Urteil des BGH vom 08.04.2003

BGH (hilfsmittel, leistungserbringer, öffentliche ausschreibung, versorgung, krankenkasse, kleine unternehmen, verfassungskonforme auslegung, ausschreibung, markt, sachsen)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
KZR 18/01
Verkündet am:
24. Juni 2003
Walz
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ
: nein
BGHR: ja
Wiederverwendbare Hilfsmittel
SGB V § 2 Abs. 3, § 33 Abs. 5
Es verstößt weder gegen das Pluralitätsgebot noch gegen sonstige sozialversi-
cherungsrechtliche Grundsätze, wenn eine Krankenkasse zur Versorgung ihrer
Mitglieder mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln für einen bestimmten Zeitraum
nur solche Leistungserbringer zuläßt, die sich vorher in einem Ausschreibungs-
verfahren durchgesetzt haben.
BGH, Urt. v. 24. Juni 2003 - KZR 18/01 - OLG Dresden
LG Leipzig
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Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 8. April 2003 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs
Prof. Dr. Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Prof. Dr. Bornkamm, Dr. Raum
und Dr. Meier-Beck
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberlandes-
gerichts Dresden - Kartellsenat - vom 23. August 2001 unter Zu-
rückweisung der Anschlußrevision der Klägerin im Kostenpunkt
und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten er-
kannt worden ist. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des
Landgerichts Leipzig - 2. Kammer für Handelssachen - vom
1. September 2000 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß
die Klage insgesamt als unbegründet abgewiesen wird.
Die Klägerin trägt die Kosten der Rechtsmittel.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine Handwerksinnung, deren Bezirk sich auf das Gebiet
des gesamten Freistaates Sachsen erstreckt. Sie verfügt über 68 Mitglieder und
vertritt die Interessen der Handwerksbereiche Bandagisten, Orthopädie- und
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Chirurgiemechaniker. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenkasse, die im
Bergbau Beschäftigte versichert (§ 177 SGB V). Bundesweit hat die Beklagte
über 1,4 Millionen Mitglieder, von denen etwa 144.000 in Sachsen ansässig
sind.
Die Klägerin schloß im Januar 1991 mit etlichen gesetzlichen Kranken-
kassen, u. a. der AOK und dem Landesverband der Betriebskrankenkassen,
einen Rahmenvertrag gemäß § 127 SGB V, der sowohl Regelungen über die
Zulassung als auch über die Vergütung von Leistungserbringern für orthetische
und orthopädische Heil- und Hilfsmittel enthielt. Die Beklagte stimmte diesem
Vertrag zu und berücksichtigte zunächst die dort getroffenen Regelungen. Die-
sen Vertrag kündigte sie zum 31. Juli 2000.
Im Februar 1998 führte die Beklagte über ihre Hauptverwaltung eine öf-
fentliche Ausschreibung zur Versorgung knappschaftlich Berechtigter mit Kran-
kenfahrzeugen sowie sonstigen wiederverwendbaren Hilfsmitteln mit einem
Kaufpreis von jeweils mehr als 300 DM durch, soweit diese Hilfsmittel keiner
Preisvereinbarung unterlagen. Als Teilnehmer waren die Leistungserbringer
zugelassen, ihre Verbände wurden nicht beteiligt.
Ausgeschrieben hat die Beklagte Gebiets- und Fachlose. Pro Gebiets-
und Fachlos erhielten zwei Bieter den Zuschlag. Im Jahre 2000 führte sie für
Sachsen wiederum eine öffentliche Ausschreibung durch. Im Ergebnis dieser
Ausschreibung schloß sie mit elf Anbietern (den Ausschreibungsgewinnern)
Sonderverträge ab. Diese Ausschreibungsgewinner wurden verpflichtet, die
Hilfsmittel an die Versicherten zu bestimmten Bedingungen abzugeben und ggf.
Instandsetzungen und Umrüstungen zu gewährleisten.
