Urteil des BGH vom 07.02.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 245/11
vom
7. Februar 2013
in dem Insolvenzverfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 63 Abs. 2
Im Falle der Verfahrenskostenstundung sind bei unzureichender Masse die Vergü-
tung und die Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gegen die Staatskasse
in Höhe der Mindestvergütung festzusetzen, soweit diese der Masse nicht entnom-
men werden kann.
BGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 - IX ZB 245/11 - LG Braunschweig
AG Wolfsburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Prof. Dr. Kayser, die Richter Prof. Dr. Gehrlein, Vill, die Richterin Lohmann und
den Richter Dr. Fischer
am 7. Februar 2013
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 6. Zivilkammer
des Landgerichts Braunschweig vom 26. August 2011 wird auf
Kosten des weiteren Beteiligten zu 1 zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf
39.486,98
€ festgesetzt.
Gründe:
I.
Der weitere Beteiligte zu 1 begehrt für seine Tätigkeit als vorläufiger In-
solvenzverwalter über die Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 InsVV aF hinaus
Vergütung aus der Landeskasse, soweit diese in Höhe von insgesamt
41.220,54
€ von der noch vorhandenen Masse in Höhe von 1.733,56 € nicht
gedeckt ist.
Auf Antrag des Schuldners vom 8. Oktober 2001 wurde der weitere Be-
teiligte zu 1 mit Beschluss vom 12. Oktober 2001 zum vorläufigen Insolvenz-
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verwalter und Gutachter bestellt. Für die Erstattung des Gutachtens erhielt er
1.157,70
€ aus der Landeskasse. Mit Beschluss vom 1. Dezember 2001 eröff-
nete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuld-
ners und bestellte den weiteren Beteiligten zu 1 zum Insolvenzverwalter. Am
29. November 2007 erstattete dieser Schlussbericht, wonach einer Masse von
158.391,37
€ Masseschulden von 334.377,10 € sowie restliche Gerichtskosten
und die Verwaltervergütung gegenüberstünden.
Am 31. Juli 2009 beantragte der Schuldner die Stundung der Verfah-
renskosten. Mit Beschluss vom 21. August 2009 bewilligte das Insolvenzgericht
dem Schuldner die Stundung der Verfahrenskosten für das Eröffnungsverfah-
ren, das Insolvenzverfahren und das Restschuldbefreiungsverfahren.
Unter dem 2. November 2009 beantragte der weitere Beteiligte zu 1, die
Vergütung für seine Tätigkeit als vorläufiger Verwalter auf 41.220,54
€ und für
die Tätigkeit als Insolvenzverwalter auf 179.325,94
€ festzusetzen. Das Insol-
venzgericht setzte die Vergütung des Verwalters antragsgemäß fest, lehnte
aber die Festsetzung der Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Verwalter
mit Beschluss vom 15. April 2010 wegen Verjährung ab. Nachdem der Senat
am 22. September 2010 (IX ZB 195/09, ZIP 2010, 2160) entschieden hatte,
dass die Verjährung der Vergütung des vorläufigen Verwalters bis zum Ab-
schluss des Insolvenzverfahrens gehemmt sei, half das Amtsgericht der einge-
legten sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 13. Dezember 2010 ab und
setzte auch diese Vergütung antragsgemäß fest.
Einen Antrag auf Festsetzung gegen die Landeskasse hat das Insol-
venzgericht abgelehnt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne
Erfolg geblieben. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der vorläufige Insolvenz-
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verwalter die Festsetzung seiner Vergütung gegen die Landeskasse in vollem
Umfang weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 6, 7, 63 Abs. 2, § 64 Abs. 3
Satz 1 InsO entsprechend, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, Art. 103 f EGInsO)
und zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). Die Frage, in welcher Höhe Vergütung
und Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gegen die Staatskasse
festzusetzen sind, hat grundsätzliche Bedeutung, zumal gegenteilige und aus-
drücklich abweichende Entscheidungen anderer Landgerichte vorliegen.
