Urteil des BGH vom 17.07.2000

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5 StR 280/00
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 17. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2000
beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Berlin vom 17. Februar 2000 nach § 349 Abs. 4
StPO in den Gesamtstrafaussprüchen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts
zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten wegen Betruges in
20 Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Urkundenfälschung, und we-
gen Diebstahls in acht Fällen 28 Einzelfreiheitsstrafen von je vier Monaten
verhängt und ihn unter Einbeziehung von sechs Einzelfreiheitsstrafen (zwi-
schen einem Monat und vier Monaten) aus zwei rechtskräftigen Urteilen
- zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten
verurteilt; nach Auflösung der Gesamtstrafen aus jenen beiden Urteilen hat
es ferner aus zwei verbliebenen, nicht einbeziehungsfähigen Einzelstrafen
aus dem zweiten Urteil
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- eine zweite Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten und zwei Wo-
chen
gebildet, schließlich nach Aufhebung eines das erste Urteil mitbetreffenden
Gesamtstrafenbeschlusses nach § 460 StPO aus den dort einbezogenen
Einzelstrafen eines dritten Urteils und den Einzelstrafen eines vierten Urteils
– jeweils unter Auflösung dortiger Gesamtstrafen –
- eine dritte Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten
verhängt. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Gesamt-
strafen. Im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Allerdings treffen die sachlichrechtlichen Einwendungen der Revisi-
on gegen die Strafrahmenwahl bei den Einzelstrafen zu. Die Annahme be-
sonders schwerer Fälle des Betruges gemäß § 263 Abs. 3 StGB a.F. für die
Einzeltaten, mit denen der Angeklagte jeweils nicht sehr beträchtliche Schä-
den angerichtet hatte, war hier von vornherein unvertretbar. Zu § 243 StGB
weist die Revision zutreffend darauf hin, daß ein Abweichen von der Regel
im Blick auf den – nicht ausgeschlossenen – vertypten Milderungsgrund des
§ 21 StGB zu prüfen gewesen wäre.
Der Rechtsfehler hat sich indes nicht ausgewirkt. Der Tatrichter ist
nach der durchgehend bedenklichen Annahme besonders schwerer Fälle
durch Anwendung der §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gleichwohl zu nicht erhöhten
Mindeststrafen gelangt; er hat sich zutreffend jeweils nur an diesen orientiert
und letztlich überhaupt nicht an den Höchststrafen der von ihm – überflüssig
und bedenklich – gewählten erhöhten Strafrahmen. Im Ergebnis ist die Ein-
zelstrafbemessung – namentlich unter Berücksichtigung des nicht unerhebli-
chen Gesamtgewichts der Taten – nicht zu beanstanden.
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2. Die Gesamtstrafbildung hält sachlichrechtlicher Überprüfung nicht
stand, so daß es auf die hierzu auch erhobene Aufklärungsrüge nicht an-
kommt.
Allerdings stehen die der Gesamtstrafbildung vom Tatrichter zugrunde
gelegten Überlegungen zu mehreren Zäsuren mit der Folge notwendig zu
bildender mehrerer Gesamtstrafen prinzipiell im Einklang mit den Grundsät-
zen der Rechtsprechung zu § 55 StGB (vgl. nur BGHSt 35, 243; BGHR StGB
§ 55 Abs. 1 Satz 1 – Strafen, einbezogene 4) – die schwer zu durchschauen,
darzustellen und zu befolgen sind, schon daher dringlich im Sinne einer Ein-
heitsstrafenregelung reformbedürftig erscheinen – . Indes enthalten die Ur-
teilsfeststellungen nicht sämtliche für eine derartige mehrfache Gesamtstraf-
bildung unerläßlichen Informationen (unten a), zudem sind in diesem Zu-
sammenhang einige Wertungslücken (unten b) und -mängel (unten c) festzu-
stellen.
a) Zu der für die abgeurteilten Taten angenommenen Zäsur – der
Strafbefehl des Amtsgerichts Ulm vom 4. Februar 1998 – hat es der Tatrich-
ter unterlassen, die zugehörigen Tatzeiten mitzuteilen. Es liegt zwar nahe,
versteht sich aber nicht ohne weiteres von selbst (vgl. zudem die unter-
schiedlichen Angaben zum Aktenzeichen auf UA S. 13 und 33), daß die mit
dem Strafbefehl geahndeten Taten nach der vorherigen Zäsur – Urteil des
Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 1. November 1996 – begangen wor-
den sind. Allein dieser Feststellungsmangel ist grundsätzlich geeignet, der
komplizierten, den Angeklagten belastenden mehrfachen Gesamtstrafbildung
die Grundlage zu entziehen. Weitere Mängel kommen hinzu:
Hinsichtlich des von der dritten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr
und sechs Monaten betroffenen Urteils des Amtsgerichts Dresden vom
3. Februar 1998 vermißt die Revision mit Recht die Mitteilung der Einzel-
strafen; abgesehen davon wäre auch eine präzisere Tatzeitbezeichnung (als
auf UA S. 34: „vor dem 1. November 1996”) angezeigt gewesen.