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Die Beklagte verfährt jetzt folgendermaßen: Sie beauftragt nur Aus-
schreibungsgewinner mit der Versorgung ihrer Versicherten, soweit es sich um
wiederverwendbare Hilfsmittel nach § 33 Abs. 5 SGB V handelt, die keiner lan-
desweit geltenden Preisliste unterfallen. Legt der Versicherte eine entsprechen-
de ärztliche Verordnung vor, wird er an die Ausschreibungsgewinner verwiesen,
die den Versicherten aus ihren Beständen mit vorhandenen oder mit neu an-
gefertigten Hilfsmitteln versorgen. Anderen Leistungserbringern, die im Auftrag
von Versicherten unter Vorlage der ärztlichen Verordnungen Kostenvoran-
schläge einreichen, wird mitgeteilt - und zwar auch dann, wenn die Preise jenen
der Ausschreibungsgewinner entsprechen -, daß eine Versorgung über einen
Vertragslieferanten veranlaßt worden sei. Die ärztlichen Verordnungen behält
die Beklagte dabei ein. Zugleich informiert sie ihren Versicherten, über welche
Leistungserbringer das wiederverwendbare Hilfsmittel bezogen werden kann.
Die Klägerin hält diese Praxis nach § 19 Abs. 2 Satz 2, § 20 Abs. 1 GWB
für kartellrechtswidrig, weil ihre Mitglieder von der Beklagten durch die zusätzli-
chen und gesetzlich nicht vorgesehenen Ausschreibungen behindert würden.
Sie erstrebt mit ihrer Klage ein Verbot, durch das der Beklagten untersagt wer-
den soll, derartige Ausschreibungen in Zukunft durchzuführen. Weiterhin soll
die Beklagte bisherige und zukünftige Ausschreibungsergebnisse nicht derge-
stalt verwenden, daß nur noch die Ausschreibungsgewinner unter Ausschluß
der übrigen allgemein zugelassenen Leistungserbringer an der Versorgung der
Versicherten mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln beteiligt werden. Zugleich soll
der Beklagten verboten werden, bei Einreichung von Kostenvoranschlägen
durch Leistungserbringer, die keine Ausschreibungsgewinner sind, die Versor-
gung durch andere Leistungserbringer zu veranlassen und die eingereichten
Kostenvoranschläge unter Einbehalt der beigefügten ärztlichen Verordnungen
an das jeweilige Mitglied der Klägerin zurückzusenden.
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Das Landgericht, das gemäß § 17a Abs. 3 GVG den zu den Zivilgerich-
ten beschrittenen Rechtsweg durch Beschluß vom 28. April 2000 für zulässig
erklärt hatte, hat die Klage im wesentlichen - wegen Unbestimmtheit der Klage-
anträge - als unzulässig abgewiesen. Im übrigen hat es einen Anspruch der
Klägerin verneint, weil die Beklagte aufgrund ihres Marktanteils keine Norm-
adressatin im Sinne der §§ 19, 20 GWB sei. Auf die Berufung der Klägerin hat
das Oberlandesgericht die landgerichtliche Entscheidung teilweise abgeändert
und die Beklagte verurteilt, es zu unterlassen, solche Leistungserbringer, die
nicht aufgrund einer Ausschreibung zugelassen worden sind, bei der Versor-
gung ihrer Mitglieder nicht mehr zu berücksichtigen und die Versorgung der
Versicherten durch andere Leistungserbringer zu veranlassen. Im übrigen hat
es die Berufung zurückgewiesen, auch soweit die Klägerin die Untersagung der
Durchführung künftiger Ausschreibungen beantragt hat.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision, mit der
sie weiterhin eine vollumfängliche Klageabweisung erreichen will. Die Klägerin
tritt der Revision entgegen und verfolgt mit ihrer (unselbständigen) Anschlußre-
