem Vertrag auf, weil er dem Ort ent-
spricht, an dem der Käufer die Ware übernimmt und Gefahr und Kosten auf ihn
übergehen. Dagegen ist der Bestimmungsort der Ware dem Verkäufer unter
Umständen nicht bekannt; er kann zudem nach Übernahme der Ware während
des Transports – beispielsweise aufgrund eines Weiterverkaufs – Änderungen
unterliegen.
dd) Das Berufungsgericht hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus konse-
quent, bisher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Lieferung tatsächlich
gemäß einer von den Kaufvertragsparteien vereinbarten FOB-Klausel erfolgt ist.
Revisionsrechtlich ist daher im Folgenden zugunsten der Klägerin zu unterstel-
len, dass dies der Fall ist und damit der Erfüllungsort gemäß Art. 5 Nr. 1 Buchst.
b EuGVVO außerhalb des geographischen Geltungsbereichs der Verordnung
liegt, so dass nicht Art. 5 Nr. 1 Buchst. b, sondern Art. 5 Nr. 1 Buchst. a
EuGVVO Anwendung findet (Art. 5 Nr. 1 Buchst. c EuGVVO).
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b) Im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 Buchst. a EuGVVO können die Parteien
– wie bisher schon im Rahmen von Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler EWG-
Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung ge-
richtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September
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1968 (EuGVÜ) – den Erfüllungsort vereinbaren, sofern dieser Ort einen Zu-
sammenhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist (zu Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ
EuGH, Urteil vom 28. September 1999 – Rs. C-440/97, NJW 2000, 719 – GIE
Groupe Concorde u.a. ./. Kapitän des Schiffes "Suhadiwarno Panjan" u.a.,
Rdnr. 28 m.w.N.; Czernich/Tiefenthaler, aaO, Art. 5 Rdnr. 21; Geimer/Schütze,
aaO, Art. 5 Rdnr. 124; Kropholler, aaO, Art. 5 Rdnr. 35; MünchKommZPO/
Gottwald, 3. Aufl., Art. 5 EuGVO Rdnr. 38; Schlosser, EU-Zivilprozessrecht,
2. Aufl., Art. 5 EuGVVO Rdnr. 11; Wipping, Der europäische Gerichtsstand des
Erfüllungsortes – Art. 5 Nr. 1 EuGVVO, 2008, S. 229 f.; Murmelter, Der Ge-
richtsstand des Erfüllungsortes im Europäischen Zivilprozessrecht, 2007,
S. 210; Klemm, Erfüllungsortvereinbarungen im Europäischen Zivilverfahrens-
recht, 2005, S. 65 f.; Rauscher, Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 5
Brüssel I-VO Rdnr. 43; zweifelnd Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 29. Aufl., Art. 5
EuGVVO Rdnr. 5). Insoweit rügt die Revision zu Recht, dass das Berufungsge-
richt den Vortrag der Klägerin, zwischen den Kaufvertragsparteien sei die Erfül-
lung der abgetretenen Forderungen in Deutschland durch die von der Beklagten
unterzeichneten Schreiben vom 3./5. November 2003 vereinbart worden, über-
gangen hat.
Ob die von den Verkäufern und der Beklagten unterzeichneten und so-
dann an die Klägerin übersandten Schreiben vom 3./5. November 2003 so aus-
zulegen sind, dass sie über die bloße Kenntnisnahme der Beklagten von der
Abtretung hinaus die Vereinbarung eines – deutschen – Erfüllungsorts für die
streitgegenständlichen Zahlungsansprüche enthalten, kann der Senat indes
mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts nicht abschlie-
ßend beurteilen. Das Berufungsgericht geht unbeanstandet davon aus, dass die
Kaufverträge türkischem Recht unterliegen. Das gilt mithin auch für das Zu-
standekommen und die Auslegung einer gegebenenfalls in den Schreiben vom
3./5. November 2003 enthaltenen Vereinbarung der Kaufvertragsparteien zum
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Erfüllungsort der Zahlungsverpflichtung (Art. 28 Abs. 1, 2, Art. 33 Abs. 2
EGBGB). Dazu wird das Berufungsgericht weitere Feststellungen zu treffen ha-
ben.
III.
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Nach dem Ausgeführten kann das Berufungsurteil keinen Bestand ha-
ben. Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif, da noch weitere Fest-
stellungen zu treffen sind. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben, und die
Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Sollte der Lieferort gemäß Art. 5 Nr. 1
Buchst. b EuGVVO nach den im weiteren Verfahren zu treffenden Feststellun-
gen tatsächlich in der Türkei liegen, das Berufungsgericht aber entgegen der
Behauptung der Klägerin einen vereinbarten Erfüllungsort für die Kaufpreiszah-
lungspflicht nicht feststellen können, wird das Berufungsgericht sich mit der
Frage auseinanderzusetzen haben, wie in diesem Fall nach Art. 5 Nr. 1
Buchst. a EuGVVO der Erfüllungsort für die Kaufpreiszahlungsverpflichtung zu
bestimmen ist (vgl. auch das Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Ge-
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richtshofs (Österreich), eingereicht am 29. November 2007, ABl. EG Nr. C 37
vom 9. Februar 2008, S. 15, Rs. C-533/07).
Ball
Dr. Frellesen
Hermanns
Dr. Hessel
Dr. Achilles
Vorinstanzen:
LG Mönchengladbach, Entscheidung vom 25.09.2006 - 8 O 31/06 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 11.05.2007 - I-22 U 28/07 -