Urteil des BGH vom 23.07.2014

BGH: angriff, führer, rastplatz, anhalten, einwirkung, notlage, taxifahrer, rechtswidrigkeit, panne, abgabe

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 S t R 1 0 5 / 1 4
vom
23. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen schweren Raubs u.a.
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2014
beschlossen:
Die Sache wird zuständigkeitshalber an den 4. Strafsenat des
Bundesgerichtshofs abgegeben.
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagten wegen schweren Raubs in Tatein-
heit mit Amtsanmaßung und Kennzeichenmissbrauch verurteilt. Hiergegen rich-
ten sich die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsan-
waltschaft sowie die Revisionen der Angeklagten. Aufgrund der Revision der
Staatsanwaltschaft ist auch die Annahme des Landgerichts zur Nachprüfung
gestellt, dass kein Fall des § 316a StGB vorliege; hierfür ist der Senat nicht zu-
ständig.
I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen die drei Angeklag-
ten und die gesondert Verfolgten S. M. und H. am 18. Dezember
2011 den Nebenkläger, der einen Lastkraftwagen der Firma C.
auf einer Transportfahrt führte.
Der Angeklagten S. folgte zusammen mit dem Angeklagten S.
M. und dem gesondert Verfolgten H. in einem PKW dem vom Neben-
kläger geführten Lastkraftwagen nach dessen Beladung am Flughafen Frankfurt
am Main auf die Bundesautobahn A 3. Die Täter fuhren kurz vor dem Rastplatz
auf der mittleren Fahrspur der Autobahn neben den LKW. S. , der den PKW
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führte, gab Hupzeichen; H. gab vom Beifahrersitz aus dem Nebenkläger,
der den LKW führte, bei geöffnetem Fenster per Handzeichen zu verstehen, er
solle rechts herausfahren. Der Nebenkläger nahm
– wie von den Angeklagten
beabsichtigt - an, dass es sich um eine Polizeistreife in Zivil handele und eine
Fahrzeugkontrolle durchgeführt werden solle. Er lenkte daher den LKW auf den
Rastplatz, hielt an und stellte den Motor ab. Die Angeklagten hielten ebenfalls
an. H.
ging auf die Fahrertür des LKW zu und rief: „Polizeikontrolle! Papiere
bitte!“. Während der Nebenkläger nach den Fahrzeugpapieren und Frachtunter-
lagen griff, streifte sich H. eine Unterziehhaube über das Gesicht, öffnete
die Fahrertür des Lastkraftwagens und bedrohte den Nebenkläger mit einer Pis-
tole. Er zwang ihn, sich auf das Bett in der Kabine hinter dem Fahrersitz zu le-
gen, wo er ihn fesselte. Dann fuhr er mit dem Lastkraftwagen zu einem für das
Umladen der Beute vorgesehenen Platz. Dort warteten die Angeklagten M.
und Z. mit einem angemieteten Fahrzeug, auf das die Täter Waren im
Wert von rund 450.000 Euro umluden.
II.
Das Landgericht hat angenommen, dass die Angeklagten keinen räube-
rischen Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a Abs. 1 StGB) begangen haben, da sie
nicht, wie es hierfür erforderlich wäre, die besonderen Verhältnisse des Stra-
ßenverkehrs zum Angriff auf den Führer eines Kraftfahrzeugs ausgenutzt hät-
ten. Das Herauswinken des fahrenden Lastkraftwagens sei noch kein räuberi-
scher Angriff gewesen; die Bedrohung mit der Waffe sei dagegen erst erfolgt,
als der Nebenkläger den Lastkraftwagen angehalten und den Motor abgestellt
habe; z
u diesem Zeitpunkt sei er daher nicht mehr „Führer“ des LKW gewesen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft zwingt zur revisionsrechtlichen
Nachprüfung dieser rechtlichen Bewertung. Dafür ist nicht der 2. Strafsenat,
sondern der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zuständig.
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1. Eine Verweisung käme nicht in Betracht, wenn die Annahme, es sei
ein räuberischer Angriff auf Kraftfahrer gegeben, von vornherein fern läge. Dies
ist aber nicht der Fall; vielmehr erscheint es nach vorläufiger Prüfung des Se-
nats nahe liegend, dass der Tatbestand des § 316a StGB erfüllt ist.
Für die hier entscheidungserhebliche Frage, ob der Nebenkläger „Füh-
rer“ eines Kraftfahrzeugs im Sinne von § 316a Abs. 1 StGB war, kommt es da-
rauf an, zu welchem Zeitpunkt der „Angriff“ der Angeklagten erfolgte. Nach An-
sicht des Senats war der Beginn des Angriffs nicht erst in dem Moment gege-
ben, als H. den Nebenkläger auf dem Rastplatz bedrohte. Vielmehr begann
der Angriff bereits mit dem Herauswinken auf der BAB 3, also zu einem Zeit-
punkt, als der Nebenkläger den LKW führte.