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Ohne die Mitteilung der Höhe der Gesamtstrafe, die mit dem als ge-
genstandslos aufgehobenen Beschluß vom 13. Oktober 1998 gebildet wurde
(§ 460 StPO), läßt sich nicht feststellen, wie weit das bisherige gegen den
Angeklagten bestehende Gesamtstrafübel im Ergebnis durch dieses Urteil
überschritten worden ist. Die Höhe des Gesamtstrafübels ist ein für die Be-
urteilung der Angemessenheit der Sanktionierung ausschlaggebendes Krite-
rium.
b) Trotz des letztgenannten Feststellungsmangels wird bereits aus
dem Urteil deutlich, daß der Tatrichter die Summe der freiheitsentziehenden
Sanktionen gegen den Angeklagten aus Anlaß der abgeurteilten Taten be-
trächtlich erhöht hat (aus den mit der Aufklärungsrüge von der Revision mit-
geteilten Informationen errechnen sich fast vier Jahre Differenz). Zwar spre-
chen das nicht unerhebliche Gesamtunrecht aller abgeurteilter Taten und die
Vorbelastungen des Angeklagten für eine fühlbare Sanktionierung. Es er-
scheint aber fraglich, ob den gewichtigen mildernden Faktoren, insbesondere
den nicht ausdrücklich erwähnten Umständen des verhältnismäßig geringen
Gewichts jeder einzelnen Tat, wie es in den insgesamt sehr niedrigen Einzel-
strafen Ausdruck findet, und dem beträchtlichen Zeitablauf zwischen Tatbe-
gehung und Aburteilung, der nicht zuletzt Ursache für die Gesamtstrafzer-
splitterung war, im Ergebnis ausreichend Rechnung getragen worden ist.
c) Folgende Einzelbedenken kommen hinzu:
Bei der dritten Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Mo-
naten beruft sich der Tatrichter auf mehrere mindernde Faktoren. Vor diesem
Hintergrund ist kaum verständlich, daß er die Summe der (entfallenden) Ge-
samtfreiheitsstrafen aus den betroffenen Urteilen (ein Jahr und ein Monat
sowie sechs Monate) nur um einen Monat unterschreitet.
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Die der Nichteinbeziehung von Geldstrafen nach § 53 Abs. 2
Satz 2 StGB zugrunde liegende Wertung, den Angeklagten – dessen abge-
urteilte Taten durch ständigen Geldmangel bedingt waren und gegen den
unerläßlich kurzfristige Freiheitsstrafen zu verhängen sind (§ 47
Abs. 1 StGB) – nicht nur durch Freiheitsstrafe, sondern auch „an seinem
Vermögen” strafen zu wollen (UA S. 34), ist nicht nachvollziehbar. Schon
daher hätten auch hinsichtlich eines weiteren Strafbefehls vom 29. Mai 1998
Feststellungen zu Tatzeit und Vollstreckungsstand – um auch diese Geld-
strafe in die Gesamtstrafbildung einzubeziehen – getroffen werden müssen.
3. Insoweit wird der neue Tatrichter freilich darauf zu achten haben,
daß er nicht durch Anhebung der Gesamtsumme zu verhängender Ge-
samtfreiheitsstrafen gegen das Verschlechterungsverbot verstößt. Mit Rück-
sicht auf die erwähnten Wertungsmängel wird es naheliegen, daß er – unter
der Voraussetzung unveränderter Zäsuren – jedenfalls die dritte Gesamtfrei-
heitsstrafe reduziert und die beiden anderen auch bei weiterer Einbeziehung
von Geldstrafen jedenfalls nicht erhöht.
Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei den gegebenen
Wertungsfehlern nicht. Die Feststellungsdefizite wird der neue Tatrichter
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auszugleichen haben. Darüber hinaus darf er nur noch ergänzende Fest-
stellungen treffen, die den bisher getroffenen nicht widersprechen.
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Gerhardt Brause