Urteil des BGH vom 03.05.2005
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 238/04
Verkündet am:
3. Mai 2005
Böhringer-Mangold
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 833 Ha; § 254 Da, F; ZPO § 286 C
Zur Halterhaftung für Hunde auf einem Reiterhof.
BGH, Urteil vom 3. Mai 2005 - VI ZR 238/04 - LG Chemnitz
AG Freiberg
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Der  VI. Zivilsenat  des  Bundesgerichtshofs  hat  auf  die  mündliche  Verhandlung
vom  3. Mai  2005  durch  die  Vorsitzende  Richterin  Dr. Müller,  den  Richter
Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und die Richter Pauge und Zoll
für Recht erkannt:
Auf  die  Revision  des  Klägers  wird  das  Urteil  der  6. Zivilkammer
des Landgerichts Chemnitz vom 26. Juli 2004 im Kostenpunkt und
insoweit  aufgehoben,  als  zum  Nachteil  des  Klägers  entschieden
worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagten auf Ersatz seiner materiellen und imma-
teriellen Schäden in Anspruch, die er durch Hundebisse auf dem Reiterhof der
Beklagten  zu 3  erlitten  hat.  Dieser  wird  von den  Beklagten  als  Familienbetrieb
bewirtschaftet.
Der Beklagte zu 1 ist der Ehemann der Beklagten zu 3, der Beklagte zu 2
ist  deren  Sohn.  Auf  dem  Hof  werden  zwei  von  der  Beklagten  zu 3  gekaufte
Rottweiler  sowie  ein  Staffordshire-Terrier,  der  dem  Beklagten  zu 2  gehört,  ge-
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halten. Das Grundstück ist eingezäunt. Neben dem Tor zur Straße befindet sich
ein  Warnschild,  das  einen  Rottweiler  zeigt  und  die  Aufschrift  trägt:  "Vorsicht,
bissiger Hund". Die zweiflüglige Hauseingangstür ist mit einer Außenklinke ver-
sehen. Neben der Tür befindet sich ein kleineres Warnschild mit der Aufschrift
"Warnung  vor  dem  Hund".  In  unmittelbarer  Nähe  des  Wohnhauses  sind  zwei
Zwinger, in  denen die  Hunde  tagsüber  während  des  Publikumsverkehrs  unter-
gebracht werden. Sonst werden sie im Wohnhaus gehalten.
Am Nachmittag des 30. September 2001 wollte der Kläger - wie dem Be-
klagten zu 1 bekannt war - seine damalige Verlobte von dem Reiterhof abholen,
den er schon von mehreren Besuchen kannte. Der Beklagte zu 1 hielt sich mit
den Hunden im Haus auf. Als der Kläger die Haustür öffnete, brachten ihn die
Hunde zu Fall und fügten ihm zahlreiche Bißwunden zu. Der herbeieilende Be-
klagte zu 1 konnte die Tiere wegzerren.
Das  Amtsgericht  hat  der  Klage  auf  Ersatz  der  durch  diesen  Unfall  ent-
standenen  Schäden  unter  Berücksichtigung  eines  Mitverschuldensanteils  des
Klägers von 75% stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Die Beru-
fung  des  Klägers  blieb  ohne  Erfolg.  Auf  die  Anschlußberufung  der  Beklagten
hat das Landgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Mit der vom Berufungs-
gericht  zugelassenen  Revision  verfolgt  der  Kläger  sein  Klagebegehren  im  we-
sentlichen  weiter,  räumt  allerdings  - wie  schon  im  zweiten  Rechtszug -  einen
Mitverschuldensanteil von 25% ein.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das  Berufungsgericht ist  der  Auffassung,  daß  die  Beklagten  zu 2  und  3
als  Tierhalter  gemäß  § 833  Satz 1  BGB  grundsätzlich  haften.  Mangels  einer
vertraglichen  Abrede  hafte  der  Beklagte  zu 1  nicht  als  Tieraufseher,  sondern,
da er auch nicht Halter der Tiere sei, allenfalls aus eigenem Verschulden nach
§ 823 BGB. Die drei Hunde seien für den Betrieb der Beklagten zu 3 Nutztiere
im Sinne des § 833 Satz 2 BGB. Es sei offensichtlich und werde durch die von
den Beklagten geschilderte Art der Hundehaltung bestätigt, daß Hunde von sol-
cher  Größe  auf  einem  zu  Erwerbszwecken  geführten  Reiterhof  gehalten  wür-
den,  um  den  Schutz  des  Objektes  und  insbesondere  der  wertvollen  Reittiere
sicherzustellen. Daß die Hunde entgegen dem ersten Anschein nicht zur Bewa-
chung  des  landwirtschaftlichen  Anwesens  und  der  Pferde  eingesetzt  würden,
habe der Kläger nicht darzulegen vermocht.