vision das Ziel, der Beklagten schon die Durchführung entsprechender Aus-
schreibungen hinsichtlich wiederverwendbarer Hilfsmittel zu untersagen. Die
Beklagte beantragt, die Anschlußrevision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur vollstän-
digen Zurückweisung der Berufung der Klägerin mit der Maßgabe, daß die Kla-
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ge nicht als unzulässig, sondern als unbegründet abgewiesen wird. Die An-
schlußrevision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat die auf § 33 Satz 2, § 20 Abs. 1 GWB ge-
stützten Unterlassungsanträge als ausreichend bestimmt und in der Sache
auch teilweise für begründet erachtet. Die Anwendung kartellrechtlicher Vor-
schriften sei nicht durch die Novellierung des § 69 SGB V ausgeschlossen, weil
diese Vorschrift keinen materiellen Ausschluß kartellrechtlicher Regelungen
begründen solle, sondern lediglich im Sinne einer Rechtswegzuweisung zu den
Sozialgerichten verstanden werden könne. Auch die verfassungskonforme
Auslegung der Vorschrift gebiete ein solches Ergebnis, da ein im Sinne des
Art. 3 Abs. 1 GG rechtfertigender sachlicher Grund nicht ersichtlich sei, den
Leistungserbringern gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen - anders als
gegenüber den privaten Krankenversicherern - den Schutz des Wettbewerbs-
und Kartellrechts zu versagen.
Das Berufungsgericht führt weiter aus, daß die Beklagte ein Unterneh-
men sei, das zusammen mit anderen Unternehmen ein Oligopol im Sinne des
§ 19 Abs. 2 Satz 2 GWB bilde. Zwischen den gesetzlichen Krankenkassen be-
stehe auf der Nachfrageseite kein Wettbewerb, weil nach dem gesetzlichen
Leitbild (§ 125 Abs. 1, § 128 SGB V) diese gegenüber den Leistungserbringern
gemeinsam und einheitlich handeln müßten. Insgesamt seien 88,46 % der Ge-
samtbevölkerung bei einer gesetzlichen Krankenkasse versichert. Der Um-
stand, daß allein die Beklagte Sonderausschreibungen für wiederverwendbare
Hilfsmittel durchführe, könne nicht zu einer anderen Betrachtung führen. Erst
ihre Stellung als gesetzliche Krankenkasse ermögliche der Beklagten im Rah-
men eines Oligopols diese Vorgehensweise, weil sie nicht befürchten müsse,
daß sie Anbieter verliere. Außerdem bestehe eine Nachahmungsgefahr. Im üb-
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rigen seien die Mitgliedsunternehmen der Klägerin als kleine Unternehmen
auch von der Beklagten im Sinne des § 20 Abs. 2 GWB abhängig. Die Be-
schränkung der Versorgung auf die Ausschreibungsgewinner stelle einen Ver-
stoß gegen das Diskriminierungsverbot dar, weil sie wesentlichen Grundsätzen
des SGB V widerspreche. Dieses Vorgehen schränke nämlich die Freiheit der
Versicherten, unter den zugelassenen Leistungserbringern zu wählen, in unzu-
lässiger Weise ein. Diese Wahlfreiheit gelte auch für wiederverwendbare Hilfs-
mittel im Sinne des § 33 Abs. 5 SGB V; auch insoweit müsse nach den Struk-
turprinzipien des SGB V die Vielfalt der Leistungserbringer berücksichtigt wer-
den.
Das Berufungsgericht hat deshalb das praktizierte Ausschreibungssy-
stem als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot im Sinne des § 20 Abs. 1
GWB angesehen. Dieser Verstoß betreffe aber nur die Umsetzung der Aus-
schreibungsergebnisse, nicht aber die Durchführung der Ausschreibung an
sich. Da die Ausschreibung selbst noch keinen Eingriff in den Wettbewerb dar-
stelle, sei die Klage insoweit abzuweisen.
II. Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Entgegen der Auffassung der Revision bestehen gegen die Bestimmt-
heit der Klageanträge gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO keine Bedenken. Der mit
einem Klageantrag erstrebte Erfolg muß so bestimmt bezeichnet werden, daß
Zweifel ausgeschlossen sind und sich der Beklagte umfassend verteidigen kann
(BGHZ 140, 1, 3; BGH, Urt. v. 1.12.1999 - I ZR 49/97, NJW 2000, 2195, 2196
- Marlene Dietrich [insoweit in BGHZ 143, 214 ff. nicht abgedruckt]). Mit dem
Berufungsgericht ist davon auszugehen, daß diese Voraussetzungen im Streit-
fall vorliegen.
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2. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen kartellrechtlichen An-
spruch gemäß § 20 Abs. 1 GWB bejaht.
a) Durch die Neufassung des § 69 SGB V aufgrund des Gesetzes zur
Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Ge-
sundheitsreformgesetz 2000) vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2626) sind
die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen und ihrer Verbände zu Ärzten,
Zahnärzten, Psychotherapeuten, Apotheken sowie sonstigen Leistungserbrin-
gern und ihren Verbänden abschließend durch das Vierte Kapitel des SGB V
(§§ 69 - 140h) sowie die §§ 63 und 64 SGB V geregelt. Das Berufungsgericht
versteht die Regelung des § 69 SGB V nur im Sinne einer Rechtswegzuwei-
sung (so auch BSGE 86, 223, 229 [6. Senat]; Engelmann NZS 2000, 213 ff.),
nicht aber als generellen Ausschlußtatbestand für die Anwendung kartellrechtli-
cher Normen, was faktisch einer Bereichsausnahme gleichkäme (in diesem
Sinne BSGE 87, 95, 99; 89, 24, 33 [3. Senat]; Meyer-Lindemann in GK, Kartell-
recht, 45. Lfg., § 87 GWB Rdn. 17 ff.; Bornkamm in Langen/Bunte, GWB,
9. Aufl., § 87 Rdn. 6a ff.).
b) Diese Frage bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Ein
kartellrechtlicher Anspruch gemäß § 20 Abs. 1 und 2 GWB besteht entgegen
der Auffassung des Berufungsgerichts deshalb nicht, weil die Beklagte nicht
Normadressatin dieser Bestimmung ist.
aa) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Beklagte
für sich genommen über keine entsprechende Marktstellung verfügt. Dabei be-
stimmt es das Gebiet des Freistaates Sachsen rechtsfehlerfrei als den räumlich
relevanten Markt. Lokale Teilmärkte hat das Berufungsgericht nicht feststellen
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können. Dies wird von den Parteien im Revisionsverfahren nicht mehr ange-
griffen und läßt auch keinen Rechtsfehler erkennen. Der insoweit vom Beru-
fungsgericht zugrundegelegte Versichertenanteil der Beklagten, der bei etwa
3 % der Gesamtbevölkerung liegt, kann keine erhebliche Nachfragemacht im
Sinne des § 20 Abs. 1 GWB begründen. Da auch im übrigen keine Gesichts-
punkte ersichtlich sind, die auf ein insoweit überproportionales Nachfragepoten-
tial gerade der Beklagten hindeuten, hat das Berufungsgericht zutreffend bei
der Beklagten allein keine entsprechende Marktmacht angenommen.
bb) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann eine Norm-
adressatenstellung der Beklagten auch nicht daraus abgeleitet werden, daß sie
mit anderen gesetzlichen Krankenkassen ein Oligopol (§ 19 Abs. 2 Satz 2
GWB) bildet. Allerdings sind in Sachsen knapp 90 % der Bevölkerung Mitglieder
der gesetzlichen Krankenkassen. Die gesetzlichen Krankenkassen sind gerade
aufgrund der gesetzlichen Regelung zudem in ihrer Funktion als Nachfrager zur
Zusammenarbeit verpflichtet und gehalten, gegenüber den Leistungserbringern
einheitlich vorzugehen (§§ 125, 128 SGB V).
