Urteil des BGH vom 13.04.2005

BGH (zpo, einstellung des verfahrens, antragsteller, begründung, anwendungsbereich, vorschrift, ausbildung, beschwerde, vertretung, ziel)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 131/05
vom
23. März 2006
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Dr. Ganter, Raebel, Kayser und Cierniak
am 23. März 2006
beschlossen:
Dem Antragsteller wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin
Dr. A. für das Rechtsbeschwerdeverfahren Prozesskos-
tenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt.
Auf die Rechtsmittel des Antragstellers werden der Beschluss der
2. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 13. April 2005 aufge-
hoben und der Beschluss des Amtsgerichts Zittau vom 1. März
2005 abgeändert. Dem Antragsteller wird für das Verfahren
5 C 58/05 Rechtsanwalt M. zu den Bedingungen
eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet.
Außergerichtliche Kosten der Rechtsmittelverfahren werden nicht
erstattet.
Gründe:
Der Antragsteller ist Rechtsanwalt. Er ist zum Insolvenzverwalter über
das Vermögen der K. GmbH & Co. KG (fortan: Schuldnerin) bestellt.
Das Insolvenzverfahren ist massearm. Für eine auf Insolvenzanfechtung ge-
stützte Klage hat der Antragsteller Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
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Rechtsanwalt M. aus Dresden beantragt. Das Amtsgericht hat Prozess-
kostenhilfe gewährt, die Anwaltsbeiordnung jedoch abgelehnt. Das Landgericht
hat die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers zurück-
gewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller
sein Begehren weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 4 InsO in Verbindung mit § 127 Abs. 2
Satz 2, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie führt zur Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts.
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1. Das Gericht der ersten Beschwerde hat das auf § 121 Abs. 2 ZPO ge-
stützte Gesuch des Antragstellers auf Beiordnung eines Rechtsanwalts zur Ver-
tretung in dem Anfechtungsprozess vor dem Amtsgericht Zittau mit der Begrün-
dung abgelehnt, dass der Antragsteller selbst Rechtsanwalt sei. Bei der Ausle-
gung des § 121 ZPO müsse der Regelungsgehalt des § 5 InsVV berücksichtigt
werden. Diese Vorschrift bestimme, dass der Insolvenzverwalter, der zugleich
Rechtsanwalt sei, sein anwaltliches Honorar nur in Fällen, in denen es ange-
messen sei, der Insolvenzmasse entnehmen könne. Dieser Maßstab gelte auch
für § 121 ZPO. Im vorliegenden Fall handele es sich um einen typischen Fall
der Insolvenzanfechtung, bei dem sich die rechtlichen Schwierigkeiten auf ei-
nem Gebiet bewegten, auf dem sich der Insolvenzverwalter selbst am besten
auskenne. Die Beiordnung eines - weiteren - Rechtsanwalts komme deshalb
nicht in Betracht. Im Übrigen habe der Insolvenzverwalter bei Einschätzung der
Vergütungshöhe auch die nach § 5 InsVV aus der Masse zu zahlende Vergü-
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tung zu beachten. Sei diese nicht gedeckt, müsse das Insolvenzverfahren man-
gels Masse eingestellt werden.
2. Diese Begründung ist rechtlich nicht haltbar. Sie verletzt § 121 Abs. 2
ZPO. Da die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO), ist
Rechtsanwalt M. nach Maßgabe des § 121 Abs. 3 ZPO dem Antragsteller
als Prozessanwalt beizuordnen.
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a) Nach § 121 Abs. 2 ZPO ist ein Anwalt dann beizuordnen, wenn ent-
weder die Vertretung erforderlich erscheint oder - was hier offen bleiben kann -
der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.
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aa) Der Senat hat zu § 5 Abs. 1 InsVV bereits entschieden, dass ein In-
solvenzverwalter, auch wenn er selbst Volljurist ist, Aufgaben, die ein Insol-
venzverwalter ohne volljuristische Ausbildung im Allgemeinen nicht lösen kann,
auf einen Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstandenen Auslagen
aus der Masse entnehmen kann (BGH, Beschl. v. 11. November 2004 - IX ZB
48/04, ZIP 2005, 36, 37; siehe auch BGHZ 139, 309, 313 f; 160, 176, 182 f). Im
Anwendungsbereich des § 121 Abs. 2 ZPO kann, wie das Beschwerdegericht
im Ausgangspunkt richtig sieht, kein anderer Maßstab gelten. Das Bundesar-
beitsgericht hat hierzu im Einzelnen ausgeführt, eine strengere Handhabung im
Rahmen der Anwaltsbeiordnung bewirke, dass der als Rechtsanwalt zugelas-
sene Insolvenzverwalter bei Massearmut regelmäßig leer ausgehe oder - bei
Beauftragung eines anderen Rechtsanwalts - diesem nach §§ 55, 61 InsO
schadensersatzpflichtig sei (vgl. BAG ZIP 2003, 1947, 1948 f; ZInsO 2003, 722,
724).
