Urteil des BGH vom 31.01.2006

BGH (absolute person der zeitgeschichte, schutz der persönlichkeit, recht am eigenen bild, privatsphäre, person, interesse, egmr, presse, einwilligung, pressefreiheit)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 52/06 Verkündet
am:
6. März 2007
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. März 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter
Dr. Greiner, Wellner, Pauge und Stöhr
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des
Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 31.
Januar
2006 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hamburg, Zivilkammer 24, vom 1. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine Tochter des verstorbenen Fürsten von Monaco. Die
Beklagte verlegt die Zeitschrift "7 TAGE". In der Ausgabe Nr. 13/02 dieser Zeit-
schrift vom 20. März 2002 wurde berichtet, dass die Klägerin und ihr Ehemann
ihre auf der Insel Lamu/Kenia gelegene Villa vermieten. Illustriert war der Be-
richt unter anderem mit der beanstandeten Aufnahme, welche die Klägerin im
Urlaub neben ihrem Ehemann auf einer öffentlichen Straße mit anderen Men-
schen zeigt.
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Die Klägerin verlangt - wie ihr Ehemann im Verfahren VI ZR 53/06 - von
der Beklagten, es zu unterlassen, diese Aufnahme erneut zu veröffentlichen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten
hat das Oberlandesgericht dieses Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin, die
Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-
sentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht rechtswidrig in das Recht der
Klägerin am eigenen Bild eingegriffen. Die Klägerin müsse als Person des öf-
fentlichen Lebens gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG hinnehmen, dass Aufnahmen
auch ohne ihre Einwilligung verbreitet würden. Dieses Recht zur Veröffentli-
chung finde nach § 23 Abs. 2 KUG erst dann seine Grenze, wenn die Aufnah-
men die Privatsphäre der Klägerin berührten und das Interesse der Klägerin am
Schutz ihrer Privatsphäre das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwie-
ge. Eine Abwägung der Grundrechte der Parteien aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1
und 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergebe hier, dass die Veröffentlichung rechtmäßig er-
folgt sei. Zwar sei auch Art. 8 Abs. 1 EMRK bei der Abwägung zu berücksichti-
gen und bei der Bestimmung der Grenzen des allgemeinen Persönlichkeits-
rechts der Klägerin heranzuziehen. Das Grundgesetz sei aber als Verfassung
des deutschen Staates vorrangig. Allerdings sei hier keine Frage des allgemei-
nen Interesses betroffen, zu der das veröffentlichte Bild einen Beitrag leiste,
sondern nur das Unterhaltungsinteresse. Nach der Rechtsprechung des Bun-
desverfassungsgerichts sei die Veröffentlichung jedoch trotzdem zulässig, weil
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Plätze, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befinde, die Voraus-
setzungen des Privatsphärenschutzes nicht erfüllten; sie könnten das Rück-
zugsbedürfnis nicht erfüllen und rechtfertigten damit auch nicht den grundrecht-
lichen Schutz, den dieses Bedürfnis aus Gründen der Persönlichkeitsentfaltung
verdiene. Diese Rechtsprechung binde das Berufungsgericht nach § 31
BVerfGG. Das beanstandete Bild zeige die Klägerin mit ihrem Ehemann auf
offener Straße und damit an einem Platz, an dem sich viele Menschen aufhiel-
ten. Wer sich - wie die Klägerin - als Person des öffentlichen Lebens im Urlaub
an einem solchen Ort aufhalte, müsse mit einer gewissen Aufmerksamkeit
rechnen und könne nicht davon ausgehen, von den Medien unbeobachtet zu
bleiben. Dem öffentlichen Informationsinteresse sei deshalb der Vorrang einzu-
räumen. Die Bildveröffentlichung sei nicht zu beanstanden.
II.
Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Klägerin kann der Beklagten die erneute Veröffentlichung der beanstande-
ten Aufnahme untersagen.
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1. Bildnisse einer Person dürfen grundsätzlich nur mit deren Einwilligung
verbreitet werden (§ 22 Satz 1 KUG). Das Recht am eigenen Bild ist eine be-
sondere Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Daraus ergibt sich,
dass grundsätzlich allein dem Abgebildeten die Befugnis zusteht, darüber zu
befinden, ob und in welcher Weise er der Öffentlichkeit im Bild vorgestellt wird
(st. Rspr.; vgl. Senatsurteile BGHZ 131, 332, 336; vom 28. September 2004 - VI
ZR 305/03 - VersR 2005, 83). Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist der
Ausgangspunkt des Berufungsurteils, dass die Klägerin die nach diesen
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Grundsätzen erforderliche Einwilligung zur Verbreitung der Aufnahme weder
ausdrücklich noch stillschweigend erteilt hat.
