Urteil des BGH vom 10.10.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 319/12
Verkündet am:
10. Oktober 2013
Kluckow
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
InsO § 131
Zur Frage, wem gegenüber die Deckungsanfechtung von Zahlungen möglich ist,
die ein Schuldner an die Betreiberin des Systems zur Erhebung der Lkw-Maut im
Guthabenabrechnungsverfahren erbracht hat.
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 - IX ZR 319/12 - KG Berlin
LG Berlin
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 18. Juli 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richter
Vill, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 14. Zivilsenats
des Kammergerichts in Berlin vom 20. November 2012 aufgeho-
ben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der Zivilkammer 3
des Landgerichts Berlin vom 29. September 2010, berichtigt mit
Beschluss vom 21. Oktober 2010, wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtsmittel zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Auf Antrag einer Gläubigerin vom 5. Dezember 2005 eröffnete das
Amtsgericht mit Beschluss vom 15. März 2006 das Insolvenzverfahren über das
Vermögen des Schuldners und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter.
Der Schuldner betrieb ein Transportunternehmen. Die Beklagte ist im Auftrag
der Bundesrepublik Deutschland die private Betreiberin des Systems zur Erhe-
bung von streckenbezogenen gesetzlichen Gebühren für die Benutzung von
Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (LKW-Maut).
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Seit Ende 2003 nahm der Schuldner bei der Beklagten zur Abrechnung
der Mautgebühren an dem von ihr angebotenen Guthabenabrechnungsverfah-
ren teil. Wählt der Mautschuldner dieses Verfahren, muss er auf einem Konto
bei der Beklagten ein Guthaben unterhalten, von dem laufend die aufgrund
mautpflichtiger Fahrten angefallenen Beträge durch die Beklagte abgebucht
und an das Bundesamt für Güterverkehr ausgekehrt werden.
Schon seit August 2005 führte der Schuldner keine Sozialversicherungs-
beiträge mehr ab. Er war fortlaufend Zwangsvollstreckungsmaßnahmen der
Sozialversicherungsträger ausgesetzt. Auf seine Weisung zahlten für ihn auf
sein Guthabenkonto bei der Beklagten die P. -GmbH am 29. Dezember 2005
5.000
€ und C. W. in der Zeit vom 29. September 2005 bis
26. Januar 2006 in 24 Einzelbeträgen insgesamt 51.100,02
€.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die genannten Beträge, also ins-
gesamt 56.100,02
€, im Wege der Insolvenzanfechtung zurück. Die Beklagte
meint, nicht sie, sondern das Bundesamt für Güterverkehr, an die sie die Beträ-
ge ausgekehrt hat, sei passivlegitimiert.
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Auf die
Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage abgewiesen. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Kla-
geanspruch in vollem Umfang weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet, die Berufung gegen das landgerichtliche Ur-
teil zurückzuweisen.
I.
Das Berufungsgericht hat gemeint, dass die Anfechtungsvoraussetzun-
gen des § 131 Abs. 1 InsO zwar im Übrigen vorlägen, die Beklagte aber nicht
die Empfängerin der aus dem Schuldnervermögen weggegebenen Beträge sei
(§ 143 Abs. 1 InsO). Die Beklagte wirke zwar bei der Erhebung der Maut mit,
die Mauterhebung selbst sei ihr jedoch nicht übertragen. In den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten (nachfolgend: AGB) sei zwar eine Zah-
lungspflicht des Nutzers an die Beklagte vorgesehen. Dabei handele es sich
aber nur um einen Vorschuss. Es liege eine Leistung an einen Empfangsbe-
rechtigten des Gläubigers vor, die nur gegenüber dem Gläubiger anfechtbar sei.