Die Beklagten zu 2 und 3 hätten die bei der Beaufsichtigung der Tiere im
Verkehr  erforderliche  Sorgfalt  beachtet.  Sie  hätten  das  Notwendige  und  Erfor-
derliche getan, um die Verursachung eines Schadens durch ihre Hunde auszu-
schließen,  indem  sie  die  Tiere  bei  Publikumsverkehr  regelmäßig  im  Zwinger
hielten. Die Hunde hätten ohne das Zutun Dritter das Haus nicht verlassen kön-
nen.  Der  Kläger  habe  nicht  bewiesen,  daß  die  Beklagte  zu 3  ihn  aufgefordert
habe, das Wohnhaus zu betreten und daß er mehrfach geklingelt bzw. geklopft
habe. Der Beklagte zu 1 habe darauf vertrauen dürfen, daß aufgrund der Warn-
schilder  am  Haus  und  der  vorhandenen  Zwinger  kein  Unbefugter  das  Grund-
stück und insbesondere das Haus betreten würde und daß auch niemand, der
- wie  der  Kläger -  mit  den  tatsächlichen  Gegebenheiten  vertraut  sei,  das  Haus
betreten würde, wenn er die Zwinger leer vorfinden würde.
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Selbst  bei  Annahme  eines  Sorgfaltsverstoßes  auf  Seiten  der  Beklagten
trete  eine  etwaige  Haftung  der  drei  Beklagten  in  Anbetracht  des  erheblichen
Mitverschuldens  des  Klägers  zurück.  Das  Verhalten  des  Klägers  stelle  unter
den gegebenen Umständen eine schuldhafte Selbstgefährdung dar.
II.
Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.
1.  Der  aus  rechtlicher  Sicht  nicht  zu  beanstandenden  Auffassung  der
Revision,  daß  alle  Beklagten  Tierhalter  im  Sinne  des  § 833  BGB  sind,  tritt  die
Revisionserwiderung nicht entgegen.
2. Durchgreifende Bedenken bestehen jedoch, soweit das Berufungsge-
richt  den  Beklagten  die  Entlastungsmöglichkeit  des  § 833  Satz 2  BGB  zugute
kommen  läßt.  Nach  dieser  Vorschrift  tritt  die  Ersatzpflicht  nicht  ein,  wenn  der
Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätig-
keit  oder  dem  Unterhalt  des  Tierhalters  zu  dienen  bestimmt  ist,  und  entweder
der  Tierhalter  bei  der  Beaufsichtigung  des  Tieres  die  im  Verkehr  erforderliche
Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt
entstanden  sein  würde.  Die  Revision  beanstandet  mit  Erfolg,  daß  die  Auffas-
sung  des  Berufungsgerichts,  die  Hunde  seien  Nutztiere  im  Sinne  des  § 833
Satz 2 BGB, nicht frei von Rechtsfehlern ist.
a) Daß die Hunde Haustiere sind, wird von den Parteien nicht in Zweifel
gezogen.  Ob  bei  einem  Haustier  eine  derart  umfangreiche  wirtschaftliche  Nut-
zung vorliegt, die es zum Nutztier im Sinne des § 833 Satz 2 BGB werden läßt,
ist zwar grundsätzlich vom Tatrichter nach den Umständen des jeweiligen Ein-
zelfalles  zu  beurteilen  (vgl.  Senatsurteile  vom  24. November  1954
- VI ZR 255/53 -  VersR 1955,  116;  vom  23. Juni  1959  - VI ZR 83/58 -
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VersR 1959,  853 f.;  vom  16. März  1965  - VI ZR 276/63 -  VersR 1965,  572 ff.;
vom  25. Mai  1965  - VI ZR 15/64 -  VersR 1965,  719 ff.  und  vom  26. November
1985  - VI ZR 9/85 -  VersR 1986,  345 ff.;  Kreft  in:  BGB-RGRK,  12. Aufl.,  833
Rdn. 79,  80).  Doch  beruht  die  Auffassung  des  Berufungsgerichts,  die  Hunde
dienten  hauptsächlich  der  Bewachung  des  Reiterhofes,  auf  einer  fehlerhaft
festgestellten Tatsachengrundlage.
