Urteil des BGH vom 23.04.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 127/08 Verkündet
am:
11. März 2009
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
BGB § 573 Abs. 1 Satz 1, § 577a
Die Kündigungsbeschränkung des § 577a BGB bei Umwandlung von vermieteten
Wohnräumen in Wohnungseigentum gilt nur für Eigenbedarfs- oder Verwertungskün-
digungen (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB) und ist auf andere Kündigungsgründe im
Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht analog anwendbar.
BGH, Urteil vom 11. März 2009 - VIII ZR 127/08 - LG München I
AG
München
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. März 2009 durch den Vorsitzenden Richter Ball, den Richter
Dr. Frellesen sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und Dr. Hessel
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der 14. Zivil-
kammer des Landgerichts München I vom 23. April 2008 aufgeho-
ben und das Urteil des Amtsgerichts München vom 23. März 2007
abgeändert.
Die Klägerinnen werden als Gesamtschuldner verurteilt, die Woh-
nung J. Straße in M. , be-
stehend aus einem Zimmer, Küche, Dusche/WC und Kelleranteil,
geräumt an die Beklagte herauszugeben.
Den Klägerinnen wird eine Räumungsfrist bis zum 30. Juni 2009
eingeräumt.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerinnen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerinnen sind seit dem 1. August 1999 Mieterinnen einer Woh-
nung in M. . Der vormalige Eigentümer des Hauses wandelte am 19. April
2002 das Anwesen in Wohnungs- und Teileigentum um. Die von den Klägerin-
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nen gemietete Wohnung wurde am 25. Juli 2002 von der Beklagten erworben.
Diese lebt mit ihrer Familie in der Nachbarwohnung, die ihrem Ehemann gehört.
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Aufgrund einer Vereinbarung der Parteien vom 19. Januar 2003 wurde
von der Zweizimmerwohnung der Klägerinnen ein Zimmer abgetrennt und bau-
lich mit der Wohnung des Ehemanns der Beklagten verbunden. Die Klägerin-
nen erhielten dafür 10.000 €; außerdem wurde die Miete für die verbleibende
Einzimmerwohnung auf 150 € monatlich gesenkt. Ab November 2005 wurde die
Wohnung mit Zustimmung jedenfalls der Klägerin zu 1 zumindest auch von dem
Au-pair-Mädchen L. G. der Beklagten genutzt, das bis dahin in der Woh-
nung der Familie der Beklagten gelebt hatte.
Mit Schreiben vom 31. Juli 2006 kündigte die Beklagte das Mietverhältnis
mit den Klägerinnen zum 31. Januar 2007. Zur Begründung führte sie aus, dass
sie für die Betreuung und Pflege ihrer beiden sechs und neun Jahre alten Kin-
der und ihrer ebenfalls in ihrem Haushalt lebenden 72 Jahre alten pflegebedürf-
tigen Schwiegermutter eine Betreuungsperson, derzeit L. G. , benötige und
für deren Unterbringung auf die Wohnung angewiesen sei.
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Die Klägerinnen haben mit ihrer Klage zunächst die Feststellung begehrt,
dass das Mietverhältnis über den 31. Januar 2007 hinaus fortbesteht. Nachdem
die Beklagte Widerklage auf Räumung der Wohnung erhoben hatte, haben die
Parteien den Rechtsstreit hinsichtlich der Klage übereinstimmend für erledigt
erklärt. Das Amtsgericht hat die Widerklage abgewiesen. Die dagegen gerichte-
te Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsge-
richt zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Widerklageantrag wei-
ter.
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Entscheidungsgründe:
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Die Revision hat Erfolg.
I.
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Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt:
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Das Mietverhältnis sei wegen der Sperrfrist des § 577a BGB nicht been-
det. Jedenfalls sei § 577a BGB auf die vorliegende Fallgestaltung analog an-
wendbar, wobei auf den in der Kündigung dargelegten Lebenssachverhalt (Be-
darf für die Betreuungsperson L. G. ) abzustellen sei.