2. Der Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe auch ohne Ein-
willigung hinzunehmen, dass eine Aufnahme verbreitet werde, die sie im Urlaub
in Begleitung ihres Ehemannes in der Öffentlichkeit abbilde, kann in dieser All-
gemeinheit nicht gefolgt werden. Der Ausnahmetatbestand des § 23 Abs. 1
Nr. 1 KUG, wonach Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte einwilligungs-
frei veröffentlicht werden dürfen, greift vorliegend nicht durch.
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a) Das Berufungsgericht bejaht für die beanstandete Bildveröffentlichung
eine Ausnahme im Sinn von § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG. Die Klägerin müsse als
Person des öffentlichen Lebens die Veröffentlichung hinnehmen. Zwar leiste
das Bild keinen Beitrag zu einer Frage von allgemeinem Interesse, sondern
diene nur dem Unterhaltungsinteresse. Gleichwohl sei der Schutz der Privat-
sphäre nicht vorrangig, weil die Aufnahme die Klägerin an einem Ort zeige, an
dem sich viele Menschen befänden.
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Seine Auffassung leitet das Berufungsgericht aus dem Urteil des Bun-
desverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 361 ff.) her,
mit dem das Urteil des erkennenden Senats vom 19. Dezember 1995 (- VI ZR
15/95 - BGHZ 131, 332 ff.) zu den Paparazzi-Bildern (mit Ausnahme der Abbil-
dungen mit Kindern) bestätigt worden ist und an das sich das Berufungsgericht
nach § 31 BVerfGG gebunden fühlt.
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b) Indessen wird die Auffassung des Berufungsgerichts nicht in jeder
Hinsicht dem abgestuften Schutzkonzept gerecht, das die Rechtsprechung aus
§§ 22, 23 KUG entwickelt hat (vgl. BVerfG, BVerfGE 101, 361 ff.; NJW 2001,
1921, 1924 ff.; NJW 2006, 2835 f.; NJW 2006, 2836). Das gilt insbesondere
unter Berücksichtigung der in den Entscheidungen des Europäischen Gerichts-
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hofs für Menschenrechte (künftig: EGMR) vom 24. Juni 2004 in dem Verfahren
von Hannover gegen Deutschland (NJW 2004, 2647 ff.) und vom 16. November
2004 (NJW 2006, 591 ff. - Karhuvaara und Iltalehti gegen Finnland) dargelegten
Grundsätze. Der erkennende Senat hat dieses Schutzkonzept in mehreren
neuen Entscheidungen erläutert (vgl. etwa Urteile vom 19. Oktober 2004
- VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84 ff.; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 -
VersR 2006, 274 ff.) und fasst dies nochmals zusammen.
aa) Nach § 22 KUG dürfen Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebilde-
ten verbreitet werden; hiervon besteht nach § 23 Abs. 1 KUG eine Ausnahme,
wenn es sich um Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte handelt. Diese
Ausnahme gilt aber nicht für eine Verbreitung, durch die berechtigte Interessen
des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
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Aus § 23 KUG hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesgerichtshofs den abkürzenden Begriff der "Person der Zeitge-
schichte" entwickelt. Als "relative" Person der Zeitgeschichte ist eine Person
anzusehen, die durch ein bestimmtes zeitgeschichtliches Ereignis das Interesse
auf sich gezogen hat. Deshalb darf sie ohne ihre Einwilligung nur im Zusam-
menhang mit diesem Ereignis abgebildet werden. Demgegenüber gilt als "abso-
lute" Person der Zeitgeschichte eine Person, die aufgrund ihres Status und ihrer
Bedeutung allgemein öffentliche Aufmerksamkeit findet, so dass sie selbst Ge-
genstand der Zeitgeschichte ist und deshalb über sie berichtet werden darf.
Auch sie hat jedoch ein Recht auf Privatsphäre, das nicht auf den häuslichen
Bereich beschränkt ist. Vielmehr muss sie die Möglichkeit haben, sich an ande-
ren, erkennbar abgeschiedenen Orten unbehelligt von Bildberichterstattung zu
bewegen (vgl. Senat, BGHZ 131, 332 ff., bestätigt von BVerfG, BVerfGE 101,
361 ff.).