b)  Auch  wenn  das  Berufungsgericht  den  entsprechenden  Vortrag  der
Beklagten für nachvollziehbar und plausibel hält, ist es nicht offensichtlich, daß
Hunde dieser Größe auf einem zu Erwerbszwecken geführten Reiterhof gehal-
ten werden, um dessen Schutz sicherzustellen. Im vorliegenden Fall ergibt sich
die Nutztiereigenschaft nicht bereits aus der Natur der Tiere wie etwa bei Kühen
und Hühnern. Es handelt sich bei Hunden in ähnlicher Weise wie bei Pferden,
um  "potentiell  doppelfunktionale"  Tiere.  Bei  solchen  kommt  es  darauf  an,  wel-
chem  Zweck  die  Tiere  objektiv  dienstbar  gemacht  werden  und  konkludent  ge-
widmet sind (vgl. Senatsurteile vom 24. November 1954 - VI ZR 255/53 - VersR
1955, 116 und vom 19. Juni 1962 - VI ZR 227/61 - VersR 1962, 807, 808; Wag-
ner in MünchKomm, BGB 4. Aufl., § 833 Rdn. 37 f.). Hat das Tier verschiedene
Funktionen,  von  denen  einige  dem  Erwerbsstreben,  andere  aber  der  Freizeit-
gestaltung  zuzurechnen  sind,  ist  für  die  Beurteilung  auf  die  allgemeine  Wid-
mung des Tiers, vor allem seine hauptsächliche Zweckbestimmung abzustellen
(vgl.  Senatsurteil  vom  16. März  1982  - VI ZR 209/80 -  VersR 1982,  670,  671;
vom  12. Januar  1982  - VI ZR 188/80 -  VersR 1982,  366,  367  und  vom
26. November  1985  - VI ZR 9/85 -  VersR 1986,  345,  346;  Wagner  in:  Münch-
Komm,  aaO,  Rdn. 38;  Belling/Eberl-Borges  in  Staudinger,  2002,  § 833
Rdn. 140; Palandt/Sprau, BGB, 64. Aufl. § 833 Rdn. 15).
c)  Da  der  Kläger  bestreitet,  daß  es  sich  bei  den  Hunden  der  Beklagten
um  Nutztiere  im  Rahmen  der  Bewirtschaftung  des  Reiterhofes  handle,  obliegt
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nach  allgemeinen  beweisrechtlichen  Grundsätzen  (BGHZ 113,  222,  224 f.;
BGH, Urteil vom 13. November 1998 - V ZR 386/97 - NJW 1999, 352, 353; Zöl-
ler/Greger,  ZPO,  25. Aufl.  vor  § 284  Rdn. 17 a;  Rosenberg,  Die  Beweislast,
1965, S. 98, 101) den Beklagten die Behauptungs- und Beweislast für die Tat-
sachen, aus denen sich die Nutztiereigenschaft ergibt. Demgegenüber hat das
Berufungsgericht  ersichtlich  den  Kläger  für  darlegungspflichtig  gehalten  und
dies auf den Beweis des ersten Anscheins für die Nutztierhaltung gestützt. Bei-
des ist fehlerhaft.
aa)  Mangels  einer Typizität  des  zugrundeliegenden  Lebenssachverhalts
kommt den Beklagten der Beweis nach dem ersten Anschein nicht zugute. Ein
solcher  kommt  nur  dann  in  Frage,  wenn  im  Einzelfall  ein  typischer  Gesche-
hensablauf vorliegt, der nach der Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache
oder Folge hinweist und so sehr das Gepräge des Gewöhnlichen und Üblichen
trägt, daß die besonderen individuellen Umstände in ihrer Bedeutung zurücktre-
ten (vgl. Senatsurteile vom 26. September 1961 - VI ZR 92/61 - NJW 1962, 31;
vom  19. März  1996  - VI ZR 380/94 -  VersR 1996,  772  und  vom  5. März  2002
- VI ZR 398/00 - VersR 2002, 613 ff.; BGHZ 100, 31, 34 f.). Nach der gebotenen
Gesamtbetrachtung  liegt  kein  typischer  Lebenssachverhalt  vor,  der  auf  die
Nutztierwidmung schließen ließe. Der erkennende Senat vermag insbesondere
den  vom  Berufungsgericht  aufgestellten  allgemeinen  Erfahrungssatz  nicht  zu
bestätigen, daß typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung die An-
schaffung  und  Haltung  von  drei  Hunden  der  hier  beschriebenen  Art  von  Be-
wohnern eines Reiterhofs erfolgt, um die Sicherheit der Pferde sicherzustellen.