Bei derartigen mittelbaren Zuwendungen an einen Dritten richte sich die An-
fechtung in der Regel gegen den Dritten. Die Beklagte sei nicht Anfechtungs-
gegnerin, weil sie nicht selbst Inhaberin der Mautforderung gewesen sei und
lediglich den Einzug organisiert habe. Der Kläger könne folglich nur gegenüber
dem Bundesamt für Güterverkehr anfechten.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Beklagte
ist für den geltend gemachten Anspruch aus Deckungsanfechtung passivlegiti-
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miert. Die übrigen Anfechtungsvoraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2
InsO sind ebenfalls gegeben.
1. Die Beklagte war hinsichtlich der angefochtenen Zahlungen Insol-
venzgläubigerin des Schuldners. Sie ist demgemäß auch als Empfängerin der
angefochtenen Leistung anzusehen, die gemäß § 143 InsO zur Rückgewähr
verpflichtet ist (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2004 - IX ZR 70/03, ZIP 2004,
862, 863).
Hinsichtlich der Einzahlung der streitgegenständlichen Beträge auf das
Guthabenkonto war die Beklagte allerdings noch nicht Insolvenzgläubigerin,
weil es sich insoweit noch um freiwillige Zahlungen des Schuldners handelte,
auf welche die Beklagte keinen Anspruch hatte. Durch die Einzahlungen wurde
aber der Beklagten nachfolgend die Befriedigung ihrer Ansprüche ermöglicht.
Aus dem durch die Einzahlungen hergestellten Guthaben wurden von ihr die mit
der Einbuchung des Schuldners zur Deckung der von ihm zu zahlenden Maut
fällig gewordenen Beträge zu ihren Gunsten abgebucht. Die damit vorgenom-
menen Zahlungen erfolgten zur Deckung einer Entgeltforderung der Beklagten.
a) Die Maut ist eine öffentlich-rechtliche Benutzungsgebühr (vgl.
BT-Drucks. 14/7013 S. 10; BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09,
BVerwGE 137, 325 Rn. 12; vom 4. August 2010 - 9 C 7/09, Rn. 8). Für den hier
in Frage stehenden Zeitraum der Jahre 2005 und 2006 ist das Gesetz über die
Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesau-
tobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (Autobahnmautgesetz für schwere
Nutzfahrzeuge, künftig: ABMG) in der vom 8. Dezember 2004 bis 31. August
2007 geltenden Fassung maßgebend (vgl. Art. 6 des Gesetzes zur Änderung
kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften vom
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17. August 2007, BGBl. I S. 1985; zur heutigen Rechtslage vgl. das Gesetz
über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von
Bundesautobahnen und Bundesstraßen vom 12. Juli 2011, BGBl. I S. 1378;
Bundesfernstraßenmautgesetz, künftig: BFStrMG). Nach § 2 Satz 1 Nr. 1
ABMG (heute: § 2 Satz 1 Nr. 1 BFStrMG) ist Mautschuldner unter anderem der
Eigentümer oder Halter des gemäß § 1 ABMG (heute: § 1 BFStrMG) maut-
pflichtigen Fahrzeuges. Dies war der Schuldner. Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 ABMG
(heute: § 4 Abs. 1 Satz 1 BFStrMG) hat der Mautschuldner die Maut spätestens
bei Beginn der mautpflichtigen Benutzung oder im Falle einer Stundung zu dem
festgesetzten Zeitpunkt an das Bundesamt für Güterverkehr (nachfolgend auch:
Bundesamt) zu entrichten. Mautgläubiger ist demgemäß dieses Bundesamt.
b) Der Schuldner war von der Verpflichtung zur Zahlung der Maut an das
Bundesamt jedoch gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 ABMG (heute: § 4 Abs. 6 Satz 1
BFStrMG) befreit. Die Beklagte war Gläubigerin eines vom Schuldner befriedig-
ten Entgeltanspruchs.
