Urteil des BGH vom 27.05.2009

BGH (hinterziehung, steuerhinterziehung, anklage, volk, selbstanzeige, stpo, verhalten, erklärung, verurteilung, steuerstrafrecht)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 665/08
vom
27. Mai 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
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Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Mai 2009 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Hildesheim vom 8. Mai 2008 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-
gen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Steuerhinterziehung in
sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren sowie zu einer
Gesamtgeldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 600,-- Euro verurteilt. Zur Kom-
pensation einer gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verstoßenden konventions-
widrigen Verfahrensverzögerung hat das Landgericht von der Gesamtfrei-
heitsstrafe sechs Monate und von der Gesamtgeldstrafe 30 Tage als voll-
streckt erklärt. Gegen seine Verurteilung wendet sich der Angeklagte mit der
Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesan-
walts vom 15. Januar 2009 unbegründet; die Nachprüfung des Urteils auf
Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
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1. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt es nicht an der in jeder
Lage des Verfahrens zu beachtenden Verfahrensvoraussetzung einer wirksa-
men Anklageschrift und - daran anknüpfend - einem wirksamen Eröffnungsbe-
schluss. Die knappe Sachverhaltsschilderung ist noch ausreichend, denn mit
ihr ist ein Tatvorwurf im strafprozessualen Sinn als historisches Ereignis hin-
reichend genau beschrieben und individualisiert (vgl. zur Individualisierungs-
und Umgrenzungsfunktion der Anklage § 200 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hierzu hat
der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend folgendes ausge-
führt:
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„Das relevante Verhalten und der Taterfolg des § 370 Abs. 1 Nr. 1, 2,
Abs. 4 S. 1 Hs. 1 AO sind angeführt. Durch die Benennung der Daten der
Steuererklärungen, der Steuerarten und der Veranlagungszeiträume ist
eine Unterscheidung von anderen denkbaren strafbaren Verhaltenswei-
sen gewährleistet. Auch der Umfang des Strafklageverbrauchs lässt sich
bestimmen … Weitere Sachverhaltsangaben sind ausschließlich für die
Informationsfunktion der Anklage relevant (a.A. Volk wistra 1998, 281).
Insbesondere bedurfte es entgegen der Revisionsbegründung keiner Be-
rechnungsdarstellung der Steuerverkürzung im konkreten Anklagesatz
(BayObLG wistra 1991, 195; 1992, 238; OLG Karlsruhe wistra 1994, 319;
a.A. OLG Düsseldorf wistra 1982, 159; 1991, 32; NJW 1989, 2145). Die
Verkürzungsberechnung könnte keinen Beitrag zur Individualisierung der
Tat leisten (vgl. BGH wistra 2008, 465 zu unselbständigen Rechnungs-
posten einer Betrugstat). Sie würde vielmehr dem Ziel zuwiderlaufen,
den Vorwurf klar, übersichtlich und verständlich darzustellen (vgl. BGH
wistra 2008, 221; Nr. 110 Abs. 1 RiStBV). Die für Urteile geltenden Dar-
stellungsmaßstäbe können angesichts der unterschiedlichen Anforde-
rungen nicht auf Anklagen (bzw. Strafbefehle) übertragen werden.“
2. Entgegen der Auffassung der Revision war die Anklage hinsichtlich
der dem Angeklagten zur Last liegenden Taten der Einkommensteuerhinter-
ziehung auch nicht auf einzelne Einkunftsarten beschränkt. Hierzu hat der Ge-
neralbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
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„Zur Tat als Prozessgegenstand gehört das gesamte Verhalten des An-
geklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschicht-
lichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen
Vorgang bildet. Dies kann nicht unabhängig von der verletzten Strafbe-
stimmung beurteilt werden (BGHSt 45, 211; BGH NStZ 2006, 350; NStZ-
RR 2003, 82; wistra 2002, 25). Im Steuerstrafrecht wird der Umfang und
die Reichweite der prozessualen Tat neben der einschlägigen Blankett-
vorschrift maßgeblich durch die sie ausfüllenden Normen des Steuer-