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bb) Gegen diese Beschränkung des Schutzes der Privatsphäre bei den
so genannten absoluten Personen der Zeitgeschichte hat der EGMR in seiner
Entscheidung vom 24. Juni 2004 grundsätzliche Bedenken geäußert, denen der
erkennende Senat bereits in mehreren in der Folgezeit ergangenen Entschei-
dungen Rechnung getragen hat (vgl. Urteile vom 19. Oktober 2004 - VI ZR
292/03 - VersR 2005, 84; vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - VersR
2006, 274).
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Hiernach nimmt die Vorschrift des § 23 Abs. 1 KUG nach der Intention
des Gesetzgebers und nach Sinn und Zweck der Regelung in Ausnahme von
dem Einwilligungserfordernis des § 22 KUG Rücksicht auf das Informationsinte-
resse der Allgemeinheit und auf die Pressefreiheit. Die Belange der Öffentlich-
keit sind gerade bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals "aus dem Be-
reich der Zeitgeschichte" zu beachten (vgl. BVerfG, NJW 2006, 3406, 3407 f.).
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cc) Eine Abwägung der widerstreitenden Rechte und Grundrechte der
abgebildeten Person aus Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschen-
rechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (künftig: EMRK) in der Fas-
sung des Protokolls Nr. 11 vom 11. Mai 1994 (BGBl 1995 II 578 ff.; vgl. nun-
mehr die ab 1. November 1998 geltende Neufassung - Bek. vom 17. Mai 2002
- BGBl 2002 II 1054 ff.) sowie aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG einerseits und der
Presse aus Art. 10 EMRK und Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits ist mithin
schon bei der Zuordnung zum Bereich der Zeitgeschichte erforderlich. Dabei ist
der Beurteilung ein normativer Maßstab zugrunde zu legen, welcher der Pres-
sefreiheit und zugleich dem Schutz der Persönlichkeit und ihrer Privatsphäre
ausreichend Rechnung trägt (vgl. Senat, Urteile vom 12. Dezember 1995
- VI ZR 223/94 - VersR 1996, 341 f.; vom 9. März 2004 - VI ZR 217/03 - VersR
2004, 863; und vom 28. September 2004 - VI ZR 305/03 - VersR 2005, 83, 84;
vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84, 85). Maßgebend ist
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hierbei das Interesse der Öffentlichkeit an vollständiger Information über das
Zeitgeschehen. Dabei ist der Begriff des Zeitgeschehens in § 23 Abs. 1 Nr. 1
KUG zugunsten der Pressefreiheit zwar in einem weiten Sinn zu verstehen,
doch ist das Informationsinteresse nicht schrankenlos. Vielmehr wird der Ein-
bruch in die persönliche Sphäre des Abgebildeten durch den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit begrenzt, so dass eine Berichterstattung keineswegs im-
mer zulässig ist. Wo konkret die Grenze für das berechtigte Informationsinte-
resse der Öffentlichkeit an der aktuellen Berichterstattung zu ziehen ist, lässt
sich nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls ent-
scheiden.
Soweit sich die Bedenken des EGMR gegen den Begriff der "absoluten
Person der Zeitgeschichte" richten (NJW 2004, 2647, 2650 Rn. 72), geht es der
Sache nach um die Frage, unter welchen Voraussetzungen über solche in der
Öffentlichkeit bekannte Personen berichtet werden darf. Dem Berufungsgericht
ist zuzugeben, dass die Klägerin unbeschadet der Frage, ob sie als absolute
Person der Zeitgeschichte im Sinn der bisherigen Rechtsprechung anzusehen
ist, jedenfalls eine in der Öffentlichkeit bekannte Person ist und in besonderem
Maß das Interesse der Öffentlichkeit auf sich zieht. Auch hat sie sich bei der
beanstandeten Abbildung nicht an einem Ort der Abgeschiedenheit im oben
dargelegten Sinn befunden, so dass der Gesichtspunkt der Belästigung durch
heimlich aufgenommene Fotos (vgl. EGMR NJW 2004, 2647, 2650 Rn. 68;
BVerfGE 101, 361, 381; BVerfG, NJW 2006, 3406, 3408; Senat, BGHZ 131,
332, 342) im Streitfall keine Rolle spielt.
