Urteil des BGH vom 19.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 89/08
Verkündet
am:
19. Mai 2009
Bürk
Justizhauptsekretärin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZVG § 56 Satz 2; § 152 Abs. 1
Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung ist der Zwangsverwalter nicht befugt, An-
sprüche gegen den Ersteher des Grundstücks wegen der auf die Zeit nach dem Zu-
schlag entfallenden Lasten einzuklagen.
BGH, Urteil vom 19. Mai 2009 - IX ZR 89/08 - LG Görlitz
AG
Görlitz
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Mai 2009 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter, den Richter Vill,
die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Dr. Pape
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landge-
richts Görlitz vom 25. April 2008 wird auf Kosten des Klägers zu-
rückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Mit Beschluss vom 12. Dezember 2002 wurde der Kläger zum Zwangs-
verwalter des im Grundbuch des Amtsgerichts Görlitz von Görlitz auf Blatt
bestellt, das an den Beklag-
ten verpachtet war. Am 12. August 2004 erhielt der Beklagte im Zwangsverstei-
gerungsverfahren über das genannte Grundstück den Zuschlag. Die Zwangs-
verwaltung wurde mit Beschluss vom 24. September 2004 aufgehoben. Im Be-
schluss heißt es:
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"Einnahmen und Ausgaben bis gehen zugunsten und zu Lasten
der Masse, für die spätere Zeit zugunsten und zu Lasten des
Erstehers. Der Verwalter hat die Rückstände aus der Zeit vor dem
beizutreiben.
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Der Verwalter hat bis spätestens gegenüber dem Ersteher über
die auf ihn treffenden Einnahmen und Ausgaben abzurechnen,
den auf ihn treffenden Überschuss an ihn herauszugeben und
dem Gericht zu berichten. …
Der Zwangsverwalter bleibt zur Vornahme der noch anstehenden
Geschäfte befugt. Der Zwangsverwalter hat Mittel zurückzuhalten
für seine Vergütung und Auslagen, für die voraussichtlichen Ge-
richtskosten und Kosten eines geführten Prozesses. …"
Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt der Kläger vom Beklagten die sei-
ner Darstellung nach auf den Zeitraum zwischen dem Zuschlag und der Aufhe-
bung der Zwangsverwaltung entfallenden, von ihm als Verwaltungskosten ver-
auslagten Kosten für Gebäudeversicherung, Abfallgebühren und Straßenreini-
gung von insgesamt 574,16 € erstattet. Er stützt sich dabei auch auf eine Er-
mächtigung der Gläubigerin, welche die Zwangsverwaltung betrieben hat. Das
Amtsgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt; das Berufungsgericht
hat die Klage dagegen als unzulässig abgewiesen. Mit seiner vom Berufungs-
gericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger den bisherigen Klagean-
spruch weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
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I.
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Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Der Zwangsverwalter sei verpflich-
tet, die Verwaltung der Masse, zu der die Nutzungen aus der Zeit vor dem
Wirksamwerden des Zuschlags gehörten, ordnungsgemäß abzuwickeln. Seine
Befugnis, nicht beschlagnahmte Ansprüche einzuklagen, ende mit der Aufhe-
bung der Zwangsverwaltung. Im vorliegenden Fall wolle der Kläger nicht be-
schlagnahmte Forderungen geltend machen, nämlich Rückforderungsansprü-
che wegen solcher Betriebskosten, die er für die Zeit nach dem Zuschlag ver-
auslagt habe. Es gehe also um die Rückerstattung rechtsgrundlos gezahlter
Beträge. Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung sei der Zwangsverwalter nicht
mehr befugt, solche Ansprüche geltend zu machen. Der Beschluss über die
Aufhebung der Zwangsverwaltung vom 24. September 2004 verleihe dem Klä-
ger keine weitergehenden Befugnisse. Es sei Sache der Gläubigerin, die über-
zahlten Beträge zurückzufordern.
II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung im Ergebnis
stand.
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1. Der Kläger als Zwangsverwalter ist nicht prozessführungsbefugt.