Diese Umstände reichen jedoch für die Annahme eines Oligopols nicht
aus. Es kommt nämlich nicht darauf an, daß zwischen den gesetzlichen Kran-
kenkassen als Nachfragern der Wettbewerb allgemein eingeschränkt ist. Zwei
oder mehrere Unternehmen sind nach § 19 Abs. 2 Satz 2 GWB als Oligopol
vielmehr dann marktbeherrschend, wenn zwischen ihnen für eine bestimmte Art
von Waren oder gewerblichen Leistungen kein wesentlicher Wettbewerb be-
steht. Die Annahme eines Oligopols setzt im Hinblick auf die zu beurteilende
Maßnahme deshalb voraus, daß die Beklagte insoweit konkret auf einem be-
stimmten Markt als Teil einer Gesamtheit von Unternehmen handelt. Insoweit
ist eine über die strukturellen Wettbewerbsbedingungen hinausgehende Ge-
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samtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere der auf dem re-
levanten Markt herrschenden Wettbewerbsverhältnisse, vorzunehmen (BGHZ
96, 337, 344 f. - Abwehrblatt II; BGH, Beschl. v. 4.10.1983 - KVR 3/82,
WuW/E 2025, 2027 - Texaco-Zerssen).
Der Nachfragewettbewerb auf dem Markt für wiederverwendbare Hilfs-
mittel wird durch das Verhalten der Beklagten nicht beschränkt. Dies ergibt sich
schon daraus, daß die Beklagte mit der Durchführung von Ausschreibungen in
ihrem Nachfrageverhalten einen Sonderweg beschreitet. Damit läßt sich auf der
Nachfrageseite kein einheitliches Vorgehen der Krankenversicherer feststellen,
das auf das Fehlen von Wettbewerb hindeuten könnte. Es sind auch keine An-
haltspunkte ersichtlich, daß die Vorgehensweise der Beklagten durch die
Marktmacht der anderen gesetzlichen Krankenkassen abgesichert würde. Ent-
sprechende Ausschreibungen führt lediglich die Beklagte durch. Ihr Verhalten
berührt nicht die Beziehungen der Mitglieder der Klägerin zu anderen gesetzli-
chen und privaten Krankenversicherungen. Gegenüber den dort Versicherten
können diese Leistungserbringer grundsätzlich die wiederverwendbaren Hilfs-
mittel auch dann anbieten, wenn sie bei der von der Beklagten durchgeführten
Ausschreibung unterlegen sind.
Soweit das Berufungsgericht die Gefahr eines möglicherweise gleicharti-
gen Verhaltens anderer gesetzlicher Krankenkassen für die Begründung eines
Oligopols heranzieht, begegnet auch dieser Gesichtspunkt durchgreifenden
Bedenken. Abgesehen davon, daß ein drohendes gleichartiges Verhalten durch
andere gesetzliche Krankenversicherungen nicht näher belegt ist, kommt die-
sem Gesichtspunkt auch keine Relevanz bei der Prüfung der Voraussetzungen
des § 19 Abs. 2 Satz 2 GWB zu. Maßgeblich ist nämlich für die Frage einer
Normadressatenstellung der Beklagten, über welche Nachfragemacht sie auf
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dem konkreten Markt verfügt. Da sich andere Krankenkassen nicht in gleicher
Weise verhalten, kann deren Nachfragemacht allein aus diesem Grunde der
Beklagten nicht zugerechnet werden.
cc) Gleichfalls begegnet die Auffassung des Berufungsgerichts, das eine
Normadressatenstellung weiterhin aus § 20 Abs. 2 GWB hergeleitet hat, durch-
greifenden rechtlichen Bedenken. Eine solche relative Marktmacht (Markert in
Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 20 Rdn. 39) setzt voraus, daß die Mit-
glieder der Klägerin als Anbieter von der Beklagten abhängig sind. Das Beru-
fungsgericht sieht diese Abhängigkeit darin, daß die Mitglieder der Klägerin
nicht auf andere Betriebe ausweichen könnten. Es meint, auf dem Nachfrage-
markt für wiederverwendbare Hilfsmittel bestehe wegen des nur eingeschränk-
ten Wettbewerbs der gesetzlichen Krankenkassen als Nachfrager für die Mit-
glieder der Klägerin eine gesteigerte Abhängigkeit.