bb) Für die Haltung der Hunde vorwiegend zum Schutz der Pferde spre-
chen  auch  nicht  die  übrigen  vom  Berufungsgericht  festgestellten  tatsächlichen
Umstände der Hundehaltung. Soweit das Berufungsgericht in seine Beurteilung
einbezogen  hat,  daß  die  Hunde  in  besonderen  Situationen  nachts  zu  Bewa-
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chungszwecken auf die vorhandenen Ställe aufgeteilt würden, rügt die Revision
mit Recht, daß dieser Umstand keinerlei Grundlage im Vortrag der Parteien fin-
det, § 286 ZPO. Daß die Tiere am Unfalltag um 16.30 Uhr im Wohnhaus gehal-
ten  wurden,  läßt  auf  die  Nutztiereigenschaft im  Hinblick  auf  den  Reiterhof  und
insbesondere  für  die  Bewachung  der  wertvollen  Pferde  nicht  schließen,  denn
die  Bewachung  des  Wohnhauses  dient  lediglich  der  Befriedigung  eines  allge-
meinen,  jedermann  zukommenden  Sicherungsbedürfnisses  (vgl.  OLG  Köln,
VersR 1999,  1293,  1294;  Palandt/Sprau,  aaO,  Rdn. 17;  Belling/Eberl-Borges,
aaO, Rdn. 137). Auch das im allgemeinen übliche Wegsperren der Hunde tags-
über in den Zwingern besagt für die Widmung der Hunde zu Nutztieren nichts.
Schließlich ist  auch  der  Umstand,  daß  die  Hunde  von  den  Beklagten  auf  Kon-
trollgänge  über  die  Koppeln  mitgenommen  werden,  kein  Hinweis  auf  die  vor-
wiegende Nutzung der Tiere zu Erwerbszwecken. Der Gang über die Koppel in
Begleitung der Hunde kann der Freizeitgestaltung zuzurechnen oder betrieblich
bedingt  sein.  Da  bei  Tieren  mit  verschiedenen  Funktionen  - wie  im  Streitfall -
auf  deren  hauptsächliche  Zweckbestimmung  abzustellen  ist  (vgl.  Senatsurteile
vom 15. Dezember 1970 - VI ZR 121/69 - VersR 1971, 320; vom 16. März 1982
- VI ZR 209/80 -  VersR 1982,  670,  671  und  vom  26. November  1985
- VI ZR 9/85 -  VersR 1986,  345,  346; Wagner  in:  MünchKomm,  aaO,  Rdn. 38)
wären  außerdem  zusätzlich  Anlaß  und  Häufigkeit  der  jeweiligen  Verwendung
aufzuklären.
Nachdem die Beklagten bisher ihrer Darlegungslast und Beweislast nicht
genügt haben, war der Kläger nicht gehalten darzulegen, aufgrund welcher Tat-
sachen anzunehmen ist, daß die Hunde nicht zur Bewachung des Reiterhofes
eingesetzt werden.
3. Sollte sich die Nutztiereigenschaft der Hunde nicht bestätigen, besteht
keine Entlastungsmöglichkeit der Beklagten nach § 833 Satz 2 BGB, so daß es
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insoweit  auf  die  Einhaltung  der  erforderlichen  Sorgfalt  nicht  ankommt.  Diese
kann  allerdings  Bedeutung  bei  der  Abwägung  der  beiderseitigen  Verursa-
chungsbeiträge  erlangen.  Dem  Berufungsgericht  kann  nach  den  bisherigen
Feststellungen  nicht  darin  gefolgt  werden,  daß  etwaige  Ansprüche  jedenfalls
wegen überwiegenden Mitverschuldens des Klägers gemäß § 254 BGB ausge-
schlossen  wären.  Allerdings  gehört  die  Abwägung  der  Verantwortlichkeiten
nach  § 254  BGB  in  den  dem  Revisionsgericht  nur  begrenzt  zugänglichen  Be-
reich  der  tatrichterlichen  Würdigung.  Eine  Nachprüfung  ist  dem  Revisionsge-
richt  aber  dahin  möglich,  ob  der  Tatrichter  alle  in  Betracht  kommenden  Um-
stände vollständig und richtig berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze und
Erfahrungssätze  verstoßen  hat  (vgl.  Senatsurteil  vom  8. Januar  2002
- VI ZR 364/00 - VersR 2002, 330, 331 m.w.N.).