In der Sache selbst bleibt die Rechtsbeschwerde ohne Erfolg.
1. Das Landgericht hat gemeint, im vorliegenden Fall bestimme sich der
Vergütungsanspruch nach § 63 Abs. 1 InsO, §§ 10, 2 InsVV in der zur Zeit der
Tätigkeit im Jahre 2001 geltenden Fassung. Für den Sekundäranspruch gegen
die Staatskasse nach § 63 Abs. 2 InsO richte sich die Höhe der Vergütung nach
§ 2 Abs. 2 InsVV. Die Vergütung des Verwalters sei nach § 2 Abs. 1 InsVV
festzusetzen, soweit die Masse ausreiche. Andernfalls sei dem Verwalter die
Mindestvergütung nach § 2 Abs. 2 InsVV zu gewähren. Die Mindestvergütung
betrage vorliegend 500
€ zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer, zusammen
1.080
€. Da in der Masse noch ein Betrag von 1.733,56 € vorhanden sei, schei-
de ein Anspruch gegen die Staatskasse aus.
Nach Sinn und Zweck des § 63 Abs. 2 InsO solle auch völlig mittellosen
Personen der Zugang zum Insolvenzverfahren eröffnet werden. Die Stundung
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der Verfahrenskosten solle nicht zu Lasten des Verwalters gehen. Der hier-
durch gewährte Schutz dürfe aber umgekehrt nicht dadurch missbraucht wer-
den, dass der Insolvenzverwalter trotz massearmen Verfahrens die Regelvergü-
tung erhalte und die Differenz zur Masse aus der Staatskasse erstattet bekom-
me. Der Verwalter dürfe durch die Verfahrenskostenstundung bei mittellosen
Personen nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Dem Insolvenz-
verwalter steht aus der Staatskasse die Mindestvergütung zu, soweit diese aus
der Masse nicht entnommen werden kann. Dem Rechtsbeschwerdeführer, der
für seine Tätigkeit als Insolvenzverwalter 179.325,94
€ erhalten hat und auf die
festgesetzte Vergütung als vorläufiger Verwalter noch den Restbetrag der Mas-
se in Höhe von 1.733,56
€ aus der Masse entnehmen kann, steht ein Anspruch
wegen seiner restlichen Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter in Höhe
von 39.486,98
€ gegen die Staatskasse nicht zu.
Nach § 63 Abs. 2 InsO gebührt dem Insolvenzverwalter für seine Vergü-
tung und Auslagen ein Anspruch gegen die Staatskasse, soweit die Insolvenz-
masse nicht ausreicht. Voraussetzung ist, dass die Kosten des Verfahrens nach
§ 4a InsO gestundet sind. Diese Vorschrift gilt gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
InsO entsprechend für den vorläufigen Insolvenzverwalter.
a) Dem Schuldner sind mit Beschluss vom 21. August 2009 die Verfah-
renskosten auch für das in der Zeit vom 8. Oktober 2001 bis 30. November
2001 durchgeführte Eröffnungsverfahren gestundet worden. Dies war rechtlich
grundsätzlich möglich, weil das Insolvenzverfahren erst am 1. Dezember 2001,
10.00 Uhr, eröffnet worden ist, weshalb gemäß Art. 103a EGInsO die ab
1. Dezember 2001 geltenden Vorschriften der §§ 4a ff InsO anwendbar waren.
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Ob dieser Beschluss, was das Eröffnungsverfahren betrifft, rechtmäßig war,
kann auch im Hinblick auf § 4a Abs. 3 Satz 2, § 4c Nr. 2 InsO dahinstehen. Hie-
rauf kommt es im Ergebnis nicht an.