rechts bestimmt (BGHSt 49, 359; BGH wistra 2005, 145; 2008, 22; inso-
weit zutreffend Volk wistra 1998, 281) …
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Bei der Hinterziehung von Einkommensteuer liegt hinsichtlich eines Ver-
anlagungszeitraums materiellrechtlich und somit auch prozessual eine
einheitliche Tat vor. Maßgeblich dafür ist die Festsetzung als Jahres-
steuer aufgrund einer Steuererklärung (§§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1, Abs. 3
S. 1, 36 Abs. 1 EStG, 90 ff., 149 ff. AO), in deren Rahmen die verschie-
denen Einkunftsarten lediglich Rechnungsposten bilden (§ 2 Abs. 1,
Abs. 5 S. 1 EStG). Aufgrund des in § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 4 AO
normierten Verhaltens bzw. Taterfolges kann Einkommensteuer daher
immer nur insgesamt und nicht nur bzgl. einzelner Einkunftsarten hinter-
zogen werden. Beendet ist eine solche Tat mit der Bekanntgabe des un-
richtigen Steuerbescheides (Franzen/Gast/Joecks Steuerstrafrecht
6. Aufl. § 376 Rn. 15).“
Entgegen der Auffassung der Revision war es daher zur Bezeichnung
der angeklagten Tat auch nicht erforderlich, in der Anklageschrift die Ein-
kunftsarten anzugeben, bei denen der Verdacht der Hinterziehung von Ein-
kommensteuer bestand (a.A. Salditt, Die Tat bei der Hinterziehung von Ein-
kommensteuer, Festschrift für Klaus Volk zum 65. Geburtstag, 2009 S. 637,
647).
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3. Die Hinterziehung von Einkommensteuer ist entgegen der Auffas-
sung der Revision für den Veranlagungszeitraum nicht hinsichtlich der Ein-
kunftsart „Vermietung und Verpachtung“ verjährt. Die verjährungsunterbre-
chenden Maßnahmen erfassten jeweils die Taten der Steuerhinterziehung
insgesamt. Da der Schuldgehalt einer Tat nicht teilweise verjähren kann, kann
eine Steuerhinterziehung auch nicht hinsichtlich der verkürzten Steuern einer
bestimmten Einkunftsart verjähren (a.A. Salditt aaO). Im Übrigen bestehen für
eine Beschränkung des Verfolgungswillens der Ermittlungsbehörden auf die
bei Erlass der Durchsuchungsanordnungen bestehenden Verdachtsmomente
keine Anhaltspunkte. Vielmehr dienen auch bei der Straftat der Steuerhinter-
ziehung die Ermittlungen grundsätzlich der Aufklärung der gesamten vom An-
fangsverdacht erfassten Tat, auch wenn einzelne Umstände, die zu einem
zusammengehörigen Lebensvorgang zählen, noch nicht bekannt sind. Es liegt
in der Natur der Sache, dass die Erkenntnisbasis zu Beginn der Ermittlungen
geringer als bei Anklageerhebung ist. Sowohl die Verfahrenseinleitung gemäß
§ 397 AO als auch verjährungsunterbrechende Maßnahmen, wie der Erlass
von Durchsuchungsbeschlüssen, beziehen sich daher bei der Einkommen-
steuerhinterziehung auf die Steuererklärung insgesamt und nicht nur auf die
Angaben zu einzelnen Einkunftsarten (a.A. Salditt aaO).
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Die Fassung und Begründung der Durchsuchungsanordnungen erfüllt
auch die an sie gestellten Mindestanforderungen (vgl. dazu BGH wistra 2003,
382; 2006, 421; BVerfG wistra 2005, 21). Denn die Sachverhaltsschilderung
muss nicht so vollständig sein wie in einer Anklage (vgl. Nack in KK-StPO
6. Aufl. § 105 Rdn. 4).
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4. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Hinterziehung von Ein-
kommensteuer für die Jahre 1997 und 1998 verstößt nicht gegen den Grund-
satz „nemo tenetur se ipsum accusare“, d.h. das Verbot des Zwangs zur
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Selbstbelastung. Die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteu-
ererklärung wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht be-
reits durch die - dem Täter nicht bekannte - Verfahrenseinleitung, sondern erst
dann suspendiert, wenn dem Steuerpflichtigen die Einleitung des Steuerstraf-
verfahrens bekannt gegeben wird (BGH NStZ 2002, 437). Denn bis zu diesem
Zeitpunkt befindet sich der Täter regelmäßig nicht in einer Zwangslage; er
kann durch eine Selbstanzeige gemäß § 371 AO, die auch in einer wahrheits-
gemäßen Steuererklärung liegen kann, Straffreiheit erlangen (vgl. auch BGH,
Beschl. vom 17. März 2009 - 1 StR 479/08).