Im vorliegenden Fall ist nicht ersichtlich, warum die Mitglieder der Kläge-
rin nicht auf andere Nachfrager ausweichen könnten. Soweit das Berufungsge-
richt hierbei auf eine Entscheidung des Senats Bezug nimmt (Urt. v. 22.3.1994
- KZR 9/93, WuW/E 2919 - Orthopädisches Schuhwerk), sind die jeweils zu-
grundeliegenden Fallkonstellationen nicht vergleichbar. In der genannten Ent-
scheidung wurde die fehlende Ausweichmöglichkeit auf andere Sozialversiche-
rungsträger damit begründet, daß die wesentlichen Krankenkassen gemeinsam
in einen Rahmenvertrag eingebunden waren, der auch die übliche Vergütung
für die Leistungserbringer regelte. Hinzu kam, daß die dort im Streit befindlichen
Vorstellungskosten nach der einhelligen damaligen Praxis der Krankenkassen
nicht vergütet wurden (BGH WuW/E 2919, 2922 - Orthopädisches Schuhwerk).
In diesen Punkten weicht die hier vorliegende Fallgestaltung von der zitierten
Senatsentscheidung ab. Für die in Rede stehenden wiederverwendbaren Hilfs-
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mittel gibt es weder einen Rahmenvertrag, an dem die Beklagte beteiligt wäre,
noch besteht eine einhellige Praxis unter den gesetzlichen Krankenkassen.
Vielmehr geht die Beklagte hier einen Sonderweg, wobei nicht ersichtlich ist,
daß die von der Beklagten nicht berücksichtigten Leistungserbringer nicht bei
anderen Sozialversicherungsträgern oder Krankenversicherungen als Anbieter
berücksichtigt werden könnten. Demnach können die Mitglieder der Klägerin,
auch wenn sie nicht zu den Ausschreibungsgewinnern gehören, knapp 96 %
der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen mit den hier im Streit stehen-
den Hilfsmitteln versorgen.
3. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus
anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO a. F.).
a) Das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 hat eine Zuweisung kartell-
rechtlicher Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversiche-
rung an die Sozialgerichte (§ 51 Abs. 2 SGG; § 87 Abs. 1 Satz 3 GWB) vorge-
nommen. In dem zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung bereits anhängigen
Verfahren hat das Landgericht mit Beschluß vom 28. April 2000 den zu den Zi-
vilgerichten beschrittenen Rechtsweg gemäß § 17a Abs. 3 GVG für zulässig
erklärt; dies bindet auch die Rechtsmittelgerichte (§ 17a Abs. 5 GVG). Mit der
rechtskräftigen Feststellung ihrer Zuständigkeit haben die Zivilgerichte nach
§ 17 Abs. 2 GVG den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtli-
chen Gesichtspunkten zu entscheiden, jedenfalls soweit es sich um einen ein-
heitlichen prozessualen Anspruch handelt (vgl. BGH, Beschl. v. 5.6.1997
- I ZB 42/96, NJW 1998, 826, 828; Gummer in Zöller, ZPO, 23. Aufl.,
§ 17 GVG Rdn. 6). Dies hat zur Folge, daß auch zu überprüfen ist, ob die in
Haupt- und Hilfsanträgen geltend gemachten Ansprüche eine Grundlage im
Sozialversicherungsrecht haben können.
