Urteil des BGH vom 22.06.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 10/04
vom
22. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 233 Fd
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroan-
gestellten mündlich die Anweisung erteilt hat, die Berufungsschrift per Telefax an das
Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Absendung jedoch im Laufe des Tages in
Vergessenheit gerät und unterbleibt.
BGH, Beschluß vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - LG Aachen
AG Eschweiler
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2004 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederich-
sen und die Richter Pauge und Zoll
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 7. Zivilkammer
des Landgerichts Aachen vom 10. Dezember 2003 wird auf Ko-
sten der Klägerin als unzulässig verworfen.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 1.677,93 €
Gründe:
I.
Die Klägerin hat die Beklagten aufgrund eines Verkehrsunfalls auf Scha-
densersatz in Höhe von 1.677,93 EUR nebst Zinsen in Anspruch genommen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozeßbevoll-
mächtigten der Klägerin am 2. Juni 2003 zugestellt worden. Am 20. Juni 2003
hat die Klägerin Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung en-
dete am Montag, dem 4. August 2003. Die Berufungsbegründung ist per Fax
am 5. August 2003 eingegangen. Auf gerichtlichen Hinweis hat die Klägerin am
15. August 2003 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit dem
angefochtenen Beschluß hat das Landgericht den Antrag im wesentlichen mit
der Begründung zurückgewiesen, die Klägern habe nicht dargetan, daß im Büro
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ihres Prozeßbevollmächtigten eine zuverlässige Ausgangskontrolle für fristge-
bundene Schriftsätze stattgefunden habe. Gegen diese Entscheidung wendet
sich die Klägerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 238 Abs. 2 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4,
§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch unzulässig, weil die Rechtssa-
che keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bun-
desgerichtshofs nicht erfordern. Die Rechtsfragen, die der Streitfall aufwirft, sind
höchstrichterlich geklärt. Eine Divergenz zur Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs liegt nicht vor.
1. Die Rechtsbeschwerde wendet sich nicht gegen die Erwägungen des
Beschwerdegerichts hinsichtlich einer unzureichenden Ausgangskontrolle im
Büro des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin. Sie meint jedoch, dieser Ge-
sichtspunkt stehe nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor-
liegend der Wiedereinsetzung deswegen nicht entgegen, weil der Prozeßbe-
vollmächtigte der Klägerin seiner - qualifizierten und zuverlässigen - Kanzleian-
gestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt habe, deren Befolgung die
Fristwahrung gewährleistet hätte. Dies habe das Beschwerdegericht verkannt.
2. Richtig ist, daß ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen darf,
daß eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine
konkrete Einzelanweisung befolgt. Er ist deshalb im allgemeinen nicht verpflich-
tet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (st.
Rspr., vgl. Senatsurteil vom 6. Oktober 1987 - VI ZR 43/87 - VersR 1988, 185 f.;
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Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - VersR 2003, 1462 und
vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - MDR 2004, 477; BGH, Beschluß vom
13. April 1997 - XII ZB 56/97 - NJW 1997, 1930). Dieser Grundsatz gilt jedoch
nicht ausnahmslos. Betrifft die Anweisung z.B. einen so wichtigen Vorgang wie
die Eintragung einer Rechtsmittelfrist und wird sie nur mündlich erteilt, müssen
in der Kanzlei ausreichende organisatorische Vorkehrungen dagegen getroffen
sein, daß die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Fristeintragung unter-
bleibt. In einem solchen Fall bedeutet das Fehlen jeder Sicherung einen ent-
scheidenden Organisationsmangel (Senatsbeschlüsse vom 5. November 2002
- VI ZR 399/01 - VersR 2003, 1459 und vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 -
NJW 2004, 688; v. Pentz, NJW 2003, 858, 863 f.).
Ein solcher Organisationsfehler ist auch im vorliegenden Fall ursächlich
dafür, daß die Berufungsbegründung nicht rechtzeitig per Fax an das Beru-
fungsgericht übermittelt worden ist. Ebenso wie die nur mündlich angeordnete
Eintragung einer Rechtsmittelfrist schlichtweg vergessen werden kann und
deswegen eine besondere Kontrolle erfordert, kann im Einzelfall auch die Ge-
fahr bestehen, daß die nur mündlich angeordnete Absendung eines Schriftsat-
zes in Vergessenheit gerät. Ein solcher Fall ist hier gegeben, weil der Prozeß-
bevollmächtigte der Klägerin die Anweisung, die Berufungsbegründung per Fax
an das Landgericht zu senden, seiner Büroangestellten schon am Vormittag
erteilt hatte, ohne dabei aber eine unverzügliche Ausführung zu verlangen. Für
den Fall, daß die Absendung am Vormittag unterblieb, bestand die nicht fernlie-
gende Gefahr, daß die Angestellte die Anweisung nach ihrer Mittagspause ver-
gessen könnte. Ein solches Versehen kann auch einer ansonsten stets zuver-
lässigen Bürokraft unterlaufen. Deswegen hätte der Prozeßbevollmächtigte
hier, um seiner Sorgfaltspflicht zu genügen, die klare und präzise Anweisung
(vgl. BGH, Beschluß vom 31. Mai 2000 - V ZB 57/99 - NJW-RR 2001, 209) er-
teilen müssen, die Berufungsbegründung umgehend, jedenfalls aber noch am
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Vormittag abzusenden. Sah er davon ab, gereicht ihm zum Verschulden, daß er
keine Vorkehrungen dagegen getroffen hat, die Ausführung seiner Anweisung
auf andere Weise sicherzustellen oder zu kontrollieren. Gemäß § 85 Abs. 2
ZPO muß sich die Klägerin dieses Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten
zurechnen lassen.
Das Beschwerdegericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vo-
rigen Stand mithin zu Recht zurückgewiesen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller
Greiner
Diederichsen
Pauge
Zoll