Dass § 577a BGB nur auf § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB verweise,
schließe eine analoge Anwendbarkeit der Vorschrift auf vergleichbare Fälle
nicht aus. § 577a BGB verfolge den Zweck, die Mieter gegen die Umwandlung
von Miet- in Eigentumswohnungen besonders zu schützen. Den in § 577a
Abs. 1 BGB ausdrücklich genannten Kündigungstatbeständen sei gemeinsam,
dass diese Kündigungen nicht wegen Verschuldens des Mieters ausgespro-
chen würden. Dem lasse sich die Wertung des Gesetzgebers entnehmen, dass
der vertragstreue Mieter keine Nachteile durch die Begründung von Wohnungs-
eigentum erleiden solle. § 573 Abs. 1 BGB umfasse völlig unterschiedliche
Kündigungstatbestände. Da es nur schwer möglich sei, die Kasuistik zu diesem
allgemeinen Kündigungstatbestand in § 577a Abs. 1 BGB einzubauen, sei es
verständlich, dass sich der Gesetzgeber auf die im Gesetz eindeutig geregelten
Kündigungstatbestände des § 573 Abs. 2 Nr. 2 und 3 BGB beschränkt habe,
ohne dass dem ein Analogieverbot entnommen werden könne.
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Unter dem Gesichtspunkt des "a maiore ad minus" sei vielmehr im vor-
liegenden Fall eine analoge Anwendung des § 577a Abs. 1 BGB angezeigt.
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Wenn das als Betreuungsperson tätige Au-pair-Mädchen noch - wie bis zum
Herbst 2005 - in der Wohnung der Beklagten wohnte, wäre sie möglicherweise
Haushaltsangehörige, für die Eigenbedarf im Sinne des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
geltend gemacht werden könnte, mit der Folge, dass § 577a BGB unmittelbar
anwendbar wäre. Die Interessenlage im vorliegenden Fall sei nahezu identisch;
der Unterschied bestehe nur darin, dass die Klägerinnen dem Au-pair-Mädchen
bereits zuvor die Nutzung eines Zimmers in ihrer Wohnung gestattet hätten. Die
räumliche Trennung zur Wohnung der Beklagten im selben Stockwerk sei je-
doch denkbar geringfügig. Es wäre schlichtweg unverständlich, wenn die etwas
geringere räumliche Verankerung des Au-pair-Mädchens in dem Anwesen zur
Wohnung der Beklagten im Ergebnis im Hinblick auf § 577a Abs. 1 BGB zu ei-
ner für die Beklagten günstigeren Rechtsposition führen könnte.
Den Klägerinnen sei es auch nicht unter dem Gesichtspunkt des § 242
BGB verwehrt, sich auf die Sperrfristregelung des § 577a BGB zu berufen. Der
Kündigungsschutz der Mieter hänge nicht von der Nutzung der von ihnen an-
gemieteten Wohnung ab. Zudem könne sich die Lebensplanung des Mieters
- wie im vorliegenden Fall auch vorgetragen - wieder ändern und eine persönli-
che Nutzung der Wohnung erforderlich machen.
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II.
Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Berufung der Beklagten auf
ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne
von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht durch § 577a BGB ausgeschlossen.
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Das Berufungsgericht geht auf der Grundlage der in der Berufungsin-
stanz nicht angegriffenen amtsgerichtlichen Feststellungen davon aus, dass
das Au-pair-Mädchen L. G. jedenfalls ab Herbst 2005 nicht mehr Angehö-
rige des Haushalts der Beklagten im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB war, die
Kündigung seitens der Beklagten ihre Grundlage also nur in § 573 Abs. 1
Satz 1 BGB haben kann. Eine ausschließlich auf § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB ge-
stützte Kündigung wird von der zehnjährigen Kündigungsbeschränkung des
§ 577a Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit der Verordnung der Bayerischen
Staatsregierung über die Gebiete mit gefährdeter Wohnungsversorgung (Woh-
nungsgebieteverordnung - WoGeV) vom 24. Juli 2001 (BayGVBl. S. 368) nicht
erfasst.