b) Die Ansprüche gegen die Staatskasse nach § 63 Abs. 2 InsO be-
schränken sich der Höhe nach auf die Mindestvergütung, soweit hierfür die
Masse nicht ausreicht. Dies ist zwar nicht dem Gesetzeswortlaut, wohl aber
dem Sinn und Zweck der Vorschrift, der Entstehungsgeschichte und dem Rege-
lungszusammenhang zu entnehmen. Das Beschwerdegericht hat dies zutref-
fend beurteilt. Die Frage ist allerdings streitig. In der Rechtsprechung der In-
stanzgerichte wurde bisher überwiegend im Hinblick auf den Wortlaut des § 63
Abs. 2 InsO die Auffassung vertreten, die Einstandspflicht des Staates bestehe
ohne Beschränkung auf die Mindestvergütung (LG Erfurt, ZInsO 2012, 947; LG
Aurich, ZInsO 2012, 802; LG Gera, ZIP 2012, 2076; LG Bückeburg, ZInsO
2012, 1283). In der Literatur wird, soweit das Problem überhaupt angesprochen
wird, ohne Begründung ein Erstattungsanspruch in voller Höhe angenommen
(MünchKomm-InsO/Nowack, 2. Aufl., § 63 Rn. 15; Braun/Blümle, InsO, 5. Aufl.
§ 63 Rn. 29; Nies in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, § 63 Rn. 16).
aa) § 63 Abs. 2 InsO gewährt dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter einen
Anspruch gegen die Staatskasse nur, wenn die Kosten des Verfahrens(-ab-
schnitts) nach § 4a InsO gestundet wurden. Außerhalb der Stundungsfälle
kommt eine Subsidiärhaftung der Staatskasse grundsätzlich nicht in Betracht.
§ 63 Abs. 2 InsO ist eine Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen ist. Beantragt
der hierzu berechtigte Schuldner keine Kostenstundung, wird diese versagt
oder handelt es sich um eine juristische Person, liegt das Risiko der Uneinbring-
lichkeit beim (vorläufigen) Insolvenzverwalter (BGH, Beschluss vom 22. Januar
2004 - IX ZB 123/03, BGHZ 157, 370, 372 ff).
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Eine Analogie ist nur dann geboten, wenn dem Schuldner Verfahrens-
kostenstundung tatsächlich gewährt, diese jedoch später wieder entzogen wur-
de. Es widerspräche Sinn und Zweck des Gesetzes, wenn die Aufhebung der
Stundung dazu führen würde, dass der Insolvenzverwalter die Sicherung seines
Anspruchs verlöre. Denn der (vorläufige) Insolvenzverwalter kann bei Amts-
übernahme nicht wissen, ob dem Schuldner die Verfahrenskostenstundung
später wieder entzogen wird. Er kann und soll sich auf eine gewährte Stundung
verlassen, weil der Gesetzgeber die Mitwirkung des Insolvenzverwalters auch in
massearmen und masselosen Verfahren sicherstellen will. Allerdings besteht
Vertrauensschutz nur, soweit eine Vergütung für Tätigkeiten eingefordert wird,
die vor der Aufhebung der Stundung erbracht wurden (BGH, Beschluss vom
15. November 2007 - IX ZB 74/07, ZInsO 2008, 111 Rn. 11 ff, 17; vom 3. De-
zember 2009 - IX ZA 36/09 Rn. 3 nv). Der vom Schuldner gestellte Antrag auf
Verfahrenskostenstundung begründet einen Vertrauenstatbestand zu Gunsten
des (vorläufigen) Verwalters nicht, selbst wenn in einem vorhergehenden Ver-
fahrensabschnitt bereits Verfahrenskostenstundung gewährt wurde (BGH, Be-
schluss vom 7. Februar 2013 - IX ZB 75/12, Umdruck S. 7 ff zVb).
Ein Vertrauenstatbestand des Rechtsbeschwerdeführers scheidet im vor-
liegenden Fall von vorneherein aus. Die Verfahrenskostenstundung erfolgt ge-
mäß § 4a Abs. 3 Satz 2 InsO für jeden Verfahrensabschnitt gesondert. Vorlie-
gend war das Vermögen des Schuldners offensichtlich ausreichend, um die
Kosten des Eröffnungsverfahrens einschließlich der Vergütung des vorläufigen
Verwalters zu decken. Der Schuldner hat auch erst fast acht Jahre nach Ab-
schluss des Eröffnungsverfahrens allgemein Verfahrenskostenstundung bean-
tragt. Hätte der vorläufige Verwalter die Festsetzung seiner Vergütung rechtzei-
tig beantragt, hätte er sie vollen Umfangs der Masse entnehmen können.