5. Soweit die Revision beanstandet, dass sich die Urteilsgründe nicht
dazu verhalten, ob und mit welchem Inhalt für die H. KG Bescheide über
die einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesellschaftsgewinns ergan-
gen sind, deckt sie keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
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Zwar trifft es zu, dass gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a AO die
einkommensteuerpflichtigen Einkünfte und mit ihnen im Zusammenhang ste-
hende andere Besteuerungsgrundlagen gesondert festzustellen sind, wenn an
den Einkünften mehrere Personen beteiligt sind und die Einkünfte diesen Per-
sonen steuerlich zuzurechnen sind; diesen Bescheiden kommt als Grundla-
genbescheiden auch Bindungswirkung zu (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Den Ur-
teilsfeststellungen ist jedoch zweifelsfrei zu entnehmen, dass die unrichtigen
Einkommensteuerbescheide - mit Ausnahme des Schätzungsbescheides für
das Jahr 1997 - jeweils auf der Grundlage der in den Einkommensteuererklä-
rungen des Angeklagten gemachten unrichtigen Angaben erlassen worden
sind. Dass dies nicht so gewesen sei oder dass Feststellungsbescheide mit
abweichenden Feststellungen zu den Besteuerungsgrundlagen ergangen wä-
ren, behauptet auch die Revision nicht. Für die Annahme, der Angeklagte
könnte in Anträgen auf einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesell-
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schaftsgewinns andere Angaben zum Gewinn als in seinen Einkommensteu-
ererklärungen gemacht haben, fehlt jeglicher Anhaltspunkt, zumal nach den
Urteilsfeststellungen der Bruder des Angeklagten als einziger Kommanditist
nur mit einer Einlage in Höhe von 2.000,-- DM an der Kommanditgesellschaft
beteiligt war und lediglich eine Verzinsung dieser Kapitalanlage erhielt (UA
S. 6). Damit steht fest, dass die unrichtigen Einkommensteuerbescheide auf
den unrichtigen Angaben des Angeklagten beruhen. Der Zurechnungszusam-
menhang wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass nach der Rechtspre-
chung des Bundesgerichtshofs in der unzutreffenden Feststellung von Be-
steuerungsgrundlagen bereits ein Steuervorteil liegen kann; denn die Steuer-
verkürzung tritt erst dann ein, wenn die unrichtigen Angaben in den Folgebe-
scheid Eingang gefunden haben (BGH NJW 2009, 381, 383).
6. Soweit der Angeklagte für das Jahr 1997 bis zum allgemeinen Ab-
schluss der Veranlagungsarbeiten keine Einkommensteuererklärung abgege-
ben hat, weil er davon ausging, „dass das Finanzamt seine Einkommensteuer
zu niedrig schätzen würde“ (UA S. 9), entnimmt der Senat dem Gesamtzu-
sammenhang der Urteilsgründe, dass der Angeklagte auch keinen Antrag auf
einheitliche und gesonderte Feststellung des Gesellschaftsgewinns abgege-
ben hat.
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7. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist das angefoch-
tene Urteil nicht deshalb lückenhaft, weil das Landgericht in den Urteilsgrün-
den nicht ausdrücklich erörtert hat, ob in der - unwirksamen - strafbefreienden
Erklärung des Angeklagten vom 27. Dezember 2004 hinsichtlich von bislang
nicht erklärten Kapitalerträgen aus den Jahren 1993 bis 1999 (UA S. 17) eine
strafbefreiende Selbstanzeige liegen könnte. Nach den Feststellungen des
Landgerichts wurde vom Ermittlungsrichter bereits am 8. Mai 2001 gegen den
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Angeklagten ein Durchsuchungsbeschluss erlassen, der am 12. Juni 2001
vollstreckt wurde (UA S. 95 ff.). Dieser Durchsuchungsbeschluss stützt sich
insbesondere auf den Verdacht der Hinterziehung von Einkommensteuer für
die Jahre 1993 bis 1998. Im Hinblick auf die somit vorliegenden Sperrgründe
des § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a und b AO konnte in der im Dezember
2004 gegenüber den Finanzbehörden abgegebenen Erklärung für die verfah-
rensgegenständlichen Taten keine wirksame Selbstanzeige mehr liegen.
Nack Wahl Hebenstreit
Jäger Sander