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Allein diese Umstände können jedoch entgegen der Auffassung des Be-
rufungsgerichts nicht ausreichen, um einen Schutz der Privatsphäre zu vernei-
nen. Das gilt nicht nur unter Berücksichtigung der Auffassung des EGMR, son-
dern ergibt sich bei richtigem Verständnis bereits aus dem abgestuften Schutz-
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konzept, wie es oben dargelegt worden ist. Hiernach ist auch bei Personen, die
unter dem Blickpunkt des zeitgeschichtlichen Ereignisses im Sinn des § 23
Abs. 1 Nr. 1 KUG an sich ohne ihre Einwilligung die Verbreitung ihres Bildnisses
dulden müssten, eine Verbreitung der Abbildung nicht zulässig, wenn hierdurch
berechtigte Interessen des Abgebildeten verletzt werden (§ 23 Abs. 2 KUG).
Mithin kommt eine Ausnahme vom Erfordernis der Einwilligung grund-
sätzlich nur in Betracht, wenn die Berichterstattung ein Ereignis von zeitge-
schichtlicher Bedeutung betrifft (so schon Senatsurteile BGHZ 158, 218, 222 f.;
vom 19. Oktober 2004 - VI ZR 292/03 - aaO; vgl. BGH, Urteil vom 26. Oktober
2006 - I ZR 182/04 - Rn. 15, zum Abdruck in BGHZ bestimmt). Dabei darf aller-
dings der Begriff der Zeitgeschichte nicht zu eng verstanden werden. Schon
nach der Entstehungsgeschichte des Gesetzes betreffend das Urheberrecht an
Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 9. Januar 1907 (KUG;
vgl. Ebermayer in: Stengleins Kommentar zu den Strafrechtlichen Nebengeset-
zen des Deutschen Reiches, 5. Aufl., Band I § 23 KUG Anm. 1; Stenographi-
sche Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, XI. Legislaturperiode
II. Session 1905/1906, erster Sessionsabschnitt, Aktenstück Nr. 30 S. 1540 f.
und I. Lesung 25. Januar 1906, Bd. 214, S. 819), vor allem aber im Hinblick auf
den Informationsbedarf der Öffentlichkeit umfasst er nicht nur Vorgänge von
historisch-politischer Bedeutung, sondern ganz allgemein das Zeitgeschehen,
also alle Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse, und wird mithin
vom Interesse der Öffentlichkeit bestimmt. Auch durch unterhaltende Beiträge
kann nämlich Meinungsbildung stattfinden; solche Beiträge können die Mei-
nungsbildung unter Umständen sogar nachhaltiger anregen und beeinflussen
als sachbezogene Informationen (vgl. Senat, Urteil vom 9. Dezember 2003
- VI ZR 373/02 - VersR 2004, 522, 523 mit Anmerkung von Gerlach JZ 2004,
625; BVerfG, BVerfGE 101, 361, 389 f.; NJW 2006, 2836, 2837).
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Zum Kern der Presse- und der Meinungsbildungsfreiheit gehört es, dass
die Presse in den gesetzlichen Grenzen einen ausreichenden Spielraum besitzt,
innerhalb dessen sie nach ihren publizistischen Kriterien entscheiden kann, was
öffentliches Interesse beansprucht, und dass sich im Meinungsbildungsprozess
herausstellt, was eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse ist (BVerfGE
101, 361, 392; Senat, Urteil vom 15. November 2005 - VI ZR 286/04 - aaO
Rn. 24; EGMR NJW 2006, 591, 592 f. Rn. 38 ff.). Deshalb muss die Presse zur
Wahrnehmung ihrer meinungsbildenden Aufgaben nach publizistischen Krite-
rien selbst entscheiden dürfen, was sie des öffentlichen Interesses für wert hält
(vgl. BVerfGE 101, 361, 392; Senat, Urteile vom 14. März 1995 - VI ZR 52/94 -
VersR 1995, 667, 668 f., bestätigt durch BVerfG, NJW 2000, 1026; und vom
15. November 2005 - VI ZR 286/04 - aaO). Die Bedeutung der Pressefreiheit
wird unter Hinweis auf Art. 10 EMRK auch in der Entscheidung des EGMR vom
24. Juni 2004 (NJW 2004, 2647, 2648 f. Rn. 58, 60, 63) hervorgehoben, wenn
dort ausgeführt wird, dass die Presse in einer demokratischen Gesellschaft eine
wesentliche Rolle spiele und es ihre Aufgabe sei, Informationen und Ideen zu
allen Fragen von Allgemeininteresse weiterzugeben, was letztlich mit dem oben
dargelegten Begriff der Zeitgeschichte in Einklang steht.
