Urteil des BGH vom 12.07.2004

BGH (antragsteller, amtsenthebung, berlin, beschwerde, amtsführung, notar, zwangsvollstreckung, versicherung, höhe, falle)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 10/04
Verkündet am:
12. Juli 2004
F r e i t a g ,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Verfahren
wegen vorläufiger Amtsenthebung und Feststellung der Voraussetzun-
gen für die Amtsenthebung
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 12. Juli 2004 durch den Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter
Tropf und Becker sowie die Notare Dr. Lintz und Eule
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des Senats für Notarsachen des Kammergerichts in Berlin vom
3. Februar 2004 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfah-
rens zu tragen und die der Antragsgegnerin im Beschwerdever-
fahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird für beide Rechtszüge auf 50.000 € fest-
gesetzt.
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Gründe:
I.
Der 1950 geborene Antragsteller ist seit 1979 beim Landgericht Berlin
und seit 1985 auch beim Kammergericht in Berlin als Rechtsanwalt zugelas-
sen. Am 14. März 1990 wurde er zum Notar bestellt.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2003 hat die Antragsgegnerin den Antragstel-
ler gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8, § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO vorläufig seines Amtes
enthoben, weil seine wirtschaftlichen Verhältnisse sowie die Art seiner Wirt-
schaftsführung die Interessen der Rechtsuchenden gefährdeten, und zugleich
angekündigt, ihn aus diesen Gründen auch endgültig seines Amtes als Notar
zu entheben. Den gegen beide Teile des Bescheides gerichteten Antrag auf
gerichtliche Entscheidung (§ 111 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 50 Abs. 3 Satz 3 BNotO)
hat der Notarsenat bei dem Kammergericht in Berlin zurückgewiesen und fest-
gestellt, daß die Voraussetzungen für die - endgültige - Amtsenthebung des
Antragstellers vorliegen. Hiergegen wendet sich die sofortige Beschwerde des
Antragstellers, mit der er die Aufhebung des Beschlusses des Kammergerichts
und des Bescheids vom 30. Juni 2003 sowie die Feststellung begehrt, daß die
Voraussetzungen für seine - endgültige - Amtsenthebung nicht gegeben sind.
II.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist gemäß § 111 Abs. 4
Satz 1 BNotO statthaft und form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 111
Abs. 4 Satz 2 BNotO, § 42 Abs. 4 BRAO).
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2. Das Rechtsmittel hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist
das Kammergericht davon ausgegangen, daß die Voraussetzungen sowohl für
die vorläufige (§ 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO) wie für die endgültige Amtsenthebung
des Notars gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO vorliegen und die Antragsgegnerin
bei ihrer Entscheidung über die vorläufige Amtsenthebung des Antragstellers
weder die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten noch von ihrem
Ermessen in einer dem Zweck des § 54 Abs. 1 Nr. 2 BNotO nicht entsprechen-
den Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 111 Abs. 1 Satz 3 BNotO).
a) Die Wirtschaftsführung eines Notars, die Gläubiger dazu zwingt, we-
gen berechtigter Forderungen Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, ist schon als
solche nicht hinnehmbar. Hierbei ist es ohne Belang, ob diese Zwangsmaß-
nahmen auf schlechte wirtschaftliche Verhältnisse, Vermögenslosigkeit oder
Überschuldung des Notars zurückzuführen sind (Senat, Beschlüsse vom
20. November 2000 - NotZ 17/00 = NJW-RR 2001, 1212; vom 12. Oktober
1990 - NotZ 21/89 = DNotZ 1990, 94 ff.). Um so mehr ist seine - auch vorläufi-
ge - Amtsenthebung geboten, wenn seine wirtschaftlichen Verhältnisse zerrüt-
tet sind. Hiervon ist auszugehen, wenn etwa Zahlungsansprüche in erheblicher
Größenordnung gegen ihn bestehen oder gerichtlich anhängig sind, Pfän-
dungs- und Überweisungsbeschlüsse gegen ihn erlassen, fruchtlose Pfän-
dungsversuche unternommen, Verfahren zur Abgabe der eidesstattlichen Ver-
sicherung nach § 807 ZPO in die Wege geleitet sowie Haftbefehle zur Erzwin-
gung dieser Versicherung gegen ihn erlassen worden sind. Dies gilt insbeson-
dere dann, wenn die Abtragung einer längerfristig angewachsenen erheblichen
Schuldenlast nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums zu erwarten ist.
Auf ein Verschulden des Notars kommt es dabei nicht an (Senat, Beschlüsse
vom 20. November 2000 - NotZ 17/00 = NJW-RR 2001, 1212 und NotZ 19/00 =
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NJW-RR 2001, 1213; vom 20. März 2000 - NotZ 19/99 = NJW 2000, 2359; vom