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bb) § 63 Abs. 2 InsO ist durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenz-
ordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001 (BGBl. I S. 2710) einge-
führt worden. Mit dem Gesetz sollte das Verbraucherinsolvenzverfahren für die
Teilnahme völlig mittelloser Personen geöffnet werden, die weder die Verfah-
renskosten aufbringen noch einen Beitrag an ihre Gläubiger zu leisten vermö-
gen. Um solchen Personen den Zugang zum Verbraucherinsolvenzverfahren zu
eröffnen, wurde eine besondere Verfahrenskostenhilfe eingeführt. Sie besteht
darin, die Verfahrenskosten zu stunden und den im Verfahren tätigen Personen,
also insbesondere dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter, einen Sekundäran-
spruch gegen die Staatskasse zu geben.
Allerdings wurde der Personenkreis, dem Verfahrenskostenstundung
gewährt werden kann, nicht auf diejenigen Personen beschränkt, die ein Ver-
braucherinsolvenzverfahren durchlaufen können, sondern auf alle Personen
erstreckt, die Restschuldbefreiung erlangen können. Der Einsatz der öffentli-
chen Mittel hatte jedoch auch insoweit lediglich das Ziel, völlig mittellosen
Schuldnern den Weg zu einem wirtschaftlichen Neuanfang zu ebnen. Nur zu
diesem Zweck sollten öffentliche Gelder bereitgestellt werden (Gesetzentwurf
der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/5680 S. 1, 12).
Die Stundung umfasst die Gerichtsgebühren und Auslagen. Daneben
zählen zwar auch die Vergütungsansprüche des (vorläufigen) Insolvenzverwal-
ters/Treuhänders nach § 54 Nr. 2 InsO zu den Verfahrenskosten. Eine unmittel-
bare Stundung dieser Kosten ist jedoch naturgemäß nicht möglich, weil es sich
um selbständige Ansprüche Dritter handelt. Deshalb wurde dem (vorläufigen)
Insolvenzverwalter/Treuhänder mit § 63 Abs. 2 InsO ein Sekundäranspruch ge-
gen die Masse eingeräumt. Durch die Änderung der Anlage I zum Gerichtskos-
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tengesetz wurde aber gleichzeitig ein neuer Auslagentatbestand Nr. 9017 ge-
schaffen, der die Vergütung und Auslagen des (vorläufigen) Insolvenzverwal-
ters/Treuhänders erfasst. Diese Kosten können nach Ablauf der Stundung von
der Staatskasse beim Schuldner geltend gemacht werden (BT-Drucks. 14/5680
S. 12, 26 zu Nr. 9).
cc) Bei völlig mittellosen Personen erhält der Verwalter gemäß § 2 Abs. 2
InsVV die Mindestvergütung, ebenso ungekürzt der vorläufige Verwalter gemäß
§ 10, § 2 Abs. 2 InsVV (BGH, Beschluss vom 13. Juli 2006 - IX ZB 104/05,
BGHZ 168, 321 Rn. 40 ff; vom 14. Dezember 2006 - IX ZB 190/03, ZInsO 2007,
88 Rn. 6). Diese betrug im hier maßgeblichen Zeitraum bis zur Eröffnung des
Insolvenzverfahrens am 1. Dezember 2001 gemäß § 2 Abs. 2 InsVV aF, § 19
Abs. 1 InsVV 500
€ zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer, weil für die vor dem
1. Januar 2004 eröffneten Insolvenzverfahren die Vorschriften der insolvenz-
rechtlichen Vergütungsverordnung in der bis zum Inkrafttreten der Änderungs-
verordnung vom 4. Oktober 2004 (BGBl. I S. 2569) geltenden Fassung weiter
anzuwenden sind (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2004 - IX ZB 96/03, BGHZ
157, 282; vom 20. Januar 2005 - IX ZB 134/04, ZIP 2005, 447; vom 17. Februar
2005 - IX ZB 144/04, NZI 2005, 333).