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Soweit der Gerichtshof der Presse dieses Recht nur "in bestimmten
Grenzen" (EGMR NJW 2004, 2647, 2649 Rn. 58) zugesteht, betrifft diese Ein-
schränkung ersichtlich die Abwägung zwischen Pressefreiheit und Informations-
recht der Öffentlichkeit einerseits und dem Schutz der Privatsphäre anderer-
seits, mithin eine Abwägung, wie sie auch nach dem oben dargestellten
Schutzkonzept geboten ist. Auch wenn die Presse zur Wahrung der Pressefrei-
heit und zur Vermeidung einer vom Grundgesetz untersagten Zensur selbst
nach publizistischen Kriterien entscheiden darf, worüber sie berichten will, kann
sie sich damit nicht der Abwägung mit der geschützten Privatsphäre derjenigen
entziehen, über die sie berichten will.
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Deshalb muss eine Interessenabwägung stattfinden und zwar zwischen
dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit einerseits und dem Interesse des
Abgebildeten an dem Schutz seiner Privatsphäre andererseits. Die Bedeutung
des Informationswerts für die Interessenabwägung hat der erkennende Senat
schon in früheren Entscheidungen hervorgehoben (Senat, BGHZ 151, 26, 31;
Urteil vom 9. Dezember 2003 - VI ZR 404/02 - VersR 2004, 525 m.w.N.). Je
größer der Informationswert für die Öffentlichkeit ist, desto mehr muss das
Schutzinteresse desjenigen, über den informiert wird, hinter den Informations-
belangen der Öffentlichkeit zurücktreten. Umgekehrt wiegt aber auch der
Schutz der Persönlichkeit des Betroffenen desto schwerer, je geringer der In-
formationswert für die Allgemeinheit ist (vgl. BVerfGE 101, 361, 392; Senat,
BGHZ 131, 332, 342 m.w.N.). Das Interesse der Leser an bloßer Unterhaltung
hat gegenüber dem Schutz der Privatsphäre regelmäßig ein geringeres Gewicht
und ist nicht schützenswert (vgl. BVerfGE 34, 269, 283; Senat, BGHZ 131, 332,
334 m.w.N.).
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Dies hat das Bundesverfassungsgericht im Beschluss vom 21. August
2006 (NJW 2006, 3406, 3407) bestätigt, wobei es nach Lage des Falles nicht
zu entscheiden brauchte, ob er auch für Personen von hohem Bekanntheits-
grad gilt. Diese Frage ist nach Auffassung des erkennenden Senats unter Be-
rücksichtigung des Urteils des EGMR vom 24. Juni 2004 im Grundsatz zu beja-
hen. Deshalb kann auch bei den bisher so genannten Personen der Zeitge-
schichte nicht außer Betracht bleiben, ob die Berichterstattung zu einer Debatte
mit einem Sachgehalt beiträgt, der über die Befriedigung bloßer Neugier hi-
nausgeht. Das schließt es freilich nicht aus, dass je nach Lage des Falles für
den Informationswert einer Berichterstattung auch der Bekanntheitsgrad des
Betroffenen von Bedeutung sein kann. In jedem Fall ist bei der Beurteilung des
Informationswerts bzw. der Frage, ob es sich um ein zeitgeschichtliches Ereig-
nis im Sinn des allgemein interessierenden Zeitgeschehens handelt, ein weites
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Verständnis geboten, damit die Presse ihren meinungsbildenden Aufgaben ge-
recht werden kann, die nach wie vor von größter Bedeutung sind.