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Diesen Erwägungen tritt der Senat bei. Da die Masse in den Fällen des
§ 121 Abs. 2 ZPO stets unzureichend ist, liefe die Regelung des § 116 Satz 1
Nr. 1 InsO für den Insolvenzverwalter, der zugleich den Beruf des Rechtsan-
walts ausübt, weitgehend leer. Er wäre gezwungen, die mit dem Ziel der Mas-
seanreicherung geführten Prozesse weitgehend aus privaten Mitteln zu finan-
zieren. Dies widerspricht dem eindeutigen Zweck der Vorschrift (vgl. BGH,
Beschl. v. 18. September 2003 - IX ZB 460/02, ZIP 2003, 2036). Gerade der
Rechtsverfolgung durch Insolvenzverwalter mit dem Ziel der Masseanreiche-
rung hat der Gesetzgeber ein eigenständiges, schutzwürdiges öffentliches In-
teresse beigemessen (vgl. BGH, Urt. v. 27. September 1990 - IX ZR 250/89,
ZIP 1990, 1490, 1491 m. Anm. Merz EWiR 1990, 1243 f; Beschl. v.
18. September 2003 - IX ZB 460/02, aaO). Nach den Gesetzesmaterialien sollte
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe die Regel, die Verweigerung die Aus-
nahme sein (vgl. BT-Drucks. 8/3068 S. 26 zu § 114c ZPO). Das Beschwerdege-
richt, das demgegenüber auf die Selbstvertretungsmöglichkeit des volljuristisch
ausgebildeten Insolvenzverwalters verweist, verkehrt diese Grundsätze in ihr
Gegenteil.
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bb) Die Ablehnung der Anwaltsbeiordnung kann auch nicht auf die Be-
stimmungen über die Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§§ 207 ff In-
sO) gestützt werden. Das Rechtsinstitut der Prozesskostenhilfe gewinnt für den
Insolvenzverwalter im Anwendungsbereich des § 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO gerade
in den Fällen Bedeutung, in denen die Istmasse nicht ausreicht, um die Kosten
des Insolvenzverfahrens zu decken. Ist eine Massemehrung durch Insolvenzan-
fechtung hinreichend erfolgversprechend (§ 114 Satz 1 ZPO) oder hat der In-
solvenzverwalter bereits ein für die Masse günstiges Urteil erstritten und liegt
der Fall einer notwendigen Prozesskostenhilfe (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO) vor,
ist das Insolvenzverfahren im Hinblick auf die Wirkungen der Prozesskostenhil-
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fe (vgl. § 122 ZPO) nicht wegen der Gerichtskosten einzustellen. Der Bestand
der freien Masse hat deshalb für die Frage, ob bei Gewährung von Prozesskos-
tenhilfe auch dem Antrag auf Anwaltsbeiordnung zu entsprechen ist, keinen
Einfluss.
b) Legt man bei der Prüfung die vom Senat (vgl. BGH, Beschl. v.
11. November 2004 - IX ZB 48/04, aaO S. 36 f) entwickelten Maßstäbe an, ist
dem Beiordnungsantrag zu entsprechen. Einen Anfechtungsrechtsstreit wird ein
Insolvenzverwalter ohne volljuristische Ausbildung in aller Regel auf einen
Rechtsanwalt übertragen und die dadurch entstehenden Auslagen der Masse
entnehmen. Bei der Insolvenzanfechtung handelt es sich um eine rechtliche
Spezialmaterie, die sich von der Verfolgung materiell-rechtlicher Ansprüche des
Schuldners, die in dessen unternehmerischer Tätigkeit wurzeln, deutlich ab-
hebt. Das Insolvenzanfechtungsrecht ist durch eine Mehrzahl von Anfechtungs-
tatbeständen gekennzeichnet, die im objektiven und subjektiven Bereich unter-
schiedliche Tatbestandsvoraussetzungen aufweisen, deren Merkmale sich dem
Gesetzeswortlaut zudem nicht sämtlich eindeutig entnehmen lassen. Weitere
Kennzeichen des Anfechtungsrechts sind der hohe rechtliche Abstraktionsgrad
und die Komplexität der gesetzlichen Regelung. Eine sachgerechte Bearbeitung
einer Insolvenzanfechtungsklage erfordert daher eine intensive Befassung mit
dem System des Insolvenzanfechtungsrechts und die Kenntnis der hierzu er-
gangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, insbesondere auch zu der Ver-
teilung der Darlegungs- und Beweislast. Schon die nicht unerheblichen Haf-
tungsrisiken und die oft nicht von vornherein abschätzbaren Beweisschwierig-
keiten des grundsätzlich darlegungs- und beweispflichtigen Insolvenzverwalters
lassen es auch im Parteiprozess durchweg als angezeigt erscheinen, einen
Rechtsanwalt mit der Klageerhebung und Prozessführung zu beauftragen.
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III.
Außergerichtliche Kosten der Rechtsmittelverfahren sind nicht zu erstat-
ten (§ 127 Abs. 4 ZPO; vgl. Musielak/Fischer, ZPO 4. Aufl. § 127 Rn. 29;
Saenger/Rathmann/Pukall, ZPO § 127 Rn. 21).
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Fischer Ganter Raebel
Kayser
Cierniak
Vorinstanzen:
AG Zittau, Entscheidung vom 10.03.2005 - 5 C 58/05 -
LG Görlitz, Entscheidung vom 13.04.2005 - 2 T 75/05 -