dd) Das Vergütungssystem für den (vorläufigen) Insolvenzverwalter geht
nach § 63 Abs. 1 InsO, § 2 Abs. 1 InsVV davon aus, dass dem (vorläufigen)
Insolvenzverwalter ein angemessener und im Vergütungsfestsetzungsverfahren
näher festzulegender Teil der Insolvenzmasse gebührt. Deshalb kann grund-
sätzlich, auch für die Vergütung des vorläufigen Verwalters, in die Berech-
nungsgrundlage nur Eingang finden, was Gegenstand der Masse wird oder
werden kann und zur Begleichung der Vergütung des (vorläufigen) Verwalters
zur Verfügung steht (vgl. BGH, Beschluss vom 15. November 2012 - IX ZB
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130/10, ZIP 2013, 30 Rn. 30, zVb in BGHZ). Im Hinblick auf mögliche Zu-
schlagstatbestände nach § 3 Abs. 1 InsVV, aber auch das vom Verordnungs-
geber gewünschte, freilich mit § 63 Abs. 1 Satz 2, § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO
nicht vereinbare Vergütungssystem nach § 11 Abs. 1 Satz 4 InsVV (vgl. BGH,
Beschluss vom 15. November 2012 - IX ZB 130/10, aaO Rn. 25 ff; vom
15. November 2012 - IX ZB 88/09, ZIP 2012, 2515 Rn. 21 ff, zVb in BGHZ),
konnte es jedoch in der Vergangenheit ohne weiteres und kann es weiterhin
dazu kommen, dass die Summe der festgesetzten Vergütungen die vorhandene
Masse (erheblich) übersteigt. Ist in solchen Fällen Verfahrenskostenstundung
gewährt, könnte dies nach dem Wortlaut des § 63 Abs. 2 InsO dazu führen,
dass aus der Staatskasse erhebliche Summen zu Gunsten des (vorläufigen)
Verwalters zur Verfügung gestellt werden müssten, um die die Masse überstei-
genden Vergütungsansprüche zu befriedigen, obwohl diese weit oberhalb der
Mindestvergütung festgesetzt wurden.
Ein solches Ergebnis ist mit dem Regelungszweck der Verfahrenskos-
tenstundung nicht vereinbar:
(1) Zum einen sollten nur mittellose Personen in den Genuss von Verfah-
renskostenstundung kommen. Dabei sollten auch die fiskalischen Belange der
Länder berücksichtigt werden, weshalb ein Modell der Prozesskostenhilfe für
die Schuldner verworfen wurde (BT-Drucks. 14/5680 S. 12). Damit wäre nicht
vereinbar, wenn dem (vorläufigen) Verwalter für Vergütungsfestsetzungen, wel-
che die Masse übersteigen, ein Anspruch gegen die Staatskasse wegen der
Differenz in unbeschränkter Höhe zuerkannt würde.
(2) Zum anderen hat die Verfahrenskostenstundung das Ziel, dem
Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermöglichen. Die Verfahrens-
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kostenstundung dauert gemäß § 4a Satz 1 InsO bis zur Erteilung der Rest-
schuldbefreiung. Danach kann nicht nur der gestundete Betrag, sondern kön-
nen auch die Auslagen, zu denen gemäß Nr. 9017 Anlage 1 GKG die nach § 63
Abs. 2 InsO aus der Staatskasse an den (vorläufigen) Insolvenzverwalter ge-
zahlte Vergütung gehört, vom Schuldner verlangt werden (vgl. BT-Drucks.
14/5680 S. 21).