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a) Ein Zwangsverwalter (fortan auch: Verwalter) hat das Recht und die
Pflicht, alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um das verwaltete
Grundstück in seinem wirtschaftlichen Bestand zu erhalten und ordnungsmäßig
zu benutzen. Er hat die Ansprüche, auf welche sich die Beschlagnahme er-
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streckt, geltend zu machen (§ 152 Abs. 1 ZVG). Im Wesentlichen handelt es
sich dabei um Mieten und Pachten. Die aus § 152 Abs. 1 Halbsatz 2 ZVG fol-
gende Prozessführungsbefugnis des Verwalters kann über den Zeitpunkt der
Aufhebung der Zwangsverwaltung hinaus andauern. Mieten und Pachten ge-
bühren dem Ersteher erst von dem Zuschlage an (§ 56 Satz 2 ZVG). Ansprü-
che, welche einen früheren Zeitraum betreffen, sind daher gegebenenfalls auch
nach der Aufhebung der Zwangsverwaltung vom Verwalter geltend zu machen
(BGH, Urt. v. 23. Juli 2003 - XII ZR 16/00, NZI 2003, 562; vgl. auch BGH, Urt. v.
21. Oktober 1992 - XII ZR 125/91, ZIP 1992, 1781, 1782 zur Fortsetzung an-
hängiger Prozesse aus der Zeit der Amtstätigkeit des Verwalters).
Die Rechte und Pflichten eines Verwalters sind allerdings nicht auf die
Einziehung der beschlagnahmten Mieten und Pachten beschränkt. Seine Auf-
gabe, für eine ordnungsgemäße Nutzung und Verwaltung des Grundstücks zu
sorgen, schließt die Befugnis ein, auch andere Forderungen einzuklagen, wenn
dadurch eine Schmälerung der nach § 155 ZVG zu verteilenden Nutzungen
abgewendet werden kann (vgl. BGHZ 109, 171, 173 f zu Schadensersatzan-
sprüchen wegen schuldhafter Verkürzung der Masse gegen einen früheren
Zwangsverwalter; BGH, Urt. v. 29. Juni 2006 - IX ZR 119/04, ZIP 2006, 1697,
1699 Rn. 16 zu Ansprüchen wegen rechtsgrundloser Benutzung der zwangs-
verwalteten Sache sowie der Verletzung von Besitzrechten). Diese Befugnis,
die Teil des Rechts zur Verwaltung und Benutzung des beschlagnahmten
Grundstücks ist (§ 148 Abs. 2 ZVG), erlischt jedoch, sobald die Zwangsverwal-
tung aufgehoben wird. Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung etwa verblei-
bende Befugnisse des Verwalters folgen daraus, dass dieser seine Tätigkeit
ordnungsmäßig abzuschließen hat (BGHZ 155, 38, 41 f; BGH, Urt. v. 25. Mai
2005 - VIII ZR 301/03, NJW-RR 2006, 138, 139). Nach gefestigter Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs betreffen sie allenfalls beschlagnahmte Ansprü-
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che, nicht jedoch solche Ansprüche, die der Beschlagnahme nach §§ 146, 148
ZVG nicht unterfallen (BGH, Urt. v. 29. Juni 2006, aaO Rn. 17 mit weiteren
Nachweisen). Nach Aufhebung der Zwangsverwaltung ist der Verwalter nicht
mehr zur weiteren Verwaltung und Benutzung des Grundstücks (§ 148 Abs. 2
ZVG) befugt.
b) Der Anspruch gegen den Erwerber auf Erstattung überzahlter Verwal-
tungskosten war nicht beschlagnahmt. Durch die Anordnung der Zwangsver-
waltung werden das Grundstück sowie diejenigen Gegenstände beschlag-
nahmt, auf welche sich bei einem Grundstück die Hypothek erstreckt (§ 146
Abs. 1, § 20 ZVG), außerdem land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnisse des
Grundstücks, die Forderung aus einer Versicherung solcher Erzeugnisse, die
Miet- und Pachtforderungen sowie die Ansprüche aus einem mit dem Eigentum
an dem Grundstück verbundenen Recht auf wiederkehrende Leistungen (§ 148
Abs. 1, § 21 Abs. 1 und 2 ZVG).
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Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um einen Anspruch aus
§ 103 BGB. Wer verpflichtet ist, die Lasten einer Sache bis zu einer bestimmten
Zeit oder von einer bestimmten Zeit an zu tragen, hat dann, wenn nichts ande-
res bestimmt oder vereinbart ist, die regelmäßig wiederkehrenden Lasten nach
dem Verhältnis der Dauer seiner Verpflichtung zu tragen. Gemäß § 56 Satz 2
ZVG trägt der Ersteher die Lasten des Grundstücks von dem Zuschlag an. Die
Vorschrift des § 103 BGB gewährt unmittelbar einen Ausgleichsanspruch (vgl.
