Urteil des BGH vom 27.10.2010

BGH (entgangener gewinn, gewinn, rechtliches gehör, wahrscheinlichkeit, zpo, widerklage, höhe, oldenburg, sache, aufhebung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZR 128/09
vom
27. Oktober 2010
in dem Rechtsstreit
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2010 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterin Dr. Vézina und die Richter Dose,
Schilling und Dr. Günter
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird die Revi-
sion gegen das Urteil des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Oldenburg vom 18. Juni 2009 zugelassen, soweit das Oberlan-
desgericht die Widerklage in Höhe von 44.338,58 € (entgangener
Gewinn) und die Feststellungswiderklage abgewiesen hat.
Im Übrigen wird die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten
zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das vorgenannte Urteil im
Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Widerklage in Höhe
von 44.338,58 € (entgangener Gewinn) und die Feststellungswi-
derklage abgewiesen worden sind.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbe-
schwerde- und Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
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Gründe:
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Die Nichtzulassungsbeschwerde ist teilweise begründet und führt gemäß
§ 544 Abs. 7 ZPO insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zu-
rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Beklagten auf rechtliches
Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, weil es
überspannte Anforderungen an den Vortrag der Beklagten zu dem Gewinn ge-
stellt hat, der ihr dadurch entgangen ist, dass die Klägerin ihr die Mieträume ab
6. Januar 2007 nicht in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zu-
stand überlassen hat. Dadurch hat das Berufungsgericht den Parteivortrag der
Beklagten nicht in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise zur Kenntnis
genommen und sich mit ihm auseinandergesetzt (vgl. Senatsbeschluss vom
31. August 2005 - XII ZR 63/03 - NJW-RR 2005, 1603; BGH Beschluss vom
22. Juni 2009 - II ZR 143/08 - NJW 2009, 2598 Rn. 2 mwN).
a) Gemäß § 252 Satz 2 BGB gilt u.a. der Gewinn als entgangen, der
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden
kann. Danach ist die volle Gewissheit, dass der Gewinn gezogen worden wäre,
nicht erforderlich; es genügt vielmehr der Nachweis einer gewissen Wahr-
scheinlichkeit. Ist ersichtlich, dass der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, wird vermutet, dass er
erzielt worden wäre. Dem Ersatzpflichtigen obliegt dann der Beweis, dass er
nach dem späteren Verlauf oder aus anderen Gründen dennoch nicht erzielt
worden wäre. Dabei dürfen keine zu strengen Anforderungen an die Darle-
gungs- und Beweislast des Geschädigten gestellt werden (BGH Urteile vom
30. Mai 2001 - VIII ZR 70/00 - NJW-RR 2001, 1542; vom 19. Oktober 2005
- VIII ZR 392/03 - NJW-RR 2006, 243, 244). § 252 Satz 2 BGB bietet dem Ge-
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schädigten zwei Möglichkeiten der Schadensberechnung, nämlich die abstrakte
Methode, die von dem regelmäßigen Verlauf im Handelsverkehr ausgeht, dass
der Kaufmann gewisse Geschäfte im Rahmen seines Gewerbes tätigt und dar-
aus Gewinn erzielt und die konkrete Methode, bei der der Geschädigte nach-
weist, dass er an der Durchführung bestimmter Geschäfte gehindert worden ist
und dass ihm wegen Nichtdurchführbarkeit dieser Geschäfte Gewinn entgan-
gen ist.
Ist der Erwerbsschaden eines Selbständigen festzustellen, so ist es im
Rahmen der §§ 252 BGB, 287 ZPO in der Regel erforderlich und angebracht,
an die Geschäftsentwicklung und die Geschäftsergebnisse in den letzten Jah-
ren anzuknüpfen (BGH Urteil vom 6. Februar 2001 - VI ZR 339/99 - NJW 2001,
1640, 1641). Zur Darlegung des entgangenen Gewinns im Rahmen der abs-
trakten Schadensberechnung nach § 252 Satz 2 BGB genügt es, diese Tatsa-
chen vorzutragen.
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b) Hier hat die Beklagte den ihr durch die Nichtgewährung des
Gebrauchs der Mietsache entgangenen Gewinn abstrakt berechnet. Sie hat die
von ihr in den vergangenen Jahren erzielten Gewinne dargelegt und unter Zeu-
gen- und Sachverständigenbeweis gestellt. Damit hat sie gemäß § 252 Satz 2
BGB hinreichend dargelegt und unter Beweis gestellt, welchen Gewinn sie nach
dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwarten konnte.
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Die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an den Eckdaten der Be-
rechnung der Beklagten, ist somit rechtsfehlerhaft. Selbst im Hinblick auf die
gesunkenen Einnahmen im Jahr 2006 kann nicht ohne weiteres davon ausge-
gangen werden, dass in den Folgejahren der Gewinn Null betragen hätte. Viel-
mehr ist diese Entwicklung bei der Ermittlung des entgangenen Gewinns zu
berücksichtigen.
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2. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben, soweit die Widerklage in
Höhe von 44.338,58 € (entgangener Gewinn) und die Feststellungswiderklage
abgewiesen worden sind. Insoweit ist der Rechtsstreit an das Berufungsgericht
zur Erhebung der angebotenen Beweise zurückzuverweisen.
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3. Im Übrigen ist die Nichtzulassungsbeschwerde zurückzuweisen, weil
ein Zulassungsgrund (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegt. Der Rechtsstreit der
Parteien hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert er eine Entschei-
dung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung ei-
ner einheitlichen Rechtsprechung. Der Senat hat die insoweit erhobenen Ver-
fahrensrügen geprüft und hinsichtlich der weitergehenden Ansprüche der Be-
klagten für nicht durchgreifend erachtet. Von einer näheren Begründung wird
gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Hahne Vézina
Dose
Schilling
Günter
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 03.12.2008 - 2 O 3000/07 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 18.06.2009 - 14 U 1/09 -