Das  Berufungsgericht  legt  der  Abwägung  fälschlicherweise  zugrunde,
daß  die  Beklagten  ihrer  Sorgfaltspflicht  genügt  hätten.  Dies  beruht  auf  einem
unzutreffenden  Verständnis  des  unter  den  Umständen  des  Streitfalles  anzu-
wendenden  Maßstabes  an  die  erforderliche  Sorgfaltspflicht.  Es  verkennt  zu-
dem,  daß  der  Gesichtspunkt  des  Handelns  auf  eigene  Gefahr  nur  in  eng  be-
grenzten Ausnahmefällen zu einer gänzlichen Haftungsfreistellung des Schädi-
gers führt, wenn sich der Geschädigte bewußt in eine Situation begeben hat, in
der ihm die Eigengefährdung droht (wie etwa bei der Teilnahme an Boxkämpfen
oder anderen besonders gefährlichen Sportarten; vgl. Senatsurteile BGHZ 154,
316,  323  und  vom  21. Februar  1995  - VI ZR 19/94 -  VersR 1995,  583,  585
m.w.N).
a)  Zutreffend  weist  die  Revision  darauf  hin,  daß  das  Maß  der  von  dem
Tierhalter zu beobachtenden Sorgfalt von der Gattung und den besonderen Ei-
genschaften  des  Tieres,  die  er  kennt  oder  kennen  muß,  sowie  den  sonstigen
Umständen  abhängt  (vgl.  Senatsurteile  vom  19. Juni  1962  - VI ZR 227/61 -
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VersR 1962,  807,  808;  vom  16. März  1965  - VI ZR 276/63 -  VersR 1965,  572,
573  und  vom  25. Mai  1965  - VI ZR 15/64 -  VersR 1965,  719 ff.).  Ist  ein  Hund
bekanntermaßen aggressiv und bissig, sind die Sorgfaltsanforderungen bei sei-
ner  Beaufsichtigung  in  erheblichem  Maße  erhöht  (vgl.  OLG  Karlsruhe  VersR
2001, 724). Je gefährlicher der Hund ist, desto größere Bedeutung erlangt sei-
ne  sichere  Verwahrung  (vgl.  Belling/Eberl-Borges,  aaO,  Rdn. 168).  Deshalb
kann die Tierhalterhaftung auch dann eingreifen, wenn sich jemand einem Tier
unbefugt  nähert,  das  sich  in  einem  umfriedeten  Bezirk  befindet  (vgl.  Wus-
sow/Terbille  Unfallhaftpflichtrecht  15. Aufl.  Kap. 11  Rdn. 59).  Handelt  es  sich
- wie im vorliegenden Fall - um bissige und gefährliche Hunde, ist es notwendig,
durch  entsprechende  Maßnahmen  zu  verhindern,  daß  die  Tiere  ins  Freie  ge-
langen  und  Menschen  ohne  hinreichende  Einwirkungsmöglichkeiten  - wie  ge-
schehen - erheblich verletzen.