Bamberger/Roth/Wendtland, BGB 2. Aufl. § 103 Rn. 9; Völzmann-Stickelbrock
in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB 4. Aufl. § 103 Rn. 1). Dieser Anspruch unter-
fällt nicht der Beschlagnahme gemäß §§ 146, 148 ZVG. Weder handelt es sich
um einen Anspruch auf Mieten oder Pachten, noch tritt er im Wege der Surro-
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gation oder etwa gemäß § 19 Satz 3 KO (vgl. BGH, Urt. v. 29. Juni 2006, aaO
S. 1698 Rn. 14) an die Stelle eines solchen Anspruchs.
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c) Weiter gehende Befugnisse des Klägers folgen auch nicht aus dem
Beschluss über die Aufhebung der Zwangsverwaltung vom 24. September
2004. Der Beschluss ermächtigt den Verwalter (nur) "zur Vornahme der noch
anstehenden Geschäfte". Es handelt sich um einen (nicht einmal ordnungsge-
mäß vervollständigten) Formularbeschluss. Die Besonderheit des vorliegenden
Falles besteht darin, dass das Grundstück von einem Mieter ersteigert worden
ist, der vom Zeitpunkt des Zuschlags an keine Miete mehr zu zahlen brauchte.
Die sonst übliche Verrechnung der an den Ersteher auszukehrenden Mieten mit
Vorauszahlungen auf die nunmehr vom Ersteher zu tragenden Lasten war des-
halb nicht möglich. Dass der Beschluss über die Aufhebung der Zwangsverwal-
tung diese Besonderheit gesehen hat und ihr Rechnung tragen wollte, ist je-
doch nicht ersichtlich. Jeglicher Fallbezug fehlt. Es gibt nicht einmal Anhalts-
punkte dafür, dass der Kläger überhaupt mit bestimmten Tätigkeiten beauftragt
werden sollte, insbesondere mit solchen, die nicht zwingend mit der Abwicklung
einer Zwangsverwaltung zusammenhingen.
d) Auf die Frage, ob - wie das Berufungsgericht angenommen zu haben
scheint - der Gläubigerin ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten zu-
steht, kommt es nicht an. Selbst wenn es sich so verhielte, folgte daraus noch
keine Prozessführungsbefugnis des Klägers. Dem Zwangsverwalter obliegt
nach Aufhebung der Zwangsverwaltung nicht allgemein die Wahrnehmung der
Rechte des Realgläubigers (BGHZ 155, 38, 45).
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e) Die weitere Überlegung der Revision, der Kläger müsse "seine Forde-
rung" dann, wenn er nicht gegen den Beklagten klagen dürfe, gegen die Gläu-
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bigerin durchsetzen, die dann beim Beklagten Regress nehmen müsse, trägt
schon deshalb nicht, weil die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des
Klägers gegen die Gläubigerin nicht dargetan sind.
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2. Soweit der Kläger als Prozessstandschafter der Gläubigerin klagt, ist
seine Klage ebenfalls unzulässig. Jedenfalls nach Aufhebung der Zwangsver-
waltung konnte der Kläger nicht mehr in seiner Eigenschaft als Zwangsverwal-
ter zur Durchsetzung eines (vermeintlichen) Anspruchs der Gläubigerin ermäch-
tigt werden. Der Kläger hat die Klage ausdrücklich "als Zwangsverwalter" erho-
ben. Er stützt sich auf eine Ermächtigung, die ihm am 15. Februar 2007 - mehr
als zwei Jahre nach Aufhebung der Zwangsverwaltung - erteilt worden sein soll.
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Das ist aus Rechtsgründen nicht möglich. Ob und unter welchen Voraussetzun-
gen eine Prozessstandschaft des Zwangsverwalters während der laufenden
Verwaltung in Betracht kommt, bedarf hier keiner Entscheidung.
Ganter Vill
Lohmann
Fischer
Pape
Vorinstanzen:
AG Görlitz, Entscheidung vom 21.09.2007 - 5 C 313/07 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 25.04.2008 - 2 S 89/07 -