Das Ziel, dem Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang zu ermögli-
chen, würde verfehlt, wenn sich der Schuldner im Zeitpunkt der Restschuldbe-
freiung Kostenansprüchen ausgesetzt sähe, die ihn erneut in ein Insolvenzver-
fahren treiben würden. Deshalb kann dem Schuldner gemäß § 4b InsO erneut
Stundung gewährt und Ratenzahlung bewilligt werden. Dieses Regelungsmo-
dell spricht aber dagegen, dass dem Schuldner, dem die Verfahrenskosten ge-
stundet wurden, nach oben unbegrenzt hohe Auslagebeträge nach § 63 Abs. 2
InsO, Nr. 9017 Anlage 1 GKG auferlegt werden sollten.
(3) Schließlich würde eine solche Handhabung die Gefahr heraufbe-
schwören, dass ein Schuldner, der nach der Restschuldbefreiung mit hohen
Forderungen der Staatskasse rechnen müsste, es als nachteilig annehmen
müsste, zu einem Zeitpunkt Insolvenzantrag zu stellen, in dem wegen noch
vorhandener Masse mit hohen Vergütungsansprüchen des (vorläufigen) Insol-
venzverwalters gerechnet werden müsste, welche die freie Masse übersteigen
können. Bei praktisch gänzlich fehlender Masse bliebe es dagegen bei der Min-
destvergütung. Ein solcher Anreiz, einen Insolvenzantrag erst bei gänzlich ver-
brauchter (künftiger) Masse zu stellen, würde den Zwecken des Insolvenzver-
fahrens und der Reform, mit der die Verfahrenskostenstundung eingeführt wur-
de, widersprechen.
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ee) Aus den Entscheidungen des Senats vom 19. November 2009 (IX ZB
261/08, ZIP 2010, 145) und 14. Oktober 2010 (IX ZB 224/08, ZIP 2010, 2252)
ergibt sich nichts anderes.
§ 63 Abs. 2 InsO sieht einen Anspruch des (vorläufigen) Verwalters ge-
gen die Staatskasse wegen seiner Vergütung nur vor, wenn die Insolvenzmas-
se für die Vergütung nicht ausreicht. In beiden vorgenannten Fällen ging es nur
um diese Voraussetzung, nämlich ob die vorhandene Masse ausgereicht hätte,
wenn sie der Verwalter nicht unter Verstoß gegen § 209 Abs. 1 InsO anderwei-
tig verbraucht hätte. Dies war in beiden Fällen unter den gegebenen Vorausset-
zungen zu bejahen, weil auch bei einer Verfahrenskostenstundung die Til-
gungsreihenfolge des § 209 Abs. 1 InsO einzuhalten ist. Dass in beiden Fällen
ein Erstattungsbetrag aus der Staatskasse festgesetzt worden war, der die
nach § 2 Abs. 1 InsVV festgesetzte Vergütung zugrunde lag, nicht dagegen die
Mindestvergütung, war vom Senat jeweils nicht zu korrigieren, weil die Be-
schwerdeentscheidungen insoweit nicht zum Nachteil des Rechtsbeschwerde-
führers falsch waren. Dieser hatte vielmehr jeweils die weitergehende Festset-
zung von Ansprüchen gegen die Staatskasse beantragt.
ff) Der Rechtsbeschwerdeführer hätte allerdings im vorliegenden Fall
gemäß § 209 Abs. 1 Nr. 1 InsO seine Forderungen als vorläufiger und endgülti-
ger Verwalter gleichmäßig nach dem Verhältnis ihrer Beträge befriedigen müs-
sen. Im Ergebnis ändert dies allerdings nichts, weil er dann in entsprechender
Höhe mit seiner Vergütung als Verwalter ausgefallen wäre. Die aufgeworfene
Rechtsfrage hätte sich sodann teilweise hinsichtlich seiner Vergütung als end-
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gültiger Verwalter gestellt. Eine andere Beurteilung wäre auch dort nicht gebo-
ten.
Kayser Gehrlein Vill
Lohmann Fischer
Vorinstanzen:
AG Wolfsburg, Entscheidung vom 13.12.2010 - 26 IN 46/01 -
LG Braunschweig, Entscheidung vom 26.08.2011 - 6 T 130/11 (33) -