Urteil des BGH vom 10.07.2013
BGH: versuch, strafzumessung, ausschluss, zwangslage, ausbildung, freiwilligkeit, rüge, anhörung, autonomie
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
2 StR 289/13
vom
10. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen  versuchten Totschlags u.a.
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Der  2.  Strafsenat  des  Bundesgerichtshofs  hat  nach  Anhörung  des  General-
bundesanwalts  und  des  Beschwerdeführers  am  10.  Juli  2013  gemäß  § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Aachen vom 3. Januar 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die  Sache  wird  zu  neuer  Verhandlung  und  Entscheidung,  auch
über  die  Kosten  des  Rechtsmittels,  an  eine  andere  Schwurge-
richtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das  Landgericht  hat  gegen  den  Angeklagten  wegen  versuchten  Tot-
schlags  in  Tateinheit  mit  gefährlicher  Körperverletzung  eine  Jugendstrafe  von
drei Jahren verhängt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung
sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
1.  Nach  den  Feststellungen  des  Landgerichts  trat  der  Angeklagte  wie-
derholt  und  massiv  gegen  den  Kopf  des  am  Boden  liegenden  Geschädigten
und  fügte  diesem  dadurch  zahlreiche  schwere  Gesichtsschädelfrakturen  zu.
Nachdem  der  Angeklagte  von  einer  unbekannt  gebliebenen  Person  von  der
körperlichen  Auseinandersetzung  weggezogen  worden  war,  ließ  er  von  dem
Geschädigten ab und begab sich in eine Diskothek.
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2.  Die Feststellungen des Landgerichts  tragen zwar die Annahme eines
versuchten  Totschlags  durch  den  Angeklagten,  nicht  aber  den  Ausschluss  ei-
nes strafbefreienden Rücktritts von diesem Versuch.
a) Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative StGB wird wegen Versuchs
nicht  bestraft,  wer  freiwillig  die  weitere  Ausführung  der  Tat  aufgibt.  Vorausset-
zung ist zunächst, dass der Täter zu diesem Zeitpunkt (Rücktrittshorizont) noch
nicht  mit  einem  Eintritt  des  tatbestandsmäßigen  Erfolgs  rechnet  (unbeendeter
Versuch),  seine  Herbeiführung  aber  noch  für  möglich  hält  (BGH,  Beschluss
vom 19. Mai 1993
– GSSt 1/93, BGHSt 39, 221, 227f.). Scheitert – wie vorlie-
gend
– der Versuch, so kommt es darauf an, ob der Täter nach anfänglichem
Misslingens des vorgestellten Tatablaufs sogleich zu der Annahme gelangt, er
könne  ohne  zeitliche  Zäsur mit den bereits eingesetzten oder bereitstehenden
Mittel die Tat noch vollenden. Nur dann liegt kein fehlgeschlagener, sondern ein
unbeendeter Versuch vor, von dem der Täter noch durch freiwillige Aufgabe der
weiteren Tatausführung zurücktreten kann (BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006
– 4 StR 67/06, NStZ 2006, 685 mwN). Da die Freiwilligkeit des Rücktritts eine
autonom  getroffene  Willensentscheidung  des  Täters  voraussetzt,  darf  diese
dem Täter zwar nicht durch die äußeren Umstände aufgezwungen worden sein
(vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 1992
– 4 StR 532/92, NStZ 1993, 279; Ur-
teil vom 8. Februar 2007
– 3 StR 470/06, NStZ 2007, 399, 400). Die Tatsache
aber,  dass  der  Anstoß  zum  Umdenken  von  außen  kommt  oder  die  Abstand-
nahme von der Tat erst nach dem Einwirken eines Dritten erfolgt, stellt für sich
genommen die Autonomie der Entscheidung des Täters ebenso wenig in Frage
(vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1987
– 5 StR 534/87, NStZ 1988, 69, 70;
Urteil vom 14. April 1955
– 4 StR 16/55, BGHSt 7, 296, 299) wie der Umstand,
dass  ein  Täter  zunächst  von  dem  Tatopfer  weggezogen  werden  muss  (vgl.
BGH,  Beschluss  vom  2.  November  2007
–  2  StR  336/07,  NStZ  2008,  393).
Maßgebend  ist  auch  in  diesen  Fällen,  ob  der  Täter  trotz  des  Eingreifens  oder
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der  Anwesenheit  Dritter  noch  "aus  freien  Stücken"  handelt  oder  aber  ob  Um-
stände  vorliegen,  die  zu  einer  ihn  an  der  Tatausführung  hindernden  äußeren
Zwangslage  oder  inneren  Unfähigkeit  einer  Tatvollendung  führen  (BGH,  Be-
schluss vom 27. August 2009
– 4 StR 306/09, NStZ-RR 2009, 366, 367).
b) Unter Zugrundlegung dieses rechtlichen Maßstabs tragen die Feststel-
lungen des Landgerichts den Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts des
Angeklagten nicht.
Das  Landgericht  hat  insoweit  lediglich  festgestellt,  dass  der  Angeklagte
von  einem  unbekannten  Dritten  von  dem  Geschädigten  "weggezogen"  wurde.
Ob  aber  schon  allein  dieser  Umstand  eine  äußere  Zwangslage  schaffte,  die
den Angeklagten tatsächlich hinderte, die Tat fortzusetzten
– weil sich etwa der
unbekannte Dritte ihm weiterhin eingriffsbereit und präsent gegenüberstellte
–,
lässt  sich  den  insoweit  dürftigen  Feststellungen  des  Landgerichts  nicht  ent-
nehmen.  Es  ist  nach  den  Feststellungen  ebenso  wenig  ausgeschlossen,  dass
es dem Angeklagten
– etwa aufgrund körperlicher Überlegenheit oder weil sich
der Dritte sogleich entfernte
– möglich gewesen wäre, die Tat fortzusetzen, er
davon  aber
– durch das Eingreifen des Dritten motiviert  – nunmehr aus freien
Stücken abgesehen hat. Auch soweit das Landgericht im Rahmen seiner recht-
lichen Würdigung erwähnt hat, der Angeklagte sei von einer unbekannten Per-
son von weiteren Tathandlungen abgehalten und aus der Auseinandersetzung
herausgezogen worden, bleibt offen, ob ein "Abhalten" auch noch in der Situa-
tion nach dem "Herausziehen" stattfand.
Bei  dieser  Sachlage  wäre  es  erforderlich  gewesen,  weitere  Feststellun-
gen insbesondere auch zum Vorstellungsbild des Angeklagten zu treffen. Dies
ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und
Entscheidung.
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3.  Ergänzend  weist  der  Senat  darauf  hin,  dass  die  Strafzumessung
– entgegen der verbalen Beteuerung in den Urteilsgründen – eine tatsächliche
Berücksichtigung  des  Erziehungsgedankens  nicht  erkennen  lässt.  Zwar  er-
scheint  die  Höhe  der  gegen  den  Angeklagten  unter  dem  Gesichtspunkt  der
Schwere  der  Schuld  verhängten  Jugendstrafe  im  Ergebnis  nicht  unangemes-
sen  hoch.  Angesichts  dessen  aber,  dass  die  Tat  zum  Zeitpunkt  des  Urteilser-
lasses  bereits  über  zweieinhalb  Jahre  zurücklag,  wäre  es  geboten  gewesen,
auch die  weitere Entwicklung des zur Tatzeit 18jährigen Angeklagten, der zwi-
schenzeitlich  eine  Ausbildung  begonnen  hatte,  in  die  Strafzumessung  mitein-
zubeziehen.
Fischer
Appl
Krehl
Eschelbach
Ott
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