aa) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 und 2 ABMG (heute: § 4 Abs. 3 Satz 1 und 2
BFStrMG) kann das Bundesamt für Güterverkehr einem Privaten die Errichtung
und den Betrieb eines Systems zur Erhebung der Maut übertragen oder diesen
beauftragen, an der Erhebung der Maut mitzuwirken (Betreiber). Die danach
mögliche Beleihung des Privaten mit der hoheitlichen Erhebung der Maut ist
allerdings nicht erfolgt. Die Beklagte ist nicht ermächtigt, die Maut in eigenem
Namen hoheitlich festzusetzen. Die Beklagte wurde als Betreiber stattdessen
beauftragt, an der Erhebung der Maut mitzuwirken (Bekanntmachung des Bun-
desamtes für Güterverkehr vom 23. Dezember 2004, Bundesanzeiger 2004,
S. 24744; BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09, aaO Rn. 6). In § 4
Abs. 5 ABMG (heute: § 4 Abs. 6 BFStrMG) ist näher geregelt, wie diese Mitwir-
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kung im Einzelnen erfolgen kann. Nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der Maut-
schuldner von der Verpflichtung zur Entrichtung der Maut an das Bundesamt für
Güterverkehr befreit, wenn der Betreiber sich gegenüber dem Bundesamt zur
unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der entstandenen Maut des
Mautschuldners verpflichtet, der Mautschuldner nachweist, dass zwischen ihm
und dem Betreiber ein Rechtsverhältnis besteht, aufgrund dessen der Maut-
schuldner für jede mautpflichtige Benutzung der Bundesautobahn ein Entgelt in
Höhe der zu entrichtenden Maut an den Betreiber zahlen muss oder gezahlt
hat, und wenn der Mautschuldner schließlich sicherstellt, dass seine Verpflich-
tungen aus dem Rechtsverhältnis erfüllt werden.
Demgemäß konnte die Beklagte mit dem Schuldner einen zivilrechtlichen
Vertrag mit einem Inhalt schließen, der zusammen mit einer von ihr gegenüber
dem Bundesamt übernommenen unbedingten Zahlungspflicht dazu führte, dass
der Mautschuldner von der Entrichtung der Maut an das Bundesamt befreit war.
bb) Ein solcher Vertrag ist zwischen dem Schuldner und der Beklagten
geschlossen worden. Die Voraussetzungen einer Befreiung von der Maut lagen
vor. Gläubigerin des befriedigten Entgeltanspruchs war die Beklagte.
§ 4 Abs. 5 ABMG eröffnet allerdings lediglich die Möglichkeit für die ge-
nannte Konstruktion. Diese ist vom Gesetz nicht zwingend vorgesehen (vgl.
Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein erstes Gesetz zur Änderung des
ABMG, BT-Drucks. 15/3678 S. 8 zu Buchst. d). Maßgebend ist, ob die genann-
ten Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind. Es kann nicht angenommen wer-
den, dass bereits die Nutzung des Erhebungssystems der Beklagten den Ver-
tragsschluss mit dem Inhalt des § 4 Abs. 5 ABMG bewirkt und der Mautpflichti-
ge gegenüber der Beklagten zur Zahlung eines Entgeltes in der Höhe verpflich-
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tet ist, die das Erhebungssystem auf der Grundlage der maßgeblichen Tatsa-
chen ermittelt hat (unklar BVerwG, Urteil vom 4. August 2010 - 9 C 6/09, aaO
Rn. 6).
Die Voraussetzungen des Befreiungstatbestandes des § 4 Abs. 5 ABMG
waren aber nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungsge-
richts vorliegend gegeben.
(1) Das Berufungsgericht hat eine Verpflichtung der Beklagten gegen-
über dem Bundesamt zur unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der zu
Lasten des Schuldners entstandenen Maut festgestellt (Berufungsurteil S. 5
Abs. 3). Diese Feststellung ist von den Parteien im Revisionsverfahren nicht
angegriffen worden und deshalb für das Revisionsgericht bindend (§ 559 Abs. 2
ZPO).