Im vorliegenden Fall war es deshalb nicht ausreichend, daß die Tiere im
Haus gehalten wurden und Warnschilder auf die Hundehaltung hinwiesen. Wie
der  Streitfall  zeigt,  genügte  das  durch  die  Außenklinke  mögliche  Öffnen  der
Haustür, damit die Hunde ins Freie gelangten und ungehindert einen Menschen
anfallen  konnten  (vgl.  hierzu  auch  Senatsurteil  vom  25. Mai  1965
- VI ZR 15/64 - VersR 1965, aaO; OLG Düsseldorf VersR 1981, 1035 mit Nicht-
annahmebeschluß  des  Senats  vom  26. Mai  1981  - VI ZR 193/80 -).  Es  wäre
Sache der Beklagten gewesen, den Kläger vor einem Angriff zu bewahren. Ih-
nen  war  die  Gefährlichkeit der  Hunde  bekannt,  weswegen  sie  diese  bei  Publi-
kumsverkehr  grundsätzlich  wegsperrten.  Daß  sie  dies  unterließen,  obwohl  sie
mit dem Kommen des Klägers rechneten, stellt einen erheblichen Sorgfaltsver-
stoß der Beklagten dar. Da der Beklagte zu 1 wußte, daß der Kläger seine da-
malige  Verlobte  abholen  würde,  durfte  er  nicht  schon  wegen  dessen  Kenntnis
von den konkreten Umständen der Hundehaltung darauf vertrauen, daß dieser
außerhalb des Wohnhauses warten würde. Vielmehr war damit zu rechnen, daß
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der  Kläger,  wenn  er  seine  Verlobte  nicht  unmittelbar  auf  dem  Gelände  treffen
würde,  versuchen  könnte,  in  das  Wohnhaus  einzutreten.  Unter  solchen  Um-
ständen entsprach es nicht mehr der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, die Tie-
re ohne zusätzliche Sicherung im Erdgeschoß des Hauses frei herumlaufen zu
lassen.
b)  In  rechtlicher  Hinsicht  verkennt  das  Berufungsgericht  die  Vorausset-
zungen  für  eine  Haftungsbefreiung  der  Beklagten  wegen  des  Handelns  des
Klägers auf eigene Gefahr. Der Aspekt des Handels auf eigene Gefahr greift bei
der Tierhalterhaftung nur ausnahmsweise  ein,  wenn  sich  der  Verletzte  bewußt
Risiken aussetzt,  die  über  die  normale  Tiergefahr hinausgehen (vgl.  Senatsur-
teil  vom  24. November  1954  - VI ZR 255/53 -  VersR 1955,  116).  Das  Bewußt-
sein  der  Gefährdung  ist  stets  Voraussetzung,  um  ein  Handeln  auf  eigene  Ge-
fahr anzunehmen.
Im Streitfall fehlen jegliche Anhaltspunkte dafür, daß sich der Kläger mit
dem  Öffnen  der  Tür  bewußt  der  Gefahr  aussetzte,  gebissen  zu  werden.  Auch
wenn  ihm  die  Haltung  der  Hunde  aufgrund  seiner  vorangegangenen  Besuche
auf dem Reiterhof bekannt war, mußte er nicht damit rechnen, daß die Beklag-
ten  die Tiere im  Haus  frei laufen lassen  würden,  obwohl  sich  seine ehemalige
Verlobte  auf  dem  Grundstück  aufhielt  und die  Beklagten  wußten,  daß  er  kom-
men würde. Auch der Umstand, daß der Zwinger vor dem Haus leer war, zwang
ihm  nicht  einen  solchen  Schluß  auf.  Die  Hunde  konnten  entweder  im  zweiten
Zwinger  sein  oder  sich  mit  den  Beklagten  zu 1  und/oder 2  außerhalb  des
Grundstücks aufhalten.
c) Schließlich hat das Berufungsgericht nicht hinreichend berücksichtigt,
daß  alle  verbleibenden  Unklarheiten  des  Sachverhalts  zu  Lasten  der  für  das
Mitverschulden des Klägers beweispflichtigen Beklagten gehen. Die Unaufklär-
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barkeit  der  Behauptung,  die  Beklagte  zu 3  habe  den  Kläger  aufgefordert,  das
Wohnhaus  zu  betreten,  kann  - entgegen  der  Auffassung  des  Berufungsge-
richts - nicht zu Lasten des Klägers gehen. Weiterhin beanstandet die Revision
zu  Recht,  daß  das  Berufungsgericht  ohne  erneute  Beweisaufnahme  in  Abwei-
chung  von  den  Feststellungen  des  Amtsgerichts  nicht  annehmen  durfte,  der
Kläger  habe  nicht  an  der  Haustür  geklopft.  An  die  Feststellung  des  Amtsge-
richts,  daß  der  Kläger  jedenfalls  geklopft  habe,  war  das  Berufungsgericht  viel-
mehr gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, wenn es nicht wegen ernsthaf-
ter  Zweifel  eigene  Feststellungen  treffen  wollte  (vgl.  Gummer/Heßler  in  Zöller,
ZPO, 25. Aufl., § 529 Rdn. 7, 8, 11; Musielak/Ball, ZPO, 4. Aufl. § 529 Rdn. 13,
14).
Müller                                            Greiner                                     Diederichsen
Pauge                                               Zoll