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b) Dabei kann dahinstehen, inwieweit der Klägerin als Landesinnung sol-
che Unterlassungsansprüche zustehen können, die sich auf ihre Mitgliedsbe-
triebe beziehen und diesen eine Beteiligung an der Krankenversorgung durch
die Beklagte sichern sollen. Eine entsprechende Aktivlegitimation vermittelt
zwar § 33 Satz 2 GWB, der den dort genannten Verbänden eigene Ansprüche
einräumt (Bornkamm in Langen/Bunte aaO § 33 Rdn. 38). Ob die kartellrechtli-
che Vorschrift des § 33 Satz 2 GWB der Klägerin jedoch einen solchen An-
spruch gewähren könnte oder die Bestimmung des § 69 SGB V die Anwendung
des § 33 Satz 2 GWB ausschließt, kann der Senat offenlassen. Ebensowenig
bedarf es der Entscheidung, ob die Klägerin jedenfalls dann, wenn sie in ihrer
eigenen Vertragskompetenz nach § 127 SGB V beschränkt ist (vgl. BSGE 89,
24, 27), sich auf die Verletzung eigener Rechte berufen könnte.
c) Jedenfalls verstößt das von der Beklagten durchgeführte Ausschrei-
bungssystem bei wiederverwendbaren Hilfsmitteln gemäß § 33 Abs. 5 SGB V
,
Wahlfreiheit der Versicherten zählt (vgl. BSG SozR 3-1200 § 33 Nr. 1; BSG,
Urt. v. 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R). Das Ausschreibungssystem verletzt entge-
§ 2 Abs. 3 SGB V.
aa) Wiederverwendbare Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 5 SGB V kön-
nen von der gesetzlichen Krankenkasse nach § 33 Abs. 5 SGB V auch leihwei-
se überlassen werden. Mit einer leihweisen Überlassung erfüllt die gesetzliche
Krankenversicherung den gemäß § 33 Abs. 1 SGB V bestehenden Anspruch
des Versicherten auf die erforderlichen Körperersatzstücke und orthopädischen
Hilfsmittel (zum Begriff des Hilfsmittels vgl. BSGE 88, 204 ff.). Bei einer leihwei-
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sen Überlassung der Hilfsmittel obliegt es der Krankenkasse, dem Versicherten
das entsprechende von ihm benötigte Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen. In-
soweit ist § 33 Abs. 5 SGB V als Ausnahmetatbestand ausgestaltet. Im Blick
auf den Versicherten besteht hierin auch der wesentliche Unterschied zu der
Leistungsgewährung im übrigen. Während ansonsten der Versicherte pharma-
zeutische Produkte oder andere Hilfsmittel für sich verbrauchen kann, sind wie-
derverwendbare Hilfsmittel grundsätzlich für mehrere Versicherte nacheinander
und jeweils nur für einen bestimmten Zeitraum im Gebrauch. Wenn die Kran-
kenkasse dem Versicherten einen nicht nur von ihm allein zu nutzenden Ge-
genstand in Erfüllung ihrer Leistungspflicht zur Verfügung stellen kann, dann
spielt auch der Gedanke der Pluralität der Leistungserbringer eine untergeord-
nete Rolle. Der Versicherte muß ein vorhandenes, von einem anderen Versi-
cherten in Auftrag gegebenes und vorbenutztes Hilfsmittel akzeptieren. Allein
dieser Umstand schränkt seine Wahlfreiheit ein. Sie kann sich allenfalls noch
auf Beratungsleistungen, insbesondere auf eine etwaige Anpassung des Hilfs-
mittels oder eine Einweisung in seinen Gebrauch, beschränken. Insoweit ist
aber auch der Pluralitätsgrundsatz noch ausreichend gewahrt, weil die Beklagte
die Versorgung mit wiederverwendbaren Hilfsmitteln mehr als einem Anbieter
übertragen hat. Dies läßt für den Versicherten jedenfalls noch eine gewisse
Wahlmöglichkeit offen. Sie durch Zulassung weiterer Mitgliedsbetriebe der Klä-
gerin in erheblichem Maße auszudehnen, würde im übrigen den Normzweck
des § 33 Abs. 5 SGB V aushöhlen, mit dem eine möglichst effiziente Nutzung
der wiederverwendbaren Hilfsmittel gewährleistet werden sollte. Bei einer Zu-
lassung vieler Leistungserbringer bestünde nämlich die Gefahr, daß sich die
Versicherten nur für denjenigen Leistungserbringer entscheiden, der ihnen neu
hergestellte Hilfsmittel überlassen kann.