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1. Nach seinem Wortlaut schließt § 577a BGB, wenn an den vermieteten
Wohnräumen - wie hier - nach der Überlassung an den Mieter Wohnungseigen-
tum begründet und das Wohnungseigentum veräußert worden ist, für den Er-
werber nur die Berufung auf berechtigte Interessen im Sinne des § 573 Abs. 2
Nr. 2 oder 3 BGB (Eigenbedarfs- und Verwertungsinteresse) für die Dauer von
drei bzw. zehn Jahren aus.
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2. Mit der Kündigungssperrfrist für Eigenbedarfskündigungen wollte der
Gesetzgeber den Mieter besonders davor schützen, dass umgewandelte Eigen-
tumswohnungen häufig zur Befriedigung eigenen Wohnbedarfs erworben wer-
den, der durch die Kündigungsschutzbestimmungen erstrebte Bestandsschutz
für den Mieter dadurch also besonders gefährdet ist (BT-Drs. 11/6374, S. 5).
Gerade die erhöhte Gefahr einer Eigenbedarfskündigung nach Umwandlung
des vermieteten Wohnraums in eine Eigentumswohnung und Veräußerung an
einen neuen Eigentümer stellt nach der Auffassung des Gesetzgebers auch die
Rechtfertigung für die mit der (verlängerten) Kündigungssperrfrist verbundene
Beschränkung der verfassungsrechtlich geschützten Eigentümerbefugnisse
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(Art. 14 GG) sowohl des Veräußerers als auch des Erwerbers dar (BT-
Drs. 11/6374, S. 5 f.).
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In Ergänzung dazu ist die Sperrfrist für Verwertungskündigungen einge-
führt worden, um zu verhindern, dass infolge der (verlängerten) Sperrfrist für
Eigenbedarfskündigungen der Kündigungsgrund des § 573 Abs. 2 Nr. 3 BGB
(§ 564b Abs. 2 Nr. 3 BGB a.F.), der dem Vermieter eine angemessene wirt-
schaftliche Verwertung sichern soll, an Bedeutung gewinnt, weil durch die
Sperrfrist für Eigenbedarfskündigungen der wirtschaftliche Wert der Wohnung
sinkt. Der Mieter sollte deshalb gegen Kündigungen wegen Veräußerungsab-
sichten des Erwerbers denselben Schutz erhalten wie gegen Kündigungen we-
gen Eigenbedarfs (BT-Drs. 11/6374, S. 7). An dieser Schutzrichtung hat sich
durch die Zusammenführung der Sperrfristregelungen in § 577a BGB durch das
Mietrechtsreformgesetz nichts geändert (vgl. BT-Drs. 14/4553, S. 72 f.).
3. Eine analoge Anwendung der Vorschrift auf andere Kündigungsgründe
im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB scheidet aus, weil insoweit keine plan-
widrige Gesetzeslücke besteht. Auch unabhängig von Kündigungen wegen
schuldhafter Pflichtverletzungen durch den Mieter umfasst § 573 Abs. 1 Satz 1
BGB eine Vielzahl möglicher Kündigungstatbestände, die - nach der Auffassung
des Gesetzgebers - nicht dieselbe naheliegende Gefahr einer Verdrängung des
Mieters nach Umwandlung in Wohnungseigentum bergen wie die Eigenbedarfs-
und die Verwertungskündigung. Dass ein Vermieter deshalb ein berechtigtes
Interesse an der Kündigung hat, weil er die Wohnung für seinen Betrieb oder
- wie hier - für Angestellte seines Haushalts benötigt, die ungeachtet ihrer auf
den Haushalt des Vermieters bezogenen Tätigkeit in der Wohnung einen eige-
nen Haushalt führen wollen und sollen, ist nicht in demselben Maße wahr-
scheinlich wie eine Kündigung wegen Eigenbedarfs, auch wenn die genannten
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Kündigungsgründe im Hinblick auf die Interessen von Mieter und Vermieter mit
Eigenbedarf vergleichbar zu sein scheinen.