Eine solche Gewichtung bei der Interessenabwägung trägt nach Ansicht
des erkennenden Senats den Anforderungen des Gerichtshofs (EGMR NJW
2004, 2647, 2651 Rn. 76) an einen wirksamen Schutz der Privatsphäre ebenso
Rechnung wie dem Schutz der Grundrechte aus Art. 5 GG. Ihr steht - anders
als das Berufungsgericht meint - auch eine Bindungswirkung des § 31 BVerfGG
nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar die Entscheidung des
erkennenden Senats insoweit bestätigt, als dort der Schutz der Privatsphäre
gegen unerwünschte Aufnahmen auf die Fälle erkennbarer räumlicher Abge-
schiedenheit beschränkt worden ist. Das schließt es jedoch nicht aus, bei der
erforderlichen Interessenabwägung zwischen Pressefreiheit und Schutz der
Privatsphäre den Informationswert für die Öffentlichkeit stärker zu berücksichti-
gen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht eine diesen Grundsätzen
entsprechende Interessenabwägung in einem den Ehemann der Klägerin
betreffenden Verfahren gebilligt (Senat, Urteil vom 15. November 2005 - VI ZR
286/04 - VersR 2006, 274; BVerfG, NJW 2006, 2835).
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dd) Kommt es mithin für diese Abwägung maßgeblich auf den Informati-
onswert der Abbildung an, so kann - da im Streitfall die beanstandete Abbildung
im Zusammenhang mit einer Wortberichterstattung verbreitet worden ist - bei
der Beurteilung diese zugehörige Wortberichterstattung nicht unberücksichtigt
bleiben (so auch EGMR NJW 2004, 2647, 2650 Rn. 64). Dies entspricht gefes-
tigter Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BGHZ 158, 218, 223; Ur-
teile vom 30. September 2003 - VI ZR 89/02 - VersR 2004, 205, 206; vom
28. September 2004 - VI ZR 305/03 - VersR 2005, 83 f.; vom 19. Oktober 2004
- VI ZR 292/03 - VersR 2005, 84 f. - jeweils m.w.N.).
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- 13 -
3. Diese Grundsätze führen im Streitfall zu folgender Abwägung:
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Das in der Ausgabe Nr. 13/02 der Zeitschrift "7 Tage" vom 20. März 2002
veröffentlichte Bild war einem Bericht darüber beigefügt, dass die Klägerin und
ihr Ehemann ihre auf der Insel Lamu/Kenia gelegene Villa vermieten.
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Zwar darf - wie bereits oben näher ausgeführt - die Presse grundsätzlich
selbst darüber bestimmen, was sie für berichtenswert hält. Die Klägerin und ihr
Ehemann hielten sich im Zeitpunkt der beanstandeten Aufnahme zudem in der
Öffentlichkeit unter anderen Menschen auf.
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Die Wortberichterstattung über die Wohnung und ihre Vermietung betrifft
aber selbst bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs keinen Vorgang von all-
gemeinem Interesse (EGMR NJW 2004, 2647, 2649 f. Rn. 60 ff.) und kein zeit-
geschichtliches Ereignis. Auch der beanstandeten Abbildung ist kein Beitrag zu
einer Diskussion von allgemeinem Interesse und keine Information über ein
zeitgeschichtliches Ereignis zu entnehmen. Die Aufnahme zeigt die Klägerin
und ihren Ehemann unstreitig im Urlaub, der grundsätzlich auch bei "Prominen-
ten" zum regelmäßig geschützten Kernbereich der Privatspäre gehört.
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Bei der erforderlichen Abwägung zwischen der Pressefreiheit und dem
allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerin ist nach den oben wiedergege-
benen Grundsätzen der Rechtsprechung zu beachten, dass es eine entschei-
dende Rolle spielt, ob die Presse eine neue und wahre Information von allge-
meinem Interesse für die öffentliche Meinungsbildung mitteilt oder ob der Infor-
mationswert für die Öffentlichkeit - wie hier - wesentlich in der Unterhaltung oh-
ne gesellschaftliche Relevanz besteht (vgl. BVerfG, BVerfGE 34, 269, 283 f.;
101, 361, 390 f.; Senat, BGHZ 131, 332, 342 f.). Im letzten Fall besteht kein
berücksichtigenswertes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, das eine Bild-
veröffentlichung entgegen dem Willen des Abgebildeten erlaubte (§ 23 Abs. 1
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Nr. 1 KUG); die abgebildete Person muss die in einer Bildveröffentlichung ohne
ihre Einwilligung regelmäßig liegende Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre und
damit ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht hinnehmen.
4. Nach allem ist das angefochtene Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Da es weiterer tatsächlicher Feststellungen nicht bedarf, hat der
erkennende Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die
Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil ist zurückzuweisen.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 91, 97 Abs. 1 ZPO.
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Müller Greiner Wellner
Pauge Stöhr
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 01.07.2005 - 324 O 869/04 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 31.01.2006 - 7 U 82/05 -