(2) Der Kläger hat nachgewiesen, dass zwischen dem Schuldner und der
Beklagten ein Rechtsverhältnis bestand, aufgrund dessen der Mautschuldner
für jede mautpflichtige Benutzung einer Bundesautobahn der Beklagten ein
Entgelt in Höhe der zu entrichtenden Maut zahlen musste und gezahlt hat. Da-
bei handelt es sich um die Zahlung eines Entgelts im Sinne des § 4 Abs. 5
ABMG.
Maßgebend für das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und der
Beklagten war zunächst dessen Benutzerregistrierung bei der Beklagten vom
21. Mai 2003. Davon abweichend nahm seit Ende 2003 der Schuldner an der
Abrechnung nach dem in den AGB der Beklagten geregelten Guthabenabrech-
nungsverfahren teil. Die Geltung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen war
zwischen dem Schuldner und der Beklagten vereinbart. Die von der Beklagten
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vorgelegten Geschäftsbedingungen stammen zwar vom 17. Januar 2008. Da
ihre Anwendbarkeit aber zwischen den Parteien unstreitig ist, hat der Senat da-
von auszugehen, dass die tatsächlich vereinbarten früher geltenden AGB inso-
weit inhaltsgleich waren.
Nach dem danach zwischen dem Schuldner und der Beklagten prakti-
zierten Guthabenabrechnungsverfahren gemäß Nr. 18.1.3 AGB galt gemäß
Nr. 21.2 AGB, dass der Benutzer rechtzeitig im Voraus ein Guthaben auf sein
von der Beklagten angegebenes Konto einzuzahlen oder zu überweisen hatte,
welches zum Ausgleich der künftigen Forderungen der Beklagten im Sinne der
Nr. 4.1 AGB erforderlich war. War eine ausreichende Deckung durch das vor-
handene Guthaben nicht mehr gegeben, sperrte die Beklagte das Fahrzeugge-
rät, so dass der Benutzer am Guthabenabbuchungsverfahren nicht mehr teil-
nehmen konnte. Dies entsprach Nr. 37.1 AGB, der diese Möglichkeit der Be-
klagten einräumt. Nach Nr. 4.1 AGB war der Benutzer verpflichtet, die nach sei-
nen Angaben in dem von ihm gewählten Mauterhebungsverfahren ermittelte
Maut im Voraus an die Beklagte zu zahlen. Der (Vorschuss-)Anspruch wurde
gemäß Nr. 4.1 Satz 2 AGB mit der Einbuchung zur Zahlung fällig, sofern nichts
anderes vereinbart war. Die Beklagte hatte gemäß Nr. 4.1 Satz 3 AGB die vom
Benutzer bezahlte Maut an das Bundesamt für Güterverkehr auszukehren.
Nach diesen vom Bundesamt für Güterverkehr gebilligten Allgemeinen
Geschäftsbedingungen der Beklagten (vgl. Bekanntmachung des Bundesamtes
für Güterverkehr vom 23. Dezember 2004, Bundesanzeiger 2004, 24744)
schuldet der Benutzer gemäß Nr. 4.1 AGB also ein vertragliches Entgelt im
Sinne des § 4 Abs. 5 Nr. 1 ABMG, das der Beklagten zustand. Allerdings war
die Beklagte vom Nutzer beauftragt, die von diesem gezahlte Maut an das Bun-
desamt für Güterverkehr abzuführen. Diese in Nr. 4.1 Satz 3 AGB geregelte
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Abführungspflicht ist jedoch nicht zusätzlich und unabhängig von der eigenen
Zahlungspflicht der Beklagten gegenüber dem Bundesamt zu erfüllen. Sie wird
vielmehr gerade dadurch erfüllt, dass die Beklagte auch ihrer dem Bundesamt
gegenüber bestehenden eigenen unbedingten Zahlungspflicht in Höhe der zu
Lasten des Schuldners entstandenen Maut nachkommt. Mit der Zahlung erfüllt
die Beklagte sowohl ihre selbständige Pflicht gegenüber dem Bundesamt wie
die Abführungspflicht gegenüber dem Mautschuldner.