12. Oktober 1990 - NotZ 21/89 = DNotZ 91, 94 m. w. N.).
Die Verschuldung eines Notars gefährdet seine Integrität und stellt seine
Unabhängigkeit in Frage. Es ist in diesem Falle zu besorgen, daß er fremde
Vermögensinteressen nicht mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt und Versu-
chen Dritter, seine Amtsführung sachwidrig zu beeinflussen, nicht mit dem er-
forderlichen Nachdruck entgegentreten will oder kann (Senat, Beschluß vom
20. März 2000 - NotZ 19/99 = NJW 2000, 2359). Darüber hinaus begründen
Zahlungsschwierigkeiten des Notars und insbesondere gegen ihn geführte
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung die Gefahr, daß er etwa Kostenvor-
schüsse nicht auftragsgemäß verwendet oder gar zur Tilgung eigener Schul-
den auf ihm treuhänderisch anvertraute Gelder zurückgreift (Senat, Beschluß
vom 20. November 2000 - NotZ 19/00 = NJW-RR 2001, 1213, 1214). Eine der-
artige abstrakte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden genügt. Es ist
nicht erforderlich, daß sich bereits in einem konkreten Fall Anhaltspunkte dafür
ergeben haben, der Notar könnte aufgrund seiner wirtschaftlichen Zwangslage
sachwidrigen Einflüssen auf seine Amtsführung nicht entgegengetreten sein
oder er habe gar Fremdgelder weisungswidrig für sich verbraucht (Senat, Be-
schluß vom 12. Oktober 1990 - NotZ 21/99 = DNotZ 1991, 94, 95). Hinzu
kommt, daß die Interessen der Rechtsuchenden auch ohne Zutun des Notars
durch ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahmen seiner Gläubiger beeinträchtigt
werden können; denn es sind ohne weiteres Fallgestaltungen denkbar, in de-
nen seine Gläubiger auf ihm anvertraute Fremdgelder Zugriff nehmen können,
bevor sie auf einem Notaranderkonto eingezahlt sind (vgl. Senat aaO).
Von diesen Grundsätzen ist das Kammergericht rechtsfehlerfrei ausge-
gangen.
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b) Die vom Kammergericht getroffenen Feststellungen, die durch den
Akteninhalt bestätigt und vom Antragsteller auch nicht angegriffen werden, be-
legen, daß im Falle des Antragstellers nach diesen Maßstäben die Vorausset-
zungen für eine Amtsenthebung nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO erfüllt sind.
Der Antragsteller ist - überwiegend titulierten - Forderungen in Höhe von ins-
gesamt mehr als 400.000 € ausgesetzt. Hinzu kommen laufende Kosten für die
Finanzierung und Bewirtschaftung von Immobilien, die in Höhe von ca.
74.000 € jährlich von den Mieteinnahmen nicht gedeckt werden. Seit 1997 wur-
de gegen ihn - zum Teil wegen geringfügiger Beträge - eine Vielzahl von
Zwangsvollstreckungsverfahren geführt, die sich in den Jahren 2002 und 2003
häuften. Zwar ist es dem Antragsteller mehrfach gelungen, durch Ratenzah-
lungsvereinbarungen oder - zumindest teilweiser - Erfüllung geringer Schulden
die Zwangsvollstreckung abzuwenden, so daß er es bisher auch vermeiden
konnte, die eidesstattliche Versicherung abzugeben. Ein schlüssiges Konzept,
wie seine Gesamtschulden in einem überschaubaren Zeitrahmen getilgt wer-
den könnten, hat der Antragsteller trotz mehrfacher Hinweise durch die An-
tragsgegnerin und das Kammergericht nicht dargelegt. Es läßt sich insbeson-
dere auch seinem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
und seinem dort überreichten Schriftsatz nicht entnehmen. Belege für die von
ihm behauptete zwischenzeitliche Tilgung einzelner Forderungen vermochte
der Antragsteller nicht vorzulegen. Einen realistischen Tilgungsplan hinsichtlich
der von ihm eingeräumten weiteren erheblichen Schulden hat er darüber hin-
aus nicht aufgezeigt. Er beschränkt sich auf Absichtserklärungen, deren Um-
setzung auf Hoffnungen und dem Wohlwollen seiner Gläubiger beruht. So ist
es etwa völlig offen, ob dem Antragsteller aus einer Abwicklung des Immobili-
enfonds K. irgendwann die finanziellen Mittel zufließen werden, die er zu
einer teilweisen Befriedigung einzelner Gläubiger einsetzen möchte. Demge-
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genüber ist sein von ihm genanntes derzeitiges Einkommen von 1.500 € im
Monat für eine Rückführung seiner Schulden nicht ausreichend. Wie er selbst
einräumt,
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könnte
ihm
allenfalls
die
Wiederausübung
des
Notaramtes
ein
Gebührenaufkommen
verschaffen,
das
über
das
Bestreiten
des
Lebensunterhalts hinaus einen gewissen Schuldenabbau ermöglichen würde.
Damit würden aber gerade die Gefahren wieder eröffnet, denen durch seine
Entfernung aus dem Amt begegnet werden soll.
Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf
die umfassende Darstellung der wirtschaftlichen Situation des Antragstellers
sowie der gegen ihn geführten, teils abgeschlossenen, teils noch laufenden
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen in der angefochtenen Entscheidung sowie
in der Aufstellung verwiesen, die der Antragsteller seinem heute übergebenen
Schriftsatz beigefügt hat.
Nach alledem ist die Gefahr, daß der Antragsteller sich durch seine wirt-
schaftliche Bedrängnis in seiner Amtsführung sachwidrig beeinflussen läßt
oder treuhänderisch anvertraute Fremdgelder nicht auftragsgemäß verwaltet,
nicht von der Hand zu weisen. Darüber hinaus muß jederzeit mit dem Versuch
von Gläubigern des Antragstellers gerechnet werden, im Wege der Zwangs-
vollstreckung auch auf dem Antragsteller anvertraute Fremdgelder zuzugreifen.
Zu Recht hat das Kammergericht daher das Vorliegen der Amtsenthe-
bungsgründe nach § 50 Abs. 1 Nr. 8 BNotO bejaht.
c) Da nach den aufgezeigten Umständen keine anderen Maßnahmen in
Betracht kommen, durch die während des laufenden Amtsenthebungsverfah-
rens eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden in gleicher Weise
ausgeschlossen werden kann und die den Antragsteller weniger beeinträchti-
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gen, läßt es auch keinen Ermessensfehler erkennen, daß die Antragsgegnerin
den Antragsteller vorläufig seines Amtes enthoben hat.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers bleibt daher insgesamt oh-
ne Erfolg.
Schlick Tropf Becker
Lintz Eule