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Der Senat ist deshalb mit der ganz herrschenden Meinung (Münch-
KommBGB/Häublein, 5. Aufl., § 577a Rdnr. 9; Staudinger/Rolfs, BGB (2006),
§ 577a Rdnr. 25 f.; Soergel/Heintzmann, BGB, 13. Aufl., § 577a Rdnr. 2; Franke
in: Fischer-Dieskau/Pergande/Schwender, Wohnungsbaurecht (Stand Novem-
ber 2008), § 577a Anm. 5.1; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl., IV 146; Lammel, Wohn-
raummietrecht, 3. Aufl., § 577a Rdnr. 12; Herrlein in: Herrlein/Kandelhard, Miet-
recht, 3. Aufl., § 577a Rdnr. 5; AnwK-BGB/Hinz, § 577a Rdnr. 15) der Auffas-
sung, dass eine Erweiterung der Sperrfristregelung des § 577a BGB auf Kündi-
gungen nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB - wie die hier zu beurteilende - nicht in
Betracht kommt. Allein, dass § 573 Abs. 2 BGB den Absatz 1 der Vorschrift
durch Regelbeispiele konkretisiert, rechtfertigt nicht die Annahme, dass § 577a
BGB, der seinem Wortlaut nach nur für die Regelbeispiele des § 573 Abs. 2
Nr. 2 und 3 BGB gilt, auch in (anderen) Fällen des § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB
Anwendung finden muss, in denen die Kündigung nicht auf einer schuldhaften
Pflichtverletzung des Mieters beruht, sondern - im weiteren Sinne - zum Zwecke
einer Eigennutzung der Wohnung durch den Vermieter ausgesprochen wird (aA
Schmidt-Futterer/Blank, Mietrecht, 9. Aufl., § 577a Rdnr. 18; vgl. auch Barthel-
mess, Wohraumkündigungsschutzgesetz, Miethöhegesetz, 5.
Aufl., §
564b
BGB Rdnr. 84). Vielmehr ist die Entscheidung des Gesetzgebers zu respektie-
ren, der den Anwendungsbereich von § 577a BGB auf die Eigenbedarfs- und
die Verwertungskündigung beschränkt hat (MünchKommBGB/Häublein, aaO).
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III.
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Das Berufungsurteil kann deshalb keinen Bestand haben und ist aufzu-
heben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden,
weil es weiterer tatrichterlicher Feststellungen nicht bedarf und die Sache zur
Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Nach den von den Klägerinnen in
der Berufungsinstanz nicht mehr angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen
des Amtsgerichts, auf die das Berufungsgericht Bezug genommen hat, hat die
Beklagte ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses
mit den Klägerinnen im Sinne von § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB, weil sie die Woh-
nung benötigt, um den Wohnbedarf einer Betreuungsperson, die für ihre Kinder
und ihre Schwiegermutter eingestellt werden musste, im selben Haus zu de-
cken, ohne dass die Betreuungsperson im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB
Angehörige ihres eigenen Haushalts ist. Die Kündigung der Beklagten vom
31. Juli 2006 ist mithin wirksam und das Mietverhältnis der Parteien beendet.
Die Beklagte kann deshalb von den Klägerinnen gemäß § 546 Abs. 1 BGB die
Rückgabe der Wohnung verlangen, so dass der Widerklage stattzugeben ist.
Ball
Dr. Frellesen
Hermanns
Dr. Milger
Dr. Hessel
Vorinstanzen:
AG München, Entscheidung vom 23.03.2007 - 473 C 36952/06 -
LG München I, Entscheidung vom 23.04.2008 - 14 S 7911/07 -