(3) Der Schuldner hat durch seine Teilnahme am Guthabenabrech-
nungsverfahren auch sichergestellt, dass seine Verpflichtungen aus dem
Rechtsverhältnis mit der Beklagten erfüllt wurden. Die Gegenleistung der Be-
klagten bestand darin, dass sie die Voraussetzungen für die Befreiung des
Schuldners von der Maut schaffte.
Damit war der Schuldner von der Verpflichtung zur Entrichtung der Maut
an das Bundesamt gemäß § 4 Abs. 5 Satz 1 ABMG befreit. Mit der Abbuchung
der geschuldeten Beträge in Höhe der Maut vom Guthabenkonto des Schuld-
ners bei der Beklagten erfüllte er den Entgeltanspruch der Beklagten.
Soweit die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten sich in ih-
rer Wortwahl an einem Auftragsverhältnis orientieren, ist eine Auslegung im
Sinne des § 4 Abs. 5 ABMG geboten, dessen Umsetzung die vertraglichen
Vereinbarungen dienen. Ist die Beklagte selbst gegenüber dem Bundesamt zur
unbedingten Zahlung eines Betrages in Höhe der entstandenen Maut des
Mautschuldners verpflichtet, können die weiteren Voraussetzungen des § 4
Abs. 5 Satz 1 ABMG bejaht werden.
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Die Beklagte ist folglich nicht lediglich als Zahlstelle tätig geworden. Der
Schuldner hatte sich ihrer nicht nur als Leistungsmittlerin bedient. Hätte der
Schuldner die Beklagte lediglich als solche Zwischenperson eingeschaltet, die
für ihn im Wege einer einheitlichen Handlung eine Zuwendung an einen Dritten
bewirkt und damit zugleich unmittelbar das den Insolvenzgläubigern haftende
Vermögen (Guthabenkonto) vermindert, hätte sich die Deckungsanfechtung
allerdings allein gegen den Dritten als Empfänger gerichtet, wenn es sich für
diesen erkennbar um eine Leistung des Schuldners gehandelt hätte (BGH,
Urteil vom 16. September 1999 - IX ZR 204/98, BGHZ 142, 284, 287; vom
16. November 2007 - IX ZR 194/04, BGHZ 174, 228 Rn. 35; vom 26. April 2012
- IX ZR 74/11, BGHZ 193, 129 Rn. 9; vom 25. April 2013 - IX ZR 235/12, WM
2013, 1044 Rn. 11).
(4) Das Ergebnis wird bestätigt durch die vergleichbare Rechtslage bei
der Anfechtung gegenüber den gesetzlichen und tarifvertraglichen Einzugsstel-
len für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge. Nach ständiger Rechtsprechung
des Senats sind diese Einzugsstellen passivlegitimiert auch für eine Anfechtung
auf Rückzahlung der an sie gezahlten Sozialversicherungsbeiträge, soweit sie
im Innenverhältnis anderen Versicherungsträgern zustehen (BGH, Urteil vom
12. Februar 2004 - IX ZR 70/03, ZIP 2004, 862, 863; vom 21. Oktober 2004
- IX ZR 71/02, ZIP 2005, 38 f; vom 30. März 2006 - IX ZR 84/05, ZIP 2006, 957
Rn. 8; Beschluss vom 11. Oktober 2007 - IX ZR 87/06, ZIP 2007, 2228 Rn. 4).
Wesentlicher Grund hierfür ist, dass im Außenverhältnis der Einzie-
hungsstelle zum Beitragsschuldner dieser nur an die Einziehungsstelle mit be-
freiender Wirkung leisten kann. Die Einzugsstelle hat die alleinige Empfangszu-
ständigkeit und ist für die Durchsetzung aller Beitragsforderungen Prozess-
standschafter, Titelgläubiger und Klauselberechtigter im Sinne des § 725 ZPO.
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Deshalb ist die Einzugsstelle wie eine Vollrechtsinhaberin anzusehen (BGH,
Urteil vom 12. Februar 2004, aaO S. 863).
