Urteil des BGH vom 09.06.2004
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZB 124/03
vom
9. Juni 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:  ja
BGHZ:
nein
ZPO § 3
Der Wert einer Klage auf Herausgabe eines Vollstreckungstitels ist gemäß § 3 ZPO
nach  freiem  Ermessen  zu  bestimmen.  Maßgeblich ist  das  Interesse des  Klägers  an
dem  Besitz  des  Titels,  das  bei  Vorliegen  eines  die  Zwangsvollstreckung  aus  dem
Titel gemäß § 767 ZPO für unzulässig erklärenden Urteils darauf gerichtet ist, einen
Mißbrauch des Titels durch den Gläubiger zu verhindern, und unter Umständen nicht
zusätzlich wertmäßig ins Gewicht fallen kann.
BGH, Beschluß vom 9. Juni 2004 - VIII ZB 124/03 - LG Berlin
AG Tempelhof-Kreuzberg
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2004 durch die Vor-
sitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Leimert, Wiechers und Dr. Wolst
sowie die Richterin Hermanns
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluß der Zi-
vilkammer 62 des Landgerichts Berlin vom 21. Juli 2003 wird auf
seine Kosten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt
bis zu 600 €.
Gründe:
I.
Der  Kläger  ist  gegenüber  den  Beklagten  nach  einem  Kostenfestset-
zungsbeschluß  des  Amtsgerichts  Tempelhof/Kreuzberg  vom  24. Januar  2002
zur Zahlung von 507,75 € nebst Zinsen verpflichtet. Mit Schreiben seiner erstin-
stanzlichen  Prozeßbevollmächtigten  vom  20. Februar  2002  erklärte  er  gegen-
über  dieser  Forderung  die  Aufrechnung  mit  einem  Anspruch  auf  Mietnachzah-
lung  für  die  Zeit  von  Januar  bis  September  2001  in  Höhe  von  9 x  127,68 DM
= 1.149,12 DM = 587,54 €. Mit seiner im September 2002 erhobenen Klage hat
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er  unter  Hinweis  auf diese  Aufrechnung  begehrt,  die  Zwangsvollstreckung aus
dem Kostenfestsetzungsbeschluß für unzulässig zu erklären und die Beklagten
zu verurteilen, den Titel an ihn herauszugeben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Be-
rufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang
weiterverfolgt  hat,  hat  das  Landgericht  durch  Beschluß  vom  21. Juli  2003  als
unzulässig  verworfen  mit  der  Begründung,  die  nach  § 511  Abs. 2  Nr. 1  ZPO
erforderliche Beschwer von über 600 € sei nicht erreicht. Zu berücksichtigen sei
neben  der  titulierten  Forderung  in  Höhe  von  507,75 €,  deren  Beitreibung  im
Wege  der  Zwangsvollstreckung  für  unzulässig  erklärt  werden  solle,  lediglich
eine  hilfsweise  Aufrechnung  mit  dem  die  titulierte  Forderung  übersteigenden
Betrag  der  Gegenforderung  von  79,79 €.  Das  Begehren  auf  Herausgabe  des
Titels  stelle  bei  einer  Vollstreckungsabwehrklage  nur  einen  Annex  und  keine
selbständige  Beschwer  dar.  Ein  Mißbrauch  des  Titels  wäre  - so  das  Landge-
richt -  nach  der  Feststellung  der  Unzulässigkeit  der  Zwangsvollstreckung  nicht
zu  befürchten,  weil  das  Urteil  nach  § 767  ZPO  dem  dennoch  vollstreckenden
Gläubiger ohne weiteres entgegengehalten werden könne.
Gegen  diesen  ihm  am  20. August  2003  zugestellten  Beschluß  wendet
sich  der  Kläger  mit  seiner  am  19. September  2003  eingegangenen  und  nach
Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 24. November 2003 an diesem Tag
begründeten Rechtsbeschwerde.
II.
Die  Rechtsbeschwerde  ist  nach  § 574  Abs. 1  Nr. 1  in  Verbindung  mit
§ 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist aber unzulässig, weil es an den Vor-
aussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt.
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1.  Die  Rechtssache  hat  entgegen  der  Auffassung  des  Klägers  keine
grundsätzliche  Bedeutung  (§ 574  Abs. 2  Nr. 1  ZPO).  Die  vom  Kläger  als  ent-
scheidungserheblich  angesehene  Rechtsfrage,  welche  Beschwer  die  Abwei-
sung einer neben einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO erhobenen
Klage auf Herausgabe eines Vollstreckungstitels begründet, ist höchstrichterlich
bereits geklärt.  Nach  dem  Beschluß  des  Bundesgerichtshofs  vom  25. Septem-
ber  1991  (XII ZB  61/91,  FamRZ  1992,  169)  ist  der  Wert  einer  Klage  auf  Her-
ausgabe  von  gerichtlichen  Urteilen  wie  allgemein  von  Urkunden,  deren  Besitz
nicht  unmittelbar  den  Wert  eines  Rechtes  verkörpert,  gemäß  § 3  ZPO  nach
freiem  Ermessen  zu  bestimmen.  Maßgeblich  ist  das  Interesse  des  Schuldners
an  dem  Besitz  des  Vollstreckungstitels,  das  nach  einer  erfolgreichen
Vollstreckungsabwehrklage  darauf  gerichtet  ist,  einen  Mißbrauch  des  Titels
durch  den  Gläubiger  zu  verhindern.  Dabei  kommt  es  nicht  darauf  an,  ob  die
Herausgabeklage erst nach Erlaß eines Urteils, durch das die Vollstreckung für
unzulässig  erklärt  worden  ist,  oder  gleichzeitig  mit  der  Vollstreckungsabwehr-
klage  erhoben  wird.  Die  Bewertung  des  Herausgabeverlangens  muß  um  so
niedriger ausfallen, je geringer die Gefahr eines Mißbrauchs des Titels im Ein-
zelfall ist (BGH aaO).