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Ein wesentlicher Unterschied besteht aber auch bei der Form der Lei-
stungsgewährung. Im Gegensatz zu den anderen Formen, in denen der von der
gesetzlichen Krankenkasse zugelassene Leistungserbringer deren Sachlei-
stungspflicht (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V) gegenüber dem Versicherten wahr-
nimmt, erlangt der Versicherte an den ihm nur leihweise überlassenen Hilfsmit-
teln kein Eigentum. Da die gesetzliche Krankenkasse mit der Beauftragung eine
eigene Beschaffungstätigkeit vornimmt, muß sie hieran auch nicht jeden nach
§ 126 Abs. 1 SGB V zugelassenen Leistungserbringer beteiligen (vgl. BSG
NJW 1989, 2773, 2774). Ebensowenig bestehen dagegen Bedenken, daß sie
im Interesse einer Kostenminimierung diese Leistungen ausgeschrieben und
insoweit keinen Rahmenvertrag mit der Klägerin abgeschlossen hat. Im übrigen
läßt die Regelung des § 127 Abs. 2 Satz 2 SGB V Verträge auch zwischen der
einzelnen gesetzlichen Krankenkasse und dem einzelnen Leistungserbringer
ausdrücklich zu (vgl. hierzu Kranig in Hauck/Haines, SGB V K, 59. Lief., § 127
Rdn. 4). Wenn diesen Preisvereinbarungen eine Ausschreibung vorangeht,
wahrt die Krankenkasse damit das wirtschaftliche Effizienzgebot (§ 1 Abs. 1
und 4, § 12 SGB V). Diese Form der Preisfindung ist in einem besonderen Ma-
ße geeignet, eine leistungs- und wettbewerbsgerechte Vergütung zu erreichen.
Die auf zwei Jahre beschränkten Ausschreibungsintervalle ermöglichen
in angemessenen Abständen eine Kontrolle des Ausschreibungsergebnisses.
Dieser relativ überschaubare Zeitraum eröffnet zudem auch den nicht berück-
sichtigten Leistungserbringern eine Beteiligung an der Versorgung mit wieder-
verwendbaren Hilfsmitteln.
bb) Das Verhalten der Beklagten stellt keine rechtswidrige Eigeneinrich-
tung nach § 140 SGB V dar. Daß die Beklagte die Hilfsmittel in der Rechtsform
der Leihe überläßt, ist durch § 33 Abs. 5 SGB V ausdrücklich erlaubt (vgl. BSG
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NJW 1989, 2773, 2774). Die bloße Begründung von Leihverhältnissen hinsicht-
lich der wiederverwendbaren Hilfsmittel reicht deshalb für die Annahme einer
Eigeneinrichtung nach § 140 SGB V nicht aus. Insoweit müßte die Beklagte
durch eigene Selbstabgabestellen in organisatorisch verfestigter Form die Aus-
leihe steuern und auf dem Markt wie ein entsprechender Handwerksbetrieb tä-
tig werden. Hinsichtlich der Umsetzung bedient sich die Beklagte jedoch nicht
eines eigenen Betriebes. Vielmehr werden auch die wiederverwendbaren
Hilfsmittel über Leistungserbringer erworben, wiederhergestellt und verteilt.
Schon aus diesem Grunde läßt sich ausschließen, daß die Beklagte selbst in
diesem beschränkten Leistungssegment als Wettbewerberin auftritt (vgl.
BGHZ 82, 375, 394 f. - Brillen-Selbstabgabestellen).
III. Der Senat kann in der Sache entscheiden, weil der Rechtsstreit im
Sinne einer umfassenden Klageabweisung entscheidungsreif ist. Da die Durch-
führung von entsprechenden Ausschreibungen gleichfalls nicht beanstandet
werden kann, ist die (unselbständige) Anschlußrevision zurückzuweisen.
Hirsch
Goette
Bornkamm
Raum
Meier-Beck