Eine ähnliche Situation ist nach den Feststellungen vorliegend gegeben.
Da die Beklagte Gläubigerin des an sie zu zahlenden Entgelts in Höhe der ein-
zuziehenden Maut war, konnte der Schuldner mit auch der Beklagten gegen-
über befreiender Wirkung nur an diese zahlen. Zwar hätte er mit befreiender
Wirkung hinsichtlich der Maut selbst auch an das Bundesamt leisten können.
Der Mautschuldner ist, auch wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 ABMG
vorliegen, nicht aus dem Gebührenverhältnis zum Bundesamt entlassen (BT-
Drucks. 15/3678 S. 8). Die Beklagte hat demgemäß nicht die alleinige Emp-
fangszuständigkeit. Sie ist auch nicht allein zur Durchsetzung des Anspruchs
berufen. Führt etwa der Mautschuldner nicht den Nachweis für die Vorausset-
zungen des § 4 Abs. 5 ABMG, kann das Bundesamt selbst die Entrichtung der
Maut verlangen (BT-Drucks. 15/3678, aaO). Nur durch die Bezahlung des Ent-
gelts an die Beklagte konnte aber der Schuldner gleichzeitig die Verpflichtung
gegenüber der Beklagten und zur Zahlung der Maut erfüllen.
2. Die übrigen Voraussetzungen des § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 143
Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Berufungsgericht im Anschluss an das Landgericht
bejaht. Die Beklagte hat sich schon im Berufungsverfahren nicht mehr hierge-
gen gewandt. Da die Deckung inkongruent war, scheidet ein Bargeschäft nach
§ 142 InsO aus (BGH, Urteil vom 20. Januar 2011 - IX ZR 58/10, ZIP 2011, 438
Rn. 18; vom 10. Mai 2007 - IX ZR 146/05, ZIP 2007, 1162 Rn. 10 mwN).
3. Soweit die angefochtenen Zahlungen, worauf die Revision zusätzlich
abhebt, teilweise dazu gedient haben könnten, eigene Forderungen der Beklag-
ten aus einer Tätigkeit für den Schuldner zu erfüllen, wäre die Beklagte eben-
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falls Insolvenzgläubigerin, so dass eine Deckungsanfechtung nach §§ 130, 131
InsO auch insoweit in Betracht käme. Solche Forderungen der Beklagten könn-
ten in Form von Entgelten und Auslagenersatz nach Nr. 4.2 AGB in Verbindung
mit dem Preisverzeichnis der Beklagten entstanden sein. Der Kläger hat jedoch
nicht dargelegt, ob und welche der dort genannten Leistungen der Schuldner in
Anspruch genommen und bezahlt hat.
Davon abgesehen wurden derartige Entgelte nach Nr. 4.2 f AGB nicht
mit dem Mautguthaben verrechnet, sondern gemäß Nr. 27.2 AGB gesondert
abgerechnet. Sie sind gemäß Nr. 21.3 AGB nicht Gegenstand der Guthabenab-
rechnungen und außerhalb des Guthabenabrechnungsverfahrens zu erfüllen.
Dass solches in anfechtungsrelevanter Weise geschehen wäre, macht der Klä-
ger nicht geltend. Das angewandte Guthabenabrechnungsverfahren betraf
vielmehr das der Beklagten geschuldete Entgelt in Höhe der an das Bundesamt
abzuführenden Maut.
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III.
Da die Aufhebung des Berufungsurteils nur wegen Rechtsverletzung bei
Anwendung des Gesetzes auf das von ihm festgestellte Sachverhältnis erfolgt
und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, ist die Berufung der
Beklagten zurückzuweisen und das landgerichtliche Urteil wieder herzustellen
(§ 563 Abs. 3 ZPO).
Kayser
Vill
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 29.09.2010 - 3 O 379/09 -
KG Berlin, Entscheidung vom 20.11.2012 - 14 U 188/10 -
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