2.  Eine  Entscheidung  des  Rechtsbeschwerdegerichts  ist  auch  nicht  zur
Sicherung  einer  einheitlichen  Rechtsprechung  erforderlich  (§ 574  Abs. 2  Nr. 2
ZPO).
a) Der Kläger beruft sich zur Begründung dieser Zulässigkeitsvorausset-
zung  auf  eine  Divergenz  zu  dem  Urteil  des  Bundesgerichtshofs  vom
22. September  1994  (IX ZR 165/93,  BGHZ  127,  146,  148/149).  Eine  die  Vor-
aussetzungen  des  § 574  Abs. 2  Nr. 2  ZPO  erfüllende  Abweichung  liegt  indes
nur  vor,  wenn  die  angefochtene  Entscheidung  ein  und  dieselbe  Rechtsfrage
anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung, also einen Rechtssatz auf-
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stellt,  der  von  einem  die  Entscheidung  tragenden  Rechtssatz  der  Vergleichs-
entscheidung  abweicht (BGH,  Beschluß  vom  29. Mai  2002  - V ZB  11/02,  NJW
2002, 2473 unter II 2 c aa). Das ist hier nicht der Fall.
In seinem Urteil vom 22. September 1994 hat der Bundesgerichtshof ein
Rechtsschutzbedürfnis für eine auf § 371 BGB gestützte Klage auf Herausgabe
eines Urteils bejaht mit der Begründung, die materiellrechtliche Herausgabekla-
ge gehe über die Wirkung des § 767 ZPO hinaus, weil sie den Gläubiger jeder
Möglichkeit  beraube,  die  Zwangsvollstreckung  zu  betreiben,  während  das  der
Vollstreckungsgegenklage  stattgebende  Urteil  nur  über  § 775  Abs. 1  ZPO  zur
Einstellung  der  Zwangsvollstreckung  führe.  Entsprechende  Belege  müsse  der
Schuldner aufbewahren und dem Vollstreckungsorgan vorlegen, falls der Titel-
gläubiger gleichwohl vollstrecke. Das sei für den Schuldner mit gewissen Unbe-
quemlichkeiten  und  Unsicherheiten  verbunden,  die  im  zuerst  genannten  Fall
ausblieben. Damit ist nichts über den - eigenständigen - Wert der Herausgabe-
klage gesagt, der sich nach dem oben (unter 1) Ausgeführten nach dem Inter-
esse des Schuldners an dem Besitz des Titels bemißt, welches durch das Risi-
ko eines Mißbrauchs des Titels durch den Gläubiger bestimmt wird. Von diesen
Grundsätzen weicht die angefochtene Entscheidung nicht ab. Das Landgericht
ist bei seiner Bewertung des Herausgabeantrags in Übereinstimmung  mit dem
Beschluss  des  Bundesgerichtshofs  vom  25. September  1991  (aaO)  von  dem
Mißbrauchsrisiko  ausgegangen  und  zu  der  Einschätzung  gelangt,  die  Gefahr
eines Mißbrauchs des Vollstreckungstitels durch die Beklagten sei im konkreten
Fall  bei  Vorliegen  eines  die  Zwangsvollstreckung  für  unzulässig  erklärenden
Urteils nach § 767 ZPO zu vernachlässigen, so daß die Beschwer des Klägers
insgesamt 600 € nicht übersteige.
b)  Die  Festsetzung  eines in  Ausübung  des  Ermessens  gemäß  § 3  ZPO
konkret  bestimmten  Wertes  kann  der  Senat  nur  daraufhin  überprüfen,  ob  das
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Berufungsgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten
oder  sein  Ermessen  fehlerhaft  ausgeübt  hat  (BGH,  Beschluß  vom
25. September  1991,  aaO).  Ermessensfehler  des  Berufungsgerichts  bei  der
Bewertung des Risikos eines Mißbrauchs des Titels durch den Beklagten macht
der Kläger mit der Rechtsbeschwerde nicht geltend. Er zeigt deshalb auch kei-
nen  Rechtsfehler  auf,  der  - sei  es  wegen  einer  drohenden  Wiederholungsge-
fahr, sei es wegen einer Verletzung des Verfahrensgrundrechts des Klägers auf
rechtliches Gehör - zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Ent-
scheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordern könnte.
Die Kostentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Deppert
Dr. Leimert
Wiechers
Dr. Wolst
Hermanns