Nach der (neuen) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und herr-
schender Meinung reicht es für das Merkmal des „Angriffs“ nicht aus, wenn auf
den Führer eines Kraftfahrzeugs mit List eingewirkt wird, um ihn in eine Situati-
on zu bringen, in der ein Raub durchgeführt werden soll. Dies ist etwa der Fall,
wenn ein vermeintlicher Fahrgast gegenüber einem Taxifahrer ein falsches
Fahrziel angibt; ebenso bei Vortäuschen eines Unfalls oder einer sonstigen Not-
lage, um einen Kraftfahrzeugführer zum Anhalten zu bewegen.
Hiervon abzugrenzen sind Handlungen, welche auf den Führer eines Kfz
eine objektiv nötigungsgleiche Wirkung haben (vgl. dazu im einzelnen Fischer,
StGB, 61. Aufl., § 316a Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB 28. Aufl. § 316a Rn. 2;
Sternberg-Lieben/Hecker in Schönke/Schröder, StGB 29. Aufl., § 316a Rn. 5;
jew. mit weiteren Nachweisen). Es kommt hierfür nicht darauf an, ob diese Wir-
kung vorgetäuscht ist oder ob der objektiv Genötigte von einer Rechtswidrigkeit
der Einwirkung ausgeht.
Fälle einer vorgetäuschten Polizeikontrolle unterscheiden sich daher
substanziell von bloßen Vortäuschungen allgemein motivierender Umstände
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(vorgetäuschte Panne; Anhalter); sie entsprechen vielmehr Fällen der Straßen-
sperre. Denn dem Kraftfahrzeugführer ist bei der Einwirkung durch Haltezei-
chen durch Polizeibeamte kein Ermessen eingeräumt; er ist vielmehr bei An-
drohung von Geldbuße (§ 36 Abs. 1 i.V.m. § 49 Abs. 3 Nr. 1 StVO) verpflichtet,
Haltezeichen Folge zu leisten, und befindet sich daher objektiv in einer (irrtüm-
lich als gerechtfertigt angesehenen) Nötigungssituation.
Auf die Entschlussfreiheit eines Kraftfahrzeugführers wird daher bereits
dann eingewirkt, wenn vom Täter eines geplanten Raubs eine Polizeikontrolle
vorgetäuscht wird und sich der Geschädigte dadurch zum Anhalten gezwungen
sieht (vgl. auch Geppert, DAR 2014, 128, 130; Sander in MünchKomm, StGB,
2. Aufl., § 316a Rn. 11; Steinberg, NZV 2007, 545, 550; LK-Sowada, StGB,
12. Aufl., § 316a Rn. 11).
2. Kommt demnach die Anwendung des § 316a StGB ernstlich in Be-
tracht, so ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bundesgerichtshofs für
das Geschäftsjahr 2014 (S. 16) für diese Prüfung ausschließlich der
4. Strafsenat zuständig, auch wenn der Tatbestand mit anderen Straftaten zu-
sammentrifft.
Der Senat hat die Sache daher an den 4. Strafsenat abzugeben. Dies gilt
unbeschadet des Umstands, dass eine Revisionshauptverhandlung durchge-
führt wurde. Aus Ziffer VI. 1. b der Schlussbestimmungen zum Geschäftsvertei-
lungsplan, die
– anders als Ziffer VI. 1. a – für Strafsachen gilt, ergibt sich, dass
eine Spezialzuständigkeit eines Senats nicht durch Verfahrensbeschränkungen
aufgehoben werden kann, unabhängig davon, ob eine solche außerhalb oder
innerhalb einer Hauptverhandlung erfolgt. Dem liegt ersichtlich der Gedanke
zugrunde, dass der Gesetzliche Richter unabhängig von solchen Verfahrenszu-
fälligkeiten zu bestimmen ist. Soweit Ziffer VI. 1. a der Schlussbestimmungen
zum Geschäftsverteilungsplan vom Verfahren „vor einer mündlichen Verhand-
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lung“ spricht, ist damit schon in der Terminologie das Verfahren der Zivilsenate
gemeint. Aus der Regelung eines Verfahrens für die Abgabe vor der mündli-
chen Verhandlung folgt überdies nicht, dass eine solche in oder nach mündli-
cher Verhandlung nicht möglich wäre. Schließlich ist die Verweisung der ge-
nannten Regelung auf die „Zweckmäßigkeit“ ersichtlich auf die Abgrenzung
zwischen den Sachgebieten der Zivilsenate zugeschnitten, weil sich dort relativ
häufig Überschneidungen von Rechtsgebieten ergeben. Für die Bestimmung
des gesetzlichen Richters in Strafsachen kann es auf eine nicht näher bestimm-
te „Zweckmäßigkeit“ im Einzelfall nicht ankommen.
Fischer Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng