Urteil des BGH vom 17.06.2010

BGH (stgb, strafkammer, stpo, freiheitsstrafe, erpressung, abhängigkeit, umfang, alkohol, blutalkoholkonzentration, sucht)

5 StR 206/10
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 17. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter besonders schwerer räuberischer Erpressung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2010
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Berlin vom 28. Januar 2010 gemäß § 349 Abs. 4
StPO im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Fest-
stellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach
§ 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurück-
verwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter besonders
schwerer räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren
und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner
Revision. Diese hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang
Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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1. Nach den Feststellungen versuchte der Angeklagte am 28. Dezem-
ber 2008 gegen 9.00 Uhr im Eingangsbereich eines U-Bahnhofs, den 70 Jah-
re alten Geschädigten unter Verwendung eines 50 cm langen Holzknüppels
zur Herausgabe von Geld zu nötigen. Die etwa drei Stunden nach Tatbege-
hung durchgeführte Blutentnahme beim Angeklagten hat eine Blutalkohol-
konzentration von 1,95 ‰ ergeben, weshalb die insoweit sachverständig be-
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ratene Strafkammer eine Blutalkoholkonzentration von 2,7 ‰ bei Tatbege-
hung festgestellt hat.
2. Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge
hat zum Schuldspruch keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler
ergeben. Jedoch hat der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand.
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a) Im Rahmen der Strafzumessung ist das Landgericht nicht vom Re-
gelstrafrahmen des § 250 Abs. 2 StGB (Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jah-
ren) ausgegangen, sondern hat einen minder schweren Fall im Sinne des
§ 250 Abs. 3 StGB (Strafrahmen Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn
Jahren) bejaht, weil unter anderem der Angeklagte im Zustand erheblich ver-
minderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) handelte und es lediglich beim Ver-
such (§ 23 StGB) geblieben ist. Dabei ist übersehen worden, dass eine dop-
pelte Milderung des Strafrahmens nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB und §§ 23, 49
Abs. 1 StGB (sechs Monate bis acht Jahre und fünf Monate) für den Ange-
klagten günstiger gewesen wäre. Dies hätte hier der Erörterung bedurft.
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b) Insbesondere ist zu beanstanden, dass das Landgericht nicht er-
kennbar geprüft hat, ob eine Maßregel nach § 64 StGB anzuordnen war.
Nach den Feststellungen drängte sich eine solche Prüfung auf.
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Danach konsumiert der jetzt 27 Jahre alte Angeklagte seit seinem
19. Lebensjahr immer wieder Alkohol. „Um die Tatzeit herum“ war der Ange-
klagte nicht ausschließbar „mindestens zweimal wöchentlich volltrunken, wo-
bei es in Folge dessen auch immer wieder zu Filmrissen bei ihm“ kam. Eine
Alkoholabhängigkeit hat die Strafkammer „mangels entsprechenden Sucht-
drucks“ verneint. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landge-
richt seiner Wertung einen unzutreffenden Maßstab zugrunde gelegt hat. Ein
Abhängigkeitssyndrom ist nicht zwingende Voraussetzung für die Annahme
eines Hangs (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 2 und § 64 Abs. 1 Hang 5). Denn
hierunter fällt nicht nur eine chronische, auf körperlicher Sucht beruhende
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Abhängigkeit, sondern es genügt eine eingewurzelte, aufgrund psychischer
Disposition bestehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung,
immer wieder Alkohol oder andere Rauschmittel im Übermaß zu sich zu
nehmen, ohne dass diese den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht
haben muss (BGH, Beschlüsse vom 18. August 1998 – 5 StR 363/98 –, vom
18. Juli 2007 – 5 StR 279/07 – und vom 9. November 2009 – 5 StR 421/09).
Dass eine solche Neigung – wie sie bei dem zugrunde gelegten Alkohol-
missbrauch des Angeklagten nahe liegt – zur Anordnung der Maßregel des
§ 64 StGB ausreichen kann, hat das Landgericht nicht ersichtlich bedacht.
Auch ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass eine stationä-
re Therapie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 64 Satz 2 StGB)
oder andere Voraussetzungen der Maßregelanordnung offensichtlich nicht
vorliegen.
Brause Raum Schaal
König Bellay